Geheilter Messianismus

Bei dem Befreiungstheologen John Sobrino bin ich in Der Glaube an Jesus Christus heute auf einen interessanten Gedanken gestoßen, nämlich die „entmessianisierte“ Christologie. Damit bezeichnet Sobrino eine Entwicklung in der Theologie, die damit einsetzt, dass der Messiastitel quasi zum Eigennamen wird, während als Titel „Sohn Gottes“ in den Vordergrund rückt, das im ursprünglichen jüdischen Kontext noch dem Messiasbegriff nachgeordnet war. Die Folge war, dass man

  • statt auf eine historische Rettung immer mehr auf eine transzendente Erlösung zu hoffen begann
  • das Individuum und die Gemeinde dominierte statt das Volk mit seinen kulturellen, sozialen und politischen Hoffnungen
  • man den Mittler (Christus) betrachtete und darüber die Vermittlung (das Reich Gottes) zu vergessen begann

Provozierend zugespitzt formuliert Sobrino es dann so:

Manchmal entsteht der Eindruck, einige Christen meinten, nach Jahrhunderten sei der himmlische Vater absolut zufrieden, weil der Mittler, der Sohn, auf Erden erschienen ist. Diesem Mittler (und einigen Gemeinden) ist es gut ergangen, weshalb es auch nicht weiter wichtig oder gar entscheidend ist, ob es der Schöpfung gut geht oder nicht. (S. 233)

Stattdessen tut eine Re-Messianisierung Not. Je länger sich das zweite Kommen Christi hinauszögert, desto wichtiger wird sie für die Kirche. Jesus, schreibt Sobrino, war zwar kein politischer Messias auf dem Weg zur gewaltsamen Errichtung einer „Theokratie“, er wollte aber sehr wohl die Polis gestalten, wenn auch „nur“ durch die Macht der Wahrheit, der Liebe und des Zeugnisses – das heißt: seiner Treue bis zum Kreuz. Also geht es darum, die messianische – und das heißt eben auch: die befreiende – Dimension des Wirkens Jesu zurückzugewinnen. Messianismus wird von ihm her neu definiert und lässt sich weder auf das jenseitige Heil noch auf politische und soziale Erwartungen hier reduzieren.

Das geht schließlich auch nicht am Kreuz vorbei:

Ein Gekreuzigter Messias kreuzigt – und heilt damit – alle Messiasvorstellungen, die zum Mechanischen, Magischen und Egoistischen neigen. (S. 236)

Man kommt am Mysterium Iniquitatis nicht vorbei, der Erfahrung der Bosheit und der Frage, warum gerade die geschichtlichen Hoffnungsträger unbarmherzig und unerbittlich bekämpft und wo möglich auch getötet werden – Erzbischof Romero zum Beispiel. Das Kreuz ist die Konsequenz des messianischen Weges Jesu. Er führt zu einem gekreuzigten Messianismus, der alle Macht (auch religiöse) problematisiert, die gegenüber Unterdrückung und Verzweiflung jeder Art gleichgültig ist. Hier liegt auch der Unterschied zu so manchem falschen Messianismus. Und von da aus, sagt Sobrino, muss nun auch die Kirche und die Theologie re-messianisiert werden.

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Subjektivität: Das Kamel und das Nadelöhr

Auf dem schmalen Bürgersteig, der von einem vorschriftswidrig geparkten PKW noch weiter verengt wird, steht an dessen engster Stelle ein Mädchen und unterhält sich mit einem Freund. Eine Passantin schafft es, an ihr vorbeizukommen. Das Mädchen bewegt sich aus der Weite des unmittelbar angzenzenden Bohlenplatzes wieder zurück in das Nadelöhr, den Rücken in meine Richtung gewandt. Ich zwänge mich durch den schmalen Spalt zwischen ihrer Rückseite und dem Heck des Autos. Sie spürt das, dreht sich um und sagt zu echauffiert ihrem Gegenüber: Warum müssen hier alle vorbei?

Hier stehe ich, ich kann nicht anders…

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Päpstlicher als der Papst?

Im April unterrichte ich Kirchengeschichte beim IGW in Karlsruhe. Heute habe ich mich in der Vorbereitung mal wieder mit der Vorgeschichte der Aufklärung befasst. Im Späthumanismus war eine Schlüsselfrage, wie Vernunft und Offenbarung in der Wahrheitserkenntnis zusammenpassen. Man ging in der Regel von einem harmonischen Miteinander aus. Aber Mathematik und Astronomie als die beiden Schrittmacher brachten bei Kopernikus, Galilei und Kepler (ein exkommunizierter Lutheraner aus Württemberg) Resultate hervor, die nicht nur das implizite Weltbild der Bibel, sondern auch deren expliziten Wortlaut in Frage stellten. Schon vor einer Weile hatte ich hier gelesen, dass die Reformatoren buchstäblich „päpstlicher als der Papst“ waren in der biblisch begründeten Zurückweisung des kopernikanischen Weltbildes:

Luther: „Der Narr will die ganze Kunst Astronomiae umkehren. Aber wie die Heilige Schrift anzeiget, so hiess Josua die Sonne stillstehen, und nicht das Erdreich.“

Melanchthon: „Die Augen sind Zeugen, dass sich der Himmel in vierundzwanzig Stunden umdreht. Doch gewisse Leute haben, entweder aus Neuerungssucht, oder um ihre Klugheit zu zeigen, geschlossen, dass sich die Erde bewegt.”

Calvin: „Wer wird es wagen, die Autorität von Kopernikus über die des Heiligen Geistes zu stellen?“

Wenn man das liest, fragt man sich ja unwillkürlich: Wie werden unsere heutigen Diskussionen mit den Wissenschaften in ein paar hundert Jahren beurteilt, etwa im Blick auf die Frage, was „natürlich“ ist und was nicht? Heute geht es nicht mehr um Astronomie, aber um Anthropologie und Biologie bzw. Medizin. Es muss auch keineswegs immer so sein, dass „die Wissenschaft“ Recht hat und die Theologie bzw. die Bibel Unrecht, „die“ Wissenschaft korrigiert sich ja auch ständig selbst, in den meisten Disziplinen gibt es ja auch kleinere und größere Glaubenskriege. Soll man sich da einmischen, oder noch anders gefragt: Ab wann muss man sich einmischen?

Neben ethischen Fragen wie dem Anfang und Ende des Lebens oder Wegen zu Frieden und Gerechtigkeit ist es vielleicht die Wissenschaftstheorie, die vor allem „bibeltreue“ Theologen erst einmal gründlich interessieren sollte und müsste. Theologie hat eine eigene Perspektive auf die Welt, den Menschen und das Leben, darin besteht der Unterschied zu anderen Disziplinen. Das Verhältnis zu anderen Wahrheiten lässt sich in kein statisches oben/unten und schon gar nicht entweder/oder auflösen. Wenn sich die Tradition und Theologie an das Welt- und zum Teil auch Menschenbild der Antike (und unbewusst allzu oft auch der Moderne bzw. Antimoderne) bindet, beraubt sie sich vieler Möglichkeiten, von Gott angemessen zu reden. Wo sie den Physikern, Biologen und Psychologen vorschreiben möchte, was sie zu entdecken haben, macht sie sich lächerlich. Wo sie aber die gelegentlich erhobenen Absolutheitsansprüche dieser Wissenschaften bzw. einiger ihrer Vertreter im Namen Gottes relativiert – ohne denselben Fehler zu begehen und sich absolut zu setzen –, da hat sie einen Sinn.

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Allah (3)

Nach dem historischen Rückblick behandelt Volf methodische Fragen: Sowohl von christlicher (Al Mohler jr.) als auch muslimischer Seite (das Innenministerium in Malaysia gegen die katholische Wochenzeitung Herald 2007) wurde in Frage gestellt, ob arabisch sprechende Christen Gott als Allah anreden dürfen. Die Kopten tun das ganz selbstverständlich seit Jahrhunderten. Aber selbst zwei verschiedene Begriffe könnten sich auf denselben Gegenstand beziehen – ein Beispiel dafür sind „Morgenstern“ und „Abendstern“, denn beides bezieht sich auf den Planeten Venus.

Sollten sich die Aussagen von Muslimen aus christlicher Sicht nicht auf „unseren“ Gott beziehen, blieben noch drei Möglichkeiten: Sie reden von einem anderen Gott, sie beziehen sich auf gar keinen realen Gegenstand, oder sie handeln von einem Götzen, einer menschlichen Projektion. Letzteres behaupten Religionskritiker wie Feuerbach von Christen wie von Muslimen.

Nikolaus von Kues ging davon aus, dass alle Menschen im Grunde den einen wahren Gott verehren, der mit dem Wahren und Guten identisch ist (ähnliche Gedanken finden wir u.a. auch bei C.S. Lewis in The Last Battle). Aber der Ansatz bei einer allgemeinen Gotteserkenntnis hilft nicht weiter, weil er eher Postulate aufstellt als konkrete Glaubensansichten betrachtet und vergleicht. Christen und Muslime haben auch keine gemeinsamen heiligen Schriften (wie Christen und Juden), aber es gibt zumindest einige Übereinstimmungen zwischen den Aussagen der Bibel und des Koran. Dennoch glauben die meisten Muslime nicht, dass die Schriften der Christen dem Koran in irgendeiner Form gleichwertig oder ähnlich sind.

Es bleibt also der Weg über den inhaltlichen Vergleich der Beschreibungen Gottes. Wir brauchen keine völlige Übereinstimmung, um von einem gemeinsamen Gott reden zu können, Diskrepanzen sind möglich. Es gibt sie im Übrigen auch unter Christen verschiedenener Richtungen und Konfessionen. Die Gegenposition vertritt der Australiers Mark Durie, der den Sachverhalt mit Falschgeld vergleicht. Schon die kleinste Abweichung ist für Durie der Beweis für die Unechtheit der Blüte. Jesus dagegen, sagt Volf, kann im Johannesevangelium davon sprechen, dass seine jüdischen Gegner auch dann noch von demselben Gott sprachen wie er, als sie sich weigerten, ihn als wahren Propheten (geschweige denn als Verkörperung Gottes) anzuerkennen. Volf folgert: Wer immer nur die Unterschiede hervorkehrt ist wie jemand, der sich über die Fehler des anderen freut. Genau das tut die Liebe aber laut 1.Kor 13,6 nicht.

Im fünften Kapitel betrachtet Volf die gemeinsamen Elemente der Gotteslehre. Er setzt ein bei der Erklärung Nostra Aetate (1965), in der sich Paul VI. auf einen Brief von Papst Gregor VII an den König von Mauretanien bezieht. Dann stellt er fest:

There are Muslims and Christians who disagree so radically about God‘s character that they, in fact, do worship two different Gods. But then it would be easy to find Christians who disagree among themselves so radically that we may be tempted to conclude that they too worship different Gods. The same is true of Muslims and Jews, I suspect. (S. 96)

Volf erklärt, dass er sich auf dem Mainstream beider Religionen beziehen wird: Menschen, die ihren Glauben ernst nehmen, zugleich aber wissen, dass selbst große Lehrer in vielen Dingen recht unterschiedlicher Meinung waren. Bei diesen Gruppen lassen sich einige Gemeinsamkeiten feststellen:

  • Es gibt nur einen Gott
  • Dieser Gott ist der Schöpfer der Welt
  • Gott ist radikal anders als alles, was er geschaffen hat und alles, was nicht Gott ist

Damit sind Pantheismus wie Polytheismus schon ausgeschlossen. Neben diesen eher formalen Punkten ist aber auch die Beschreibung des Wesens Gottes wichtig. Bei menschlichen Charakteren kann man durchaus geteilter Meinung sein – Volf nennt Milosevic, der von den Serben als Retter gefeiert wurde und von den Muslimen als Schlächter von Belgrad bezeichnet wurde. Im Blick auf Gott lässt sich das jedoch nicht durchhalten. Der monotheistische Gottesbegriff impliziert praktisch schon, dass Gott gut ist und kein überdimensionales sadistisches Monster. Wenn man Gottes Güte in Frage stellt, steht sein Gottsein in Frage. Vergleicht man den Willen Gottes, so lassen sich tatsächlich Gemeinsamkeiten ausmachen, die dem Doppelgebot der Liebe entsprechen. In beiden Glaubensgemeinschaften wird jedoch auch heftig debattiert, was das konkret bedeutet.

Dann wendet sich Volf dem Thema Anbetung zu. Christlich verstanden heißt das nicht nur „Gottesdienst“ im Sinne einer Gemeindeveranstaltung, sondern die (1.) Grundhaltung der Liebe zu (2.) Gott und zum Nächsten, die (3.) das ganze Leben umfasst. Menschen beten dann vermutlich zu demselben Gott, wenn das, was sie über ihn sagen, vergleichbar ist. Liebe zu Gott und zum Nächsten sind für Christen wie für Muslime gültige Forderungen, auch wenn sie jeweils unterschiedlichen Stellenwert haben und die Christen zumindest noch das Thema der Feindesliebe damit verbinden. Weitgehende Übereinstimmungen finden sich auch im Bereich der zehn Gebote. Natürlich gibt es auch hier Differenzen, sie liegen zum Beispiel in den geforderten Sanktionen, etwa bei Diebstahl oder Ehebruch. Aber deutliche Unterschiede im Strafmaß entdecken wir auch, wenn wir das Alte Testament aufschlagen.

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Fasten und Schreiben

Heute bin ich über einen Hinweis auf den jüdischen Hintergrund von Kafkas literarischem Werk gestoßen. Unter anderem las ich dort:

Wie Tagebuchnotizen beweisen, verfasste Kafka alle „wichtigen“ Textstellen zwischen dem Beginn des Monats Elul und dem Tag nach Yom Kippur, also in der Zeit, die für Einkehr und Buße vor dem jährlichen g’ttlichen Gerichtsurteil über den Menschen bestimmt ist! Teschuva bedeutete für ihn die schriftstellerische Auseinandersetzung mit der menschlichen Schuld; vor diesem Hintergrund ist es auch zu verstehen, wenn er vom „Schreiben als Gebet“ sprach.

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Allah (2)

Ich fahre hier fort mit einer groben Skizze von Volfs Argumentation und beschränke mich erst einmal auf die Darstellung seines Gesprächsbeitrags. Wer es genauer haben möchte kann Allah gern selbst zur Hand nehmen. Die zahllosen Fragen rund um das Verhältnis von Christen und Muslimen werde ich hier leider auch nicht erschöpfend erörtern können. Aktuell ist es allemal nach den Äußerungen des neuen Innenministers, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, aber dahinter steht wohl auch das Interesse der CSU, sich und andere mit etwas rhetorischem Krawall von der Causa Guttenberg abzulenken.

Im ersten Teil seiner Suche nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen Muslimen und Christen widmet sich Miroslav Volf der Geschichte. Er beginnt mit der Regensburger Rede von Papst Benedikt XVI, die seinerzeit so große Wellen schlug (und zu gewaltsamen Ausschreitungen in Teilen der islamischen Welt führte), weil der Papst darin die Frage aufwarf, wie sich die Gottesbilder beider Seiten zu einander verhielten, noch konkreter: ob dem Gott der Rationalität auf christliche Seite nicht letztlich ein Gott der Willkür auf islamischer Seite gegenüberstehe. Er zitierte dabei den Dialogdes byzantinischen Kaisers Manuel II Palaeologus mit einem gebildeten Perser.

Die Antwort führender islamischer Gelehrter war ein offener Brief, dem 2007 ein weiteres Dokument folgte, an dessen Entstehung der jordanische Prinz Ghazi bin Muhammad bin Talal federführend beteiligt war: A Common Word Between Us. In beiden geht es um den Frieden zwischen Christen und Muslimen. Ein erstaunliches Element des Open Letter ist der Bezug auf das Doppelgebot der Liebe und das Bekenntnis zu dem einen Gott, an dem die Autoren die Gemeinsamkeit beider Religionen festmachen. Der Gewinn dieser Position liegt für Volf u.a. darin, dass sie zeigt, wie ein richtig verstandener und bewusst gelebter Glaube zum Frieden beiträgt. Denn die säkularistische Gegenposition lautet seit jeher:

If religion has anything to do with conflicts between Christians and Muslims, religious passions stemming from single-minded devotion to God are the source of these conflicts, not a means to overcome them, many critics argue. Less religion is what we need. Let people keep religious devotion locked in the privacy of their hearts.

Volf erwähnt kurz John Piper, der freilich seiner üblichen Neigung zum Ausschluss abweichender Positionen folgt und eine eher simplistische Analogie bemüht, um zu zeigen, dass Christen und Muslime nicht vom demselben Gott (freilich auf durchaus unterschiedliche Art) reden können. Dagegen hat der Papst [und nicht nur er] inzwischen auf das Common Word positiv geantwortet.

Zweitens vergleicht Volf die Haltung von Papst Pius II und Nikolaus von Kues im fünfzehnten Jahrhundert. Während Pius II zeitlebens vergeblich einen neuen Kreuzzug initiieren will, sucht Nikolaus den Dialog, unter anderem in seiner Schrift de pace fidei. Es geht ihm keineswegs um eine verwässerte Kompromissformel oder darum, den Gegner möglichst schlecht aussehen zu lassen. Also setzt Nikolaus damit an, dass Gottes wahres Wesen sich menschlichen Kategorisierungen entzieht, selbst numerischen wie die Zahlen drei und eins. Sachlich, sagt Nikolaus, sei die Trinität im Koran aber vorausgesetzt: Denn Wenn Gott ein Wort hat, dann muss dieses Wort auch Gott sein, weil bei Gott zwischen Haben und Sein kein Unterschied besteht. Zweitens sagt Nikolaus, dass Liebe zur göttlichen Vollkommenheit gehöre, aber ein Gegenüber voraussetze – und zwar erst einmal innerhalb der Gottheit selbst, da die Schöpfung als Gegenüber ja zeitlich ist. Man muss – so versteht Volf Nikolaus – nicht in allem, was wir über Gott zu sagen haben, übereinstimmen, um sagen zu können, dass der Gott, den wir (mehr oder weniger angemessen) verehren, derselbe ist.

Drittens nimmt sich Volf Teile von Martin Luthers Schriften aus der Zeit der Belagerung Wiens durch die Türken und danach vor. Bei aller für den Reformator typischen Polemik zieht sich auch hier der Gedanke durch, dass Muslime den einen, wahren Gott verehren. Zugleich sagt Luther aber auch, dass sie diesen Gott nicht richtig kennen, weil sie weder die Trinität noch das Wort vom Kreuz akzeptieren. Volf kritisiert Luthers „brutale Rhetorik“ und seine Karikaturen des muslimischen Gottesverständnisses bzw. seine schroffe Charakterisierung der Türken als Werkzeuge des Satans. Aber dasselbe sagt Luther eben auch über Katholiken, Täufer oder Juden. Volf fragt zurück:

Luther is willing to admit that one can have all the right convictions about God – which the devils have – and be damned. But he does not seem ready to grant that one can have partly wrong convictions about God and still be saved. But why not? After all, Luther believes that God is unconditional love and that faith in God is itself a gift of that utterly generous God. (S. 73)

Zwei Dinge hält Volf am Ende fest aus der Beschäftigung mit Luther: Auch bei Luther gibt es nicht den starren Gegensatz zwischen Christen und Muslimen, sondern den Gegensatz zwischen Menschen, die Gott richtig erkannt haben (manche Christen) und denen, die ein verzerrtes Bild von Gott haben (die Mehrheit der Christen und alle Nichtchristen). Zweitens streitet Luther nicht ab, dass es signifikante Überschneidungen gibt, auch wenn dieses nicht primär soteriologische Thema ihn nicht besonders interessiert.

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Weisheit der Woche: Heldenverheerung

Die FAS hat gestern eine lange, aber ungemein scharfe Analyse des Aufstiegs und Falls von KTG vorgelegt. Wer sich die Zeit nimmt, hat eine gehörige Dosis Antikörper gegen die beginnende Verklärung des Polit-Stars gebunkert. Die werden wir dringend brauchen, ob es nun ein Comeback gibt oder nicht – das Muster kann sich auch anderweitig wiederholen. Hier ein kurzer Auszug:

Politik ist die Chance für Leute, die nicht gut aussehen und weder singen noch tanzen können, sehr, sehr prominent zu werden, und wenn sie dann noch, wie Guttenberg, gut aussehen, singen und tanzen, dann sind sie kaum noch aufzuhalten. Bis sie an sich selber scheitern. (…)

Die Wähler lieben Politiker, die Knoten durchschlagen, Unmögliches möglich machen oder auch nur Mögliches möglich. Schnell wird dabei die Grenze zu einem Deal überschritten: Jene, die Übermenschen sein wollen, beweisen denen, die an Übermenschen glauben wollen: dass es sie gibt. Und jene, die an Übermenschen glauben wollen, beweisen denen, die es sein wollen, durch ihre Anhänglichkeit und Begeisterung: dass sie es sind. Sehr belastbar sind solche Deals natürlich nicht. Aber es reicht, um eine Menge Schaden anzurichten.

(…) Guttenberg führte höchstpersönlich die Bewegung derer an, die nicht hinschauen wollten, unterstützt von zahllosen Unionspolitikern, die damit beschäftigt waren, der Öffentlichkeit einzureden, dass Lügen und Betrügen vielleicht nichts Großartiges ist, aber bei großartigen Menschen nicht weiter ins Gewicht fallen. Sie machten sich zu Einpeitschern von Personen, die unübersehbar das Urteil durch den Affekt ersetzten.

(Ein echtes Rätsel ist für mich die Union, vor allem natürlich in Bayern: Statt gerechtfertigten Zorn über das parteischädigende Verhalten ihres Stars zu äußern, solidarisiert man sich in einer Art Stockholm-Syndrom mit dem Kidnapper. Aber der Mythos wird nicht ewig leben. Wenn die medienwirksamen Auftritte – mit denen ist ja erst einmal vorbei –  in Vergessenheit geraten, stirbt er dahin. Und in ein paar Monaten werden sich die ersten CSU-Granden trauen, aus ihrem Herzen keine Mördergrube mehr zu machen.)

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Abendmahl (3): Was das Zeichen zeigt

Im Alten Testament treffen wir immer wieder auf prophetische Zeichenhandlungen. Das waren keine lustigen Pantomimen, mit denen eine Botschaft „veranschaulicht“ werden sollte, sondern eher eine zeichenhafte Vorwegnahme zukünftiger Ereignisse, man kann auch sagen, sie waren effektive Zeichen. So wahr Jeremia einen Tonkrug im Hinnom-Tal zerschlägt (Jer. 19), so wahr wird Jerusalem belagert und zerstört werden. Jesu „Tempelreinigung“ war ein Schlag in genau dieselbe Kerbe.

Wenn Jesus vor seiner Festnahme und im Blick auf seinen bevorstehenden Tod mit seinen Jüngern ein eigenwillig abgewandeltes Passamahl feierte, dann muss das auch als ein prophetisches Zeichen verstanden werden. So wie das Passa den Auszug aus der Sklaverei in Ägypten eröffnete, deutet er an, so beginnt mit seinem Tod der Exodus aus der Zwangsherrschaft von Sünde, Gewalt, Tod und Zerstörung. Und zugleich spielt Jesus auf Jesaja 25,6ff an, das überschäumend fröhliche Gelage der Erlösten in einer geheilten Schöpfung unter Gottes ungetrübter Herrschaft. So wahr wir jetzt trinken, so wahr werden wir es wieder tun am Ende aller Dinge. So real wie das Brot in meiner Hand wird auch die Erlösung von allem sein, was mich jetzt zerstören will, selbst wenn es im Augenblick noch tief in meinem Herzen schlummern sollte.

Leib und Blut stehen für die Gesamtheit der Person. Das Blut für die Lebenskraft und über den Leib treten wir zu einander in Beziehung – Blick, Worte, Gesten, Berührungen. In Brot und Wein begegnet uns der ganze Jesus, macht uns zum Teil der ganzen Geschichte des Gottesvolkes – von Abraham bis zum Abwischen aller Tränen – und ruft uns ganz in die Nachfolge, mit Haut und Haaren. Er selbst ist unsere Wegzehrung (mir fällt dazu immer das Lembas-Brot aus Tolkiens „Herr der Ringe“ ein). Der mit Zöllnern und Sündern gegessen hat, mit Pharisäern und Verrätern, mit perplexen Jüngern als Auferstandener das Brot brach, der stellt sich zu uns und schart uns um seinen Tisch.

Einer für alle – alle für einen
Das Abendmahl ist ein Beziehungsgeschehen. Es besteht eben darin, dass eine glaubende Gemeinschaft von Jesusnachfolgern, Gottes Geist, das Wort der Verheißung und eben Brot und Wein an einem konkreten Ort zusammenkommen. Und das Zusammenkommen ist “das Eigentliche” – so unendlich viel mehr als nur die Summe der Teile. Sie werden nicht addiert, sondern potenzieren einander. In dieser Beziehung aktualisiert sich ein Verhältnis, das von Jesus gestiftet und durch seinen Tod und seine Auferstehung begründet wurde. Diese Auffrischung (das weiß jeder, der eine Zeckenimpfung hinter sich hat) ist mehr als nur eine Erinnerung. Es wird eine Dynamik in Kraft gesetzt, ein Grundmuster kommt zum Vorschein, wenn wir die Worte sprechen, das Brot brechen und aus diesem Kelch trinken. Ein Muster, das verbindet: Menschen untereinander und Gott mit den Menschen. Ein Muster der Selbsthingabe und der vorbehaltslosen Gastfreundschaft, das in Gott selbst schon angelegt ist, in dem er sich uns mitteilt, und das er durch uns der ganzen Welt mitteilen möchte.

Brot und Wein – das ist auch sehr erdverbunden: Es ist weder das Wasser und Brot der Verurteilten und Inhaftierten, sondern das Mahl der Befreiten und Begnadeten. Noch ist es„Kaviar und Sekt“ der Schicken und Hippen, die den armen Lazarus vor ihrer Tür ignorieren. Es ist ein revolutionäres Mahl, das uns durch Raum und Zeit und über alle Unterschiede hinweg verbindet.

Würdig und unwürdig
Der Begriff der „Würde des Amtes“ wurde in letzter Zeit ziemlich traktiert im Blick auf politische und kirchliche Ämter und die Frage, ob sie durch das Verhalten der Amtsträger beschädigt werden kann. Die Würde des Aktes beim Abendmahl ist dagegen untrennbar verbunden mit der Würde des anderen. Paulus tadelt die Korinther nicht dafür, dass sie vergessen hatten, vor dem Abendmahl ihre Sünden minutiös zu beichten, sondern konkret dafür, dass die Reichen sich rücksichtslos verhielten und die Armen (die länger arbeiteten und später kamen, wenn nichts mehr übrig war) durch ihr Verhalten ausgrenzten. Damit untergruben sie genau das, was Jesus mit seinen barrierefreien Mahlfeiern erreicht hatte, nämlich alle Gräben und Konventionen zu überwinden, die Menschen trennten. Für Paulus war dieses Benehmen buchstäblich krank. Es widerspricht einer Kultur der Gastfreundschaft, die für Christen unverzichtbar ist. Das wäre im Übrigen auch der richtige Ausgangspunkt für den ökumenischen Dialog…

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Abendmahl (2): Nur ein Symbol?

Immer wieder begegne ich Menschen, die mir sagen, dieses oder jenes (darunter auch das Brot und der Wein beim Abendmahl) sei nur ein Symbol. Als wäre das eine minderwertige Wirklichkeit, ein bloßes Hinweisschild, ein austauschbarer Begriff. Wenn aber in Teheran oder Gaza Israelfahnen verbrannt werden, wenn Neonazis aufmarschieren und den Arm zu Hitlergruß erheben, wenn um Kruzifixe in Schulen gestritten wird oder wenn wir – um mal vom Politischen ins Private zu wechseln – erschrecken, wenn wir beim Schwimmen im Meer den Ehering verlieren, dann wird ganz schnell deutlich, dass Symbole einen Wirklichkeit nicht nur abbilden, sondern auch schaffen. Deswegen kommt man für den Hitlergruß richtigerweise in den Knast. Deswegen lieben wir Brautkleider und Taufkerzen.

Symbole ordnen unsere Wirklichkeit. Sie stellen Beziehungen und Zusammenhänge her. Unsichtbares – eben die Beziehungen zwischen Personen und/oder Gegenständen – wird sichtbar. Betrachte dich einen Augenblick im Spiegel: Wie viele Schriftzüge von Marken sind auf Kleidung, Schuhen, Uhr oder Brille zu erkennen? Design und diese allgegenwärtigen Firmenlogos tragen zur „Corporate Identity“ bei. Sie zeigen, dass wir zu bestimmten Gruppen dazugehören oder eben nicht. Sie verraten, wofür wir sind und wogegen wir protestieren. Und schließlich: Münzen und Geldscheine haben in der Regel keinen hohen Materialwert, aber das nehmen wir kaum noch mehr wahr. Der grüne Schein ist 100 Euro wert, und wehe, wenn ich ihn verliere. Wirklich nur ein Symbol, bloß eine Konvention?

Freilich kann man Symbole entwerten und missbrauchen, das ist ja nur die Kehrseite davon, dass sie in der Regel einen Wert und einen Sinn haben. Was Gott betrifft, so ist er für uns ohne die biblische Symbolsprache gar nicht zugänglich, die den Überschuss des Symbolisierten gegenüber allen Versuchen einer platten “Entschlüsselung” bewahrt. Wir bekommen Gott begrifflich nie ganz „zu fassen“. Aber er gibt uns Symbole, an die wir uns halten können.

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Das Abendmahl (1): Auf den Geschmack kommen

Den nachfolgenden Text habe ich letztes Jahr für die Zeitschrift The Race geschrieben, die in diesen Tagen neu unter dem Titel oora erscheint. Hier ist der erste von drei Teilen.

Je nachdem, wen man fragt, fallen Erfahrungen mit dem Abendmahl sehr unterschiedlich aus. Neben vielem Positiven gibt es da auch Stimmen, die den Ernst und die Schwere des Sakraments betonten. Ein striktes Members only gilt mancherorts, unwürdige Sünder nur nach skrupulöser Selbstprüfung, Fremde besser gar nicht. Manche Abendmahlsteilnehmer scheinen daher einzufrieren, wagen den Blick nur auf die Schuhspitzen zu richten. Angestrengte Andacht und zerknirschtes Gedenken an unter Qualen vergossenes Blut drücken auf die Stimmung. Nur nichts falsch machen – man atmet auf, wenn alles vorbei ist.

Die Gegenreaktion blieb nicht aus: Brot und Wein wurden mit Cola und Chips vertauscht, die ehrwürdige Liturgie durch spontane, möglichst hemdsärmelige Kommentare ersetzt. Pragmatische Hygienefreaks schweißten Hostien und Saftportiönchen in Folie und Plastiktöpfchen ein. Eine tierliebe Pfarrerin ließ jüngst einen Hund teilnehmen und Feministinnen nutzten den Anlass, um über sakrale Aspekte von Menstruationsblut zu spekulieren. Für Katholiken ist es das unumstößliche Zentrum des Gottesdienstes, die Heilsarmee kapituliert vor den theologischen Streitereien, bejaht zwar „die geistliche Bedeutung hinter (!) dem … Akt“, verzichtet aber auf die Praxis. Reichlich Verwirrung rund um den Tisch des Herrn also?

In all der Unklarheit liegt es nahe, Vergewisserung im Gefühl zu suchen. Aber das innere Miterleben von Passion und Auferstehung überfordert unser Empfinden, wenn wir meinen, dass ein so gewichtiges Ereignis uns jedesmal wieder eine Gänsehaut verursachen und uns im tiefsten Herzensgrund rühren muss. Solche Erlebnisse bleiben die Ausnahme. Daraus aber nun den Rückschluss zu ziehen, dass Gott deshalb nicht so richtig gegenwärtig und alles doch ein nur „totes Ritual“ sei und der Geist Gottes auf anderen Wege wirke, führt auch nicht weiter. Wir bewerten die unmittelbare Wirkung zu hoch und übersehen die langsame, aber nachhaltig prägende Kraft der stetigen Wiederholung.

Statt die Augen zu schließen und alles Äußere auszublenden, können wir daher das Gegenteil tun und mit alle Sinnen präsent sein: Den Geschmack von Brot und Wein, den Klang und Gehalt des Zuspruchs der Liturgie, die Anwesenheit der übrigen „Heiligen“ in ihrer ganzen Schönheit und Bedürftigkeit bewusst wahrzunehmen. Nicht hinter, sondern in all dem begegnet uns Gott. Fulbert Steffensky schreibt passend dazu in Schwarzbrot-Spiritualität:

Spiritualität ist eine Lesekunst. Es ist die Fähigkeit, das zweite Gesicht der Dinge wahrzunehmen: die Augen Christi an den Augen des Kindes; das Augenzwinkern Gottes im Glanz der Dinge. Nicht Entrissenheit, sondern Anwesenheit und Aufmerksamkeit ist ihre Eigenart. Sie ist keine ungestörte Entweltlichung und Einübung in Leidenschaftslosigkeit. Sie ist lumpig und erotisch, weil sie auf die Straße geht und sieht, was dem Leben geschenkt ist und was ihm angetan wird.

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Liebe, Zorn und Heiligkeit

Ich habe die (inhaltlich gar nicht neue) Aufregung um Rob Bells neues Buch kürzlich erwähnt, das Thema beschäftigt mich ja immer wieder. Ein paar Vorab-Verrisse habe ich überflogen, die Präzensenten scheinen mir aus der theologischen Schule von John Piper und Al Mohler zu stammen.

Hier prallen theologische Welten aufeinander, vor allem aber Gottesbilder. Und da ist es so wie in der Christologie: Wenn man mal auf dem falschen Fuß beginnt, hinkt alles, was danach kommt. Christologisch lag der Fehler lange Zeit darin, von einer abstrakten „göttliche Natur“ auszugehen, deren Attribute (Allmacht, Allwissen, Allgegenwart) dann die Menschlichkeit Jesu derart sprengten, dass es zu absurden Folgeschlüssen kommen musste. Etwa so, dass der irdische Jesus göttliche idiomata wie Allgegenwart „verhüllt“ ausübt.

Hier liegt m.E. ein ähnliches Problem auf Seiten der Kritiker vor: Gottes primäre Eigenschaft ist für sie die Heiligkeit. Heiligkeit zerfällt dann für sie in die zwei (konträren) Charakteristika von Zorn und Liebe. Man ist hier an die Dialektik von Gesetz und Evangelium erinnert, nur dass es eben Gottesattribute sind und keine Wirkweisen der Schrift. Und dieser Dualismus zieht sich nun ausgehend vom Gottesbild durch die ganze Heilslehre, daher eine streng symmetrisch gedachte doppelte Prädestination, in der die Verwerfung und ewige Qual eines Teils – möglicherweise des Großteils – der Menschheit als ein Akt erscheint, durch den Gott seine Heiligkeit erweist und seine Ehre mehrt. Daher auch das Insistieren auf der Vorstellung ewiger Höllenqualen – sie sind in dieser Logik eben auch nötig um der Ehre Gottes Willen.

Was auf den ersten Blick vielleicht noch wie eine Verschiebung von Nuancen wirkt, hat gravierende Folgen – vor allem seelsorgerliche, durchaus aber auch politische. Es beeinflusst nicht nur die Verkündigung (das berüchtigte „turn or burn“), sondern auch Kirchenstrukturen und den Umgang mit Macht. Denn natürlich liest man mit dieser Brille dann auch die Bibel und aus derselben die Bestätigung des eigenen Standpunktes heraus, der doch in Wirklichkeit schon die Prämisse des Denkens war.

Im Grunde muss sich diese Theologie also die Frage stellen lassen, die Papst Benedikt XVI in seiner Regensburger Rede an den Islam stellt: Ist Gott primär als absolut transzendenter, undurchschaubarer Wille zu verstehen, oder hat er sich auf den vernünftigen (darum geht es Benedikt in dem Zusammenhang) – wir könnten aber auch hinzufügen: liebenden und barmherzigen – Umgang mit seinen Geschöpfen festgelegt? Der Heiligkeitsbegriff als primärer theologischer Anker öffnet das Gottesbild für eine eine gewisse Persönlichkeitsspaltung. Mein Verdacht ist – man müsste der These mal genauer nachgehen, ein nettes Promotionsthema mit vielen Fußnoten – ob nicht gerade eine gewisse Schwierigkeit, mit den Ambivalenzen des Lebens und der Schrift fertig zu werden, dazu führt, dass man diese überspringt und letztlich in die Gottesvorstellungen selbst zurückverlagert. Problematische Gewalt entschwindet so im Schatten unhinterfragbarer und unantastbarer Heiligkeit.

Ordnet man dagegen Heiligkeit und Zorn der Liebe unter, sieht alles anders aus. Ein gewaltfreies Gottesbild wird möglich, das jedoch keineswegs harmlos ist. Gottes Zorn wird nicht als ein ausschließender Zorn in seine Heiligkeit, sondern als leidenschaftliche Solidarität mit den Opfern von Gewalt und Unrecht in seine Liebe integriert. Sein Ehrgeiz liegt darin, nicht nur die 99 Schafe zu behalten, sondern auch das eine verlorene noch zu finden. Dafür riskiert er alles. Wo meine Sympathien liegen, brauche ich nicht zu erklären.

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Allah (1)

Heute landete das neue Buch von Miroslav Volf auf meinem Schreibtisch, es heißt Allah: A Christian Response.

Volf, der in Yale Systematische Theologie lehrt und ein Seminar mit Tony Blair über Glaube und Globalisierung leitet, geht darin der Frage nach, wie Christen und Muslime die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen ihren Religionen bewerten und was daraus für den Umgang mit dem jeweils anderen und das Zusammenleben in einer pluralistischen, multireligiösen Gesellschaft folgt.

Zu meiner Überraschung beginnt Volf mit Rick Warren und dessen Gebet zur Amtseinführung von Barack Obama. Warren wurde von Rechtsevangelikalen hart angegangen, weil er in diesem Gebet eine Wendung gebrauchte („you are the compassionate and merciful one“), die in zahlreichen Suren des Koran erscheint. Die Kritiker um einen gewissen Joe Schimmel argumentierten, Warren habe damit verschleiert, dass der Gott der Bibel und der Gott des Koran zwei gänzlich verschiedene Götter seien.

Gleich zu Anfang legt Volf die Karten auf den Tisch, hier die Kurzfassung:

  • Für ihn geht es (wie andeutungsweise für Rick Warren, Respekt!) trotz zahlreicher Unterschiede um ein und denselben Gott
  • Die Dinge, die der Koran im Blick auf die Trinität ablehnt, würde auch kein Christ für richtig halten
  • Sowohl Christen als auch Muslime beschreiben Gott als liebend und gerecht, auch wenn sie diese Begriffe etwas unterschiedlich füllen
  • Beide glauben, dass Gott die Liebe zum Nächsten möchte, freilich wieder mit verschiedenen Nuancierungen
  • die gemeinsame Werte reichen für ein zivilisiertes Zusammenleben aus und bedingen keinen unablässigen Kampf der Kulturen
  • beide Seiten können sich als Verbündete sehen in der Auseinandersetzung mit einer Kultur, der es nur um das eigene Vergnügen und Wohlbefinden geht
  • Liebe und Vertrauen zu Gott und Gehorsam gegenüber Jesus sind wichtiger als Religionszugehörigkeit und Etikettierungen
  • Liebe und Gerechtigkeit erfordern es, dass Menschen ihren Glauben wählen, wechseln und öffentlich leben dürfen
  • Das Glaubenszeugnis ist legitim, es darf weder unterdrückt noch lieblos ausgeübt werden
  • Das Bekenntnis zu dem einen Gott, der alle Menschen liebt und für die da ist, führt zum Bekenntnis zu einer offenen, pluralistischen Gesellschaft und einem weltanschaulich neutralen Staat

Volf schreibt ein Buch über politische Theologie, nicht über Soteriologie. Die Frage des ewigen Heils lässt er offen. Ihn interessiert, ob und wo Christen und Muslime Gemeinsamkeiten entdecken können und wie diese Gemeinsamkeiten zu einem friedlichen Zusammenleben beitragen. Das Interessante wird sein, wie er das begründet.

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Anstößige Liebe?

Rob Bell hat mit Love Wins schon vier Wochen vor der Veröffentlichung in den USA für Wirbel gesorgt. Dieses Video hat seinen Kritikern schon so viel Projektionsfläche geliefert, dass sie spekulative Vorab-Verrisse über den gefühlten Inhalt ins Netz stellen. Offenbar löst Bell bei ihnen Reflexe aus, die sich nicht unterdrücken lassen. Die Liebe scheint dort allerdings nicht immer die Oberhand behalten zu haben.

Die deutsche Fassung wird kurz nach der amerikanischen erscheinen, denn Rob Bell kommt zum Willow Creek Jugendkongress im Mai nach Düsseldorf. Das könnte spannend werden, sollte er auch dort über „Himmel, Hölle und das Schicksal jedes Menschen, der je gelebt“ hat reden. Eugene Peterson und Brian McLaren fanden das Buch schon mal gut.

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