Arme, reiche Stadt

In meiner Nachbarschaft soll demnächst das Max-Planck-Insitut für die Physik des Lichts entstehen. Stadt und Uni (letztere jüngst gescheitert im Wettbewerb um Elite-Status) sind begeistert über das Vorzeigeprojekt. Der Pferdefuß: Eine der schönsten Freiflächen, die nahtlos in ein Naturschutzgebiet übergeht, wird dafür zerstört. Erst 1,5 Hektar, aber die Planer lassen keinen Zweifel daran, dass sie die ausgewiesenen 13 ha komplett nutzen werden. Der Standort sei alternativlos, wird immer wieder gesagt, wobei in den Diskussionen, die ich mitbekommen habe, nie so ganz klar war, welche Alternativen man überhaupt je ernsthaft in Betracht gezogen hat. Nun wird darauf verwiesen, dass Einwände, die zu einer Verzögerung des Baubeginns führen, die Max-Plack-Gesellschaft vergraulen könnten. Die sei schließlich überall heiß begehrt, nur hier würden ökologische Bedenkenträger und verwöhnte Anwohner Stimmung machen.

Am letzten Sonntag haben wir uns dort zu einem Open-Air-Gottesdienst getroffen, über ein paar Texte aus der Bibel nachgedacht. Mich hat dabei das Seufzen der Schöpfung in Römer 8,22ff beschäftigt. War das eigentlich Zufall, dass Paulus diesen Gedanken ausgerechnet nach Rom schrieb, in eine Stadt, die ihre Steinwüste aus Straßen und Häusern stetig weiter ins Umland hinaus schob? Es ist ja nicht einfach nur die Vergänglichkeit zu beklagen, die darin liegt, dass die die Natur ständig erneuert, sondern ihre Verletzlichkeit, die auch irreparable Schäden hinnehmen muss. Die gab es bereits in der Antike (etwa die Abholzung der Wälder zum Flottenbau), und sie wirkten sich auf den Menschen schon damals aus.

Die Argumente für die Zerstörung wertvoller Natur sind immer dieselben: Wir dürfen im Wettbewerb nicht zurückfallen, Wirtschaft und Arbeitsplätze haben im Zweifel Vorrang, selbst in einer Stadt, die eine so exorbitant hohe Arbeitsplatzdichte hat wie Erlangen. Wenn wir nicht bauen, verbauen wir uns die Zukunft.

Im Sinne von Römer 8 ist wenigstens die Klage angebracht über die Wunden, die der Natur hier geschlagen werden, und vor allem auch die versteckte, aber gravierende Armut, die damit einhergeht: Die Armut an kreativen Einfällen und Lösungen in diesem Interessenkonflikt und wie man mit den vermeintlichen Wachstumszwängen umzugehen hat. Und die Armut an ehrlicher Sprache, wenn man nun den amputierten „Exerzierplatz“ ökologisch „aufwerten“ möchte, als handele es sich um eines der vielen innerstädtischen Wohngebiete, das gerade „verdichtet“ wird – schöner ist dadurch noch keines geworden.

In Römer 8,24 heißt es, dass man nicht hoffen kann auf das, was man sieht. Das muss natürlich zuerst eschatologisch verstanden werden im Blick auf das „ewige Leben“ und die verheißene, aber eben noch ausstehende Neuschöpfung der Welt. Aber vielleicht gilt das dennoch nicht exklusiv in dem Sinne, dass wir bis zur Wiederkehr Christi halt mitmachen müssen und uns den genannten Sachzwängen zu beugen hätten, sondern dass wir schon jetzt widersprechen dürfen, wo die immer weiter fortschreitende Ökonomisierung von Natur, Mensch und Gesellschaft als alternativlos hingestellt wird. Wissen und Forschung sind ein hohes Gut, aber der technische Fortschritt hat – das sehen wir in diesen Tagen – ähnlich viele Probleme geschaffen, wie er gelöst hat. Auf ihn zu hoffen bedeutet trotz allem, einfach nur mehr vom Selben zu wollen. Auch das ist eine Form von Armut.

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