Der Schrei

Ich stehe im Baumarkt etwas ratlos vor den Regalen, um einige Dinge im Haus zu ersetzen oder zu reparieren, da geht ein Kunde auf die Verkäufer zu, die etwa 5 Meter entfernt an ihrem Service-Punkt stehen. Seinen Fahrradhelm samt gelbem Regenüberzug hat der große Mann gar nicht abgesetzt. Er fragt nach einem Ersatzteil für eine wandmontierte Toilettenschüssel und bekommt – ich kann es nicht genau hören und eigentlich interessierte es mich auch gar nicht – erklärt, dass es das betreffende Teil wohl nicht mehr gibt.

Das ist offenbar nicht die Antwort, die der Mann hören wollte, und plötzlich brüllt er aus Leibeskräften (die angesichts seiner Statur erheblich schienen) „Scheiße“ in den von säuselnder Hintergrundmusik beschallten, ruhigen Markt. Und ein paar Sekunden später noch einmal. Sachlich zwar einerseits korrekt, es ging ja um eine undichte Toilette, irgendwie war der Wutanfall aber doch unangemessen. Der Kopf leuchtete rot unter dem gelben Helm, als er sich allmählich entfernte. Er verschwand hinter den hohen Regalen, aber man konnte ihn in den folgenden zwei Minuten noch drei bis viermal sein Stichwort rufen hören.

Ich habe keine Helm dabei und bin mir nicht ganz sicher, ob der jähzornige Zeitgenosse nicht noch anfangen würde zu randalieren, aber die Verkäufer sehen alle noch sehr gelassen aus. Einer von ihnen kommt herüber, um mich zu beraten. Ob sie so etwas öfter erleben? Solche Ausbrüche von Aggression finde ich unheimlich „ansteckend“, sie lösen entweder Angst aus oder Empörung (weil sich da jemand gehen lässt) und Gegenwehr (weil er die Grenzen anderer verletzt, wenn er sie an- bzw. einfach herumschreit).

Keine Ahnung, welche Laus dem Mann über die Leber gelaufen ist, ob er vielleicht einen Sprung in der Schüssel hat, oder ob er in einem alten Psychoratgeber gelesen hat, man müsse seinen Ärger möglichst umgehend herausschreien, um gesund zu bleiben. Er sieht nicht sehr erleichtert aus nach der Aktion. Und ich bin erst dann erleichtert, als er außer Sicht- und Hörweite ist. Selbstbeherrschung ist etwas Schönes. Zum Glück schaffen die meisten von uns das an den meisten Tagen ganz gut.

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Neue Reformierte, alte Dualismen

Von all meinen Posts zum Lausanne III Kongress in Kapstadt hat meine Kritik an John Piper die meisten und heftigsten Reaktionen ausgelöst. Rolf Zwick hat mir einen Text von René Padilla zugeschickt, der ein durchwachsenes Fazit zieht. Padilla lobt die bunte Zusammensetzung der Delegierten und die globale Ausstrahlung des Kongresses, er würdigt die Bibelarbeiten und die bewegenden persönlichen Geschichten in den Plenumsveranstaltungen, die Themenvielfalt der Multiplexe und Dialogue-Sessions.

Zugleich kritisiert er jedoch einen Rückfall in den alten Dualismus von Evangelisation und sozialem Engagement als groben Schnitzer – einen von mehreren. Die Bibelarbeit des zweiten Tages hatte diesen aufgehoben, denn in Eph. 2,15 erscheint Christus als „Schalom“ – ein Begriff, der die Versöhnung mit Gott und die sozialen Verhältnisse untrennbar in sich vereint, Gottes- und Nächstenliebe nicht gegeneinander ausspielt.

Dagegen ging die Ganzheitlichkeit der Sendung Christi (oder der missio dei) am Folgetag wieder verloren, und da hat Padilla Piper offenbar genauso gehört wie ich. Er sieht dringenden theologischen Klärungsbedarf im Sinne ganzheitlich-integraler Mission. Hier sein Kommentar in der englischen Übersetzung:

The Bible reading based on Ephesians 3 on the following day threw into relief the urgent need that there is in the Lausanne Movement to clarify theologically the content of the mission of God’s people. In contrast with what had been said on the previous day, the Bible expositor assigned for that day stated that, although the church is concerned about every form of human suffering, she is especially concerned about eternal suffering and consequently is called to give priority to the evangelization of the lost.

Die nötige Diskussion über solche theologischen Fragen – sie wäre mit Sicherheit kontrovers geführt worden – hat auf dem Kongress leider nicht stattgefunden. Das unter Leitung von Chris Rice erarbeitete Capetown Commitment ist, wie Padilla moniert, auch nur verteilt worden, aber nicht besprochen. Als letzten Minuspunkt zählt er dann die Dominanz des westlichen Geldes auf – die Sponsoren haben bei der Programmgestaltung und den Inhalten kräftig mitgeredet.

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Nicht von dieser Welt?

Ab und zu begegnen mir Menschen, die im Blick auf Gott alles ganz genau wissen. Wie er über dieses und jenes denkt, wann wie er im einzelnen die Welt gemacht hat, wen er mag und wer bei ihm nichts zu lachen hat, und so weiter. Gott scheint für sie ein weitgehend gelüftetes Geheimnis zu sein. Als wäre er ein großes Zahnrad im Inneren dieser Welt, das dafür sorgt, dass alles in den Bahnen berechenbarer Ordnung verläuft.

Die Bibel dagegen ist das große Geheimnis. Auf mysteriöse Weise ist sie vom Himmel direkt in die Feder ihrer Autoren geflossen und obwohl sich manches widersprüchlich liest und geschichtlich nach unseren heutigen Maßstäben nicht immer zu hundert Prozent plausibel klingt, obwohl hier und da manche befremdliche Moralvorstellungen aufblitzen, ist sie kein Gegenstand dieser Welt, sondern man muss ihr mit unbedingter Unterwerfung begegnen und darf keine kritischen Fragen stellen.

Das nämlich wäre sündiger Relativismus und dann bekäme man es mit Gott zu tun. Schließlich ist es sein Job, die Autorität der Bibel zu schützen. Noch Fragen?

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„Missionserfolge“

Ein Newsletter flattert in die Inbox und jemand berichtet von einem Afrika-Einsatz. Unter vielen anderen Erfolgsmeldungen lese ich dort:

Dieses junge Mädchen kam nach dem Morgenseminar nach vorne und bezeugte, dass Jesus während des Gottesdienstes zu ihr sprach, dass sie nicht mehr stehlen soll. „Ich war eine Diebin und war schon im Gefängnis dafür“, sagte sie. „Ich musste immer stehlen. Jetzt bin ich frei“.

Und denke mir: Wir alle wissen, wie leicht es ist, nach einer ergreifenden Predigt und in einer bewegten Veranstaltung sich zu guten Vorsätzen aufzuraffen. Manche davon sind tatsächlich von Dauer, aber längst nicht alle. Der Vorsatz allein ist noch kein Erfolg. Wenn das so wäre, sähe ganz Afrika anders aus. In Kapstadt hatte es jemand als „over-evangelized“ bezeichnet.

Ich wünsche der jungen Frau von Herzen, dass sie die Kraft hat und Unterstützer findet, das durchzuziehen. Wir können auch dankbar sein für den guten Vorsatz. „Jetzt bin ich frei“ scheint mir hier eher Ausdruck einer Hoffnung als Beschreibung eines Zustands zu sein. Man sollte ihn nicht im letzteren Sinn missverstehen.

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Richtige Lösung – falsches Problem?

Ich bin immer noch am Nachdenken über unseren FairZweifeln-Abend gestern. Unter sachkundiger Anleitung eines Juristen haben wir den Zusammenhang zwischen Schuld, Rechtfertigung, Gesetz, Strafe und Vergebung betrachtet – und kamen dann zu dem einhelligen Ergebnis, dass es kaum plausibel zu erklären ist, warum der Tod Christi am Kreuz zur Lösung des Problems persönlicher, individueller Schuld irgendwie „nötig“ gewesen sein sollte. Denn vergeben kann Gott vom rechtlichen Standpunkt aus auch ohne Opfer oder Ausgleichsleistung. Und er tat eben dies ja auch immer wieder – die hebräische Bibel ist voller Aussagen über Gottes Barmherzigkeit und Vergebungsbereitschaft. Die Evangelien auch – Jesus vergibt so gern und so oft, dass es die Frommen empört.

Allerdings haben wir alle immer wieder – vor allem in „evangelistischen“ Predigten – zu hören bekommen, dass Jesus stirbt, um mein persönliches Schuldproblem zu lösen und – der Gedanke schwang meistens implizit mit – irgendwie dabei auch Gottes Zorn zu besänftigen. Die Vorstellung beißt sich aber massiv mit vielen Beschreibungen, die wir bei Jesus finden, zum Beispiel im Gleichnis vom verlorenen Sohn (und wenn wir schon dabei sind, im ganzen Kapitel Lukas 15). Und anders als im Mittelalter kann sich heute kaum ein Mensch noch so einen Gott vorstellen.

Man muss also weiter denken als viele das tun. Ein Gedanke unseres Juristen war: Wenn wir in Kategorien des Rechts denken, müssen neben den Tätern auch die Opfer menschlicher Vergehen in die Überlegung einbezogen werden. Indem Gott – selbst Opfer exzessiver Gewalt – vergibt, bricht er seine Solidarität mit den menschlichen Opfern von Unrecht und Bosheit nicht. Wäre Gott nicht unmittelbar selbst betroffen, käme Vergebung für einen Täter der Verharmlosung seiner Tat gleich, einem Deal mit dem Täter hinter dem Rücken des Opfers. Insofern legt das Kreuzesgeschehen immer auch sofort die Grundlage für Versöhnung zwischen Menschen: Es befreit Täter und Opfer zugleich aus ihrem Aneinander-Gekettetsein. Es eröffnet neue Möglichkeiten für die Überwindung von Konflikten und die Beseitigung von Hass.

Das ganze Thema hat aber noch andere Dimensionen, die in der Sprache des Rechts gar nicht zu fassen sind. Ein paar davon haben wir auch kurz gestreift, mehr Zeit hatten wir leider nicht. Ich packe sie, wenn ich dazu komme, in einen späteren Post. Wer mag, kann ja einstweilen das dazugehörige Kapitel in Kaum zu fassen lesen. 🙂

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Magersucht und Attentäter

Tomas Halik will Verständnis und Interesse für Distanzierte und kirchliche Randsiedler wecken. Jesus hat nicht nur den harten Kern seiner wandernden Jüngerschar gepflegt, sondern er ließ sich auch auf Begegnungen mit Leuten wie Zachäus oder Nikodemus ein, ohne diese von ihrem Ort wegzurufen. Auch die Diskussionen um Begriffe wie „Bekehrung“ im Pietismus zeigen: Gerade die ganz entschiedenen Jesusnachfolger könnten dem Irrtum erliegen, dass es nur eine mögliche Form des Christseins gibt – ihre natürlich. Aber gerade die Offenheit am Rande ist wichtig für unsere Gemeinden:

Einer der wesentlichen Unterschiede zwischen Kirche und Sekte liegt darin, dass sich eine auf den „harten Kern“ völlig identifizierter Mitglieder einschränkt, ggf. in diesem Mitgliedertyp das Ideal sieht. Die Kirchen sind in der Regel älter, weiser, erfahrener und großzügiger; sie wissen, dass sie außer dem „harten Kern“, dem Skelett, auch einen etwas elastischeren Leib brauchen (und dass es eine Beeinträchtigung darstellt, wenn der Körper durch eine übertriebene Diät unterernährt ist). Darüber hinaus gibt es in ihnen häufig Menschen, die wissen, dass der Begriff Rand und Mitte in einem Organismus, wie die Kirche einer ist, ziemlich relativ sein kann.

… Wenn ich manche Katholiken beobachte, mit welcher Lust sie die Pluralität der Kirche gemäß ihrem oft sehr eigenartigen Konzept von Katholizismus gerne streng disziplinieren würden, werde ich traurig darüber, wie diese „Eiferer für das Haus des Herrn“ überhaupt nicht begreifen, dass sie eigentlich gefährliche Attentäter sind, die eine der vitalsten Funktionen der Kirche bedrohen, ihre Katholizität – die Allgemeinheit, welche übrigens das Ideal aller christlichen, das Apostolische Glaubensbekenntnis betenden Kirchen sein sollte.

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Der Gott der anderen

Die Bibel redet von Gott oft in Paradoxen. Nur so lässt sich das Geheimnis gegenüber allzu großem Wissensdrang und vor dem modernen Hang zur Instrumentalisierung schützen. Tomas Halik nimmt im vierten Kapitel von Geduld mit Gott Gedanken seines katholischen Kollegen Joseph Moingt auf, der die menschliche Neigung, Gott zu unserem Gott zu machen, kritisch reflektiert. Wir haben nur in dem Maß Zugang zu Gott, so Moingt, als wir diesem Drang widerstehen und Gott anders sein und für andere da sein lassen.

Paulus, die die Grenzen des Judentums überwand und das Evangelium den Heiden brachte und den Partikularismus Israels sprengte, wird zum Vorbild:

In ähnlicher Weise soll die Kirche stets aus ihrer christlichen Vergangenheit ausziehen, vieles „Ererbte“ tapfer hinter sich lassen. Das war und ist ihre Aufgabe. Beim Blick auf die Geschichte sehen wir aber etwas anderes: Die Kirche hat sich bald in ihren eigenen Partikularismus zurückgezogen., die Idee eines neuen Israel hat nicht Mut und Entschlossenheit provoziert ständig ein Volk auf dem Weg zu sein… Unsere Kirche wurde stattdessen eine partikuläre Einheit unter vielen anderen, begann ihre eigenen Grenzen zu überwachen und hat aus dem Glauben ein „Erbe der Väter gemacht“, ein Eigentum, das weiter tradiert wird.

Offenheit gegenüber Gott bedeutet für Moingt dann auch Offensein für andere, weil sich Gott mit Anderen solidarisiert und weil sich in unserem Offensein Gottes Offensein für die Welt vergegenwärtigt. Halik kommentiert das zweite vatikanische Konzil und die jüngere tschechische Kirchengeschichte und fragt ausgehend von beidem, ob nicht erst der Mut, auf den Anderen zuzugehen, zu einer neuen Gestalt von Kirche führen kann, die den Verfall der jetzigen Institution eines Tages überwindet uns deren wahre Schätze erbt.

Weder Halik noch Moingt wollen Tradition, Glaube und Theologie komplett über Bord werfen. Aber sie plädieren dafür, sich auf einen Veränderungsprozess einzulassen, der keineswegs frei von Risiken ist: Am Ähnlichsten sind wir Gott da, wo wir ihn und den Anderen suchen und uns dabei selbst überschreiten. Und da wird es ganz praktisch: Nur diese Haltung kann eine Alternative bieten zu den gängigen Reaktionen auf den Islamismus in Europa, die allzu oft entweder in aggressivem Säkularismus oder in christlichem Fundamentalismus bestehen.

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Thérèse von Lisieux und die Wahrheit des Atheismus

Das dritte Kapitel von Geduld mit Gott widmet Halik über weite Strecken der Thérèse von Lisieux, die mitten im verbissenen Abwehrkampf des französischen Katholizismus gegen den Atheismus ihren Glauben auf eine ganz andere Art lebte, und – so Halik – am Ende ihres Lebens sogar verlor. Nu die Liebe blieb, und das lässt sich als Erfüllung des Pauluswortes von 1. Kor 13,8 verstehen, dass in Gottes neuer Welt Glaube und Hoffnung sich in die Liebe hinein auflösen. Bei Thérèse scheint das schon eingetreten zu sein kurz bevor sie die Schwelle überschritt – so wie mancher Marathonläufer buchstäblich ins Ziel wankt und über die Linie fällt.

Sie deutet ihr Verlassensein von Gott als Platz nahmen an einem Tisch mit den „Ungläubigen“, und durch ihre Solidarität mit ihnen erschließt sie für die verbohrte Kirche neues Land. Die Abwesenheit Gottes als „existenzielle Wahrheit des Atheismus“ wird so auch Teil des Glaubensschatzes. Der Atheismus, sagt Halik, ist eben nicht als Lüge zu verstehen, sondern als eine „nicht zu Ende gesprochene Wahrheit“ – und eine nützliche Antithese zur „vulgären Religion“. Auch Chesterton konnte im Blick auf das Sterbewort Jesu ja auch sagen, dass hier „Gott für einen Augenblick Atheist zu sein schien“.

Thérèses Lebensthema war die Demut, und Halik zitiert den folgenden schönen Gedanken von ihr:

Ein Mensch, der lange auf den Berg der Tugend geklettert ist (…) solle mit demütiger Freude auch eine Sturz und (von Gott gewollten) Fall akzeptieren, denn nicht in dem erträumten „Oben“, sondern vielmehr unten wartet Gott auf ihn, „in der Tiefe des fruchtbaren Tales der Demut“.

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Neue Befreiungstheologie

Tomas Halik entwirft in Geduld mit Gott in Ansätzen eine „neue Befreiungstheologie“. Während die ursprüngliche Befreiungstheologie das Unrecht thematisierte, das die Armut und Unterdrückung in der damals noch so genannten „Dritten Welt“ verfestigte, und perspektivische Verengungen konventioneller Theologie durch den Hinweis auf den sozialen Kontext aufbrach, gilt das Interesse nun der Säkularisierung und dem modernen Atheismus in der westlichen Welt.

Ein Element dieser Befreiungstheologie ist ein Art apophatische Eschatologie, die sowohl allzu selbstgewisse religiösen Entwürfe als auch deren säkulare Pendants – seien sie nun von Marx, Huntington oder Fukuyama inspiriert – als Projektionen entlarvt und als „heilige Unruhe“ den Horizont offen hält für das Handeln Gottes zur Vollendung seiner Welt. In diesem Sinne ist sie auch eine Befreiungsspiritualität, eine Spiritualität des Exodus, und als solche sollte sie

nicht zu einer Flucht vor unserer Verantwortung für die Gesellschaft führen, in die wir gestellt sind – im Gegenteil: zu ihren Aufgaben gehört die Empfänglichkeit für die Zeichen der Zeit auch in dem kulturellen und politischen Klima der heutigen Welt. Die „Solidarität mit den Suchenden“ schließt eine Teilnahme an deren Fragen und Suchen mit ein.

Ein Vorbild für diesen Weg sieht Halik in dem späten Thomas Merton, der spirituelle Pilger auf den geistlichen Wegen des Ostens begleitete und darin seinen „Aufbruch zu den anderen“ lebte. Wer Geduld mit Gott übt, hält auch die Fragen anderer aus, ohne sie mit vorschnellen und damit auch vorletzten Antworten zu ersticken:

So wie für die Mission in der Welt sozial Armer die Kirche arm sein muss, ebenso muss sie, um in diese Welt religiösen Nichtgesichertseins eintreten zu können, manche ihrer Sicherheiten über Bord werfen. Sie muss nicht nur die äußeren Zeichen des Triumphalismus los werden … sondern vor allem den eigenen inneren Triumphalismus, nämlich Besitzerin des Wahrheitsmonopols zu sein. (S. 40)

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Hinter Feigenblättern

Ich bin auf ein Buch gestoßen, das mich sehr anrührt: Geduld mit Gott von Tomas Halik. Man darf sich von dem düsteren Cover aus dem HErder-Verlag nicht abschrecken lassen, der Inhalt ist, so weit ich es bisher gelesen habe, brilliant. Halik ist Professor in Prag und wurde zur Zeit des kommunistischen Regimes heimlich zum Priester geweiht. So ein Weg prägt einen Menschen. Schon im Vorwort schreibt er dazu:

Atheismus, religiöser Fundamentalismus und leichtgläubiger religiöser Enthusiasmus sind sich auffallend ähnlich in dem, wie schnell sie fertig sind mit dem Geheimnis, das wir Gott nennen – und eben deshalb sind alle diese drei Positionen für mich unannehmbar.

Und etwas später, im ersten Kapitel, heißt es dann zur Begegnung zwischen Jesus und Zachäus, der sich im Feigenbaum versteckt hat:

In meiner priesterlichen Seelsorgetätigkeit (…) stelle ich mir nicht zum Ziel, „Bekehrte zu bekehren“, für geregelt lebende Schafe der Herde zu sorgen und nicht enden wollende Polemiken und Streite mit Gegnern zu führen. Ich glaube nicht, dass meine Hauptaufgabe, die klassische „Mission“ sein soll, wenn damit jene Bemühung gemeint ist, möglichst viele Menschen in die eigene kirchliche oder politische Schar einzutreiben. Nach meinem Empfinden bin ich vor allem da, um verstehende Nähe jenen anzubieten, die unüberwindliche Hemmungen haben vor dem Anschluss an jubelnde Massen und vor gehissten Bannern jeglicher Couleur; jenen also, die Distanz bewahren.

… Jene Zachäische Distanz wird oft als Ausdruck einer Arroganz interpretiert, was wohl ein Irrtum ist – so einfach ist es nicht. Meine Erfahrung lehrt mich, dass es eher um eine Art Scheu geht. Bei einigen ergibt sich ihre Abneigung gegenüber den Massen und ihren Parolen und Bannern auch aus dem ahnenden Gefühl, die Wahrheit sei allzu zerbrechlich, um auf den Straßen skandiert werden zu dürfen.

Auf jeder Seite lauerte bisher ein anregender, neuer Gedanke. Und jetzt stürze ich mich voller Vorfreude in die Lektüre, die nur dadurch etwa gemindert wird, dass mir die englische Übersetzung gelungener scheint als die Deutsche. Aber man kann nicht alles haben…

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Feigenhasser

Über einen Post von Michael Frost auf Facebook fiel mir das folgende Dokument in die Hände. Jetzt wissen wir, warum es vielen Menschen auf dieser Welt so schlecht geht! Ich kann nur sagen: Wer Ohren hat zu hören, der höre…

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Kirchengeschichte im Zeitraffer

Zu Beginn des Kongresses in Kapstadt lief das folgende Video. Sicher kein einfaches Unterfangen, die Geschichte des Christentums in ein paar Minuten darzustellen. Vieles kann man nur andeuten, und natürlich gibt es zu den meisten Punkten auch konträre Positionen – insofern bin ich gespannt auf Eure Kommentare. Gelungen fand ich zumindest den Refrain „some thought, it was the end of the world…“

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Geistreiches Gespräch

Ich habe ein Wochenende mit den MitarbeiterInnen der GGE Westfalen verbracht. Trotz familiärer Verbindungen hatte ich den Kontakt in den letzten Jahren etwas verloren. Aber ich war angenehm überrascht von der bunten Gruppe aus allen Altersschichten, den aufgeschlossenen Leuten und deren große Bereitschaft, sich auf neue und herausfordernde Themen und Gedanken einzulassen.

Einer der schönsten Momente kam ganz am Ende. Einer der älteren Teilnehmer kam auch mich zu. Er hatte in der Feedbackrunde erzählt, dass er erwartet hatte, das offizielle Tagungsthema „Zeitgeist und Heiliger Geist“ verständlich aufgeschlüsselt zu bekommen, aber das hatte so nicht funktioniert. Nun fügte er erklärend hinzu: „Ich hatte erwartet, dass du mir das meinen Denkstrukturen erklären würdest. Aber es ist etwas anderes geschehen: meine Denkstrukturen sind aufgebrochen worden.“

Ich war erst einmal sprachlos. So etwas ist ja menschlich eigentlich gar nicht zu machen. Ich weiß, dass ich Leuten oft anstrengende Denkprozesse zumute. Dann reagieren manche, selbst deutlich jüngere, mit einem ratlosen Achselzucken oder auch schroff abwehrend. Aber wo die Verständigung gelingt und jemand sich auf neue Wege mitnehmen lässt, da ist Gottes Geist am Werk. Von allen Erfahrungen ist das eine der ermutigendsten, wenn statt des babylonischen Alltagsrauschens so ein Verstehen stattfindet, an dem nicht nur der Verstand, sondern auch das Herz so intensiv beteiligt ist. Ich hoffe, dass ich diese innere Freiheit und Größe, die mir hier begegnet ist, auch habe, wenn ich eines Tages mal die 70 überschritten habe.

Und so fahre ich im überfüllten ICE sehr beschenkt wieder aus dem nebligen Ruhrgebiet in den sonnigen Süden.

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