Neue Befreiungstheologie

Tomas Halik entwirft in Geduld mit Gott in Ansätzen eine „neue Befreiungstheologie“. Während die ursprüngliche Befreiungstheologie das Unrecht thematisierte, das die Armut und Unterdrückung in der damals noch so genannten „Dritten Welt“ verfestigte, und perspektivische Verengungen konventioneller Theologie durch den Hinweis auf den sozialen Kontext aufbrach, gilt das Interesse nun der Säkularisierung und dem modernen Atheismus in der westlichen Welt.

Ein Element dieser Befreiungstheologie ist ein Art apophatische Eschatologie, die sowohl allzu selbstgewisse religiösen Entwürfe als auch deren säkulare Pendants – seien sie nun von Marx, Huntington oder Fukuyama inspiriert – als Projektionen entlarvt und als „heilige Unruhe“ den Horizont offen hält für das Handeln Gottes zur Vollendung seiner Welt. In diesem Sinne ist sie auch eine Befreiungsspiritualität, eine Spiritualität des Exodus, und als solche sollte sie

nicht zu einer Flucht vor unserer Verantwortung für die Gesellschaft führen, in die wir gestellt sind – im Gegenteil: zu ihren Aufgaben gehört die Empfänglichkeit für die Zeichen der Zeit auch in dem kulturellen und politischen Klima der heutigen Welt. Die „Solidarität mit den Suchenden“ schließt eine Teilnahme an deren Fragen und Suchen mit ein.

Ein Vorbild für diesen Weg sieht Halik in dem späten Thomas Merton, der spirituelle Pilger auf den geistlichen Wegen des Ostens begleitete und darin seinen „Aufbruch zu den anderen“ lebte. Wer Geduld mit Gott übt, hält auch die Fragen anderer aus, ohne sie mit vorschnellen und damit auch vorletzten Antworten zu ersticken:

So wie für die Mission in der Welt sozial Armer die Kirche arm sein muss, ebenso muss sie, um in diese Welt religiösen Nichtgesichertseins eintreten zu können, manche ihrer Sicherheiten über Bord werfen. Sie muss nicht nur die äußeren Zeichen des Triumphalismus los werden … sondern vor allem den eigenen inneren Triumphalismus, nämlich Besitzerin des Wahrheitsmonopols zu sein. (S. 40)

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