Der Schrei

Ich stehe im Baumarkt etwas ratlos vor den Regalen, um einige Dinge im Haus zu ersetzen oder zu reparieren, da geht ein Kunde auf die Verkäufer zu, die etwa 5 Meter entfernt an ihrem Service-Punkt stehen. Seinen Fahrradhelm samt gelbem Regenüberzug hat der große Mann gar nicht abgesetzt. Er fragt nach einem Ersatzteil für eine wandmontierte Toilettenschüssel und bekommt – ich kann es nicht genau hören und eigentlich interessierte es mich auch gar nicht – erklärt, dass es das betreffende Teil wohl nicht mehr gibt.

Das ist offenbar nicht die Antwort, die der Mann hören wollte, und plötzlich brüllt er aus Leibeskräften (die angesichts seiner Statur erheblich schienen) „Scheiße“ in den von säuselnder Hintergrundmusik beschallten, ruhigen Markt. Und ein paar Sekunden später noch einmal. Sachlich zwar einerseits korrekt, es ging ja um eine undichte Toilette, irgendwie war der Wutanfall aber doch unangemessen. Der Kopf leuchtete rot unter dem gelben Helm, als er sich allmählich entfernte. Er verschwand hinter den hohen Regalen, aber man konnte ihn in den folgenden zwei Minuten noch drei bis viermal sein Stichwort rufen hören.

Ich habe keine Helm dabei und bin mir nicht ganz sicher, ob der jähzornige Zeitgenosse nicht noch anfangen würde zu randalieren, aber die Verkäufer sehen alle noch sehr gelassen aus. Einer von ihnen kommt herüber, um mich zu beraten. Ob sie so etwas öfter erleben? Solche Ausbrüche von Aggression finde ich unheimlich „ansteckend“, sie lösen entweder Angst aus oder Empörung (weil sich da jemand gehen lässt) und Gegenwehr (weil er die Grenzen anderer verletzt, wenn er sie an- bzw. einfach herumschreit).

Keine Ahnung, welche Laus dem Mann über die Leber gelaufen ist, ob er vielleicht einen Sprung in der Schüssel hat, oder ob er in einem alten Psychoratgeber gelesen hat, man müsse seinen Ärger möglichst umgehend herausschreien, um gesund zu bleiben. Er sieht nicht sehr erleichtert aus nach der Aktion. Und ich bin erst dann erleichtert, als er außer Sicht- und Hörweite ist. Selbstbeherrschung ist etwas Schönes. Zum Glück schaffen die meisten von uns das an den meisten Tagen ganz gut.

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