Richtige Lösung – falsches Problem?

Ich bin immer noch am Nachdenken über unseren FairZweifeln-Abend gestern. Unter sachkundiger Anleitung eines Juristen haben wir den Zusammenhang zwischen Schuld, Rechtfertigung, Gesetz, Strafe und Vergebung betrachtet – und kamen dann zu dem einhelligen Ergebnis, dass es kaum plausibel zu erklären ist, warum der Tod Christi am Kreuz zur Lösung des Problems persönlicher, individueller Schuld irgendwie „nötig“ gewesen sein sollte. Denn vergeben kann Gott vom rechtlichen Standpunkt aus auch ohne Opfer oder Ausgleichsleistung. Und er tat eben dies ja auch immer wieder – die hebräische Bibel ist voller Aussagen über Gottes Barmherzigkeit und Vergebungsbereitschaft. Die Evangelien auch – Jesus vergibt so gern und so oft, dass es die Frommen empört.

Allerdings haben wir alle immer wieder – vor allem in „evangelistischen“ Predigten – zu hören bekommen, dass Jesus stirbt, um mein persönliches Schuldproblem zu lösen und – der Gedanke schwang meistens implizit mit – irgendwie dabei auch Gottes Zorn zu besänftigen. Die Vorstellung beißt sich aber massiv mit vielen Beschreibungen, die wir bei Jesus finden, zum Beispiel im Gleichnis vom verlorenen Sohn (und wenn wir schon dabei sind, im ganzen Kapitel Lukas 15). Und anders als im Mittelalter kann sich heute kaum ein Mensch noch so einen Gott vorstellen.

Man muss also weiter denken als viele das tun. Ein Gedanke unseres Juristen war: Wenn wir in Kategorien des Rechts denken, müssen neben den Tätern auch die Opfer menschlicher Vergehen in die Überlegung einbezogen werden. Indem Gott – selbst Opfer exzessiver Gewalt – vergibt, bricht er seine Solidarität mit den menschlichen Opfern von Unrecht und Bosheit nicht. Wäre Gott nicht unmittelbar selbst betroffen, käme Vergebung für einen Täter der Verharmlosung seiner Tat gleich, einem Deal mit dem Täter hinter dem Rücken des Opfers. Insofern legt das Kreuzesgeschehen immer auch sofort die Grundlage für Versöhnung zwischen Menschen: Es befreit Täter und Opfer zugleich aus ihrem Aneinander-Gekettetsein. Es eröffnet neue Möglichkeiten für die Überwindung von Konflikten und die Beseitigung von Hass.

Das ganze Thema hat aber noch andere Dimensionen, die in der Sprache des Rechts gar nicht zu fassen sind. Ein paar davon haben wir auch kurz gestreift, mehr Zeit hatten wir leider nicht. Ich packe sie, wenn ich dazu komme, in einen späteren Post. Wer mag, kann ja einstweilen das dazugehörige Kapitel in Kaum zu fassen lesen. 🙂

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