Kapstadt-Rückblick (2): Armes, altes Europa?

Ich sitze im Flieger nach Johannesburg und komme noch einmal zurück auf das Verhältnis von Afrikanern und Europäern. Nach allem, was der Kongress in Kapstadt zur Lage in Europa gebracht hat, wurden manche Europäer von den andern Delegierten schon bedauert und (das war die größere Anfechtung) als Auslaufmodelle abgeschrieben. Ein Grund waren die einseitigen Plenumsbeiträge, etwa wenn Os Guinness etwas pauschal vom „traurigen Schicksal der liberalen Theologie in Deutschland“ sprach – als würden andere Gattungen des Christentums hier oder irgendwo in Europa wie verrückt boomen…

Zweitens sind die Europäer viel zurückhaltender als alle anderen, wenn es um optimistische Prognosen oder gutaussehende Statistiken geht. Die tollen Zahlen haben die anderen. Aber eben auch Probleme wie verbreitete Korruption, Machtmissbrauch und autoritäre Führer, ungelöste ethnische Konflikte oder hin und wieder Kungeleien mit zwielichtigen Regimes.

Europäer haben aus der Geschichte gelernt und meiden peinlichst jede Form von Kolonialismus – die meisten jedenfalls. Dass sie hier so selbstkritisch und – im Fall von Michael Herbst oder Elke Werner – ausgesprochen bescheiden auftraten, wird in anderen Kulturen, denen leise Töne tendenziell eher fremd sind, vielleicht auch missverstanden. Manche jungen Kirchen machen bekannte Fehler jetzt auch deshalb nach, weil sie es sich gar nicht vorstellen können, dass ihnen vielleicht eines nicht allzu fernen Tages ähnliche Gefahren drohen wie den Kirchen der alten Welt.

Wir haben uns in den letzten Tagen ab und zu gefragt, mit was für einem Bild von Deutschland und Europa unsere afrikanischen und asiatischen Mitchristen nun abgereist sind und wie sich das zukünftig auswirkt. Es gibt seit einer Weile den Begriff reverse missions, der beschreibt, dass Missionare diese jungen Kirchen in der Regel auf den Spuren ihrer Auswanderer nun in westliche Länder kommen und dort nicht nur ethnische Gemeinden gründen, sondern auch einzelne Deutsche zum Glauben führen. Damit verbinden sich viele Fragen, nicht zuletzt die nach der Identität solchen Gemeinden in der zweiten und dritten Generation, wenn der Kontakt zur Heimatkultur nachlässt und vielleicht nur ein Elternteil Migrant ist.

Vielleicht aber wird in Zukunft noch eine andere Bewegung einsetzen. Die meisten Menschen finden heute dort zum Glauben, wo sie aus einer vormodernen Gesellschaft in eine moderne übergehen. Heinzpeter Hempelmann spricht von einer „modernen Formatierung“ unserer Kirchen, doch das scheint nicht nur für Deutschland zu gelten. Am Übergang von der Moderne zur Postmoderne dagegen sieht es für die Kirchen nicht rosig aus. Im Zuge der Globalisierung bilden sich in den urbanen Zentren auch in Afrika und Asien vielfältigere Denk- und Lebensgewohnheiten aus. Netzwerke wie Amahoro tauschen sich schon über deren Fragestellungen aus, und Studiengänge wie Global Missional Leadership am George Fox Seminary greifen die neue Vielfalt auf. Ich bin gespannt, wie deren Fazit zu Lausanne III ausfällt, sie waren dort ja auch vertreten.

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Kapstadt-Rückblick: Theologie

Mit einigen Tagen Abstand beschäftigen mich die Diskrepanzen des Kongresses. Ich bin einer großen Vielfalt von TeilnehmerInnen, Themen und Projekten begegnet. Das war ungemein bereichernd und beeindruckend. Es spielte sich aber im Wesentlichen in den Pausengesprächen und den kleineren Einheiten (Multiplexe und Dialog-Sessions) an den Nachmittagen ab.

Im Plenum wurde versucht, die Einheit zu betonen und dabei explizit zu machen, dass es eine theologisch begründete Einheit ist. Das hat zu einer gewissen theologischen Stagnation geführt. Die hat auch ihr Gutes, etwa in der geschlossenen Abwehr des „Wohlstandsevangeliums“ in jeder Form. Aber man fragte gar nicht erst, ob an anderer Stelle nicht doch theologische Innovation nötig wäre. Vielleicht beruht diese Entscheidung auf einer realistischen Einschätzung: vielleicht ist der Zusammenhalt so brüchig, vielleicht ist auch niemand da, der mit einem mutigen, neuen Entwurf den Kongress inspiriert.

Vielleicht war es aber auch Ängstlichkeit. Paradigmenwechsel, egal in welcher Zunft, verlaufen nie geräuschlos. Und man bekam die taktischen und politischen Manöver im Vorfeld und hinter den Kulissen ja verschiedentlich mit. Es gäbe ja eine Menge spannender Fragen und etliche interessanter Neuansätze. Sie sind naturgemäß umstritten. Aber vielleicht hätten ein paar experimentierfreudige Querdenker dem Kongress auch theologisch gut getan. Es hat fast den Anschein, als hätte sich seit Manila 1989 nicht viel bewegt. Wer konservativ denkt, wird in jeder Neuerung einen Abfall sehen und nur in deren restaurativer Rücknahme etwas Gutes erkennen, aber wer kontextuell denkt, weiß auch, dass in einer veränderten Welt die Verfälschung genau dadurch entstehen kann, dass man zu lange an manchen konventionellen Formen festhält.

Die gute Nachricht im Blick auf Lausanne ist: Die Praktiker sind längst dabei, ausgetretene Pfade zu verlassen, und zum Teil machen sie ganz hervorragende Arbeit. Die nachdenkliche Frage an Lausanne ist, warum man sich das theologisch nicht leisten zu können glaubt, und ob sich dieses Versäumnis nicht irgendwann einmal rächt. Das langatmig-orthodoxe und im Vergleich zum Kongressverlauf auch etwas fade offizielle Schlussdokument spiegelt leider nur nur diese Seite des Kongresses wider. Sein Name kam nur in der Polemik der Kollegen aus dem Süden vor, aber ich hätte mir einen Rowan Williams gewünscht – der hätte drei seiner Landsleute ersetzen können. Oder Miroslav Volf über Versöhnung und ethnische Konflikte. Oder jemanden, der mit dem Begriff „postmodern“ noch etwas anderes zu verbinden weiß als nur das Gespenst des hemmungslosen Relativismus.

Die offizielle Kongresstheologie war ausgesprochen modernistisch, sie erging sich überwiegend in Propositionen. Dagegen lese ich eben in Alan Roxburghs Introducing The Missional Church von einem Begriff, den ich in Kapstadt hin und wieder vermisst habe:

Das Reich Gottes wird in Metaphern … und Bildern erklärt. Es ist unmöglich, alle Bilder in einer rationalen Definition für ein Lexikon unterzubringen. Man kann diese Beschreibungen nicht kodifizieren und in eine nette Schublade stecken. Jesu Worte zeigen, sie öffnen und deuten viel mehr an, als sie definieren.

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Abschiedsschmunzeln

Meine Internetverbindung war einige Tage gekapt – ich habe mit zwei Mitreisenden nach dem Kongress noch zwei Tage in Hout Bay drangehängt, während der ich die folgenden Posts geschrieben habe. Hier nun der erste:

Der Kongress endete mit einer kleinen Überraschung für mich. Am Vortag hatte ich auf dem Blog einer anderen Kongressteilnehmerin gelesen, dass Erzbischof Orombi eine eher unglückliche Rolle spielt bei dem Vorhaben, praktizierte Homosexualität in Uganda unter drakonische staatliche Strafen zu stellen. Ich konnte das mit dem begrenzen Internetzugang nicht mehr umfassend recherchieren, fand aber zumindest auf die Schnelle keinen klaren Beleg dafür, dass Orombi sich wie Rick Warren engagiert dagegen ausgesprochen hätte, lediglich die Todesstrafe ging ihm offenbar doch zu weit.

Hier liegen, das hört man auch in manchen Gesprächen durch, immer noch Welten zwischen den meisten Christen im Westen und denen aus Asien und Afrika. Aber auch einige junge Afrikaner sind nachdenklich. Einer sagte mir, er glaube, die Christen seien mit Homosexuellen bisher nicht gut umgegangen. Anders als die Reden im Plenum vermuten lassen, gibt es hier eine erstaunliche Meinungsvielfalt.

Ob zu Recht oder zu Unrecht, ich ging, nachdem ich meine abendliche „Lausagne“ verdrückt hatte, mit einem mulmigen Gefühl in den Abschlussgottesdienst, der optisch, musikalisch und liturgisch opulent ausfiel – very britischer Pomp and Circumstance. Und dann geschah das ganz Unerwartete: Dem großen Erzbischof versagte, als er die Abendmahlsliturgie anstimmen wollte, die Stimme und sie kam auch nicht wieder. So musste Doug Birdsall einspringen, das tat er auch mit Bravour, assistiert von Grace Matthews. Und ich ging mit einem Mal sehr entspannt am Tisch auf der großen Bühne vorbei, um Brot und Wein zu empfangen.

Jede(r) wird das bestimmt anders bewerten, und eine Koinzidenz ist natürlich keine Kausalität. Für mich war es trotzdem ein kleines Augenzwinkern Gottes – und eine Erinnerung daran, dass er hin und wieder durch Schweigen lauter reden kann als durch viele Worte.

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Ausgebüchst…

Der letzte Tag verlief ganz ungeplant. Ich konnte spontan (und daher deutlich underdressed) mit zu einem Gottesdienst in Khayelitsha, einem Township mit geschätzten 2 Millionen Einwohnern. Bei der Grace Assembly wurden wir freundlich aufgenommen und konnten einen Gottesdienst unterm Wellblechdach erleben – ausgesprochen fröhlich und positiv, völlig frei vom Prosperity Gospel. Pastor Cyprian Nqanda predigte lebendig und mutmachend über das Hohelied der Liebe und im Anschluss besuchten wir noch die Suppenküche der Gemeinde, wo am Vortag noch rund 100 Kinder zu essen bekommen hatten.

Auf den Fluren des Kongresszentrums herrscht Abschiedsstimmung. Das Abendprogramm der letzten Tage fand ich seltsam uninspiriert – aber vielleicht ist das auch nur Müdigkeit. Gestern wurde das offizielle Kongressdokument verteilt, es enthält wenig Aufregendes. Gibt es noch einen Höhepunkt am Ende oder plätschert es halt so dahin? Ich werde es gleich herausfinden. Aber dass ich neben der Disney-Version von der Bühne nochmal ein Stück südafrikanische Realität erlebt habe, ist gut.

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Pflasterfarben

Beim Abendessen kam ein Kellner vorbei, der ein Pflaster über der Augenbraue trug. Es war hautfarben, deswegen fiel es so auf – denn die Hautfarbe war europäisch, nicht afrikanisch. War nur kein passendes da, oder gibt es die gar nicht?

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Frieden säen

Rolf Zwick hat mich heute zu einer Dialogue Session des Reconciliation Network mitgenommen – sehr spannend, was da läuft. Ich habe die ersten Einheiten an den Vortagen verpasst, aber eine Geschichte hat mich berührt. Neben mit saß ein junger Pastor aus Nigeria. Er hat mit 27 jungen Muslimen Versöhnung und Gewaltprävention eingeübt. Als kürzlich Unruhen ausbrachen und wütende Muslime seine Kirche zerstören wollten, kamen diese Männer, stellten sich um das Gebäude herum auf und ließen keinen durch.

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Kapstadt, Tag 5: unerreichte Haltungen

Der vorletzte Tag begann mit einer Bibelarbeit über Integrität. Calisto Odede aus Kenia rief sehr eindringlich zu einem glaubwürdigen und transparenten Lebenswandel auf. Ich fragte mich zwischendurch: Wenn ich meine nichtchristlichen Nachbarn ansehe, dann finde ich, dass die Kontraste im Lebensstil weniger scharf ausfallen, als sie in diesem steilen Bibeltext erscheinen. Die Bereitschaft zur Selbstkritik hier ist sehr groß, und das ist gut. Manchmal frage ich mich dennoch, ob wir nicht mehr brauchen als Appelle. Das Erschütternde ist ja oft auch, dass gerade dort, wo moralische Appelle laut und häufig sind, schlimme Dinge passieren. Was bedeutet es also praktisch, Christus anzuziehen?

Nun spricht zur Abwechslung – ein Brite: Chris Wright. Das größte Hindernis für die Erfüllung von Gottes Verheißung sind, sagt Wright, nicht die „Heiden“ oder die „Welt“, sondern dass Gottes eigenes Volk falschen Göttern auf dem Leim geht. Wright nennt Macht und Stolz, Erfolg und Beliebtheit, Reichtum und Gier, und zitiert die Kritik der großen Propheten Jesaja und Jeremia. Auf der Leinwand an der Rückseite der Halle steht, während Wright redet, groß „speak slower“. und jetzt nimmt er tatsächlich das Tempo etwas heraus…

Jesus hat sich, als er in der Wüste versucht wurde, eben diesen Versuchungen gestellt und sie überwunden. Die Reformation war nötig geworden, weil die spätmittelalterliche Kirche ihnen weitgehend erlag. Heute haben wir an vielen Orten wieder autokratische Superapostel, übertriebene Statistiken und geschönte Erfolgsstorys und ein Wohlstandsevangelium, das irre Blüten treibt. Heute also brauchen die Evangelikalen eine Reformation. Demut, Integrität und einfaches Leben – Richard Rohr hätte das heute auch gefallen.

Femi Adeleye erklärt die Logik des Wohlstandsevangeliums. Sein Cousin hat einen VW Käfer seiner Kirche gespendet, in der trügerischen Erwartung, dass Gott ihm einen Mercedes schenkt. Wie hatte neulich jemand hier gesagt: Nicht Armut ist das Problem unserer Welt, sondern Reichtum. Geben, Spenden ist etwas anderes als die Investition in Fonds mit unanständig hohen Renditen. Es bedeutet, mit andern zu teilen – besonders mit denen, die in unserer Gesellschaft nicht angesehen sind (auf der Leinwand hinten steht „stop“). Geld, sagt Adeleye, ist Macht und eine spirituelle Macht dazu. Christen müssen sich ihrem Zwang widersetzen.

Es geht weiter zur Frage der Frauenrechte, die an vielen Orten mit Füßen getreten werden. In der Kirchengeschichte haben Frauen immer wieder einen ganz besondere Rolle gespielt. Elke Werner spricht von der Möglichkeit, dass Christen ein konstruktives Verhältnis der Geschlechter im Sinne von Galater 3,28 vorleben können. Aber selbst in christlichen Gemeinden und Familien werden Frauen benachteiligt oder klein gehalten. Gott hat Männer und Frauen begabt, nun müssen sie lernen, in ihrer Unterschiedlichkeit zusammenzuarbeiten. Gott, so meint sie, sei vielleicht an den Diskussionen über complementarianism und „egalitarianism“ gar nicht so interessiert. Nun, auf ihre Art hat sie diese Frage ja auch beantwortet. Die Frauen im „Women’s Cafe“ zeigen sich in der Mittagspause hochzufrieden.

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Kapstadt: Briten, Pyramiden und mehr

Ich habe auf diesem Kongress eine neue Anbetungshaltung kennengelernt: man sieht überall erhobene Hände beim Singen, und wenn es dunkel ist im Auditorium leuchten aus diesen Händen kleine Lichter – keine Feuerzeuge, sondern Digicams. Manche Leute drehen sich dazu langsam im Kreis, um das Panorama einzufangen. Neben Kameras sieht man auch schon relativ viele iPads an den Tischen und auf den Fluren. Die kleinen Dinger sind eben einfach verdammt praktisch. Das WLAN hier schwächelt leider einmal mehr.

Am Vormittag ging es darum, dass noch über 600 Volksgruppen weltweit mit über 50.000 Menschen nicht erreicht werden. Ein paar können wir von der Liste wieder streichen: Dass es in Deutschland Gehörlosenseelsorge gibt und tamilische oder mandarin-chinesische Gemeinden war hier offenbar nicht bekannt (was die Frage nach den Gewährsleuten aufwirft, und ob die restlichen Daten ebenso „gut“ recherchiert sind). Trotzdem bleibt natürlich noch viel zu tun, und wir wurden von Paul Eshleman (der m.E. Horst Köhler recht ähnlich sieht) gleich zu einer Selbstverpflichtung eingeladen. Ich war nicht der einzige, für den das alles etwas plötzlich kam.

Die Bibelarbeit heute kam wieder von einem Briten, inhaltlich nicht schlecht (und endlich mal wieder ein Witz!!), aber der Raum, den die angelsächsischen Redner hier in den Plenumseinheiten einnehmen, ist jenseits aller sinnvollen Proportionen. Und die Männer. Frauen und Teilnehmer aus dem globalen Süden (der offenbar auch Indien einschließt) kommen in kurzen persönlichen Geschichten zu Wort. Aber weiße Männer erklären uns die Bibel und die Welt?

Zumindest haben wir in der Multiplexeinheit zu Mission im urbanen Kontext neben Tim Keller auch einen Portugiesen und einen einen Filipino, Raineer Chu, der über die Marginalisierung der Armen spricht. Er sagt, inzwischen hat China, was soziale Gegensätze angeht, Kapstadt von der Weltspitze verdrängt. Und erklärt den Unterschied zwischen Menschen (auch Christen), die Pyramiden bauen, und andere, die Beziehungen bauen.

Meine „Dialogue Session“ über Global Religious Trends 2010-2020 war überfüllt, also gehe ich noch eine Runde an die Sonne, die heute wieder scheint – der freie Tag ist ja vorbei. Mein Magen fühlt sich etwas flau an, das wird aber eher am Kaffee liegen als an Krokodil und Springbok, die ich gestern Abend bei „Mama Africa“ auf dem Teller hatte. Es gibt hier schon sehr interessante Kontraste: gestern sah ich eine Dudelsackkapelle der südafrikanischen Armee in der Nähe der Festung paradieren. Ungefähr so bizarr, wie wenn Massai „Ein feste Burg“ singen würden. Gab’s ja auch alles 🙂

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Kapstadt: noch mehr Lichtblicke

Der gestrige Tag fand ein versöhnliches Ende. Am Abend sprach Tim Keller kurz über die Rolle von Großstädten bei der Entwicklung der Zukunft und was Gemeinden dort beherzigen müssen: interkulturelle Sensibilität entwickeln, den Künsten einen breiten Raum geben, sich den Herausforderungen der Berufswelt geistlich und praktisch stellen, sich für Gerechtigkeit ebenso leidenschaftlich einsetzen wie für das Evangelium, mit anderen Christen und Institutionen kooperieren und offen bleiben für kontinuierliche Veränderungen wie auch zwischenzeitliches Chaos.

Beim anschließenden Bier feierten wie die beiden Oldies Padilla und Escobar, die nach einer etwas lang geratenen Retrospektive den Spirit der Lausanner Bewegung auf den griffigen Nenner brachten: Jüngerschaft, Gerechtigkeit und Einsatz für das globale Ökosystem. Gracias, hermanos!

Heute nahm ich an einer Exkursion nach Fish Hoek teil, wo wir die Sozialarbeit „Living Hope“ besichtigt haben. Eine Baptistengemeinde, die „King of Kings Church“ mit 300 Mitgliedern, hat dort mehrere Zentren mit rund 170 Angestellten und ein paar hundert freiwilligen Helfern. Pastor John Thomas hat das Projekt vor zehn Jahren angestoßen, als er dramatische Zahlen zur AIDS-Problematik hörte. Ein Drittel der HIV-Infizierten leben in Südafrika, wenn ich das heute richtig verstanden habe. Inzwischen hat sich die Arbeit ausgeweitet und man arbeitet mit Schulen und Kliniken der Region zusammen. Näheres kann man unter www.livinghope.co.za in Erfahrung bringen.

Der freie Tag ist etwas grau geraten, ich bin froh, dass wir am Sonntag auf dem Tafelberg waren. Also bin ich etwas durch die nicht so schrecklich pittoreske Innenstadt flaniert, habe endlich bei einem Geldautomaten Erfolg gehabt, in Mariam’s Kitchen ein Curry verspeist und bei einem Cappuccino Terry Eagletons vor Ironie und Wortwitz strotzendes „Saints and Scholars“ gelesen.

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Kapstadt, dritter Tag

Ich sitze in den Company Gardens unter einem alten Baum mit Blick auf den allgegenwärtigen, heute k verhangenen Tafelberg und lasse Tag 3 bisher Revue passieren. Die Vormittagseinheit übe christliches Zeugnis gegenüber der islamischen Welt (besser noch: in der islamischen Welt) war insgesamt ermutigend. Sehr gut Fan ich den letzten Redner, Ziya Meral, der kurz und präzise westliche und leider oft auch christliche Fehler im Blick auf den Islam ansprach. Ich hoffe, er ist auch bald online zu hören. Das war im Ton und Inhalt freundlich, klar und differenziert in der Sache.

ähnlich gut verlief auch die Multiplexeinheit am Nachmittag zum Thema Islam. Vieles drehte sich um die Situation von Menschen, die aus einem islamischen Kontext zu Jesus finden. Sie wird nämlich nicht nur von Muslimen, sondern auch den Mitchristen erheblich kompliziert. Neben den MBB („Muslim background believers“) ging es auch um verschiedene Ansätze christlicher Mission im Laufe der Geschichte. Gut zu hören, dass der konfrontative Weg weitgehend aufgegeben wurde, wegen Erfolglosigkeit. Es kam aber auch klar heraus, wie westliche Interventionen in der arabischen Welt auf die Muslime wirken und welche Folgen die – so wird es erlebt – erzwungene Modernisierung für die Christen vor Ort hat. Hier denke ich, dass Christen auch gegenüber modernistischer Islamkritik um Verständnis für Muslime werben müssen und pauschalen Urteilen entgegentreten.

Meine Tischgruppe – heute waren es am Ende nur mein Gegenüber aus Ruanda und ich – ist weiterhin eine Freude. Man kommt aber auch sonst ganz unkompliziert ins Gespräch. Die Inder geben mit immer ihre Businesscards (ich hab nicht mal eine), und heute blieb ich in der Pause bei einem Pfingstpastor aus Zimbabwe hängen, der mehrfach bedroht wurde und als Unruhestifter von den Behörden öffentlich beschuldigt wurde. Ich wünschte, alle Christen aus dem Westen – mich eingeschlossen – hätten auch nur annähernd die Reife und den Mut dieses Mannes. Am Tag, nachdem die Zeitungen ihn auf der Titelseite denunziert hatten, ließ er sein Auto stehen und ging überallhin zu Fuß, um zu zeigen, dass er keine Angst hatte. In Zimbabwe arbeiten Evangelikale, Pfingstler, Lutheraner und Katholiken zusammen an einem friedlichen Wandel. Es geht frustrierend langsam, hörte ich heute, aber es bewegt sich etwas.

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Hölle statt Liebe?

Die emotionalen und theologischen Wechselbäder dauern an. John Pipers Bibelarbeit heute markierte den zeitweiligen Tiefpunkt des Kongresses. Es war wohl kein Zufall, dass nach seinem Vortrag die übliche Diskussionsrunde fehlte.

Die Liebe Christi war das Motto, aber Piper verwandelte es in einen buchstäblichen Höllenritt, und das ist bei der Textgrundlage von Epheser 3 ein echtes Kunststück. Es fing schon an mit seinem Auftreten. jedes dritte Wort wurde, manchmal schon unerträglich laut, betont, als müsse man den Leuten die Wahrheit einhämmern. Dazu eine ausladende, ruckartige Gestik und gelegentlich schloss der Meister für mehrere Sätze verzückt die Augen.

Der Vortrag fehlte jeder konkrete Bodenkontakt, er spielte sich komplett in höheren Sphären ab. Piper unternahm den Versuch erst gar nicht, es Ruth Padilla DeBorst nachzutun (mehr Frauen, bitte, bitte!). Aber weil im Text „Mächte und Gewalten“ auftauchen, stürzte sich unser Ausleger sofort auf den kosmischen Kampf gegen das Böse und ordnete alles diesem Thema unter. Das erlaubte ihm, sich auf Themen zu verlagern, die im Text gar nicht vorkamen. Plötzlich war vom Teufel die Rede und die Hölle, die bei Paulus nur im Sinn von Totenreich, nicht aber als ewig-jenseitige Folterkammer erscheint, war auch gleich im Spiel, Sünde, Schuld und der Zorn Gottes folgten auf dem Fuß.

Es war einfach dreist, wie Piper das gestrige Referat dann auch explizit konterkarierte und sich dabei auf eine göttliche Eingebung am Vortag berief. Er ging zurück auf Eph 2,3 und sagte, man verstehe das Evangelium erst dann richtig und Evangelisation erst dann richtig, wenn man verstehe, dass „Gott wütend sei auf die Welt“. Da war er wieder, der janusköpfige Gott der Calvinisten, der seinen Sohn als Puffer braucht, um die Gewalt abzufedern, die sonst seine „sündigen, korrupten und rebellischen“ Geschöpfe träfe.

Ich hatte in meiner Naivität gehofft, solche Töne hier nicht mehr zu hören. Aber Pipers manipulative Attacke auf die Hörer war noch nicht zu Ende. Er verwies auf den gestrigen Tag, in dem es um das Leid in der Welt gegangen war, und bat darum, diesem Anliegen das der Abwendung ewigen Leids (also der Hölle, die er anfangs eingeschmuggelt hatte) an die Seite zu stellen. In dem Satz, der dann aber die Zustimmung der Delegierten einforderte, hatte Piper sein eigentliches Anliegen dem sozialen aber rhetorisch vorgeordnet. Viele haben da wohl nicht bemerkt, es war einfach ein schlaues Schurkenstück, was er da abgezogen hat.

Die Organisatoren hatten am ersten Tag großspurig angekündigt, beim Überschreiten des Zeitlimits das Mikro abzudrehen. Heute haben sie eine große Gelegenheit verpasst, ihre Glaubwürdigkeit unter Beweis zu stellen.

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Der Tag des Friedens (Kapstadt Teil 2)

Vorab ein paar Dinge zum Kongress allgemein: Die vielen freiwilligen Helfer beeindrucken durch ihre Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft. Außer dem schwachen Internetzugang ist alles sehr gut organisiert für uns Teilnehmer. Und fast alle sagen, dass die Tischgruppen ein echtes Highlight sind. Wir sind zu viert – zwei fehlen -, aus Deutschland, der Ukraine, Ruanda und Myanmar.

Gestern Nachmittag traf ich die Dame wieder, die von Paris nach Johannesburg neben mir im Flieger gesessen hatte. Sie kommt aus Spanien und wir hatten uns beide im Stillen schon gefragt, ob der andere auch zu diesem Kongress reist, aber keiner hat gefragt. Nun wissen wir es.

Der zweite Tag begann deutlich verbessert. Gestern Abend hatten wir ein paar Schlaglichter aus Asien gehört, über erstaunliches Wachstum der Kirchen und die Schwierigkeiten von Christen in China oder Indien, mit einem sehr bewegenden Zeugnis einer jungen Nordkoreanerin. Heute knüpften wir an, indem wir Epheser 2 lasen, von der neuen Menschheit, an der Gott arbeitet und in der alte Trennungen überwunden sind.

Ruth Padilla legte – als erste Frau, die ausführlich zu Wort kam -, eine fantastische Bibelarbeit hin. Wenn die Lausanne-Website wieder geht, wäre das mein ganz heißer Tipp zum Nachhören. Sie entfaltete, wie Gott in Christus Frieden schafft und wie dieser Friede unter und durch Christen konkret wird. Das ist auch im Kontext der Integrationsdebatte in Deutschland sehr hörenswert.

Es folgten kürzere Berichte aus Indien zur Situation der Dalit in Indien, die einen großen Teil der Menschen ausmachen, die auch noch im 21. Jahrhundert wie Sklaven leben. Aber es gibt auch Zeichen der Hoffnung dort. Und alle Westler wurden von Brenda Salter-McNeil herausgefordert, an der eigenen Glaubwürdigkeit zu arbeiten. Der anschließende Bericht aus Ruanda zu den Hintergründen des Genozids an den Tutsis (ich hatte das letzte Woche schon erwähnt) wurde durch unser Tischgespräch mit dem Bruder aus Ruanda noch vertieft. Die Christen sind dort bei allen Erfolgen bei der Versöhnung immer noch dabei, ihre Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen.

Ich habe noch einige gute Gespräche zu gestern geführt und festgestellt, dass viele die gleichen Frustrationen erlebt haben. Eine interessante theologische Beobachtung war dabei auch die, dass Guinness und Yu zwar von Gott und Christus, aber nicht vom Geist geredet hatten. Der aber ist im Neuen Testament der Schlüssel für alles Erkennen, wie die Abschiedsreden des Johannesevangeliums zeigen. Es reicht also nicht, auf Christus als den Logos hinzuweisen, der das rationale Individuum mit einer rationalen Welt verbindet und Wahrheitserkenntis begründet. Selbst die Bibel für sich genommen leistet da nicht. Der alte blinde Fleck mancher Evangelikalen schlägt hier wieder durch. Vielleicht gibt sich das ja auch noch, die „politischen“ Kompromisse gehören bei so einem Unternehmen wohl leider dazu. Aber die Menschen gleichen das wieder aus, und das ist gut so.

Ganz neu für Lausanne war auch da Thema Klimawandel. Die Multiplexsession dazu bestritt unter anderem Sir John Houghton, der dem Weltklimarat angehört und dessen Arbeit auch gegen fromme Ignoranten verteidigte. Seine Koreferenten kamen aus der Ölregion Trinidad & Tobago und aus Papua Neuguinea. Inhaltlich war nichts Neues dabei, aber Houghtons Herausforderung steht: Die Fakten sind klar und eindeutig, der Wille zum Handeln fehlt. Und die reichen Länder, die ihren Wohlstand auch billiger Energie aus fossilen Quellen verdanken, sind als erste gefragt. Mit anderen Worten: wir müssen unseren Lebensstil ändern und andere dazu motivieren, auch unsere halbherzige Regierung.

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Der Tag der Wahrheit

Der erste Kongresstag begann mit extremen Wechselbädern, aber das ist eben auch „Lausanne“. Nach Carver Yu, der sich an einer Grundsatzkritik am Pluralismus (im Sinne eines radikalen Relativismus) versuchte, die etwas grob ausfiel, schlug Michael Herbst deutlich bescheidenere und differenziertere Töne an. Sein Paper steht schon im Netz. Er beschrieb die ostdeutsche Situation und die Notwendigkeit, dass Christen als Minderheit demütig, aber zuversichtlich von Jesus reden lernen.

Unsere Gruppe hatte sich gerade angeregt darüber unterhalten, dann holte Os Guinness zum Paukenschlag aus. Christen dürften nicht ablassen von Anspruch, eine absolute Wahrheit zu vertreten. Wo dieser Anspruch zurückgenommen oder relativiert werde, sei alles verloren. Seine sechs Gründe jedoch waren eher sechs Behauptungen, und auf dem Fuß folgten verbale Ausfälle gegen Christen, die das anders sehen. So aggressiv war noch niemand aufgetreten, und es war angemessen, dass es keine Diskussion mehr gab an den Tischen, denn die „friß oder stirb“-Logik einer monolithisch-propositionalen Wahrheit (die Herbst so schön vermieden hatte) ließ dafür keinen Raum mehr. Leider war eher ein Beleg dafür, dass die Leute, die apologetisch alles an die Wahrheitsfrage hängen und das so steil vertreten, tatsächlich ein gehöriges Aggressionspotenzial darstellen. Schade!

Beruhigend war dafür die Multiplex-Einheit zum Thema Pluralismus. Dort gab es differenziertere stimmen wie die von Robert Calver, die auch auf der Website zum Kongress zu finden ist.

An diesem Tag haben bisher nur Männer gesprochen, die meisten Europäer. Das beste Statement zum Pluralismus waren aber gar nicht deren theoretische Ausführungen, sondern der Beitrag eines Libanesen, der von der Lage der Christen unter 350 Millionen muslimischen Arabern sprach und sagte, ob man diese als Freunde oder Feinde betrachte, lieben müsse man sie allemal. Das hätte Michael Herbst über die Atheisten in Ostdeutschland auch sagen können. Gar nicht richtig angesprochen wurde die Tatsache, dass Säkularisierung immer auch dem Schutz religiöser Minderheiten diente und dass Christen denselben Vorgang der Pluralisierung in islamischen Ländern durchaus begrüßen würden. Insgesamt fand ich das Ganze unbefriedigend.

Ich traf eine südafrikanische Professorin und wir fragten uns beide, warum Desmond Tutu eigentlich nicht da war, wenn der Kongress schien Versöhnung zum Thema hat. Hat man ihn nicht eingeladen, oder konnte er nicht kommen? Bislang ist Afrika eher Kulisse als eine hörbare Stimme, aber vielleicht wird das ja noch anders.

Ich gehe mit sehr gemischten Gefühlen in den Abend. Wie es weitergeht, kann ich Dan im nächsten post erzählen. Das Netz im Kongresszentrum ist notorisch überlastet, ich werde also nicht auf jeden Kommentar antworten und nicht auf alle Mails, so lange ich hier bin. es ist auch wenig Zeit, die Pausen sind kurz und man trifft ständig interessante Leute, gestern Michael Frost, heute Andrew Jones und natürlich die alten und neuen Bekannten aus der deutschen Delegation. Schon, aber auch schwer, das alles zu verarbeiten. Ich hoffe, dass das Stimmungsbild trotzdem interessant ist, und vielleicht hört ja der eine oder die andere mal eine Aufzeichnung an. Es muss ja nicht Guinness sein…

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Menge und Wert

Morgen breche ich für knapp 2 Wochen auf nach Südafrika. In den letzten Tagen hat sich noch einiges an Vorbereitungen gedrängt und zugleich habe ich gemerkt, wie kostbar mir die knappe Zeit vor der langen Abwesenheit auf einmal schien und wie viel es mir bedeutete, mit lieben Menschen sprechen zu können und Zeit zusammen zu haben.

Wie seltsam, dass ich es erst dann so richtig bewusst spüre, wenn die Zeit knapp und die Entfernung groß ist. In Wirklichkeit sind das alles auch ohne Zeitdruck kostbare Beziehungen, aber im Alltag schaffe ich es immer wieder, anderen Dingen den Vorzug zu geben, die gar nicht so wichtig sind. In Wirklichkeit hängt der Wert einer Sache nicht davon ab, ob sie knapp ist – das ist eine Täuschung. Solche Momente sind immer wichtig, auch wenn die Zeit dafür reichlich ist.

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Das Leben ist wie Roulette spielen…

… am Ende gewinnt immer die Bank. Beziehungsweise deren Spitzenleute, die höhere Boni als je zuvor ausgezahlt bekommen – zumindest in den USA – 144 Milliarden Dollar! Die Nachricht ging gestern fast unter: Die Boni steigen, während die Gewinne insgesamt sogar gesunken sind. Bei Goldman Sachs kassieren die Goldmännchen inzwischen die Hälfte der Erträge – im Schnitt eine halbe Million pro Nase – und werden munter weiter zocken.

Und die Welt schaut zu und lässt es geschehen. Die historische Chance, im Zuge der Bankenkrise drastische Reformen durchzusetzen, ist vorbei. Ist eine andere Welt wirklich möglich? Ich musste an Shane Claibornes Aktion auf der Wall Street denken – vielleicht brauchen wir sehr viel mehr davon?

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