Zum einen waren das Judith Butlers Gedanken über Gewaltlosigkeit, in denen sie das Kriterium der „Betrauerbarkeit“ eingeführt hat. Manche Opfer von Gewalt und Zerstörung werden betrauert, andere sind anscheinend unsichtbar oder bedeutungslos. Ihnen kann folglich Gewalt angetan werden, ohne dass man dafür zur Rechenschaft gezogen wird.
Die andere große Lernerfahrung war die Vorlesungsreihe von Timothy Snyder über die Geschichte der Ukraine. Sie ist in 23 Teilen auf Youtube zu sehen, und er nimmt darin ständig Bezug auf den Krieg, der dort gerade tobt, und dessen ideologische Rechtfertigung durch die russische Seite: Die Ukraine sei kein richtiges Land und sei es nie gewesen, sie habe nur unter russischer Führung eine Daseinsberechtigung, sie sei korrupt und/oder faschistisch, Teil einer jüdischen/liberalen/westlichen Weltverschwörung gegen das heilige Russland, das seinerseits Erbin des Byzantinischen Weltreichs und Bewahrerin des wahren Christentums sei.
Deutschland, sagt Snyder, hat zwar bei der Aufarbeitung der Shoah viel geleistet, aber die imperialen und kolonialen Aspekte beider Weltkriege im Blick auf Osteuropa und ganz besonders die Ukraine blieben unterbelichtet. Ebenso wie die Tatsache, dass sehr viel mehr osteuropäische als deutsche Juden ermordet wurden. Und die Aussöhnung mit der UdSSR ließ das Unrecht, das Deutsche und Russen den anderen Osteuropäern (Polen, Ukrainer, Balten…) gemeinsam oder je für sich zugefügt haben, weitgehend unerwähnt. In dem Video unten fasst Snyder das alles griffig und nachvollziehbar zusammen.
Diese Woche ist Holocaustgedenktag, da kommt dieser Schmerz (und seine jahrzehntelange Verdrängung) wieder in den Blick. Nicht betrauertes, verschwiegenes und vertuschtes Leid begünstigt offenbar neue Katastrophen. Wiedemann skizziert zu Beginn des Buches die Verwicklungen und Verbindungen für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Den hatten die Siegermächte England und Frankreich auch deshalb gewonnen, weil sie Truppen aus ihren Kolonien in Afrika und Asien einsetzten.
Omar Sy, den meisten von uns eher durch Action und Komödien bekannt, hat sich des Themas in seinem aktuellen Film Tirailleurs angenommen:
Als diese Kämpfer in ihre Heimat zurückkehrten, hofften sie mit Recht, dass das erstrittene Selbstbestimmungsrecht der Völker demnächst auch für sie gelten würde. Aber ihre Unabhängigkeitsbestrebungen wurden brutal unterdrückt. Frankreich etwa setzte dafür die Fremdenlegion ein. Einen Großteil der Legionäre hatte man nach Kriegsende aus deutschen Kriegsgefangenen rekrutiert. So kam es dazu, dass viele Menschen aus den Kolonien, die Frankreich von Hitlers Truppen befreit hatten, von deutschen Söldnern im Auftrag ihrer Kolonialherren mit Kriegsverbrechen überzogen wurden. Sie erlebten genau das, was sie in Europa bekämpft hatten. Kein Wunder also, dass damals immer wieder Parallelen zwischen dem Algerienkrieg und dem Zweiten Weltkrieg gezogen wurden.
Um solche Verkettungen bewusst zu machen und hoffentlich auch zu unterbrechen, ist es wichtig, sich Rechenschaft zu geben über die „Ökonomie der Empathie“, wie Wiedemann es nennt. Da existieren vielfach blinde Flecken. Im Nachkriegsdeutschland haben wir so lange das eigene Leid in den Vordergund gerückt, dass die Aufarbeitung des Holocausts und deutscher Kriegsverbrechen erst nach Jahrzehnten in Gang kam. Nicht eingeschlossen waren lange Zeit russische Kriegsgefangene, noch etwas länger Sinti und Roma. Und mit den Verbrechen der Kolonialzeit haben wir Deutsche uns sehr viel mehr Zeit gelassen.
Das Gemeinsame all dieser Taten liegt für Wiedemann darin, „den Anderen … aus dem gemeinsamen Menschsein auszuschließen“. Wiedemann erinnert daran, dass es im Blick auf die Shoah eine innerjüdische Debatte zwischen Simon Wiesenthal und Elie Wiesel gab. Wiesenthal wollte die Erinnerung an das eigene Leid in dem Zusammenhang des Leidens anderer Gruppen und Ethnien stellen, Wiesel lehnte das ab und setzte seine Position durch, dass jeder Vergleich eine inakzeptable Relativierung dieses singulären Verbrechens darstellt. Aber Vergleiche werden ständig angestellt und nicht alle sind so empörend und unangemessen wie die Judensterne auf Querdenker-Demos.
Zur Mitte des Buches zieht Wiedemann eine Art Zwischenfazit mit einem Zitat von Fabian Wolff:
Nur wenn die Shoah nicht als hermetisch versiegelter Fakt außerhalb jeder Geschichte verstanden wird, sondern als radikalste Konsequenz einer gewalttätigen Aussonderung und Unterwerfung, als Teil von historischen Prozessen, die nicht 1933 begonnen und nicht 1945 aufgehört haben und in denen es nicht nur um Jüdinnen/Juden und Deutsche geht, kann die Erinnerung an sie die Grundlage dafür sein, dass Auschwitz nie wieder sein wird, egal für wen."
Der Bundestag erinnert diese Woche, 27 Jahre nach Einführung des Holocaust-Gedenktages, in seiner Feierstunde erstmals an die Gräueltaten gegenüber queeren Menschen. In der Aufarbeitung von Völkermord, Staatsterror und Totalitarismus muss die Anerkennung des Leids der unterschiedlichen Gruppen Betroffener jedes einzelne Mal mühsam erkämpft werden, schreibt Wiedemann. Sie erzählt dazu reichlich Beispiele. Wenn es aber einmal geschafft ist, wenn das Gedenken einen Ort und eine Gestalt bekommen hat, dann wundern sich alle, warum es so lange gedauert hat.
Ich bin gespannt, was die zweite Hälfte des Buches noch an Einsichten bringt.
Als am vergangenen Samstag die Sonne aufging – ich war schon wach und hatte wenig geschlafen – war draußen alles von einer dicken Schneeschicht überzogen, die den Lärm der Stadt dämpfte. Die Stille, die über Nacht vom Himmel gefallen war, tat gut. Meine Gedanken gingen zurück zum Vortag, als sich die Familie am Totenbett meines Vaters im Forchheimer Klinikum versammelte. Zwei Tage zuvor sollte er noch entlassen werden, dann verschlechterte sich sein Zustand wieder. Meine Mutter und Schwester hatten ihn am Nachmittag noch besucht, dann war alles ganz schnell gegangen.
Aber sie hatten sich noch einmal gesehen. Und ihm ein Bier mitgebracht, das hatte er sich gewünscht. Und zwei Wochen zuvor hatte er mit Freunden noch einmal Unterlaimbach besucht, den Ort seiner Kindheit. Väter und Söhne, Vergangenheit und Zukunft. Ich erinnerte mich an „In the Living Years“ von Mike Rutherford und B.A. Robertson. Ein Song über eine verfahrene Vater-Sohn-Beziehung und einen verpassten Abschied. Da heißt es:
„Ich weiß, ich bin ein Gefangener all dessen, was meinem Vater am Herzen lag, ich weiß, ich bin eine Geisel seiner Hoffnungen und Ängste.“
Wir müssen uns alle mit dem auseinandersetzen, was unsere Eltern an- und umgetrieben hat. Das prägt uns als Kinder, bevor wir es reflektieren können. Freilich, ein Gefängnis muss es nicht zwingend sein (oder bleiben). Werfen wir also zusammen einen Blick auf das, was ihm am Herzen lag. Ich möchte das unter ein Wort aus dem 2. Timotheusbrief stellen:
Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, die Treue gehalten. (2.Tim 4,7)
Beginnen wir mit der Treue
Mein Vater Udo war ein konservativer Mensch. Er lebte in dem Bewusstsein, dass ihm ein Erbe anvertraut war, das es zu bewahren gilt. Den Vätern und Müttern, Kindern und Enkeln gegenüber empfand er eine Verpflichtung. Die eigene Person machte er demgegenüber nur selten und zögernd zum Thema. Fragen nach seinen Gefühlen beantwortete er oft, indem er auf Sachthemen auswich. Je nach Tonlage dieser Exkurse konnte ich dann rückschließen, ob es ihm eher gut ging oder schlecht. Dann wieder gab es seltene Momente der Rührung, gern in Gottesdiensten, wo er sich eine Träne aus den Augen wischte und ihm die Stimme stockte. Aber insgesamt hatte er eine Scheu vor dem Subjektiven, das er für unzuverlässig hielt. Meine Kinder verblüffte er mit der Aussage, er lese keine Romane (und erst recht keine Fantasy-Literatur, die sie meterweise verschlangen), das sei doch alles „erstunken und erlogen“.
Das Konservative, die Suche mit der Vernunft nach dem Objektiven, hatte er von seinem Vater. Die beiden haben am gleichen Tag Geburtstag. Er kam 1938 als zweites Kind auf die Welt, was bedeutete, dass der Platz an Muttis Seite im elterlichen Bett vom großen Bruder schon belegt war, und er beim „Vati“ Unterschlupf fand.
Den Vätern und Vorfahren also galt sein Eifer mit zunehmender Tendenz. Er litt, wie wir scherzhaft sagen, am „Buirette-Syndrom“: Seine Enkel beglückte er mit Büchern über Jung-Stilling oder eben den Hugenotten Isaac Buirette von Oehlefeldt, der Ende des 17. Jahrhunderts in Erlangen ein Palais und eine Brauerei errichtete und dessen Familie als Wohltäter der Erlanger Neustadt in die Geschichte einging. Die Buirettes sind in der Altstädter Kirche beigesetzt, in der meine Eltern (freilich ohne das schon zu wissen) 1964 geheiratet haben. Meine Mutter hatte ihr Abitur im Marie-Therese-Gymnasium gemacht, das die Geschwister Vömel (Ur-Urgroßtanten meines Vaters, auch das wussten die beiden damals noch nicht) gegründet hatten.
Ahnen, Erbe und Geschichte, Erlangen ist voll davon…
Ich habe den Lauf vollendet
Für einen konservativen Menschen ist der Lauf der Zeit, der Fortschritt, die Bewegung und das Neue eine zwiespältige Sache. Als Vor-Achtundsechziger waren ihm revolutionäre Brüche und Tendenzen eher suspekt. Wie weit darf man sich von den Wurzeln entfernen? Neugier hilft, die hatte ihn schon zum Theologiestudium gebracht. Er wollte sich sein eigenes Bild machen von Gott, Gottes Willen und Reich. Er wollte der Wahrheit auf den Grund gehen. Die Wurzeln freilegen. Und damit war er nie fertig. Aus dem Studium hat er von Günter Bornkamm und Edmund Schlink erzählt, im Ruhestand hat er dann Moltmann gelesen, mit der Allversöhnung geliebäugelt und sich für die Umwelt-Enzyklika „Laudatio Si“ von Papst Franziskus begeistert. Und als der Konservativismus in Deutschland unter Horst Seehofer fremdenfeindlich wurde, wählte er grün. Die Erde muss vor der Zerstörung bewahrt werden, und das Recht der Schwachen gegenüber den Starken gewahrt.
Er hat sich etwas sagen lassen, er hat Positionen überdacht und verändert. Das unterscheidet ihn von jenen sprichwörtlichen, dauergekränkten „alten weißen Männern“, die keinen Widerspruch ertragen und ständig in aller medialen Öffentlichkeit darüber klagen, dass ihre Meinung – und natürlich sprechen sie immer für die schweigende Mehrheit! – angeblich unterdrückt wird.
Für einen Menschen seiner Generation hat er einen weiten Weg zurückgelegt. Und jetzt ist der lange Lauf vollendet. Andere sind in seine Fußstapfen getreten und nun schauen wir, wohin uns der Geist Gottes und der Zustand der Welt ruft und treibt.
Ich habe den guten Kampf gekämpft
Der Kampf, von dem Paulus schreibt, ist kein Krieg. Eher ein Ringkampf oder Wettkampf. Etwas Sportliches, so wie der Langstreckenlauf, den wir gerade hatten. Nun war mein Vater kein passionierter Sportler, außer dass er am Samstag seine Sportschau sehen wollte. Er war eher gemächlich unterwegs, die legendären Radtouren aus seiner Jugendzeit vielleicht ausgenommen.
Über den jungen Udo verfasste 1959 eine Graphologin – ich vermute im Auftrag seiner Mutter, die ein Faible für solche Dinge hatte – ein hochgradig spekulatives „Charakterbild“ aufgrund einer Schriftprobe. Ich fand es gestern zufällig. Neben manchen schwurbeligen Passagen las ich dort Sätze, die beim Lesen eine gewisse Resonanz hervorriefen:
„Er geht vorsichtig über die Erde, bildlich gesprochen – verbirgt sich ganz gerne, um umso besser die Wirklichkeit sehen und hören zu können.“
„Seine Natur versteht sich enorm einzuschränken, was materielle Bedürfnisse anbelangt. Und es schadet ihm nicht im Geringsten. Er lebt genauso glücklich, als wenn er in besonderer Wohlhabenheit dahinleben würde“.
„Sein Gerechtigkeitssinn ist gut entfaltet. Er selbst steht sich selbst gut beobachtend gegenüber, aber ohne Zwang. Das macht ihn aufgelockert und zugänglich zur Umwelt.“
„Er erfährt jeden atmosphärischen Druck und Gegendruck, weil er ungemein sensibel im Dasein steht … Er bedarf eines guten Bodens, geistig gesprochen. Und wo er diesen entbehren muss, sinken seine Kräfte.“
Und: „Er hat die Fähigkeit, sich mit dem Göttlichen zu verbinden, ohne das selbst zu wollen. Er ist dafür geboren.“
„Sportlich“ und robust in der Sache war sein Diskussionsstil. Er konnte Redebeiträge und Meinungen anderer schon mal als „Unfug“ vom Tisch wischen. Seine Schwiegermutter hat das Diskutieren der Aschoffs immer als Streiten missverstanden und gescheut, dabei ging es ihm nie um ein Zerwürfnis, sondern strikt um die Sache. Freilich – das Wetteifern und Konkurrieren lag schon auch ein bisschen an der Herkunftsfamilie.
Autobesitzer und Geschäftsleute in Aufruhr: Bildzeitung aus dem Jahr 1970
Wer zu früh kommt…
Wahrscheinlich aber haben viele beim Stichwort „Kampf“ an den Kirchenstreit gedacht, in den er vor knapp 30 Jahren hineingeraten war. So richtig hochgekocht ist alles durch einen „Offenen Brief an die Kirche“, den mein Vater schrieb. Seine Vorschläge von damals würden heute keine großen Wellen schlagen. Ein paar Zitate:
„Offensichtlich ist die Struktur des alten volkskirchlichen Angebots an eine Grenze gekommen, die eine Überprüfung und Ergänzung notwendig erscheinen lässt.“ Oder „Die Einheit der Kirche besteht nicht in einer möglichst großen Übereinstimmung in liturgischen oder organisatorischen Formen, sondern in dem einen Herrn Jesus Christus“. Er warb für unterschiedliche Prägungen und Profile in bestehenden und noch zu gründenden Gemeinden.
Vor einem Monat entfaltete Uta Pohl-Patalong vor den Nürnberger Pfarrer:innen ihre Vision von Kirche und sprach dabei von „Kirche als Netz unterschiedlicher kirchlicher Orte“, über „spirituelle Ausstrahlungskraft“ und eine „Kultur des Experiments, der Wertschätzung und der Fehlerfreundlichkeit“. Und die ganze Landeskirche übt sich, passend dazu, in „Profil und Konzentration“. Damit hätte er gut leben können.
Aber vor 30 Jahren waren wir noch nicht so weit. Das Leben bestraft nicht nur den, der zu spät kommt, sondern auch den, der zu früh kommt. Wenn man zu früh mit einer Idee um die Ecke kommt, muss man sehr empathisch und diplomatisch sein. Und das war er nie. Seine Sprache war unverblümt, seine Neigung zu Ironie und Provokation kam nicht bei allen gut an, und übertriebenen Respekt vor Autoritäten konnte man ihm auch nicht nachsagen. In der Landeskirche tobte gerade ein heftiger Streit zwischen „Liberalen“ und Konservativen, auch diese Begleitmusik war nicht hilfreich. Aber die Forderung nach einer Liberalisierung der monolithischen Kirchenstruktur entstammte seinem konservativen Impetus: Es ging ihm um die Rettung der Kirche vor Bedeutungslosigkeit und Verfall.
Aber die Volkskirche wollte gar nicht gerettet werden. Viele sträubten sich kurz nach der Wende noch gegen die Erkenntnis, dass die Zeit stabiler Mitgliederzahlen und selbstverständlicher gesellschaftlicher Geltung zu Ende gehen könnte. Und in der Kirchengemeinde löste der offene Brief bei einigen die Sorge aus, dass der erste Pfarrer hier eine Trutzburg charismatischer Frömmigkeit errichten wollte, in der für nichts anderes mehr Platz ist. Das hatte mein Vater nicht kommen sehen, und die heftigen Reaktionen allenthalben trafen ihn unvorbereitet. Sich zu erklären oder gar zu verteidigen, fiel ihm schwer. Kränkungen und Verletzungen gab es damals auf allen Seiten, doch während andere dabei weitgehend anonym blieben, haftete ihm als öffentlicher Person der Makel des „Umstrittenen“ und der mit seinem Namen verbundenen Spaltung lange an. Druck und Gegendruck, sinkende Kräfte.
Er selbst wäre – auch das hatten viele nicht verstanden – am liebsten Gemeindepfarrer geblieben. In den ersten Jahren bei ELIA hat er für mein Gefühl immer noch zu seiner Brucker Gemeinde gepredigt. Es war dann ein weiter Weg, bis die Verletzungen verheilt und die neue Rolle gefunden war. Die klassische charismatische Führungsgestalt, die emotionalisiert und mitreißt, das war er ja alles gar nicht. Auch das war eine harte Landung. Aber aus aller Verletztheit ging er am Ende nicht verbittert hervor. Die Opferrolle ist nicht an ihm hängengeblieben und er nicht in ihr. Das haben viele, die ihn von früher kennen, nicht mehr mitbekommen. Und deswegen ist es wichtig, davon jetzt noch zu erzählen.
Der Freiräumer
Ich muss noch einmal auf die Treue zu sprechen kommen. Mein Vater war – abgesehen von Theologie und etwas Politik – eigentlich gar nicht der Typ fürs Streiten. Um der Harmonie und des Friedens willen konnte er gut zurückstecken. Ins Leben von uns Kindern mischte er sich selten direktiv ein, er respektierte unsere Vorstellungen und Eigenarten. Meine Schwester Andrea hat es treffend formuliert:
„Du warst nachgiebig und freundlich, Du hast es nicht nötig gehabt, Schwächen zu vertuschen, und du hast Deine Stärken nicht an die große Glocke gehängt. Du warst bescheiden, humorvoll und belesen.“
Er war nicht der große Mentor, der andere an der Hand nimmt, und „Empowerment“ gehörte nicht zu seinem aktiven Wortschatz. Aber er war ein Freiräumer, der Platz schafft und lässt, den andere füllen können. Und das ist manchmal Gold wert. Ob Familie oder Gemeinde: Er fiel dir nicht in den Rücken, stattdessen hielt er ab und zu den Kopf für dich hin.
Bei ELIA war er, um der Nachwuchsförderung willen, viele Jahre lang ein äußerst großzügiger Spender. Auch da hat er sich bewundernswert zurückgenommen. Er hat Musikstile ertragen, die seinem ästhetischen Empfinden und seinem nachlassenden Gehör einiges zumuteten. Er hat unsere Experimente und alle Ideen, die nicht seine eigenen waren, nicht mit Unkenrufen und Besserwisserei torpediert. Und die Missionsprojekte mit Feulners in Yalova und Bine Vogel in Peru hat er stets mit herzlicher, intensiver, in fürbittendes Gebet getränkter Anteilnahme begleitet.
Und dann kamen da, eines nach dem anderen, die zwölf Enkel gepurzelt. Gern hat er mit ihnen Ausflüge gemacht (oft zur Erweiterung des Geschichtsbewusstseins), immer wieder war er als Babysitter gefragt, später dann als Latein-Nachhilfelehrer und schließlich stieg er als Pensionär auch noch in die Studienförderung ein, als die ersten die Schulen verließen. An den Höhen und Tiefen ihres Lebens hat er aufmerksam, zurückhaltend und immer wohlwollend Anteil genommen. Und über das letzte Jahr hat er sich gefreut, dass nun drei Urenkel mit im Haus wohnen.
So sind wir heute hier und betrachten sein Erbe. Eines, das nicht zur Last zu werden droht, weil es in Güte, Bescheidenheit, Mut und Großzügigkeit besteht. Er hat das unverwechselbar verkörpert und wir vermissen ihn. Aber es ist eben auch viel da, das gibt uns Hoffnung. Und ein paar Bilder werden unvergessen bleiben:
Wie er im Garten sitzt und ein Buch liest, während irgendwo Enkel und Urenkel spielen
Wie er seinen Ofen anschürt und sich die Flammen in seinem Gesicht widerspiegeln
Wie er seine Hasen versorgt
Wie er die vielen Kerzen bei „Gott im Berg“ früh anzündet und abends wieder ausbläst
Irgendetwas wird es auch im Himmel zum Anzünden geben. Da bin ich mir sicher.
Als der Prophet Nathan im Alten Testament einmal König David besucht, sagt er zu ihm: „Wenn sich deine Tage vollenden und du dich zu deinen Vorfahren legst…“ Diese Vorstellung hätte ihm gefallen. Die Tage und mit ihnen ihr Tagwerk sind vollendet. Die Ruhe beginnt. Und er ist bei denen, die uns vorausgegangen sind.
Vor genau 40 Jahren hat REO Speedwagon den Song „Keep The Fire Burning“ veröffentlicht. Vordergründig geht es da um eine romantische Beziehung mit viel Leidenschaft und ein paar Problemen. Aber als ich diese Woche so da saß und mir den Text Zeile für Zeile ansah, dachte ich: Man kann das auch anders hören.
Keep the fire burnin' Let it keep us warm The world will keep on turnin' Let it turn you on Let us not stop learnin' We can help one another be strong Let us never lose our yearnin' To keep the fire burnin' all night long
Mal angenommen, die Nacht, von der da die Rede ist, ist die Nacht von Krieg, Armut, Hass, Einsamkeit und was sonst noch aktuell die Hoffnung verfinstert. Und mal angenommen, dass „wir“ ist mehr als nur zwei frisch Verliebte. Nämlich alle, die sich von dieser Dunkelheit nicht unterkriegen lassen wollen.
Ja, die Welt dreht sich weiter, es kommen auch wieder bessere Tage, aber im Augenblick müssen wir das wärmende Feuer am Brennen halten. Damit wir uns dort versammeln können. Hier springt der Funke wieder über, hier kommt die Sehnsucht uns nicht abhanden. Wir stärken einander. Und wir lernen gemeinsam, wie wir verbunden bleiben, heil werden, Gutes bewirken.
In den Versen geht dann darum, dass wir uns ein bisschen fremd geworden sind und dass Redebedarf besteht, damit Vertrauen wiederhergestellt wird.
Und darum, dass Aufgeben zwar möglich wäre, aber keine ernsthafte Option darstellt. Auch wenn es mal hart auf hart kommt. Schließlich geht es darum, das Gute nicht aus dem Blick zu verlieren (vgl. Römer 12,2). Victoria Loorz schreibt passend dazu in Church of the Wild:
»Sich für einen Wandel einzusetzen, den wir innerhalb eines Menschenlebens kaum überblicken – aber wir haben ja nur eines! –, ist an sich schon schwierig. Du kommst an einen Punkt, an dem du Abstand nehmen musst, um wieder zu wissen, wer du bist. Und wofür du kämpfst.«
Klar, das ist wohl nicht die Intention, aus der heraus der Song geschrieben wurde. Aber man kann ihn mit dieser Intention gut singen. Am Sonntag probieren wir es mal aus.
(Danke für das Beitragsbild an Peter John Maridable on Unsplash)
Nächste Woche ist Christi Himmelfahrt. Ich bin weiter als sonst mit meiner Vorbereitung, weil wir gestern schon alles für die Evangelische Morgenfeier am 26. Mai (10:30 auf Bayern 1) aufgenommen haben. Ich habe ganz bewusst den Text aus der Perikopenordnung genommen, weil ich den Eindruck habe, der ist aktueller denn je. Hierist die Extended Version.
Nachts fühlt sich so manches anders an als am Tag. Ich erinnere mich, wie ich als Kind manchmal nachts fiebernd und schweißgebadet aufwachte: Mein dunkles Kinderzimmer schien in diesen Augenblicken immer größer zu werden und ich immer kleiner. In meinen Ohren klang ein Brummen und Dröhnen, das lauter wurde und dann wieder nachließ. Irgendwann schlief ich wieder ein, und wenn ich am Morgen aufwachte, war es hell, das Fieber hatte nachgelassen und ich war wieder normal groß. Aber der nächtliche Schatten war nicht sofort wieder weg. So wie auch heute auf diesen Frühlingstagen für viele Menschen ein Schatten liegt.
Nachts, wenn alles still ist und die Geschäftigkeit des Alltags uns nicht ablenkt, sehen und empfinden wir anders als am Tag. Mitten in der Nacht wirft der jüdische Weise Daniel einen Blick auf die Welt. Albtraumhafte Szenen erscheinen vor seinem Auge. Ich kann mir gut vorstellen, dass auch Daniel gefühlt immer kleiner wurde beim Hinsehen:
Ich sah vier Winde.
Die kamen aus den vier Himmelsrichtungen und wühlten das große Meer auf.
Aus dem Meer stiegen vier große Tiere herauf, jedes anders als die anderen.
Das erste Tier war einem Löwen ähnlich und hatte Flügel wie ein Adler.
Ich sah, wie ihm seine Flügel ausgerissen wurden.
Es wurde vom Boden aufgehoben und wie ein Mensch auf seine Füße gestellt.
Ihm wurde menschlicher Verstand gegeben.
Dann sah ich ein zweites Tier.
Dieses Tier ähnelte einem Bären, und es stand an einer Seite aufrecht.
In seinem Maul hatte es drei Rippen, sie waren zwischen seinen Zähnen.
Man sagte zu ihm: »Steh auf, friss viel Fleisch!«
Dann sah ich ein anderes Tier, das einem Panther ähnelte.
Auf seinem Rücken hatte es vier Flügel, die aussahen wie die Flügel eines Vogels.
Es hatte vier Köpfe, und ihm wurde Macht gegeben.
Dann sah ich in der nächtlichen Vision ein viertes Tier.
Es war fürchterlich, schrecklich und sehr mächtig. Seine Zähne waren groß und aus Eisen.
Es fraß und zermalmte alles, und was übrig blieb, zertrat es mit den Füßen.
(Daniel 7,2-7 Basisbibel)
Sturm wühlt das Meer auf, und nacheinander kriechen aus dem Hexenkessel vier Monster ans Ufer. Schaurige Mutanten sind sie, aus Raubtierteilen zusammengeschustert. Gier, Gewalt und Verwüstung geht von ihnen aus. Und das letzte ist das Schlimmste.
Aber ich stolpere schon vorher beim Lesen: Der Bär hat nämlich ungeheuren Appetit auf Fleisch und wird darin noch kräftig bestärkt. Gab es damals schon eine Ahnung davon, was unser exzessiver Fleischkonsum an Verwüstung anrichten würde – von der Rodung des Regenwalds und der Gewalt gegen indigene Völker über den Methan-Ausstoß der Rinder, die Nitratbelastung der Gewässer, die Qualen der Massentierhaltung und die Geschäftspraktiken von Tönnies und Kollegen?
Wahrscheinlich bin ich auch nicht der einzige, dem zu dem Bären, spätestens aber zu dem Tier mit den eisernen Zähnen, das alles zermalmt und zertrampelt, die Berichte über die Verwüstungen durch Putins Truppen in der Ukraine einfallen. Als dieser Krieg vor einem Vierteljahr begann, hörte ich von vielen Seiten: „Das ist ein Albtraum! Kann ich bitte wieder aufwachen? Am liebsten in den Neunzigern, nach dem Mauerfall, als die Welt fast von selbst besser zu werden schien und Friede und Demokratie überall auf dem Vormarsch waren…!“
Manchmal kommt es mir so vor, als käme gerade ein Monster nach dem anderen um die Ecke: Erst sorgt die Finanzkrise weltweit für Armut und leere Sozialkassen, dann bringt die Demokratiekrise vielerorts rechte Autokraten an die Macht. Im mächtigsten Land der Welt führt das zum Sturm aufs Kapitol. Derweil fegt eine Pandemie über den Globus, die viel Not verursacht und den Zusammenhalt weiter schwächt. Und just in dem Moment, als das Schlimmste ausgestanden scheint und wir uns endlich um die Klimakrise kümmern wollten (die sich immer weiter verschärft!), bricht der nächste größenwahnsinnige Despot einen sinnlosen Krieg vom Zaun. Mit unabsehbaren Folgen für die ganze Welt. Aufwachen in einer heilen Vergangenheit? Träum’ weiter.
Die Welt steht in Flammen, singt Sarah McLachlan, und es geht über meine Kräfte. Herzen sind erschöpft in diesen düsteren Zeiten. Das Licht ist erloschen über Lebenden und Toten, aber ich versuche, mich zusammenzureißen.
Das kleine Horn mit der großen Klappe
Mitte des zweiten Jahrhunderts vor Christus ist Daniels monströser Albtraum kein Traum mehr, sondern knallharte Realität. Nachdem die Heere der Babylonier, Meder, Perser und Alexanders des Großen Israel überrollt hatten, entweiht der syrische König Antiochus IV den jüdischen Tempel. In Daniels Traumwelt hört sich das so an:
Ich betrachtete die Hörner. Plötzlich wuchs zwischen ihnen ein anderes, kleines Horn hervor. Da wurden drei von den ersten Hörnern ausgerissen.
Auf dem Horn waren Augen, die den Augen eines Menschen ähnelten. Es hatte einen Mund, der großspurig redete.
(Daniel 7,8)
Was da gerade vor aller Augen in Jerusalem Wirklichkeit wird, lässt sich nur noch mit grotesken Bildern beschreiben. Das Staatsoberhaupt einer Mittelmacht hält sich für Gott und ist doch nur der Pickel auf dem Kopf des alten Drachen. Aus dieser luftigen Höhe heraus schwingt er sich zu großen Reden auf. Fake News, Lügen, Drohungen, Hassreden, Propaganda. Maßlose Selbstüberschätzung.
Die Bibel beschreibt all das in diesen grellen Bildern, weil die Wirklichkeit so grotesk ist. Es ist grotesk, dass wir so viel über das höllische Ausmaß der Klimakrise wissen, aber den Hintern nicht hochkriegen. Mich hat das umgetrieben, wie erschreckend treffend der Film „Don’t Look Up“ dieses kollektive Versagen aufs Korn nimmt: Eine beißende Satire über Forscher, die einen Asteroiden entdecken, der auf die Erde zurast. Nach einigem Hin und Her werden sie ins Fernsehen eingeladen, um ihre Entdeckung zu erläutern. Aber statt ernsthaft über die zu erwartenden Folgen dieser Kollision zu reden, bekommen sie zu hören: „Keep it light, fun!“ – „Sagen Sie es leicht und lustig!“ Und als eine von beiden vor laufender Kamera traurig und emotional reagiert, weil niemand im Studio die Gefahr erst nimmt, wird sie als hysterische Spinnerin abgestempelt.
Die Welt brennt, und ich pack’s nicht mehr. Lustig und leicht war gestern. Nicht darüber reden zu können, wie es mir damit geht, wenn der Albtraum Wirklichkeit wird, ohne verhöhnt oder beschimpft zu werden, macht alles noch schlimmer. Hier im Buch Daniel (und in anderen apokalyptischen Texten der Bibel) finde ich die befreiende Erlaubnis: Blick den Monstern ins Auge, die über unsere Welt herfallen. Blick deiner Angst, deiner Wut, deiner Verzweiflung ins Auge. Für wie viele ist das Leben ein täglicher Albtraum. Durch Wegschauen oder Abwiegeln wird nichts besser. Das haben die letzten Monate und Jahre eindrücklich gezeigt.
Aber woher soll dann Hoffnung kommen in düsteren Zeiten?
Elons Himmelfahrt
Apropos „Großspurig reden“: Auch die Sonnenkönige des 21. Jahrhunderts, die Superreichen und HighTech-Gurus lassen sich gern als Hoffnungsträger feiern. Allen voran Tesla-Gründer Elon Musk, der sich mit Twitter gerade sein privates Sprachrohr kauft. Dann kann er weiter ungehindert Börsenkurse abstürzen lassen und andere durch Gehässigkeiten einschüchtern. Mit seiner Riesenrakete Starship X will Musk nun den Mars besiedeln. Nicht weil es da so schön wäre – er hat es eilig, von hier wegzukommen. Die Erde ist für ihn ein sinkendes Schiff. Im Februar sagte er:
Wir müssen die Gelegenheit ergreifen, und zwar so schnell wie möglich. Um ehrlich zu sein, Zivilisation fühlt sich gerade ziemlich zerbrechlich an.
„Elons Himmelfahrt“ ist freilich nur den Wenigen vorbehalten, die über das entsprechende Kleingeld oder Beziehungen verfügen. Alle anderen bleiben zurück auf der ausgeplünderten Erde. In Sachen Hoffnung ist dieser Kaiser doch ziemlich nackt.
Mit dem Schlenker ins Satirische, zum kleinen Horn mit der großen Klappe, bahnt sich im Nachtgesicht des Daniel die Wende an. Dieser Galgenhumor schafft Distanz zu dem, was mich bedroht. Und schräge Verfremdungen der Wirklichkeit haben seit je her Hochkonjunktur, wenn Whistleblower und Mahner mundtot gemacht werden.
Als ob
Der russische Autor Vladimir Sorokin hat so eine Szene für unsere Zeit erfunden. In seiner Erzählung „lila Schwäne“ versammelt sich die russische Elite vor der Höhle eines alten Einsiedlers. Der verschrobene Vater Pankrati ist ihre letzte Hoffnung. Denn über Nacht haben sich alle russischen Atomsprengköpfe in Zuckerhüte verwandelt. Einer der Gesandten, Alex, erklärt das Problem:
„Ihr wisst, wo wir alle leben in welchem Land, welchem Staat. Hier ist alles als ob. Ruhe – als ob, Freiheit – als ob, Gesetze – als ob, Ordnung – als ob, … Kirche – als ob, Kindergarten – als ob, Schule – als ob, Parlament – als ob, Gerichte – als ob … Rente – als ob, Käse – als ob, Frieden – als ob, Krieg – als ob. … Echt ist bei uns nur dieser Sprengkopf. Nur dieses Uran, das Lithiumdeuterit. Das funktioniert. Wenn auch das noch zum Als-ob wird, dann ist gar nichts mehr da. Nur noch eine große Leere.“ (V. Sorokin, Die rote Pyramide, S. 130)
Sorokin hat die „Lila Schwäne“ vor dem Überfall auf die Ukraine geschrieben. Aber sein „als-ob“ trifft den Nagel auf den Kopf: Wir haben Wladimir Putin behandelt, als ob er ein verlässlicher Partner mit etwas seltsamen Ansichten wäre. Er ist es nicht. Wir haben so getan, als ob seine Kriegsverbrechen und seine Morde in Syrien, Luhansk, Berlin und London uns egal sein könnten. Sie waren nicht egal. Politiker, Generäle und Stammtisch-Strategen behandelten die Ukraine und ihre Regierung, als ob sie hoffnungslos unterlegen wäre und dem russischen Ansturm nicht mehr als ein paar Tage standhalten könnte. Sie ist es nicht.
Die Monster gebärden sich, als ob die Welt ihre Beute wäre. Sie ist es nicht. Der König redet, als ob er Gottes Stellvertreter auf Erden wäre. Er ist es nicht. Und Daniels Traum ist noch nicht zu Ende.
Die Zeitenwende
Szenenwechsel. Die Bühne wird umgebaut, vom Schlachtfeld zum Gerichtssaal. Der Vorsitzende lässt die Akten kommen. Die Gräueltaten der Angeklagten sind darin lückenlos dokumentiert. Das Urteil fällt – keine große Überraschung – vernichtend aus.
Ich sah, dass Throne aufgestellt wurden und der Hochbetagte sich setzte.
Seine Kleidung war weiß wie Schnee, und sein Kopfhaar war wie reine Wolle.
Sein Thron bestand aus lodernden Flammen, und dessen Räder waren aus Feuer.
Ein Strom aus Feuer floss von ihm weg.
Tausendmal Tausend dienten ihm, eine unzählbare Menge stand vor ihm.
Es wurde Gericht gehalten, und Bücher wurden geöffnet.
Ich sah hin, weil das Horn so großspurig redete.
Da sah ich, dass das Tier getötet wurde.
Sein Körper wurde vernichtet und dem brennenden Feuer übergeben.
Auch den übrigen Tieren wurde ihre Macht genommen.
Denn die Länge ihres Lebens war auf die Stunde genau festgesetzt.
(Daniel 7,9-12)
Israels Gott erscheint auf der Bühne. Hat J.R.R. Tolkien sich hier seinen Gandalf abgeschaut? Von Altersschwäche jedenfalls keine Spur: Grenzenlose Energie geht von diesem kosmischen Kraftzentrum aus. Als flösse Lava die Abhänge eines Vulkans herab. Alles, was sich dem glühenden Strom in den Weg stellt, wird von dieser Naturgewalt weggerissen und geht unter.
Das ist das Schicksal aller Gewaltherrscher. Ihre Macht ist endlich, auch wenn sie so tun, als ob sie Götter wären. Ihre Zeit ist begrenzt. Die Saat ihres Zusammenbruchs und Untergangs ist schon ausgestreut. Die bitteren Früchte werden früher oder später reifen. Und sie werden sich daran verschlucken. Es mag länger dauern oder kürzer, aber irgendwann ist Schluss.
Wir Protestanten tun uns mit dem Gedanken an ein göttliches Weltgericht ein bisschen schwer. In unserer Genen steckt der Widerspruch gegen jede Form von Kirche, die Menschen einen unbarmherzigen, furchteinflößenden Gott vor Augen malt. Und ihnen wegen Nichtigkeiten mit Höllenqualen droht, um sie gefügig zu machen.
Am Ende kam ein Gott heraus, der in seiner Harmlosigkeit wunderbar in unsere bürgerliche Kirche passt: Eine Art milder, fürsorglicher Onkel. So lange es halbwegs anständig zugeht, lässt er die Dinge laufen. Wenn es Streit gibt und laut wird, mahnt er alle Beteiligten zur Ruhe. In die Politik mischt er sich selten ein, weil es da ständig Streit gibt. Und weil es da um Geld geht – für das er sich auch nicht recht interessiert, so lange die Reichen gelegentlich spenden für Kinder in Afrika. Wenn aber wirklich böse und schreckliche Dinge geschehen, steht dieser liebe Gott genauso erschüttert und überfordert da wie wir.
Je länger ich dagegen in Daniels Traum lese, desto mehr habe ich den Eindruck: Gott ist wie eine Menschenrechtsanwältin, die mit geballter Faust in der Tasche ihren Schützlingen zuhört. Die sich kaum Schlaf gönnt und zu viel Kaffee trinkt, weil sie unermüdlich Verbrechen gegen die Menschlichkeit dokumentiert, Täter und Auftraggeber identifiziert, Vertuschungen entlarvt.
Macht und Menschlichkeit
In der nächtlichen Vision sah ich einen, der mit den Wolken des Himmels kam.
Er sah aus wie ein Menschensohn.
Er kam bis zu dem Hochbetagten und wurde vor ihn geführt.
Ihm wurden Macht, Ehre und Königsherrschaft gegeben.
Die Menschen aller Völker, aller Nationen und aller Sprachen dienen ihm.
Seine Macht ist eine ewige Macht, sein Königreich wird nicht zugrunde gehen.
(Daniel 7,13-14)
Einer, der aussieht wie ein Mensch, bekommt die Macht übertragen. Menschliche statt unmenschliche, monströse Machtverhältnisse – daran sind die Völker und Reiche der Welt zu oft gescheitert. Nun kümmert sich Gott selbst darum und präsentiert seinen Kandidaten für das Amt des Friedenskönigs.
Mehr als 200 Jahre nach Daniels Monstern erscheint einem verfolgten Christen auf der Insel Patmos wieder einer, der aussieht, wie ein Menschensohn. Er kommt mit den Wolken, Haare und Gewand sind leuchtend weiß, sein Blick ist voll Feuer und seine Füße glühendes Erz. Der Hochbetagte und der Menschensohn aus Daniels Traum sind nun zu einer Gestalt verschmolzen. Und die sagt:
»Hab keine Angst. Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige.
Ich war tot, aber sieh doch: Ich lebe für immer und ewig.
Und ich habe die Schlüssel, um das Tor des Todes und des Totenreichs aufzuschließen.«
(Offenbarung 1,18)
Christi Himmelfahrt – das bedeutet nicht, dass sich Jesus auf einen anderen Planeten beamt. Gottes Himmel ist nicht Lichtjahre entfernt, sondern so nahe wie die Luft, die mich umgibt. Er sieht und hört mich – aber eben nicht nur mich, sondern alle Menschen, überall. Und nimmt Anteil an allem, was mich freut und was mich quält.
Himmelfahrt, das ist aber auch der wahre Albtraum aller Menschenschinder: Ein zu Tode Gefolterter holt die anderen Gewaltopfer aus den Gefängnissen und den Gräbern. Und die Täter müssen ohnmächtig zusehen. Alle ihre Verbrechen kommen ans Licht, alle ihre Lügen fliegen auf. Gott wird „die verderben, die die Erde verderben.“ (Offb. 11,18), weiß der Seher Johannes. Die Gewalt gegen die Mitgeschöpfe, die von ihnen ausgeht, fällt auf sie zurück. In Gottes Gericht spielt auch Ökologie eine große Rolle.
Himmelfahrt ist ein trotziger Feiertag. Für alle, die unter Gewalt und Vernachlässigung leiden, lautet die Botschaft: Auch wenn es im Augenblick nicht so aussieht – das Böse wird ein Ende haben, und die es tun (oder davon profitiert haben) werden sich verantworten müssen. Jeder einzelne. Wenn du klagst, dich fürchtest oder weinst – Gott hält dich definitiv nicht für hysterisch.
Und für mich und alle, die gerade das Glück haben, in relativer Sicherheit schlafen zu können, heißt es: Steck den Kopf nicht in den Sand. Geh der Traurigkeit und dem Schrecken nicht aus dem Weg. Mut und Hoffnung gedeihen auch mitten unter den Albträumen unserer Zeit.
Das englische Wort Awesome bedeutet unter anderem „furchteinflößend“, „fantastisch“, „eindrucksvoll“, „überwältigend“. Für Rich Mullins (oft kopiert, nie erreicht) beschreibt das alles zusammen, wie wir uns Gott vorstellen können.
In den letzten Wochen, seit dem Angriff auf die Ukraine, haben wir viel und auch kontrovers über Gewaltlosigkeit diskutiert. Was hätte Walter Wink wohl zu dem allen gesagt? Hier ein Zitat aus „Engaging the Powers“, das ich kürzlich beim Blättern wieder entdeckt habe. Das Buch erschien nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und atmet erkennbar den Optimismus der frühen 90er im Blick auf eine immer demokratischer werdende Welt. Aber es gibt dort auch Sätze wie diese:
»The truth is, nonviolence generally works where violence would work, and where it fails, violence too would fail. Neither might have been effective in Stalin's Russia (!), and neither has succeeded so far in Burma. … There may be situations so extreme that one cannot conceive of any alternative to violence. Even where no nonviolent alternative seems feasible, however, most aggressive, violent options will be worse. But time may come when an oppressive power has squandered every opportunity to do justice, and the capacity of the people to continue suffering snaps. Then the violence visited on a nation is a kind of apocalyptic judgement that leaves no one unscathed. … Christians have no business judging those who take up violence out of desperation. The guilt lies with those who turned justice aside and did not know the hour of their visitation.«
Wink konnte damals den Kampf der Sandinistas in Nicaragua auch verständnisvoll kommentieren. Er hoffte freilich auch, dass Daniel Ortega und seine Mitstreiter die Waffen bald niederlegen und ausmustern würden. Der Fortgang der Geschichte gibt ihm in seiner Skepsis Recht: Ortega mutierte (wie etliche vor ihm) vom linken Rebellen zum Despoten und Begründer einer Familiendiktatur. Wer also einmal mit Gewalt zum Ziel gekommen ist, wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit immer wieder versuchen.
Wink schrieb von einem apokalyptischen Gericht. Nach dem Ende des ersten Weltkrieges schrieb – passend dazu – William Butler Yeats in „The Second Coming“:
Things fall apart; the centre cannot hold;
Mere anarchy is loosed upon the world,
The blood-dimmed tide is loosed, and everywhere
The ceremony of innocence is drowned;
The best lack all conviction, while the worst
Are full of passionate intensity.
Alles fällt, entgleitet, keine Mitte hält.
Anarchie stürzt auf die Erde los.
Flut dunklen Blutes stürzt und schwemmt
der Unschuld Feier überall hinweg.
Die Edlen lähmt erloschner Glaubenssinn,
Glut der Inbrunst macht die Wilden heiß.
Gestern vor zehn Jahren starb der Theologe Walter Wink. Vielen Dank an Benjamin Isaak-Krauß und Martin Horstmann für den Anstoß, aus diesem Anlass einmal kurz zusammenzufassen, was ich von ihm gelernt habe. Und ebenso an alle, die das Online-Gedenken mit persönlichen Beiträgen bereichert haben!
Als ich im Januar 1999 Walter Winks Powers-Trilogie verschlang – anders kann ich es nicht beschreiben – hatte ich schon einige Jahre hinter mir, in denen mich die Frage umtrieb,
warum so viele Erneuerungsbewegungen in Kirche und Gesellschaft versandeten oder in dem Augenblick konservativ wurden, als sie Einfluss und Macht bekamen,
warum so viele Reformer auf erbitterten Widerstand trafen – nicht nur, wenn sie Fehler machten, sondern erst recht, wenn sie das Richtige taten und sagten
warum sich eine überwältigende Mehrheit von Unterdrückten nicht gegen eine kleine (freilich brutale, skrupellose) Mehrheit nicht öfter durchsetzen kann (damals war es das postsowjetische Russland mit Mafia und Oligarchen).
Ich war im Zuge meiner Promotion über den bayerischen Neulutheraner Gottfried Thomasius auf den Begriff des „Gemeingeistes der Kirche“ gestoßen. Thomasius knüpfte an Schleiermacher und Zinzendorf an, aber für ihn war der Gemeingeist der Kirche, der ihre Entwicklung über Generationen und Jahrhunderte hinweg prägte, weder mit dem Geist Gottes identisch, noch ein rein anthropologisches Phänomen. Sondern etwas drittes.
Das passte zu der Beobachtung, dass es im Alten und Neuen Testament die Vorstellung einer „Corporate Personality“ gab, und es korrespondierte mit dem Begriff „Corporate Identity“ in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der 90er Jahre. Da ging es nicht nur um Logos und Briefpapier, sondern auch um die Frage, ob eine Firma oder Institution wegen sexueller Übergriffe verklagt werden kann, die dort – vom System begünstigt und geschützt – geschehen.
Im neupfingstlich-charismatischen Spektrum hatte ich eher fragwürdige Formen des „geistlichen Kampfes“ kennengelernt, die auf einer spiritualistischen Weltsicht beruhten: Die Welt als Spielplatz von Geistwesen, die durch die Luft schwirrten. Individuelle und kollektive Besessenheiten wurden da diagnostiziert (oder postuliert?), und es blieb den Erleuchteten und Vollmächtigen überlassen, die Dämonen auszutreiben. Freilich gab es auch dort besonnenere, differenzierte Stimmen. Etwa den Neuseeländer Tom Marshall, der eine Verbindung zwischen dem Politischen und dem Spirituellen beschrieb.
Bei Wink stieß ich auf etliche Schlüsseleinsichten:
Die ganze Wirklichkeit ist geist-leiblich. Es gibt keine leib- und gestaltlosen himmlischen Mächte, aber alles Soziale und Materielle hat auch eine geistig-geistliche Dimension.
Soziale Strukturen und Systeme sind „gefallen“ in dem Sinn, dass sie den Selbsterhalt über das Gemeinwohl stellen. Sie können erlöst werden, aber auch ins Dämonische kippen.
Menschen erleben die Konfrontation mit überindividuellen Mächten entweder als Erfahrung von Ohnmacht und Resignation oder als wahnhafte, berauschende Überlegenheit ihres Kollektivs (Aufmärsche, Pogrome, Propagandainszenierungen).
Die Konfrontation zwischen Reich Gottes als „Domination Free Order“ und Welt als „Dominiaton System“, die den Gedanken an ein christliches Imperium als Irrweg und Täuschung entlarvt und die Skepsis des frühen Mönchtums und der Täufer gegen weltliche Macht in Kirchenhand bekräftigt.
Eine nicht-triumphalistische Ekklesiologie: Die christliche Kirche kann und wird die Mächte der Welt nicht immer (schon gar nicht sofort) bezwingen. Ihre Rolle (und ihre Größe) liegt, wie Wink unter Verweis auf Ignatius von Antiochien immer wieder betont, darin, dass sie von den Mächten gehasst wird, weil sie ihnen den Spiegel vorhält und ihre falschen Ansprüche entlarvt.
Wink war für mich immer eine prophetische Gestalt, aber erst ein Blick in seine Autobiographie „Just Jesus“ hat mir den visionären Charakter seiner Theologie erschlossen und die poetische Kraft seiner Sprache verständlich gemacht. Er beschreibt darin eine intensive Geisterfahrung, die er als Student während der Ferienarbeit in einer Pfingstgemeinde in Oregon hatte, und an die er später als Dozent an der Universität nach Jahren der Sprachlosigkeit wieder anknüpfen konnte.
Vor allem ist dieser poetisch-prophetische Impuls in seinen Ausführungen zum Gebet spürbar zu Fürbitte und dem Lob Gottes. Und in der mystischen Erfahrung des Sterbens mit Christus gegenüber den Powers that Be.
Die Welt hat sich seit den Neunzigern massiv verändert. Wir müssen Winks Theologie weiterdenken und fortschreiben: Wie gehen wir mit Desinformation und Hass im digitalen Zeitalter um? Wie leben wir im Angesicht der Mächte des globalen Finanzkapitalismus, der sich demokratischen Kontrollen entzieht, und der Superreichen, die ihre obszönen Gewinne in Steueroasen verstecken? Was haben wir den Mächten und Gewalten des Anthropozäns entgegenzusetzen, die Klimakatastrophe und Artensterben verursachen? Und wie kann gelebte Spiritualität Menschen ermächtigen, die sich all dem gegenüber ohnmächtig fühlen und überfordert sind?
In Kriegszeiten zerfällt die Welt in Freunde und Feinde, Helden und Feiglinge. Wer sich nicht sofort und eindeutig auf eine Seite schlägt, gerät in Verdacht, ein Verräter zu sein. Verräter werden „ausgespuckt wie eine Mücke, die einem in den Mund geflogen ist“, drohte jüngst Wladimir Putin allen, die seinen Vernichtungskrieg nicht unterstützen und seine Propaganda anzweifeln.
Freilich gibt es auch in Friedenszeiten solche Erlebnisse: Ich vertraue jemandem, und der lässt mich hängen oder fällt mir in den Rücken. Unter Freunden ist das ganz besonders bitter. Berühmt ist die Klage von Martin Luther King über das Schweigen der Freunde.
Nun ist Petrus nicht der typische Verräter: Er lässt sich nicht kaufen, er schleicht sich nicht ins Vertrauen. Als Jesus verhaftet wird, zieht er sogar das Schwert und will kämpfen – was Helden halt so tun. Jesus stoppt ihn und lässt sich widerstandslos abführen. Petrus schleicht hinterher. Am Feuer im Hof des Hohepriesters wird er erkannt und angesprochen. Er streitet er ab, irgendetwas mit diesem ohnmächtigen, gar nicht heldenhaft-souveränen Jesus zu tun zu haben. Danach versteckt er sich wie die anderen Jünger. Den Weg zum Kreuz geht er nicht mehr mit.
Petrus, der Fels, ist zu Treibsand zerbröselt. Simone Weil, die große Mystikerin und Aktivistin, hat über diese Szene geschrieben: „Man stirbt für das, was stark, nicht für das, was schwach ist, oder zumindest für etwas, das in seiner augenblicklichen Schwachheit einen verklärenden Glanz der Stärke bewahrt. Zu sterben für das, was stark ist, nimmt dem Tod seine Bitterkeit. Und, gleichzeitig, seinen ganzen Wert.“
Wenige Tage nach Ostern ist Petrus wieder dort, wo alles anfing mit Jesus, am See Genezareth. Der Auferstandene erwartet seine Jünger, früh am Morgen. Er hat Feuer gemacht und Fisch gebraten. Petrus erkennt ihn vom Boot aus, stürzt sich ins Wasser und schwimmt ans Ufer.
Nach dem Frühstück sagte Jesus zu Simon Petrus: »Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr als irgendein anderer hier?« Er antwortete ihm: »Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe.« Da sagte Jesus zu ihm: »Sorge für meine Lämmer!« Dann fragte er ihn ein zweites Mal: »Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich?« Petrus antwortete: »Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe!« Da sagte Jesus zu ihm: »Führe meine Schafe zur Weide!« Zum dritten Mal fragte er ihn: »Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb?« Da wurde Petrus traurig, weil er ihn zum dritten Mal gefragt hatte: »Hast du mich lieb?« Er sagte zu Jesus: »Herr, du weißt alles! Du weißt, dass ich dich lieb habe!« Da sagte Jesus zu ihm: »Sorge für meine Schafe! (Joh 21,15-17)
„Nach dem Frühstück“ – als erstes gibt Jesus dem Verräter etwas zu essen. Und einen Platz am wärmenden Feuer. Am Feuer hat Petrus ihn verleugnet; nun sitzen sie hier gemeinsam mit den anderen.
Aber die beiden haben sich noch nicht ausgesprochen. All die Scham über Petrus’ Versagen ist noch da. Da fragt ihn Jesus: „Liebst du mich mehr als irgendein anderer hier?“ Mehr als alle anderen, so redet der übermotivierte Petrus von früher. Der Petrus von heute hört die Anspielung auf seine Fallhöhe heraus und antwortet: „Du weißt, dass ich dich lieb habe“. Mehr als – das kommt ihm nicht über die Lippen. Das heroische Pathos ist weg. „Zu Christus sagen: ich werde dir treu bleiben, hieß schon, ihn verleugnen; denn es hieß annehmen, der Urquell der Treue entspringe in einem selbst und nicht in der Gnade,“ schreibt Simone Weil.
Aber es geht auch für Jesus in diesem Gespräch um etwas Wichtiges. Seine Frage an Petrus ist: Ich habe dir vergeben, aber kann ich mich auf dich verlassen? Er hört die Einsicht in der Antwort des Petrus und sagt: „Sorge für meine Lämmer“ – führe das weiter, was ich begonnen habe.
Jesus fragt Petrus noch einmal, ob er ihn liebt. Und ein drittes Mal. Spätestens jetzt begreift Petrus, dass Jesus um die dreimalige Verlegung weiß. Und ihm schon vergeben hat, bevor er darum bitten konnte. Er antwortet: „Herr, du weißt alles! Du weißt, dass ich dich lieb habe!“
Sinngemäß fragt Jesus: Liebst du mich, auch wenn ich dich durchschaue und an deinen schwärzesten Moment erinnere? Denn nur so bist du bereit, dein Leben einzusetzen – nicht für trügerische Stärke, sondern für schwache Menschen, wie du selbst einer bist. Wenn dein Verrat diese Selbsterkenntnis bewirkt hat, dann trennt er uns nicht mehr, sondern schweißt uns zusammen.
An der Via Appia in Rom gibt es eine kleine Marienkirche Santa Maria in Palmis, die durch den Roman (und später Film) „Quo Vadis“ bekannt wurde. Im Fußboden der Kirche ist altes römisches Straßenpflaster zu sehen und auf einem hervorgehobenen Marmorblock zwei Fußabdrücke. Der Legende nach stammen sie von Jesus, der an dieser Stelle dem Petrus begegnete. Der war gerade dabei, vor dem drohenden Martyrium davonzulaufen, aber dann machte er kehrt und folgte Jesus zurück in die Stadt.
Als ich letzte Woche dort stand, fielen mir die folgenden Worte von Brian McLaren wieder ein:
Am meisten zählt unser Ja, wenn wir ungerechte Behandlung statt Lob erfahren für unsere Mühen. Deshalb ist das Thema des Leidens für gute Taten so zentral in allen unseren spirituellen Traditionen. Ja zu sagen zum Tun des Guten und dann ignoriert zu werden, Ja zu sagen zum Tun des Richtigen und dann missverstanden und kritisiert zu werden, Ja zu sagen zum Handeln aus Liebe und dann geschmäht und sogar gekreuzigt zu werden – das ist das Terrain, auf das wir eines Tages alle eingeladen werden. Das ist das Ja des nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe.
Ich hatte beides gelesen und war bei Kramer über den Widerspruch gestolpert, dass er der Ukraine zwar das Recht auf Selbstverteidigung einräumt, Waffenlieferungen jedoch strikt ablehnt. Wenn die Ukrainer das wollen und dürfen, dann ist m.E. auch die Unterstützung vertretbar.
Dudouet referiert die gängigen Begründungen für gewaltfreien Widerstand. Die Beispiele, die sie bringt, sind bekannt, aber einen Kommentar zum Scheitern der friedlichen Opposition in Syrien oder Belarus (für mich die naheliegendsten Vergleichspunkte zur Ukraine) vermisse ich auch hier. Das war ja schon vor 6 Wochen meine Frage.
Auch eine Ikone der Gewaltlosigkeit nimmt Lobo aufs Korn – Mahatma Gandhi. Der hatte 1938 den Juden in Deutschland geraten, Hitler gewaltlos entgegenzutreten und ihn durch Mut und Integrität umzustimmen. Nicht nur Lobo hat mit Gandhis Dogmatismus hier Mühe, sondern auch Martin Buber, der dem Grundgedanken der Gewaltfreiheit nicht abgeneigt war. Er schätzte nur die Situation besser ein: Da war ein skrupelloser Diktator zum Genozid fest entschlossen. Buber schrieb an Gandhi, aber seine Einwände blieben – ganz untypisch für Gandhi – unbeantwortet, wie Jyotirmaya Sharma dem ORF erklärt (Nachtrag: Vielleicht war Gandhi ja auch ein genialer Praktiker, der seine Theorie oder prinzipiellen Aussagen dann etwas überdehnte?).
Die Streitfrage zwischen Buber und Gandhi, zwischen Lobo und Kramer/Dudouet lautet also, ob Gewaltfreiheit immer und unter allen Umständen der beste Weg ist. Dass sie in den meisten Fällen einem bewaffneten Kampf vorzuziehen ist, ist damit gar nicht bestritten. Ebenfalls steht nicht in Frage, dass es für einen echten Frieden mehr braucht als einen militärischen Erfolg. Und keinesfalls kann es darum gehen, einen Krieg religiös zu bemänteln, wie das Patriarch Kirill gerade tut, oder Kriegsschiffe mit Reliquien auszurüsten.
Etliche Stimmen haben in den letzten Wochen darauf hingewiesen, dass die meisten von uns den Einsatz von Polizeigewalt gegenüber Bullies und Gangstern für gerechtfertigt halten. Gegen Rechte und Querdenker hätten sich viele ein robusteres Eingreifen zum Schutz der demokratischen Institutionen gewünscht. Und jetzt stehen wir vor der Frage, ob das für die Staatengemeinschaft nicht in ähnlicher Weise gilt. Das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ermittelt ja schon. Nur fehlt dem die Polizei, die das Morden stoppt und die Schuldigen festsetzt.
Auf der anderen Seite wissen wir alle, dass Polizeigewalt eben auch schnell aus dem Ruder laufen kann. Wir Deutschen sind da notorisch schlecht in der Aufarbeitung. Und die EU hat ein Riesenproblem mit Frontex. Das ist das bleibende Wahrheitsmoment des Pazifismus: Auch gerechtfertigte, legitime Gewalt verändert die, die sie ausüben. Gesunde Hemmungen werden herabgesetzt, und indem es den Täter mit dessen Mitteln bekämpft, wird das Opfer ihm in gewisser Weise ähnlich.
Es ist gefährlich, einen gerechten Krieg zu gewinnen. Mit der Erinnerung, dass wir „die Guten“ waren, lässt sich der nächste, nicht mehr ganz so gerechte Krieg viel leichter vom Zaun brechen. An den Siegermächte des Zweiten Weltkrieges lässt sich das gut ablesen, die Spur reicht von Vietnam bis in den Irak. Russland, das sich als Siegermacht im Osten sieht, hat 2016 den Internationalen Strafgerichtshof verlassen. Aber auch die USA und Israel haben den Vertrag bisher nicht unterzeichnet – zusammen mit Pakistan, Indien, China, Iran und der Türkei.
Auch wenn wir uns über die Waffenlieferungen an die Ukraine nicht einigen werden, wäre das ja eine Frage, die alle angeht: Wie helfen wir den derzeitigen Kriegsparteien – vor allem natürlich der Ukraine – die Wunden der erlittenen Gewalt zu heilen und die Folgen der verübten Gewalt konstruktiv und gründlich zu verarbeiten? Welche Fähigkeiten sind gefragt, welche institutionellen Rahmenbedigungen werden wir dafür brauchen, und wie können wirdas jetzt schon auf den Weg bringen?
In Kürze dann wieder weiter mit Judith Butler. Vielleicht hat sie uns zu dieser Frage noch etwas zu sagen.
Die letzten Tage haben gezeigt, dass der Krieg in der Ukraine wohl als Genozid eingestuft werden muss. Nach den Erfahrungen in den „Volksrepubliken“ auf dem Gebiet der Ostukraine seit 2014, den Verschleppungen, Foltergefängnissen und Ermordungen dort, hatten viele schon zu Kriegsbeginn darauf hingewiesen, dass das Grauen mit einer Kapitulation vor den russischen Angreifern keineswegs beendet wäre. Diese Einschätzung hat sich nun bestätigt. Sie entspricht der Kriegsrhetorik aus Moskau.
Mit der Frage der Betrauerbarkeit sind wir wieder bei Judith Butler. Der letzte Post ist schon eine Weile her, jetzt komme ich zum zweiten Kapitel, in dem sie fragt, was uns dazu bringt, das Leben anderer zu bewahren. Das bringt uns einerseits zurück zur Einsicht, dass Menschsein immer schon Beziehung zu und Abhängigkeit von anderen voraussetzt, und zur biopolitischen Frage, wessen Leben zählt und vor Zerstörung bewahrt werden soll. Trauer bedeutet, dass wir einen Verlust empfinden, und das verleiht dem, was verloren ist oder gehen könnte, einen Wert. Das lässt sich auch auf nichtmenschliches Leben ausweiten.
Ethische Reflexion, ob sie nun Kants kategorischem Imperativ oder konsequentialistischer Logik folgt, beruht auf Gedankenexperimenten, die in eine Art Verfolgungswahn führen können:
in beiden moralischen Experimenten stellen wir uns das eigene Handeln als das des anderen vor, als potenziell destruktiven Akt, der umgekehrt oder erwidert wird. Diese Vorstellung ist schwierig und verstörend, sie entzieht mir gleichsam mein eigenes Handeln. (S. 103)
Über die eigene Gewaltneigung als Handeln anderer zu phantasieren ist nicht immer eine hilfreiche Sache. Wir haben die eigene Vorstellungwelt nicht vollständig im Griff. Ich könnte auch zu der Überzeugung gelangen, dass ich dem Übergriff anderer zuvorkommen muss, und darüber völlig vergessen, dass es ja mein eigener destruktiver Impuls ist, der mir in fremder Gestalt begegnet. Butler zitiert dazu Sigmund Freud aus „Zeitgemäßes über Krieg und Tod“ von 1915 zum Dilemma von Todestrieb, Destruktivität und Moral:
Gerade die Betonung des Gebotes: Du sollst nicht töten, macht uns sicher, daß wir von einer unendlich langen Generationsreihe von Mördern abstammen, denen die Mordlust, wie vielleicht noch uns selbst, im Blute lag.
Während Freud skeptisch fragt, was (wenn überhaupt) uns davon abhält, anderen Gewalt anzutun (und ob der Versuch nicht zur seelischen Selbstzerfleischung führt), ist auch die umgekehrte, positiv formulierte Frage in der Psychoanalyse verhandelt worden. Zum Beispiel von Melanie Klein (1882-1960), der sich Butler nun zuwendet. Klein setzt sich mit Freuds Ansatz kritisch auseinander. Sie beschreibt Sympathie als Identifikation mit einer anderen Person. Das Glück anderer zu wollen kann zu Opfer und Verzicht führen. Aber ich habe auch Anteil an der Zufriedenheit des anderen, das entschädigt für den Verlust in gewisser Weise.
Fürsorge und Wiedergutmachung
Rollentausch und Stellvertretung (Butler spricht auch von Substitution in der moralischen Reflexion) können bei Klein auch den Charakter der Wiedergutmachung annehmen. Klein geht davon aus, dass in uns ständig eine Interakton von Liebe und Hass abläuft. Aus den Enttäuschungen und Verletzungen der Vergangenheit bleibt ein Groll auf die Eltern, der wiederum zu Schuldgefühlen führen kann, weil das Kind die Eltern ja auch liebt und Angst hat, sie zu verlieren. Verluste, Zorn und Schuld werden dadurch bearbeitet, dass ich anderen gegenüber die Rolle des fürsorglichen Elternteils einnehme. Butler sieht in Kleins Überlegungen die psychoanalytische Grundlage für eine Theorie der sozialen Bindung. Das soziale Band macht das Leben von Eltern und Kindern erst möglich. Butler folgert: „Das »Ich« lebt so in einer Welt, in der sich Abhängigkeit nur durch Selbstauslöschung überwinden lässt.“
Nicht erst der moralisch reflektierende Erwachsene, sondern schon jedes kleine Kind ist in der Lage, sich an die Stelle eines anderen zu setzen und umgekehrt. Abhängigkeit, Verluste, Entbehrungen, aber auch Liebe und Fürsorge gehören in dieses Verhältnis immer schon hinein:
"Ich liebe dich, aber du bist schon ich und trägst die Last meiner beschädigten Vergangenheit, meiner Entbehrung und meiner Destruktivität. Und ich bin ohne Zweifel dasselbe für dich und trage die Last der Strafe für das, was du nie bekommen hast. Wir sind füreinander immer schon mangelhafte Substitute für unabänderliche Vergangenheiten; keine von uns kann je wirklich das Verlangen überwinden, wiedergutzumachen, was nicht wiedergutzumachen ist. Und dennoch - hier sind wir, und hoffentlich trinken wir ein gutes Glas Wein zusammen." (S. 125)
Der letzte Satz ist die nahtlose Überleitung zum Gründonnerstag: Wein, Wunden und ein „Substitut“, das einerseits mangelhaft erscheint in seiner Schwäche und Verwundbarkeit, aus dem andererseits aber schon eine Hoffnung auf eine Wiedergutmachung spricht, die über eine bloße Kompensation und Reparatur hinausgeht. Zuvor beginnt morgen die Karwoche. Die Nachrichten aus den Kriegsgebieten werden so schnell nicht abreißen.
Bindung, Bruderkrieg und Bewältigung von Schuld
Butler schrieb in diesem Kapitel davon, dass der Wunsch, das Leben des anderen zu bewahren weniger aus dem hypothetischen Rollentausch kantischer oder konsequentialistischer Ethik folgt und auch nicht der Unterdrückung des Todestriebs durch die Strafandrohung des Über-Ichs zu verdanken ist. Noch vor aller Reflexion und vor allem Druck durch Moral und Gewissen ist da ein Bewusstsein vorhanden, dass mich meine Bedürftigkeit an den anderen bindet. Und dass ich aus dieser Bindung, unter der ich immer wieder auch leide, nur ausbrechen kann, indem ich mich selbst zerstöre.
Aggression und Todeswünsche sind wie Liebe und Fürsorge ein Grundbestandteil menschlicher Bindungen. Insofern ist ein „Bruderkrieg“ gar nicht so unwahrscheinlich, auch wenn wir uns das ungern ausmalen. Vielleicht sollten wir es uns auch gar nicht zu sehr ausmalen, weil sich der mehr oder weniger friedliche Bruder im Verlauf dieser Projektionen in einen gefährlichen Feind verwandelt, und weil diese vermeintliche Gefahr (die nur das Spiegelbild der eigenen Aggression ist) dann die Tür zu feindseligen Handlungen öffnet.
Die vorauslaufende Täter-Opfer-Umkehr der russischen Propaganda ist freilich unzureichend charakterisiert, wenn wir sie als aus dem Ruder gelaufenes ethisches Gedankenexperiment lesen. Sie ist wohl eher das Resultat einer gewaltigen und lange andauernden Verdrängung von Schuld, wie Olga Romanowa diese Woche in der Zeit schrieb:
"… der russische Staat und die russische Regierung haben sich nie bei ihren Bürgerinnen und Bürgern entschuldigt, und sie hatten nie die Absicht, die Verbrechen der vor ihnen Herrschenden zu verurteilen. Die grausamsten unter ihnen – Iwan der Schreckliche, Peter der Große, Josef Stalin – gelten jetzt als Sammler der "russischen Erde" und als Vorbilder. Sie hatten niemals Erbarmen für ihre Mitbürger, ganz zu schweigen von den Bürgerinnen anderer Länder. Im 21. Jahrhundert braucht es das aber. Ob Russland das will oder nicht – klar ist, dass wir alle den Preis für die Verbrechen des Putin-Regimes zahlen werden müssen."
Antje Schrupp denkt in diesen Tagen laut darüber nach, wie sich „Bullies“ in die Schranken weisen lassen.
Vielleicht lernen wir das ja jetzt mal generell: Bullies keine Grenzen zu setzen, ist kein Pazifismus. Wichtiger als Gewaltfreiheit, die natürlich immer vorzuziehen ist, ist die Effektivität der Maßnahme. Sie ist der Maßstab. Wer Bullies gewähren lässt, ist selbst gewalttätig.
Judith Butler zu lesen erfordert einen größeren Abstand zu den aktuellen Kriegsereignissen. Sie schreibt gerade keine praktische Anleitung, wie das bei Gene Sharp oder auch Srdja Popovic (OTPOR) der Fall ist. Sie antwortet auch nicht auf Alternativen wie: Waffen liefern oder nicht? Flugverbotszone oder nicht? Stattdessen fragt sie danach, was wir immer übersehen, wenn wir zum Beispiel über Selbstverteidigung als Legitimation von Gewalt diskutieren und die Alternative gewaltlos/gewaltsam als Thema individueller Moral betrachten.
Die Robinson-Illusion
Vor allem übersehen wir, dass wir viel weniger autark und autonom sind, als uns lieb ist. Fast ein wenig amüsiert betrachtet sie das Menschenbild der Aufklärung, den Menschen im Naturzustand bei Rousseau und Hobbes: Männlich, erwachsen, weiß und Herr seiner selbst – wie Robinson Crusoe. Eine Fiktion, die verschweigt und verbirgt, dass wir alle von Frauen geboren werden und nur dank der Fürsorge anderer überleben. Im Lauf des Lebens nimmt diese Abhängigkeit nicht ab, sie ändert nur ihre Form.
Diese Interdependenz leugnen wir nicht nur als einzelne, auch unsere politischen und ökonomischen Systeme sind darauf ausgelegt, sie unsichtbar zu machen. Im Konflikt mit Putin taucht das Verdrängte nun wieder auf: Unsere Abhängigkeit von Energielieferungen, unsere Erpressbarkeit durch Atomwaffen und drohende nukleare Unfälle an ukrainischen Atommeilern, Fluchtbewegungen ungekannten Ausmaßes, Inflation und Nahrungsmittelknappheit. Umgekehrt gilt das freilich auch, daher auch die Sanktionen.
Die Perspektive der Interdepenz macht es erstens möglich, über globale Pflichten gegenüber Mitmenschen und Mitgeschöpfen zu sprechen, ganz besonders da, wo deren Leben und Wohlbefinden bedroht und in Frage gestellt wird. Zweitens lässt sich Gleichheit dann neu denken: Nicht als etwas, das dem Individuum zukommt und von diesem eingefordert wird, sondern relational – als Merkmal sozialer Beziehungen. Denn diese sozialen Verhältnisse sichern nicht nur unser Überleben, sie machen uns auch verletzbar und angreifbar.
"Wie dargelegt, besteht die Aufgabe meines Erachtens nicht darin, Selbstgenügsamkeit durch die Überwindung von Abhängigkeiten zu erlangen, sondern darin, Abhängigkeit als Voraussetzung für Gleichheit zu akzeptieren." (S. 65f.)
Emanzipationsprozesse, die für den unterdrückten Teil der Bevölkerung dieselbe Souveränität und Dominanz anstreben wie zuvor für die Unterdrücker, führen nur in endlose Konflikte und verhindern ein „postsouveränes Verständnis des Zusammenlebens“, schreibt Butler mit Blick auf die Kolonialgeschichte und ihre Nachwirkungen bis heute.
"Meine Gegenthese zur Naturstandshypothese lautet, dass kein Körper sich aus eigener Kraft erhalten kann. Der Körper ist kein und war nie ein selbstgenügsames Wesen und unter anderem aus diesem Grund war die Metaphysik der Substanz mit ihrer Auffassung des Körpers als ausgedehntes, von Grenzen umgebenes Wesen nie ein besonders guter Rahmen, um zu verstehen, was ein Körper ist. Der Körper ist für sein Bestehen auf andere verwiesen, er ist auf andere Hände angewiesen, bevor er seine eigenen gebrauchen kann. […] das verkörperte Subjekt ist gerade durch seinen Mangel an Selbstgenügsamkeit definiert."
Gewalt und Notwehr
Das relationale Selbst spielt eine entscheidende Rolle für die Frage nach Gewaltlosigkeit. In der Regel wird das Tötungsverbot da eingeschränkt, wo es um Notwehr und Selbstverteidigung geht. Zu diesem geschützten Selbst gehört meist auch das engere persönliche Umfeld der Familie, in einem weiteren Sinne (und darum geht es beim Krieg in der Ukraine) dann auch alle, die so sind wie ich oder mit denen ich mich identifiziere. Die Frage, wann Gewaltanwendung rechtens ist, wird also demografisch beantwortet, folgert Butler. Sie führt unmittelbar ins konfrontative Gegenüber von „uns“, die Schutz verdient haben, und „denen“, die nicht nur keine Solidarität verdienen, sondern auch immer schon eine latente Gefahr für „uns“ darstellen – und damit schürt sie die Kriegslogik:
"Wenn das stimmt (dass ich manche zu verletzen oder zu töten bereit bin im Namen anderer, mit denen ich meine soziale Identität teile oder die ich in der einen oder anderen Art liebe, die für mein Selbstsein wesentlich ist), dann gibt es eine moralische Rechtfertigung von Gewalt, deren Basis demografischer Art ist." (S. 75)
Keine demografischen Ausnahmen verspricht nur die „radikale Gleichheit der Betrauerbarkeit“. Gleichheit zwischen Menschen ist so lange nicht erreicht, wie Betrauerbarkeit nicht für jedes Leben im gleichen Maß gilt. Und diese gleiche Betrauerbarkeit müsste das Prinzip werden, „nach dem die soziale Organisation von Gesundheitsversorgung, Nahrungsverteilung, Wohnung, Arbeit, Liebesleben und bürgerlichem Leben geregelt wird.“ Hier hätte möglicherweise der Schutz vor Bullies seinen Platz, von dem Antje Schrupp schrieb.
Neben der Kriegslogik lässt vor allem der Rassismus paranoide Versionen von „Selbstverteidigung“ entstehen. Die politische Rechte lebt ja davon, immer schon Notwehr und Ausnahmezustand zu propagieren. Um Gewalt aktiv einzudämmen, müssen wir uns also erst einmal gründlich die Frage stellen: Wessen Leben erscheint als Leben und wessen Verlust gälte als Verlust?
Hier endet das erste Kapitel und ich erinnere mich an das weitgehende Achselzucken der westlichen Öffentlichkeit angesichts der erschütternden Nachrichten aus Syrien über die letzten Jahre. Irgendwie waren hier zwar alle gegen Assad, aber Putin durfte die Städte der Rebellen, ihre Kliniken und Kindergärten bombardieren. Die Appelle von Adopt a Revolution lösten eher überschaubare Resonanz aus. Und so haben wir damals schon wertvolle Zeit verloren und Gelegenheiten vertan, den Aggressor energisch zur Rechenschaft zu ziehen. Menschen arabischer Herkunft und muslimischen Glaubens sind bis heute nicht im gleichen Maß betrauerbar wie Europäer.
Über dem nächsten Kapitel steht: „Das Leben der anderen bewahren“. Was für eine Aufgabe!
In letzter Zeit habe ich öfter mit den Tieren im Garten gesprochen. Den Eichhörnchen, die sich bis auf zwei Meter herangewagt haben. Den Meisen, Amseln und Rokehlchen. Den cleveren Krähen, die draußen Nüsse knacken, indem sie sie auf den Asphalt meiner Straße fallen lassen. Ich weiß schon, dass sie den Inhalt meiner Worte nicht verstehen. Aber vielleicht verstehen sie ja, dass ich mit ihnen rede: Dass sie für mich ein Gegenüber sind, auch wenn sie keine Haustiere sind, bei denen wir das alle tun.
Diese Woche kam ich an einem Baum vorbei, dem jemand ein Schild umgehängt hatte. Darauf steht: „Ich mach Dir Luft.“ Ich fand es schön, dass hier „Ich“ und „Dir“ stand und nicht: „Bäume produzieren Sauerstoff“ oder etwas ähnlich Objektivierend-Belehrendes.
Mit dem Baum habe ich kein Gespräch angefangen, aber ich habe ihn als Verbündeten und Verbundenen wahrgenommen. So ähnlich wird das gerade auch im Weltklimabericht thematisiert, der leider im Kriegsgetöse ziemlich untergeht: Wir Menschen müssen mit allen Lebewesen auf dem Planeten an einem Strang ziehen, um den Kollaps und das Massensterben abzuwenden und gut Lebensverhältnisse für alle zu schaffen.
Im Essay von Volker Demuth über Landscape Writing, Poesie und Ökologie lese ich vom Einüben einer neuen Perspektive: „Weltwahrnehmung und Weltbewahrung hängen aufs Engste zusammen. Was mir nicht nahegeht, geht mich nichts an. Was mich nicht berührt, kann leicht von mir weggeschoben werden. In andere Kontinente, in die Zukunft, irgendwohin.“
Natürlich: Die Bäume und Tiere werden uns nicht sagen, was zu tun ist. Aber mit ihnen zu reden und sie als Mitgeschöpfe und lebendige Partner zu sehen, mich berühren zu lassen, das lenkt die Aufmerksamkeit in Richtung der Lösungen und hilft dem Herzen, sich nicht allzu einsam und verloren zu fühlen.
Rede ich also um meinetwillen mit ihnen? Vielleicht rede ich, um die Alternative von „um meinetwillen“ und „um ihretwillen“ hinter mir zu lassen und ein „um unseretwillen“ daraus werden zu lassen.
Knapp 30 Seiten verwendet Judith Butler auf die Einleitung ihres Buches, das deutet schon an, dass sie gründlich an die Sache herangehen will. Es ist 2020 erschienen, der Überfall auf die Ukraine ist also noch nicht am Horizont, es stehen vielmehr die „Black Lives Matter“-Proteste in den USA im Vordergrund und die Reaktionen der Trump-Regierung.
Butler beginnt mit der Feststellung, dass schon die Semantik von Gewalt und Gewaltfreiheit umstritten ist. Längst reicht es nicht mehr aus, sich für Gewaltlosigkeit auszusprechen, wenn vor allem staatliche Akteure alles unternehmen, gewaltlose Praktiken zu gewaltsamen umzuetikettieren. Erdogan etwa bezeichnete die Demonstrationen im Gezi-Park als „Terrorismus“. In Putins Russland ist es seit einigen Tagen verboten, den Krieg in der Ukraine überhaupt als solchen zu benennen. Der jüdische Demokrat Selenskyi wird in der Propaganda aus Moskau zum völkermordenden Nazi.
Es ist also in vielen Fällen alles andere als klar, was als Gewaltakt gilt und wie sich das von gewaltlosem Handeln unterscheiden lässt. Gewalt ist immer schon interpretiert, und das bedeutet, dass auch der Interpretationsrahmen, innerhalb dessen etwas als „Gewalt“ eingestuft wird, mitbetrachtet werden muss. Wenn Gewalt zur Selbstverteidigung in Ordnung ist, dann ist zu klären, wer oder was dieses Selbst ist, wo seine Grenzen verlaufen und wie seine sozialen Bindungen und Bezüge aussehen.
Lässt sich Gegengewalt gegen ein Regime wie das der Apartheid pragmatisch bzw. als Mittel zu einem legitimen Zweck rechtfertigen? Hier stellt Judith Butler Fragen, auf die sie im Verlauf der folgenden Kapitel eingehen wird, zum Beispiel:
"Muss man unter Umständen hinnehmen, dass sich kein Unterschied zwischen der einen und der anderen Gewalt mehr angeben lässt?"
"Verdoppelt der Einsatz von Gewalt die Gewalt, und zwar in Richtungen, die sich nicht vorher eingrenzen lassen?"
"Kann Gewalt bloßes Instrument und Mittel sein, um gegen Gewalt – ihre Strukturen, ihre Regime – anzugehen, ohne selbst zum Zweck zu werden?"
"Was, wenn Gewalt eben die Art von Phänomen ist, das immer wieder "außer Kontrolle" gerät?"
"Wenn Werkzeuge sich ihre Benutzer zunutze machen können, und Gewalt ein Werkzeug ist, folgt dann nicht, dass Gewalt sich ihren Nutzer zunutze machen kann?"
"Wenn Gewaltlosigkeit wie eine »schwache« Haltung erscheint, sollten wir fragen: »Was gilt als stark?« Wie oft sehen wir, dass Stärke mit der Ausübung von Gewalt oder dem Hinweis auf die Bereitschaft zur Gewaltausübung gleichgesetzt wird?"
Dann formuliert Butler ihre Ziele für das Buch: Sie möchte Gewaltlosigkeit weniger als eine Frage indivdueller Moral, sondern als soziale und politische Praxis verstehen, die sich systemischer Zerstörung widersetzt und die Freiheit und Gleichheit fördert. Sie möchte die Rolle von Wut, Empörung und Aggression für Gewaltlosigkeit in den Blick nehmen. Sie möchte bewusst machen, dass Gewaltlosigkeit ein Ideal ist, das sich nicht immer zu hundert Prozent umsetzen lässt, dass also immer Unschärfen und Ambiguitäten bleiben.
Gewaltlosigkeit bedeutet nicht in erster Linie, dass man keine Gewaltakte begeht (sie ist also nicht in erster Linie Verzicht), sondern sie ist handfester „Einsatz für die Ansprüche des Lebens“. Damit unterläuft sie das entscheidende Ziel gewaltsamer Macht, nämlich „die Randständigen als entbehrlich hinzustellen und sie in die Zone des Nichtseins abzudrängen“.
Eben das geschieht gerade in der Ukraine: Wie schon in Syrien und Tschetschenien werden ganze Städte in die „Zone des Nichtseins“ gebombt. Was können wir angesichts dessen für die Ansprüche des Lebens tun? Ein Schritt wäre sicher, Putins Gewaltexzesse nicht als „stark“ und das Zögern und die Zurückhaltung beim Einsatz von Gewalt als „schwach“ zu framen. In verschiedenen Kommentaren und Berichten der letzten Wochen kam das immer wieder so vor. Auch der Vergleich mit einem Bären ist für einen Kriegsverbrecher mehr als schmeichelhaft (oder für das Raubtier eine Beleidigung).
Stark ist hingegen die Unbeugsamkeit der Ukrainer, stark ist die Hilfsbereitschaft in den Nachbarländern, stark ist auch die Bereitschaft vieler hier, für den Frieden Verzicht zu üben – durch Spenden, das Aufnehmen und Versorgen von Geflüchteten. Noch stärker wäre der vollständige Verzicht auf fossile Energieträger aus Russland (und mittelfristig aus allen Regionen der Welt, wo Despoten regieren, die mit dem Gewinn ihre Kriege finanzieren, langfristig müssen wir ohnehin ganz raus). Schwach hingegen war jeder Schritt, der uns seit dem Einmarsch auf der Krim in Abhängigkeit von russischen Energielieferungen gehalten hat. Mit diesem Makel wird vor allem Angela Merkel und ihre Ministerriege um Peter Altmaier leben müssen.
Putin hat die Ukraine überfallen und damit mehr als die halbe Welt gegen sich aufgebracht. Die Bundesregierung hat ihren Kurs radikal geändert. Sie liefert der Ukraine nun Waffen und stockt das Budget der Bundeswehr kräftig auf. Die Mehrheit im Land findet das nach heutigem Stand richtig.
Welche Rolle kann in dieser Situation gewaltfreier Widerstand spielen? Lassen sich die Strategien von Gandhi, Martin Luther King und anderen hier überhaupt anwenden? George Lakey verwies letzte Woche auf den Widerstand der Tschechen 1968 gegen die Truppen des Warschauer Pakts und auf den Widerstand der Dänen gegen die deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg.
Den Ukrainern dürfte freilich vor allem der Widerstand gegen Lukaschenko in Belarus vor Augen gestanden haben, der beinahe zum Erfolg geführt hätte. Aber dann schaltete sich Putin ein. Mit seiner Hilfe und Billigung wurde die Demokratiebewegung niedergeschlagen und inhaftiert. Yuval Noah Harari kommentierte jüngst im Guardian:
As a child, he [Putin] grew up on a diet of stories about German atrocities and Russian bravery in the siege of Leningrad. He is now producing similar stories, but casting himself in the role of Hitler.
Aus der Ukraine ist nun beides zu hören: Die einen stellen sich den Invasoren gewaltfrei entgegen, die anderen kämpfen mit der Waffe. Ich hatte diese Woche immer wieder Bruce Cockburn im Ohr, wenn ich Nachrichten las:
Zur Gewaltfreiheit muss sich jede:r Betroffene selbst entschließen. Insofern finde ich es problematisch, wenn wir anderen diese Entscheidung dadurch abnehmen, dass wir ihnen keine Waffen liefern, wenn sie uns darum bitten. Die Frage ist eher, was wir ihnen noch an Unterstützung und Rat anbieten können.
Gandhi hat mal sinngemäß gesagt, er halte nur solche Leute für geeignet zum gewaltfreien Widerstand, die auch mit der Waffe kämpfen würden. Er selbst fand den gewaltfreien Kampf richtiger und aussichtsreicher, aber der bewaffnete Kampf ist so gesehen besser als gar nicht zu kämpfen.
Putin hat wohl eine schnelle Kapitulation erwartet, insofern hätte ihm das in die Karten gespielt, wenn Selenskyis Truppen die Waffen kampflos niedergelegt hätten. Nun staunt die Welt über den verzweifelten Mut der Ukrainer. Der hat, sagt Harari, auch dem Rest der Welt Mut und Entschlossenheit gegeben, die zuvor nicht da waren:
The stories of Ukrainian bravery give resolve not only to the Ukrainians, but to the whole world. They give courage to the governments of European nations, to the US administration, and even to the oppressed citizens of Russia. If Ukrainians dare to stop a tank with their bare hands, the German government can dare to supply them with some anti-tank missiles, the US government can dare to cut Russia off Swift, and Russian citizens can dare to demonstrate their opposition to this senseless war.
Ich habe (wie Cockburn, der hat nur seine Gitarre) keinen Raketenwerfer zur Hand und mir deshalb vorgenommen, Judith Butlers „Macht der Gewaltfreiheit“ noch einmal zu lesen und hier im Blog einige ihrer Kerngedanken im Licht der gegenwärtigen Weltlage nachzubuchstabieren. Wenn Ihr mögt, lest und diskutiert gerne mit.
Wenn Kinder geboren werden, geschieht (in der Regel) Seltsames mit ihren Eltern: Die Kleinen werden quasi über Nacht zum Mittelpunkt ihres Lebens – bei Müttern schon vor, bei Vätern meist nach der Geburt. Nicht weil sie so süß sind (das kommt erst noch, tendenziell jedenfalls). Sondern weil sie so bedürftig sind: Total angewiesen auf unsere Fürsorge.
Eltern leben dezentriert. Nicht mehr die eigenen Bedürfnisse und Wünsche stehen im Mittelpunkt, sondern die des Neugeborenen. So ist es auch in den Geburtsgeschichten der Bibel. Der Engel, der Maria aufsucht, kündigt ihr im Grunde genau das an: Gott hat dich auserwählt. Aber es geht dabei nicht in erster Linie um dich, sondern um dein Kind.
Dieses Kind freilich hat eine ganz besondere Mission. Es dezentriert nicht nur Maria (und mit ihr auch Joseph), sondern die ganze Welt. Durch seine Bedürftigkeit, seine Verletzlichkeit, seine Schutzlosigkeit. Selbst beim erwachsenen Jesus hört das ja nicht auf. An seiner Schwachheit bricht die Macht des Todes.
Sich auf Weihnachten einzustimmen, bedeutet, sich darauf einzulassen, dass sich mein Leben und meine Welt von nun an um dieses bedürftige Menschenkind dreht. Und mit diesem einen um immer mehr andere. Maria entschließt sich in der Begegnung mit dem Engel, das als Glück zu verstehen. Und viele Eltern können (ansatz- und phasenweise wenigstens) nachempfinden, dass dezentriert sein kein Unglück sein muss.
Aber es tut gut, das immer wieder einmal bewusst anzunehmen. Dass die Welt sich nicht um mich dreht, bedeutet ja auch, dass sie sich nicht um die Despoten und Größenwahnsinnigen dreht, nicht um die Eitlen und Aufdringlichen, nicht um die Reichen und Rücksichtslosen. So gesehen ist das eine wirklich gute Nachricht.
Manche kennen vielleicht die amerikanische TV-Serie „The Good Doctor“ mit Freddie Highmore als Shaun Murphy. Ich fand die erste Staffel ganz ansprechend, in der zweiten gab es für meinen Geschmack ordentliche Durststrecken. Und nun, in Season 3 wirkt die Erzählung wieder dichter.
Am Ende von Folge 4 gibt es einen Gänsehautmoment. Claire Brown offenbart der Kollegin Morgan Reznick den Tod ihrer Mutter. Sie hat die Urne im Kofferraum ihres Autos liegen. Der letzte Wunsch der Mutter war, dass ihre Asche zu den Seelöwen im Meeresaquarium kommt. Die beiden mischen sich dort in funkelnder Abendgarderobe unter die Gäste einer Drag Pride Party. Und dann merken sie (und Morgan spricht es aus): Ohne Ritual geht es nicht. Und auch nicht ohne Religion. „Jeder hat eine Religion“, sagt Morgan. „Vielleicht keinen Gott, aber eine Religion.“
Die Lösung für die nichtreligiöse Claire besteht in dem Angebot, Musik als die Religion ihrer Mutter zu begreifen. Sie singt ein Lied.
Ich hätte an der Stelle vielleicht „Let it be“ oder einen anderen Popsong mit dehnbarem Sinngehalt erwartet. Stattdessen singt Claire Amazing Grace. Und ich denke: Mehr christliche Religiosität geht eigentlich kaum. Im Hintergrund erscheinen erst die übrigen Partygäste und dann ein anderer Handlungsstrang dieser Folge, der auf dem Standesamt spielt. Tod und „bis der Tod euch scheidet“, Seite an Seite: The holy and the broken Hallelujah.
Die unorthodoxe Urnenbeisetzung zeigt auch: Geistliche Lieder tragen oft weiter als trockene Bibelworte ohne Melodie. Und die wirklich guten erkennt man daran, dass man sie in den glücklichsten Momenten ebenso singen kann wie in den traurigsten.
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