Es ist leider ein bißchen weit nach Chicago, aber ich wäre gern dabei, wenn Emergentvillage mit Jürgen Moltmann vom 9. bis 11. September diskutiert. Moltmann ist sicher einer der Theologen, dessen Impulse hier auf fruchtbaren Boden gefallen sind. Aber hoffentlich wird es wieder Podcasts geben.
Nicht militant genug
Peter Rollins findet, dass Fundamentalisten nicht gewaltsam genug sind. Hinter der aggressiven Gebärde bleibt nur allzu oft alles beim Alten: Das Denken in Feindbildern entlang herrschender Grenzen von drinnen und draußen, oben und unten; ungerechte Privilegien und hierarchische Machtverhältnisse. Der Status quo wird eher zementiert als gekippt. Man sollte daher auch der militanten Rhetorik nicht auf den Leim gehen, sagt er in Anspielung auf die Exponenten des Neofundamentalismus:
… the next time we hear of some blustering speaker attempt to bolster their support by making themselves sound like the follower of a cage-fighting, bodybuilding Jesus, we should avoid the trap of arguing that their image of Jesus is too violent and instead show how it isn’t nearly violent enough. Drawing out how, amidst all their seeming machismo they are little more than a timid sheep in wolves clothing.
Auf dem Weg zur Basiskirche
Brauchen wir neue Gemeinde(forme)n in Deutschland? Für Johann Baptist Metz kann die notwendige „zweite Reformation“ nur über diesen Weg erfolgen, und an dem Punkt schlägt mein Herz noch etwas höher als sonst beim Lesen dieses Buches:
Zu dem Prozess einer zweiten Reformation wird es auch bei uns nur dann kommen, wenn unsere Großkirchen sich selbst endlich mehr an ihrer eigenen Basis ausdifferenzieren, wenn sie also ihrerseits Basisgemeinden ausbilden, Gemeinden, die um das Herrenmahl konzentriert sind, ohne etwa vom territorialen Prinzip geleitet zu sein und ohne eine gesellschaftliche und politische Scheinneutralität. Sie, diese Basisgemeinden, wären auch die Keimzelle für eine neue Ökumene. (Jenseits bürgerlicher Religion, S.89)
Die größten Hindernisse dafür sieht Metz in den Kirchenverträgen die ein „aufgeklärtes Staatskirchentum mit Privilegierung großkirchlicher Einrichtungen“ vorsehen, wie auch im Gemeindebild der Kirchenordnungen, besonders den Zulassungskriterien für kirchliche Ämter und dem herrschenden Pfarrersbild, das es mit der Trennung von Klerus und Laien nicht vorsieht, dass Leitungsaufgaben aus der Basisgemeinde selbst heraus vergeben und übernommen werden.
Für die emerging conversation dagegen macht Metz deutlich: alles Denken und Reden ist erst da am Ziel angekommen, wo es gemeinschaftlich gelebt wird. Nur so kann es wirken. Oder wie Lesslie Newbigin sagte: Die Gemeinde ist die Auslegung des Evangeliums.
Abschied von der „reinen Lehre“
Der erstaunliche Johann Baptist Metz über die Notwendigkeit einer zweiten Reformation am Ausgang des bürgerlichen Zeitalters, die für den Protestantismus bedeuten würde, sich dem Sinnlichen zu öffnen und das Ideal der „reinen Lehre“ samt der damit verbundenen Berührungs- und Vermischungsänsgte aufzugeben, um sich wieder dem „inkarnatorischen Prinzip“ zuzuwenden (der Link unten im Text ist allerdings von mir eingefügt):
Zeigt sich (…) nicht, dass »rein« eigentlich eine idealistische Kategorie ist, die Kategorie eines nervösen, abstrakt unsinnlichen Kopfchristentums, das uns glauben machen möchte, die Gnade würde sich allein über das Wort mitteilen, so dass es bei ihr nichts zu schauen, nichts anzurühren, und schon gar nichts zu handeln gäbe? War es nicht ohnehin eine Fehleinschätzung der Reformation, dass sie meinte, die Anrufung der Gnade und die Reform der Kirche allein über das Wort und die »reine Lehre« erwecken zu können und nicht über die Subjekte und deren sinnenhafte, leidvolle Praxis … ?
… Getrieben von dieser Angst entwickelte sich ein über die Jahrhunderte geschichtsmächtiges bürgerliches Christentum, das vom Dualismus zwischen Gnadenwelt und Sinnenwelt geprägt ist: ein gnadenloses Menschentum, strikt besitzorientiert, konkurrenzorientiert, erfolgsorientiert -überwölbt von der Gnade.
… Dass wir jede sinnliche Praxis der Gnade (…) sofort als eine schlechte Politisierung, als banalen Aktionismus verdächtigen, mag zeigen, wie weit wir von einer Heimkehr der Sinne in die Gnade entfernt sind.
Radikal statt rigoros: Kirche jenseits der Bürgerlichkeit
Dank der tatkräftigen Hilfe von Andrew Jones habe ich antiquarisch Jenseits bürgerlicher Religion. Reden über die Zukunft des Christentums von Johann Baptist Metz erstanden, das auf Englisch unter dem Titel Emergent Church
erschienen ist. Der erste Essay „Messianische oder bürgerliche Religion?“ hat es schon schwer in sich. Metz hat das 1978 auf dem Katholikentag vorgetragen und sich massiver Kritik der Kardinäle Döpfner und Ratzinger damit ausgesetzt.
Die Lektüre fördert Erstaunliches zu Tage: Wer etwa meint, die Unterscheidung Centered Set/Bounded Set sei eine Entdeckung der aus jüngster Zeit, reibt sich verdutzt die Augen beim Lesen: Metz kritisiert den moralisch-gesetzlichen Rigorismus der katholischen Kirche, der einer Verweltlichung und Verbürgerlichung der Kirche entgegenwirken will, aber die falschen Mittel benutzt. Richtig wäre seiner Meinung nach Folgendes (und das wohl nicht nur für Katholiken):
Wenn sie (die Kirche) evangelisch »radikaler« wäre, brauchte sie vermutlich gesetzlich nicht so »rigoros« zu sein. Rigorosität stammt eher aus Angst, Radikalität aus Freiheit, aus der Freiheit des Rufes Christi. (…) Sie könnte dann z.B. auch solche, die in ihrer Ehe gescheitert sind und dafür um Vergebung bitten, zu den Sakramenten zulassen, ohne dass sie einen Dammbruch befürchten müsste. Die Kirche brauchte dann auch nicht den Pflichtzölibat zur Bemäntelung der entradikalisierten Christenheit. Es bestünde nämlich gar nicht die Gefahr, dass die apokalyptische Tugend der Ehelosigkeit erlöschen würde; sie würde aus der Radikalität der Nachfolge immer neu entstehen.
Dann übrigens würde auch die kirchliche Autorität bei uns ihr allenthalben beklagtes behördliches Antlitz verlieren; sie würde stärker die Züge einer religiösen Führungsautorität annehmen können
Metz ist definitiv ein Kandidat für die Ahnengalerie der Emerging Church. Bei Gelegenheit werde ich noch ein paar seiner Gedanken posten.
Paulus und die Philosophen
Rolf Spinnler geht in der Zeit der Frage nach, was führende Philosophen Europas an Paulus fasziniert. Sie finden bei ihm Lösungsansätze für die Aporien des Relativismus, Skeptizismus und Pragmatismus der Postmoderne. Spannende Lektüre für alle, die Paulus auch mal unter ganz anderen Gesichtspunkten lesen wollen:
Alain Badiou entdeckt in Paulus den Repräsentanten einer „Politik der Wahrheit“. Er lässt sich vom Ereignis der Todes und der Auferstehung, das die symbolische Ordnung der Welt sprengt, so radikal bestimmen, dass er darin die Grundlage einer neuen Gemeinschaft findet, die nicht mehr durch Voraussetzungen wie gemeinsame Abstammung oder kulturelle Wurzeln definiert wird, sondern durch das Bekenntnis des einzelnen zu Christus und damit wahrhaft universal ist.
Giorgio Agamben betrachtet die Überwindung des Rechts durch die Liebe und sieht eine Antwort auf die Frage nach Konsum und Eigentum im Rat des Apostels, Dinge zu nutzen, ohne sie besitzen zu müssen. Das Instrument der Rettung der Welt ist der messianische Rest der Ausgeschlossenen – ein jüdischer Gedanke, den Paulus radikalisiert – die wahre Allgemeinheit jenseits partikularer kultureller Identität verkörpern.
Slavoj Žižek schließlich sieht in der kenotischen Christologie des Paulus die Lösung eines Problems, das den jüdischen und islamischen Monotheismus plagt, nämlich der absoluten Vollkommenheit Gottes, dem ohne die Erfahrung des Todes möglicherweise auch die Erfahrung echter Liebe fehlt. Im Unterschied zu Plato, bei dem Liebe sich weg vom Konkreten hin zum Allgemeinen vervollkommnet, ist im Christentum des Paulus diese Richtung umgekehrt. Liebe stellt nicht das Ewige und Erhabene, sondern das Niedrige und Endliche in den Mittelpunkt. In seinem Scheitern erringt Christus zudem den Sieg über das Gesetz dieser Welt, über das Siegen selbst.
Vom Post- zum Postpost-?
In so ziemlich jeder Gruppe, die sich neu mit dem Stichwort “Postmoderne” befasst, fällt irgendwann mal der Satz: “Die Postmoderne ist ja schon vorbei, wir haben längst die Post-Postmoderne”.
Hin und wieder, befürchte ich, ist das der Versuch, eine Auseinandersetzung mit dem Phänomen Postmoderne zu umgehen, indem man es zur Eintagsfliege erklärt und hofft, die Sache aussitzen zu können, um dann weiterzumachen wie bisher. Was aber, wenn zwei “post” einander nicht aufheben? Wird das Zähneknirschen in dem Moment, wo man den Kopf aus dem Sand zieht, dann nicht um so größer?
Logisch ist das Problem ja dieses: Postmoderne sagt nur aus, was nicht mehr ist. Der Mythos der Moderne wurde gerade nicht durch ein neues System ersetzt. Insofern wäre auch “postpost” nur “post”. Und wo es das nicht ist, wäre es einfach nur die bruchlose Fortführung der Moderne. Die gibt es natürlich in vielen Bereichen unserer Gesellschaft, und das wird auf absehbare Zeit auch noch so bleiben. Die Frage ist nur, ob von da noch Antworten zu erwarten sind auf die globalen wie auch die spirituellen und kirchlichen Krisen unserer Zeit.
Tatsächlich gibt es unterschiedliche Postmodernismen, die durchaus miteinander konkurrieren können. Die erste Welle, Dekonstruktion etwa, ist vielleicht schon am Auslaufen. Bei Tim Keel Intuitive Leadership: Embracing a Paradigm of Narrative, Metaphor, and Chaos habe ich heute ein Zitat gelesen von Walter Truett Anderson, Präsident der US-Zweigs der World Academy of Art an Science, der in The Truth about the Truth: De-confusing and Re-constructing the Postmodern World
darauf anspielt:
Viele Menschen hoffen inbrünstig, dass der Postmodernismus – was immer sie darunter verstehen – vorbei geht. Und viele werden diesen Wunsch erfüllt bekommen: Stilformen ändern sich natürlich. (…) Postmodernismen werden kommen und gehen, aber die Postmoderne – der postmoderne Zustand – wird immer noch da sein. (…) Und obwohl er verschiedene Leute völlig unterschiedlich berührt, betrifft er doch uns alle. Wir alle entwickeln uns weg von der Sicherheit unserer Stämme, Traditionen, Religionen und Weltbildern hin zu einer globalen Zivilisation, deren Pluralismus uns blendet und überwältigt.
(Post-)Charismatische Woche
Hasos Workshop „Postcharismatik“ auf dem Emergent Forum war (obwohl ich den letzten Teil verpasst habe) eine sehr anregende Sache. Die meisten Gesprächsteilnehmer hatten in der Vergangenheit überwiegend positive Erfahrungen mit der charismatischen Bewegung gemacht. Und doch war im Laufe der Zeit immer deutlicher geworden, dass an manchen Stellen eine gewisse Ernüchterung eingetreten war: Einiges „funktionierte“ nicht mehr wie früher, anderes schien zu fehlen – besonders im Hinblick auf eine ganzheitliche und erfüllte Spiritualität, die uns dauerhaft weiterbringt, und auf gesellschaftliche Relevanz der Sprache und Gottesdienstformen. Viele waren der ständig neuen Wellen und der chronisch vollmundigen Verheißungen überdrüssig geworden. Fast alle hatten Freunde und Bekannte, die an den Parolen und Vorbildern verzweifelt waren. Den Hunger nach Gott und die Sehnsucht nach einem Leben mit mehr Kraft und Tiefgang dagegen hatten die wenigsten aufgegeben.
Wie bewahrt man nun auf dem weiteren Weg in der Nachfolge Christi das Gute der charismatisch-pfingstlichen Bewegung, die ja immerhin der wohl dynamischste Teil der Weltchristenheit ist? Natürlich ist sie nicht frei von Fehlern und problematischen Seiten – aber das kann man von den anderen Flügeln der Weltkirche auch nicht behaupten. Im Unterschied zu den verbürgerlichten reformatorischen Kirchen erreichen Pfingstler gerade die armen und einfachen Leute. Johannes Reimer erzählte in einem persönlichen Gespräch am Rande vom explosiven Wachstum der Pentecostales in Lateinamerika. Und Haso wies auf die Mitwirkung großer Pfingstgemeinden bei der Überwindung der Rassentrennung in Südafrika hin. Und in der Ursprungszeit der Pfingstbewegung waren Frauen und Männer, Arme und Reiche, Schwarze und Weiße tatsächlich eins. Für mich das deutlichste Zeichen, dass hier der Geist Gottes am Werk gewesen sein muss und es noch ist.
Die charismatische Bewegung in den westlichen Ländern hat diese Radikalität nicht so oft erreicht. Und während es durchaus in Ordnung ist, einem Armen irgendwo auf der Welt zu sagen, dass Armut nicht der Wille Gottes ist, so hat das umstrittene Wohlstandsevangelium im Kontext mancher (aber bei Weitem nicht aller!) charismatischen Vorstadtgemeinden das Evangelium problematische Züge angenommen. Mit der (hin und wieder auch kommerzialisierten) Betonung auf Heilung und Wohlbefinden wurden manche Richtungen fast zum christlichen Pendant der Esoterik und Wellness-Bewegung. Aber vielleicht lässt sich das ja ergänzen durch einen ebenso intensiven Einsatz für Diakonie und soziale Gerechtigkeit.
Die letzten Tage habe ich dann mit einigen Leitern aus dem bunten charismatischen Spektrum zugebracht und mich an der Vielfalt, Lebendigkeit und Offenheit gefreut, die mir dort entgegen kam. Natürlich gibt es auch mehr oder weniger große theologische und kulturelle Differenzen, aber überall war der Wille erkennbar, unterschiedliche Positionen nicht als Trennungsgrund zu betrachten, sondern die Unterschiede stehen zu lassen und einander so gut es geht zuzuhören. Viele machen an ihrem Ort und auf ihre Weise Schritte in ihr gesellschaftliches Umfeld hinein und erleben dabei gute und ermutigende Dinge.
Für mich waren die Gespräche sehr wertvoll, weil ich dort ein aufrichtiges und leidenschaftliches Suchen nach Gott und seinen Wegen gefunden habe und die Bereitschaft, sich dafür ganz einzusetzen. Und es gibt viele Parallelen zur Emerging Church, vielleicht weniger in den Formen als vielmehr in den Haltungen: Viele sind anfangs auch als Bilderstürmer und lästige Rebellen behandelt worden, jede(r) kann von Fehlern und Irrwegen berichten, die sie oder er im Lauf der Jahre gemacht und – oft mit Hilfe von Mentoren oder treuen Betern – auch wieder hinter sich gelassen hat. Und wir sprachen auch von Erfolgen und Rückschlägen und der immer noch vorhandenen Sehnsucht nach einem erfüllten geistlichen Leben, wachsenden Gemeinden und einer echten Transformation der Gesellschaft, die sich nicht allein auf guten Willen und menschliche Anstrengung, sondern auf den Geist Gottes gründet.
Jetzt im ICE nach Erlangen bereite ich den vorletzten Abend des Alpha-Kurses vor: Heilt Gott heute noch? Ich lese in Nicky Gumbels Skript eine ganze Reihe kleiner und größerer Heilungsgeschichten und bin neu motiviert, für Kranke zu beten, auch wenn meine eigenen Erfahrungen noch deutlich bescheidener ausfallen. Andererseits fragen immer mal wieder Leute, ob es Alpha auch „weniger charismatisch“ gibt. Ich würde sagen: In der Form vielleicht schon, in der Sache aber wäre das ein schwerer Verlust.
Fotos vom Forum
The Great Emergence: Aufbruch in eine multipolare Welt
(Dies ist der vorletzte Post zu The Great Emergence, hier die vorherigen Teile: 1, 2, 3, 4, 5)
Das bunte Treiben geht weiter und wie in jeder Neukonfiguration stellt sich die Frage, wo die Autorität nun liegt. Es gab dabei schon früher Unterschiede zwischen den vier Feldern, die nun wieder eine Rolle spielen. In der linken Hälfte des Diagramms galt das sola scriptura immer schon mit gewissen Einschränkungen. Die Renewalists waren immer der Auffassung, dass der Geist als Quelle von Autorität und leitende Instanz nicht einfach auf das Schriftwort reduziert werden darf. Die Liturgicals hatten zwar Vorbehalte gegen allzu spontane Eingebungen, die sich noch nicht ausreichend bewährt hatten, aber auf der anderen Seite hatten sie auch Vorbehalte gegen ähnlich „unmittelbare“ Schriftauslegung, die sich dem Dialog mit der reichen Tradition der Christenheit verweigert oder sich darüber hinwegsetzt.
Das Bild wird komplizierter. Über und unter dem kreisenden Zentrum bilden sich neue Felder mit den bekannten Bezeichnungen. Die obere Hälfte betont dabei das rechte Handeln (Orthopraxie – ob liturgisch oder sozial), während die untere Hälfte die rechte Lehre in den Vordergrund stellt (Orthodoxie). In der wachsenden Mitte aber ist diese Unterscheidung aufgehoben.
Doch die Frage nach der Autorität stellt sich immer noch und führt nun zu einer Polarisierung der Mitte. Tickle sieht hier eine Alternative zwischen Theonomie und Orthonomie. Das muss kurz erklärt werden: Unter Orthonomie (orthos: aufrecht, gerade und nomos: Gesetz, Norm) versteht sie ein ästhetisches Prinzip: Die Wahrheit kann an ihrer Schönheit (d.h. auch der bewegenden Erfahrung) erkannt werden, und sie bewirkt eine gewisse Harmonie in Lehre und Praxis. Viele „emergents“, schreibt Tickle, schütteln den Kopf über die Debatten der Konservativen zu (modernistischen) Fragen wie der Historizität der Jungfrauengeburt. Für sie ist diese Geschichte zu schön, um nicht wahr zu sein – egal, ob das nun „tatsächlich“ so geschehen ist oder nicht.

Auf der rechten Seite wird dagegen das alte sola scriptura zur Theonomie umfunktioniert: Nur Gott ist die Quelle der Wahrheit, Schönheit liegt im Auge des Betrachters und kann trügerisch sein. Aber auch hier ist unklar, wie menschliche Erkenntnis diesen Gedanken praktisch einholt. Die beiden Ansätze stehen in einer (gelegentlich heftig ausgetragenen) Spannung zu einander. Aber es ist noch nicht gesagt, dass sie einander tatsächlich ausschließen.
In welcher Richtung wäre eine Lösung zu suchen? Die Antworten der früheren Entwicklungsstadien spiegeln immer auch die politischen Verhältnisse ihrer Entstehungszeit wider, argumentiert Tickle. Die Mönchskirche Gregors des Großen entspricht den frühmittelalterlichen Stammesverbänden, das Papsttum nach dem Schisma ist das Pendant zum Kaisertum (die Kardinäle bilde den Hofstaat), und die Reformation mit dem Priestertum aller Gläubigen, Synoden und gewählten, auf Schrift und Bekenntnis verpflichteten Amtsträgern, spiegelt die wachsende Bedeutung des Bürgertums wider, die dann auch die westlichen demokratischen (im Sinne einer repräsentativen Demokratie) Rechtsstaaten hervorbringt.
Aber die Zeit der nationalen Demokratien geht dem Ende entgegen. Sie verlieren in einer global vernetzten Welt rasch an Bedeutung. Recht und Macht werden neu definiert. Wenn „emergents“ heute nicht mehr eindeutig sagen können, ob die Schrift oder die Gemeinschaft die bestimmende Autorität ist, ist das nicht nur eine Kapitulation vor widerstreitenden Prinzipien, sondern ein Schritt in Richtung System- oder Netzwerktheorie. Das Schlagwort heißt crowdsourcing, das Vorbild ist die Wikipedia. Kein einzelner, keine Kartell der Fachleute und keine Hierarchie kann das ganze Bild mehr überschauen. Erst das Zusammenwirken des ganzen Netzwerks mit allen Knoten und Komponenten führt zu einer angemessenen Reaktion:
Weder institutionelle menschliche Autorität noch gelehrte oder priesterliche Unterscheidung alleine kann den Ton angeben, denn weil beides menschlich ist, ist es den Bedningungen von Raum und Zeit unterworfen und kann zu keiner Perspektive umfassenden Verstehens gelangen. Vielmehr ist es die Art und Weise, wie die Botschaft über die Knoten des Netzwerks auf und ab, hin und her läuft, durch die sie erprobt, ausgebessert, von Weisheit zu rechtem Handeln gemäßigt wird, um den Willen des Vaters auszurichten.
Kein Wunder also, dass sich diese Bewegung nur als Gespräch (conversation) fassen lässt, und eben nicht als theologische Position oder Institution. Und doch stammen die neuen Strukturen des Gesprächs, des Wartens auf den Geist, das Glaubens und des Hörens auf die Schrift aus den vier Quadranten der globalen Kirche, und nicht aus dem kulturellen und gesellschaftlichen Umfeld, in das sie so gut passen.
The Great Emergence – Quadranten, Kreuze, Rosenblüten
Phyllis Tickle benutzt ein nettes Diagramm, um zu beschreiben, wie der Beginn der nachprotestantischen (im Unterschied zu anderen Kommentatoren spricht sie nicht von einer nachchristlichen) Ära sich momentan gestaltet. Ich übernehme hier der Einfachheit halber ihre Bezeichnungen für die nordamerikanische Situation. Wie man das hier in Europa beschreiben müsste, kann erst einmal noch offen bleiben.
Tickle teilt die spätmoderne Christenheit in vier Grundprägungen auf: Conservatives (Evangelikale, Bekenntnis- und „Bibeltreue“), Social Justice Christians (das sind dann in der Regel die Mainline-Churches und der theologisch eher „liberale“ Flügel), Renewalists (Pfingstkirchen und Charismatische Bewegung) und Liturgicals (da gehören die orthodoxen Kirchen hinein und ein guter Teil der Kontemplativen). Ich habe das hier bunt umgesetzt:
Nun haben sich im Jahrhundert der Ökumene längst die Grenzen zwischen diesen Blöcken aufgeweicht. Es gibt Linksevangelikale, kontemplative Aktivisten, liturgische Charismatiker und viele andere Mischformen – wir kennen das alle. Die Schnittmengen bilden eine Art Kreuz:
Aber auch hier bleibt die Bewegung nicht stehen. In der Mitte entsteht ein Strudel, in dem sich alle vier Felder mischen. Und anders als im Abfluss der Badewanne steigt dieser Strudel nach oben. All diese Einflüsse sind nötig, um auf ein anderes Niveau zu gelangen und den Herausforderungen der veränderten gesellschaftlichen und religiösen Situation zu begegnen. Der Protestantismus, dessen Charakteristikum die Zersplitterung war, hat zum ersten Mal ein Zentrum – da wo sich früher die Ecken berührten und die Grenzlinien schnitten. die herkömmlichen Strukturen boten dafür keinen Raum. Plötzlich entstanden diffuse Gebilde wie Hauskirchen, nondenominational churches, Gemeindegründungen an ungewohnten Orten, und neue monastische Kommunitäten. Das verbindende Element war der Gedanke und die Praxis der Inkarnation und die Betonung der Ganzheitlichkeit des Glaubens.
Während sich die Emergents (ob sie sich nun selbst so bezeichnen würden oder nicht, das „Etikett“ spielt hier gar keine Rolle und tatsächlich entdecken viele ja zu ihrer Überraschung, dass sie nicht mehr vereinzelte Grenzgänger im eigenen „Lager“ sind, sondern Teil eines größeren Bildes) nun in diesem Aufwärtsstrudel befinden, beginnt in den vier Ecken des Feldes ein Prozess der Abschottung. Auch der lässt sich bereits gut beobachten. Da die alten Grenzen nicht mehr halten, werden sie von denjenigen neu gezogen, denen der Dammbruch ein Dorn im Auge ist. Diese Puristen sind in ihrer Reaktion (und das muss man hören, wenn man Tickle nicht missverstehen will als jemand, der das Neue verklärt) der notwendige Ballast – ein Gegengewicht das dem Aufwärtssog in der Mitte die richtige Balance verleiht.
Schließlich bilden sich um den Strudel in der Mitte je nach dem Grad der Nähe und Distanz, Offenheit oder Reserviertheit, noch eine Reihe unterschiedlicher Gruppen:
- Die „Hyphenateds“ (Bindestrich-Definitionen wie Presbymergent, Luthermergent oder Anglimergent), die vielleicht bunteste und verrückteste Mischung, die dem Zentrum sehr nahe stehen – ihre Vorfahren ehren ohne sich deswegen an deren Weg gebunden zu fühlen.
- Die „Progressives“, die gegen den Dogmatismus und institutionelle Erstarrung an einer Öffnung für die Menschen und Herausforderungen der Postmoderne arbeiten
- Re-Traditioning: Alte Traditionen und die damit verbundene Identität werden behutsam entdeckt und erneuert
- Traditionalists: hier warten einige ab, wie das Ganze weitergeht, ohne sich selbst groß zu bewegen, aber sie geben dem Umbruch Stabilität
Das sieht dann so aus:
Würde Jesus Idea lesen?
Vielleicht, aber ob es ihm Spaß machen würde, ist eine andere Frage. Diese Woche erschien der Emerging Church Artikel von Karsten Huhn. Er hatte sich damit sicher große Mühe gegeben, aber beim Lesen des Endprodukts war ich doch wieder ziemlich unglücklich. Irgendwie ist es immer dasselbe mit idea: Sie sind freundlich, aber manche Dinge können sie anscheinend nicht verstehen, auch wenn man sich den Mund fusselig redet. Dazu kommt der zwanghafte Zug zum Schubladisieren und Werten.
In diesem Fall steigt Huhn mit Brian McLaren ein, verweist auf den Buchtitel „Everything Must Change“ und unterstellt dem Autor eine „einseitige, auf das Diesseits beschränkte Geschichtsauffassung“ (gemeint ist jedoch die Eschatologie, und Belege werden natürlich auch nicht angeführt). Und dann wird auch gleich wieder das Etikett „bedenklich“ drauf geklebt. Natürlich vertritt McLaren nicht die Vorstellung von „Himmel und Ewigkeit“ eines FTA-Absolventen, aber reine Diesseitigkeit kann man ihm nicht vorwerfen. Da reicht im Zweifelsfall ein Blick in „Finding Our Way Again“. Aber das idea-typische Schwarz-Weiß Raster führt zu solch unnötigen und ärgerlichen Kurzschlüssen.
Man kann über solche Fragen natürlich diskutieren und unterschiedlicher Meinung sein. Nur finde ich es methodisch schwierig, wie hier ein Autor andere befragt und zu Wort kommen lässt und dann quasi aus dem Off plötzlich mitdiskutiert und seine Meinung einfließen lässt, die allerdings im Unterschied zu den dort genannten Stimmen nie als persönliches Statement gekennzeichnet wird. Karsten Huhn und ich haben schon am Telefon im Vorfeld der Veröffentlichung darüber gestritten: Ich finde, er hätte diese Wertungen da heraushalten müssen, trotz allen Wohlwollens, das er in diesem Artikel auch an den Tag legt und mit dem er die Kluft zwischen Emergenten und Idea-Lesern zu überbrücken versucht.
Ich habe den Rest des Heftes noch überflogen, und es bleibt erst mal dabei: Ich bin ein glücklicherer Mensch, wenn ich Idea nicht lesen muss.
The Great Emergence: Das 20. Jahrhundert und seine Fragen (2)
Das Sinn stiftende „Cable of Meaning“, das von einer gemeinsamen Geschichte und Vorstellungen umhüllt wird, hat drei Stränge: Spiritualität, Moral und gemeinsame Praxis („corporeality“). Der Wandel des Schriftverständnisses im 20. Jahrhundert, den ich am Ende des letzten Posts beschrieben habe, gehört zum letzten Strang. Durch die Entscheidung, sich auf eine Art biblischen Absolutismus zu gründen, hat der Protestantismus sich durch den Bezug auf bestimmte, kodifizierte Glaubenssätze definiert. Der einzelne definiert sich durch die Zustimmung zu diesen Sätzen, die Institution zeigt die korporative Dimension davon auf. Zugleich verweist Tickle auf die Erneuerung der katholischen Lehre in den vatikanischen Konzilen, die den traditionalistischen Kurs vorsichtig öffnete für den Dialog der Konfessionen und Religionen.
Der Strang der Moral bekam es mit der Frage zu tun, was ein menschliches Wesen ausmacht und wo menschliches Leben beginnt und endet – die Themen Abtreibung und Sterbehilfe. Die Definitionen erwiesen sich als schwierig.
Technische Neuerungen wie Unterhaltungselektronik, Computer und das Internet stellten die religiösen Institutionen vor neue Herausforderungen und bedrohen herkömmliche Hierarchien. Der Nationalstaat verliert an Bedeutung in einer globalisierten Welt, Information wird wichtiger als Geld. Aber auch das Risiko der Desinformation steigt in einer „wiki world“.
Der zweite Weltkrieg hatte durch die Abwesenheit der Männer die amerikanischen Hausfrauen in den Beruf gedrängt und nach Kriegsende waren ihnen die Häuser, in die sie zurückkehrten, zu eng geworden. Ein neues Frauenbild war entstanden und die Kirchen überboten sich mit Angeboten, wie man die freie Zeit ausfüllen konnte. Und die Entwicklung setzte sich in den Folgejahren fort: Die Familie als Grundbaustein der Gesellschaft wandelte sich fundamental. Die Pille ermöglichte wirksame Geburtenkontrolle. Beide Ehepartner verdienten sich Geld und Anerkennung zunehmend außerhalb der Familie. Das Zuhause war nicht mehr der Grund für die Arbeit, sondern der Rückzugsraum, in dem jeder neue Kräfte sammelte, um die Arbeit wieder in Angriff zu nehmen. Inzwischen lebt die Mehrheit der Amerikaner schon nicht mehr in klassischen Familien (Vater, Mutter und die eigenen Kinder).
Auch das hatte seine Auswirkungen auf die religiöse Erziehung: Nun fielen auch die Mütter als Vermittler von Geschichten und Glaubensinhalten zunehmend aus. Eine Art biblischer Analphabetismus hielt bei den heute unter Fünfzigjährigen Einzug.
Hier sind zwei Youtube-Videos, auf denen Tickle die wesentlichen Fragen umreißt:
The Great Emergence: Das 20. Jahrhundert und seine Fragen (1)
Ich hatte diese Fortsetzung ja neulich versprochen: Phyllis Tickle sieht eine theologische und spirituelle Zeitenwende heranziehen, die mit der Reformation vergleichbar ist und deren Vorgeschichte in Nordamerika schon ein gutes Jahrhundert andauert. Hier sind einige Schlaglichter:
Der Verlust der Gewissheit: Das 20. Jahrhundert beginnt mit einem naturwissenschaftlichen Paradigmenwechsel. Einsteins Entdeckung der Relativität und Heisenbergs Unschärferelation (engl. „uncertainty“) sorgten dafür, dass allmählich für das gesamte akademische Denken absolute Wahrheiten nicht mehr existierten – es gab nur noch Beobachtungen, die vom relativen Standpunkt des Beobachters abhängen. In der Theologie hat die historische Kritik etwa bei Schweitzer die Relativität der Jesusbilder des 18. und 19. Jahrhunderts als Projektionen entlarvt, und Literar- und Formkritik trugen weiter dazu bei, dass auch Schriftauslegung als ein subjektiver Vorgang verstanden wurde – der Glaube an eine unfehlbare Schrift als direkte, unvermittelte Quelle absoluter Wahrheit war dahin.
Die Pfingstkirchen: Zeitgleich entsteht aus der lebendigen, in Gemeinschaft verwurzelten afroamerikanischen Spiritualität eine Bewegung, die ausgesprochen egalitär ist und die Barrieren zwischen Schichten, Geschlechtern und Rassen überwand und eine partizipatorische Gottesdienstkultur entwickelte. Theologie spielte dabei kaum eine Rolle. Die Bibel war nicht unwichtig, aber in Zweifelsfall war klar, dass der Heilige Geist das letzte Wort haben würde.
Die Freizeitgesellschaft: Mit dem Automobil wurden seit Fords „Tin Lizzie“ (1908) große Städte möglich, das Wochenende wurde allmählich zum Ort vielfältiger Freizeitaktivitäten und die Großfamilie saß nicht länger nach der Kirche um Großmutters Tisch – den Ort, an dem bis dahin ein Großteil der religiösen Erziehung stattgefunden hatte. Der Zwei-Generationen-Familie fehlte die „Bremse“, die den Fortschritt im Zaum hielt.
Im Gefolge der Wirtschaftskrise erlebten sozialistische Ideen eine Blütezeit. Traditionelles Christentum geriet in den Verdacht, den gesellschaftlichen Wandel durch ein Bündnis mit den alten, kapitalistischen Autoritäten zu verhindern. Um die Mitte des Jahrhunderts hatten sich die Gemeinden gewandelt. Man baute Gemeindezentren und Sportanlagen und ermöglichten das Erleben sozialer Gleichheit, auf der der gemeinsame Glaube dann aufbaute.
Der Sprung von der traditionellen, konfessionell und dogmatisch geprägten Kirchlichkeit zu einer undogmatischen, erfahrungsorientierten Spiritualität kam mit den Anonymen Alkoholikern. Jeder Teilnehmer hatte die Freiheit, sich Gott so vorzustellen, wie er wollte. Die Gesundung schien auf dieser Fähigkeit zu beruhen. Zugleich wurden die „Fachleute“ in dem Heilungsprozess durch ehemalige Abhängige ersetzt, was wiederum die Rolle des Klerus allmählich untergrub.
Die Begegnung mit dem Buddhismus: Immer neue Wellen von Einwanderern, vor allem aus Asien (und dann die Kriege in Japan, Korea und Vietnam mit den Begegnungen zwischen den Kulturen), trugen dazu bei, dass seit dem Immigration Act von 1965 eine Spiritualität ins Land schwappte, die keine Religion mehr brauchte, um zu funktionieren. Das Christentum in den USA war bis dahin in seiner Mehrheit ländlich, hart arbeitend, ästhetisch unterentwickelt und lebte aus einer Frömmigkeit des Wortes. Der Buddhismus begann, ein großes Vakuum zu füllen:
Dann kam der Buddhismus mit seiner reichen, reichen Erzähltradition weisheitlicher Erfahrung, Jahrhunderten entspannter Konversation über das Leben des menschlichen Geistes, einer Fülle von Ausdrücken und einer üppigen Rhetorik, mit seiner sensiblen und sinnlichen Praxis, die den Körper in die Geisteswelt einbezog, exotischen Ornamenten und einer ruhigen Ästhetik, mit der Zusicherung, dass hochstehende und sogar beneidenswerte Kulturen aus der Meditation genauso entstehen können wie aus einer frenetischen Arbeitsethik, mit der Betonung auf der Stille und der Lehre von einer Realität jenseits der Illusion. (…) Die Reise des Geistes erforderte nicht das Gepäck der Religion, um zu einer sinnvollen, lohnenden Wanderung zu werden. (S. 96)
Die Drogenerfahrungen der sechziger und siebziger Jahre vertieften diese Tendenz der Erforschung der eigenen Innerlichkeit und warfen zudem die Frage auf, was denn Bewusstsein eigentlich ist.
Die Erosion des Sola Scriptura: Seit Luthers Zeiten war die Schrift die unangefochtene Autorität im Protestantismus, der in Nordamerika (anders als in weiten Teilen Europas) dominierte. Schon der Bürgerkrieg offenbarte, dass sich sowohl Gegner als auch Befürworter der Sklaverei auf die Schrift berufen konnten. Fast alle protestantischen Kirchen hatten sich über dieser Frage damals gespalten. Nach dem ersten Weltkrieg stand die Frage der Gleichberechtigung der Geschlechter zur Debatte, Frauen erhielten nach einigen Jahren das Wahlrecht und waren als Bürgerinnen nicht mehr den Männern unterworfen.
Zur Mitte des Jahrhunderts stand die Frage der Ehescheidung an. Allmählich durften Geschiedene Teil der Gemeinde sein, Wiederheirat wurde akzeptiert und gegen Ende des Jahrhunderts galt dies auch für den Klerus. Die nächste Auseinandersetzung drehte sich um die Ordination von Frauen und die Zulassung zum Bischofsamt und als letzte dieser Fragen steht das Thema Homosexualität zur Debatte. Mit ihr – als letztem und eben deshalb bitterstem Streitfall – wird das protestantische Schriftverständnis zu Grabe getragen. Nicht die Autorität der Schrift (!)
… aber was die protestantische Tradition über das Wesen dieser Autorität gelehrt hat wird entweder tot sein oder um des Überlebens willen neu konfiguriert werden müssen. (S. 101)
(Fortsetzung folgt)
Schrift ohne Prinzip?
Das kommt kurz nach dem Reformationstag: Ich habe The Great Emergence weitergelesen und bin nach einem Kapitel über die Vorgeschichte und Wirkung der Reformation (beziehungsweise den Fragen, die sie aufwarf) nun bei den Entwicklungen, die das reformatorische Paradigma sprengen, das vor 500 Jahren die mittelalterlichen Autoritäten ersetzte. Sehr spannend, ich werde in den nächsten Tagen mal eine Zusammenfassung wagen.
Tickle ist überzeugt, dass das protestantische Schriftprinzip (wichtig: nicht die Schrift selbst!) in naher Zukunft mausetot sein wird. Wenn ich es richtig sehe, sieht sie das Wirken des Heiligen Geistes an dessen Stelle treten, das deutet sich in ihrer Darstellung der Pfingstbewegung an.
Bis ich das alles verstehe und wiedergeben kann, hier ein Artikel von Kurt Willems aus The Ooze, der sich mit einem postmodernen Schriftverständnis befasst und ein paar Fehlinterpretationen von Derrida und Lyotard zu korrigieren versucht.