Radikal statt rigoros: Kirche jenseits der Bürgerlichkeit

Dank der tatkräftigen Hilfe von Andrew Jones habe ich antiquarisch Jenseits bürgerlicher Religion. Reden über die Zukunft des Christentums von Johann Baptist Metz erstanden, das auf Englisch unter dem Titel Emergent Church erschienen ist. Der erste Essay „Messianische oder bürgerliche Religion?“ hat es schon schwer in sich. Metz hat das 1978 auf dem Katholikentag vorgetragen und sich massiver Kritik der Kardinäle Döpfner und Ratzinger damit ausgesetzt.

Die Lektüre fördert Erstaunliches zu Tage: Wer etwa meint, die Unterscheidung Centered Set/Bounded Set sei eine Entdeckung der aus jüngster Zeit, reibt sich verdutzt die Augen beim Lesen: Metz kritisiert den moralisch-gesetzlichen Rigorismus der katholischen Kirche, der einer Verweltlichung und Verbürgerlichung der Kirche entgegenwirken will, aber die falschen Mittel benutzt. Richtig wäre seiner Meinung nach Folgendes (und das wohl nicht nur für Katholiken):

Wenn sie (die Kirche) evangelisch »radikaler« wäre, brauchte sie vermutlich gesetzlich nicht so »rigoros« zu sein. Rigorosität stammt eher aus Angst, Radikalität aus Freiheit, aus der Freiheit des Rufes Christi. (…) Sie könnte dann z.B. auch solche, die in ihrer Ehe gescheitert sind und dafür um Vergebung bitten, zu den Sakramenten zulassen, ohne dass sie einen Dammbruch befürchten müsste. Die Kirche brauchte dann auch nicht den Pflichtzölibat zur Bemäntelung der entradikalisierten Christenheit. Es bestünde nämlich gar nicht die Gefahr, dass die apokalyptische Tugend der Ehelosigkeit erlöschen würde; sie würde aus der Radikalität der Nachfolge immer neu entstehen.

Dann übrigens würde auch die kirchliche Autorität bei uns ihr allenthalben beklagtes behördliches Antlitz verlieren; sie würde stärker die Züge einer religiösen Führungsautorität annehmen können

Metz ist definitiv ein Kandidat für die Ahnengalerie der Emerging Church. Bei Gelegenheit werde ich noch ein paar seiner Gedanken posten.

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Eine Antwort auf „Radikal statt rigoros: Kirche jenseits der Bürgerlichkeit“

  1. Wow! 1978?!? Auf einem Katholikentag?!?
    Sehr guter auf den Punkt gebracht, dieser Unterschied von radikal und rigeros. Diese Angst vor einem moralischen Dammbruch gibt’s wahrhaft nicht nur in der katholischen Kirche, sondern auch in der evangelikalen Welt. Und aus Angst davor wird man gern „rigoros“.

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