Alles ist relational

Immer wieder steht ja „die“ Postmoderne und mit ihr die Emerging Church im Verdacht des Relativismus. Bei allem, was vielleicht immer auch tatsächlich relativiert werden muss, glaube ich, dass es im Grunde um eine noch tiefere Einsicht geht, mit der hier (durchaus im Sinne eines kritischen Realismus) theologisch in vielfältiger Form ernst gemacht wird:

… die Realität ist relational, eine Einsicht, die sich gewiss trifft mit der zunehmenden wissenschaftlichen Anerkennung des relationalen Charakters des physischen Universums. Der altmodische Atomismus, der das Bild isolierter Partikel zeichnete, die im anonsten leeren Behälter des Raumes herumklapperten, ist längst ersetzt worden durch die integrierte Darstellung der allgemeinen Relativitätstheorie von Raum, Zeit und Materie, die als Gesamtpaket begriffen wird. Die Quantentheorie brachte eine bemerkenswerte Form der Verflechtung subatomarer Partkel ans Licht (…). Die physische Welt sieht mehr und mehr wie ein Universum aus, das sehr wohl die Schöpfung eines trinitarischen Gottes sein könnte, der Eine, dessen tiefste Wirklichkeit relational ist.

„Quantum Physics and Theology: An Unexpected Kinship“ (John Polkinghorne), S. 103f.

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Luthermergent

In den USA gibt es einen lutherischen Zweig von Emergent. Oder einen emergenten Flügel der Lutheraner. Je nach Blickwinkel. Hier gehts zur Website. Die Wortschöpfung ist sicher suboptimal. Nett sind aber all die deutschen Namen. Und es gibt eine Karte, auf der man sich und seine community eintragen kann.

Ob das für Simons Initiative (apropos: ich mach‘ gern mit…) Richtung Landeskirche etwas abwirft? Vielleicht wo es um Theologie geht, aber bei den Strukturen sind die Amis in hiesiger Diktion ja eher „Freikirchler“.

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Blöde Frage?

Ich kämpfe mit einem Gottesdienstentwurf aus Pete Rollins‘ „How (not) to speak of God“ für den Karsamstag. Dort wird in verschiedenen Formen die Frage aufgeworfen, ob wir Christus auch dann folgen würden, wenn wir noch gar nicht wüssten, dass alles gut ausgeht. Die Implikation ist die, dass wahre Liebe und Nachfolge bedingungslos sind und dass ein Spekulieren auf ein Happy End billiger Opportunismus wäre.

Das Problem (das mich, je länger ich lese, richtig wütend macht) ist dabei die Frage selbst. Denn erstens blendet sie aus, dass Jesus im Tod von allen verlassen war. Also wäre es anmaßend, sich einreden zu wollen, wir hätten eine bessere Figur abgegeben. Umgekehrt wäre ein dauerhaftes Festhalten an einem toten Christus (wie eine fiktive Geschichte es suggeriert) auch aus der Sicht des Paulus blanker Unsinn: „Wenn aber Christus nicht auferweckt worden ist, dann ist euer Glaube nutzlos und ihr seid immer noch in euren Sünden.“ (1. Kor 15,17)

Der hypothetische Schritt, sich an die Seite eines nicht nur scheinbar, sondern ganz offenkundig sinnlos Gescheiterten zu stellen, wäre nur eine tragische Pose – eine absurde Selbstinszenierung, die den Triumph des Nihilismus feiert, statt ihm eben jene Hoffnung entgegenzusetzen, aus der heraus Jesus selbst den Weg ans Kreuz überhaupt erst angetreten hatte.

Wir sollen vielleicht lernen, Jesus mehr als unser eigenes Leben zu lieben und ihm zu folgen. Aber es kann ja nicht darum gehen, ihn mehr als das Leben zu lieben. Weil er nämlich das Leben und die Liebe selbst ist. Die Antwort auf eine Auferstehung ohne Kreuz kann nicht ein Kreuz sein, das künstlich ohne Auferstehung auskommen muss. Es geht um die ganze Geschichte…

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Gesellschaft mit beschränkter Bodenhaftung

Die SZ beleuchtet das Leben der Superreichen, die völlig losgelöst vom Rest der Welt zu existieren scheint. Und fragt, wie das geschehen konnte. Eine Schlussfolgerung ist diese:

In den neunziger Jahren lautete das Mantra des Erfolges: “Think outside the box”. Nur wer es schaffte, außerhalb der etablierten Strukturen zu denken, wer die gängigen Regeln und Grenzen ignorierte, missachtete, überlistete, der konnte auch vom Informatikstudenten zum Milliardär, vom BWL-Praktikanten zum Konzernchef aufsteigen. Wer aber sein Leben nach der rebellischen Maxime ausgerichtet hat, Regeln zu missachten und dafür so reich belohnt wurde – warum soll er sich noch an Gesetze halten?

Bei aller berechtigten und nötigen Betonung von Kreativität und Querdenkertum finde ich es gut, dass die meisten Leute in der emerging conversation sich eine gute Bodenhaftung bewahrt haben. Ist vielleicht auch einfacher, weil man damit weder reich noch mächtig wird.

Trotzdem bleiben immer noch Sätze in dem Artikel, die nachdenklich machen. Etwa in der Diskussion um führerlose Organisationen:

… letztlich haben laterale Strukturen und laterales Denken nicht nur schwerfällige Hierarchien eliminiert, sondern eben auch das Gefühl der Verantwortung.

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Emergent-Nachlese (8): rot/blaues und grünes Evangelium

In früheren Zeiten (und an manchen Stellen ist das heute noch so) fanden viele den Gedanken ausgesprochen attraktiv, zum auserwählten Volk zu gehören. Zunächst einmal ganz vordergründig politisch und national, nicht nur religiös. Da war es nicht anstößig, dass Gott die Seinen bevorzugt und die anderen seinen Zorn zu spüren bekommen. In dieser Situation lautete das Evangelium dann: Du darfst auf die Seite des Siegers wechseln und zu den Guten gehören. “Bekehrungen” aus Angst vor der “Hölle” waren keine Seltenheit. Für manche Ideale von Erweckung sind Predigten wie die von Jonathan Edwards daher heute noch konstitutiv. Gott war ein nach innen vielleicht freundlicher-strenger Herrscher, aber hart gegen die Feinde (egal ob das nun die Nachbarvölker, die Barbaren, andere Religionen oder Konfessionen sind). In der Logik der Spiral Dynamics, die Jens so gut dargestellt hat, ist das die blaue (und teilweise auch rote) “Frequenz”.

Heute ist dieses Evangelium schlicht nicht mehr vermittelbar. Was nicht heißt, dass manche es doch noch versuchen. Gerade gebildete Menschen sind sehr sensibel, wenn es um Ausgrenzung und Benachteiligung oder gar und Rache und Willkür geht. Das ist dann die “grüne”, ausgesprochen autoritätskritische Frequenz. Die meisten von uns empfinden intuitiv so: Wie kann man sagen, dass Gott Liebe ist, wenn sein Heil am Ende nur wenigen Auserwählten gilt? Oder muss man nicht Angst und Abscheu vor einem solchen Wesen empfinden – so wie in diesem Cartoon auf ASBO Jesus:

 2007 11 Do-You-Want

Muss man nicht sogar gegenüber einem solchen Gott (wie ihn das “blaue” Evangelium für “grüne” Ohren beschreibt?) das Angebot zur Kapitulation ausschlagen und im Zweifelsfall die Hölle aus Solidarität mit all jenen wählen, die keine faire Chance hatten? Ich lasse die vielen theologischen Implikationen beiseite – hier geht es nur darum, was unser Adressat tatsächlich hört. Auf dieser Frequenz gibt es keine Verständigung. Es muss also anders gehen.

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Wirtschaftlich Denken

Chefredakteur Helmut Matthies von idea hat sich letzte Woche etwas eigenartig in Richtung Emerging Church geäußert. Dazu gibt es nun einen offenen Brief auf der Website von Emergent Deutschland. Wer mag, kann in den Kommentaren gern Unterstützung oder Kritik äußern.

Hier noch ein persönlicher Gedanke: Matthies argumentiert in dieser Frage ökonomisch – die Finanznot mancher Werke werde durch die Emerging Conversation verschärft. Dieser Zusammenhang ist absurd, wirft jedoch die Frage nach den tatsächlichen Interessen auf. Ich sag mal so viel: Hier hat er einen idealen Sündenbock gefunden, der theologisch, kulturell und politisch ohnehin nicht ins klassische Spektrum der Idea-Leser gehört. Da kann man auch mal schießen, ohne Abonnenten zu verlieren.

Noch etwas weiter gedacht: Hinter kaum noch vorgehaltener Hand höre ich immer wieder, wie frustriert und fast schon resigniert viele gemäßigte und progressive Evangelikale in unserem Land darüber sind, dass unter Matthies‘ Leitung durch idea der rechte Rand dieser Bewegung publizistisch überproportional verstärkt und Debatten durch undifferenzierte Etikettierungen in einer schädlichen Weise polarisiert werden.

Wird hier also eine erzkonservative, zahlungskräftige Klientel bevorzugt bedient? Und hat Matthies daher die Sorge, dass eine Öffnung oder gar ein “Linksruck” (bzw. wohl doch eher eine Bewegung hin zur gesellschaftlichen Mitte) unter Evangelikalen auch wirtschaftliche Risiken für Idea in der gegenwärtigen Ausrichtung birgt?

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Naive Postmoderne?

Depone hat jüngst die Frage Leitungsverständnisses zwischen Rebellion und Unterwürfigkeit aufgegriffen – ein Spannungsfeld, in dem wir uns wohl alle irgendwie bewegen. Ich bin gespannt auf die Kommentare.

Beim Lesen habe ich mich an eine Grafik erinnert, die ich in The Truth about the Truth: De-confusing and Re-constructing the Postmodern World von Walter Truett Anderson gefunden habe. Die Diskussion, ob die Postmoderne schon vorbei sei, erübrigt sich, wenn man versteht, dass hier nicht nur ein Schritt linear hinter den vorhergehenden (Moderne) gesetzt wird, sondern dass die Krise der Moderne ein ganzes Bündel von Reaktionen ausgelöst hat, die nun alle gleichzeitig ablaufen:

Postmodern

Von daher überrascht es auch nicht, dass Menschen (manchmal ein und dieselbe Person) hin und hergerissen sind zwischen vormoderner Naivität und radikaler Skepsis.

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Auf nach Greifswald

Im Morgengrauen werde ich zu Daniel und DoSi ins Auto steigen (ein Glück, denn die Bahn streikt morgen wieder mal…) und wir fahren ins schöne Greifswald zum ausgebuchten Symposium Kirche in der Postmoderne.

Ich bin schon schwer gespannt und mit geeinter Blogpower werden wir bis Samstag – WLAN vorausgesetzt – sicher den einen oder anderen Kommentar posten können. Simon kommt noch nach und sicher treffen wir noch weitere Bekannte.

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Zeitgeist

Heute morgen in der Allianzsitzung sprach einer der Anwesenden darüber, dass der Atheismus wieder an Boden gewinne. Ernstes Nicken kam aus der Runde. Uuups – schon vorbei, die Respiritualisierung der Gesellschaft? Auch wenn der Spiegel sich mit Richard Dawkins befasste, kann ich das derzeit nicht sehen. Eher schart sich eine schwindende Minderheit um ihn, die dankbar ist für seine streitbare Stimme.

Manch einem wäre das vielleicht aber lieber, sich wieder mit atheistischem Unglauben als vertrautem Gegenüber zu beharken als sich der verwirrenden religiösen Vielfalt zu stellen, die nicht mehr anti-, aber weitgehend unkirchlich daherkommt und wo sich viel weniger um die rationalen Argumente dreht, die uns noch so schön vertraut sind.

Gestern kam auch bei mir ZeitGeist. Kultur und Evangelium in der Postmoderne an. Gerade im Blick auf diese Entwicklungen lohnt es sich, dieses Buch in die Hand zu nehmen (bzw. zu natürlich zu kaufen). Dann muss man vielleicht Dawkins auch nicht mehr insgeheim dankbar dafür sein, dass wir noch ein paar Jahre so tun dürfen, als hätte die Moderne noch die ungebrochene Lufthoheit.

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Emergente Zankäpfel

Seit ich gestern so parallel die Diskussion über Emerging Church las, die Sebastian Heck (einige kannten ihn noch nicht bisher…) bei DoSi noch mal richtig angeheizt hatte und parallel die schon erwähnte Kritik an der augustinisch-reformatorischen Paulusinterpretation, frage ich mich, ob mit dem Abschied vom modernen Denken (im Sinne einer radikaleren “Aufklärung über die Aufklärung”) hier nicht auch ein Bewusstsein wächst, dass auch das neuzeitlich-reformatorische Paradigma zu eng geworden ist und erweitert bzw. erneuert werden muss: aus sich selbst heraus durch den Bezug auf die Schrift, aber auch im Dialog mit anderen christlichen Traditionen, vor allem der ostkirchlichen Soteriologie; auf die spielt McKnight an mit dem für ihn zentralen Begriff des “eikon”, also der Gottebenbildlichkeit des Menschen (und für meinen Geschmack müssten die Diskussionen über die Gestalt von Kirche der Frage nach dem Wesen des Evangeliums nachgeordnet sein).

Das würde auch erklären, warum sich das konfessionelle, vor allem konservativ-reformierte Lager (Calvin war eben Dogmatiker, Luther dagegen ziemlich unsystematisch – also in dieser Hinsicht wenigstens “postmoderner”) damit so schwer tut. Hier geht es aber keineswegs um einen Ausverkauf des wahren Evangeliums an die “krankhaft” relativistische Postmoderne, sondern um die Frage, wie erstens Paulus und zweitens vor allem Jesus das Evangelium verstanden und gemeint hat und wie wir das heute unter den Bedingungen unserer Kultur richtig wiedergeben.

Und an dieser Stelle hat der Konfessionalismus (der ist übrigens unschwer daran zu erkennen, dass er die polemisch-ausgrenzende Rhetorik des 16./17. Jahrhunderts noch eifrig pflegt) wohl tatsächlich eine Dosis ökumenische “Emergenz” nötig, weil er zum geschlossenen System mutiert. Zum Glück gibt es ja in allen Konfessionen neben den selbst ernannten Wächtern der reinen Lehre auch viele flexible Denker, die sich auf eine (jetzt wird’s heftig) postkonfessionelle Rekontextualisierung einlassen. Ohne ihre Wurzeln zu verleugnen, und ohne gleich das perfekte Resultat zu erwarten.

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