Hasos Workshop „Postcharismatik“ auf dem Emergent Forum war (obwohl ich den letzten Teil verpasst habe) eine sehr anregende Sache. Die meisten Gesprächsteilnehmer hatten in der Vergangenheit überwiegend positive Erfahrungen mit der charismatischen Bewegung gemacht. Und doch war im Laufe der Zeit immer deutlicher geworden, dass an manchen Stellen eine gewisse Ernüchterung eingetreten war: Einiges „funktionierte“ nicht mehr wie früher, anderes schien zu fehlen – besonders im Hinblick auf eine ganzheitliche und erfüllte Spiritualität, die uns dauerhaft weiterbringt, und auf gesellschaftliche Relevanz der Sprache und Gottesdienstformen. Viele waren der ständig neuen Wellen und der chronisch vollmundigen Verheißungen überdrüssig geworden. Fast alle hatten Freunde und Bekannte, die an den Parolen und Vorbildern verzweifelt waren. Den Hunger nach Gott und die Sehnsucht nach einem Leben mit mehr Kraft und Tiefgang dagegen hatten die wenigsten aufgegeben.
Wie bewahrt man nun auf dem weiteren Weg in der Nachfolge Christi das Gute der charismatisch-pfingstlichen Bewegung, die ja immerhin der wohl dynamischste Teil der Weltchristenheit ist? Natürlich ist sie nicht frei von Fehlern und problematischen Seiten – aber das kann man von den anderen Flügeln der Weltkirche auch nicht behaupten. Im Unterschied zu den verbürgerlichten reformatorischen Kirchen erreichen Pfingstler gerade die armen und einfachen Leute. Johannes Reimer erzählte in einem persönlichen Gespräch am Rande vom explosiven Wachstum der Pentecostales in Lateinamerika. Und Haso wies auf die Mitwirkung großer Pfingstgemeinden bei der Überwindung der Rassentrennung in Südafrika hin. Und in der Ursprungszeit der Pfingstbewegung waren Frauen und Männer, Arme und Reiche, Schwarze und Weiße tatsächlich eins. Für mich das deutlichste Zeichen, dass hier der Geist Gottes am Werk gewesen sein muss und es noch ist.
Die charismatische Bewegung in den westlichen Ländern hat diese Radikalität nicht so oft erreicht. Und während es durchaus in Ordnung ist, einem Armen irgendwo auf der Welt zu sagen, dass Armut nicht der Wille Gottes ist, so hat das umstrittene Wohlstandsevangelium im Kontext mancher (aber bei Weitem nicht aller!) charismatischen Vorstadtgemeinden das Evangelium problematische Züge angenommen. Mit der (hin und wieder auch kommerzialisierten) Betonung auf Heilung und Wohlbefinden wurden manche Richtungen fast zum christlichen Pendant der Esoterik und Wellness-Bewegung. Aber vielleicht lässt sich das ja ergänzen durch einen ebenso intensiven Einsatz für Diakonie und soziale Gerechtigkeit.
Die letzten Tage habe ich dann mit einigen Leitern aus dem bunten charismatischen Spektrum zugebracht und mich an der Vielfalt, Lebendigkeit und Offenheit gefreut, die mir dort entgegen kam. Natürlich gibt es auch mehr oder weniger große theologische und kulturelle Differenzen, aber überall war der Wille erkennbar, unterschiedliche Positionen nicht als Trennungsgrund zu betrachten, sondern die Unterschiede stehen zu lassen und einander so gut es geht zuzuhören. Viele machen an ihrem Ort und auf ihre Weise Schritte in ihr gesellschaftliches Umfeld hinein und erleben dabei gute und ermutigende Dinge.
Für mich waren die Gespräche sehr wertvoll, weil ich dort ein aufrichtiges und leidenschaftliches Suchen nach Gott und seinen Wegen gefunden habe und die Bereitschaft, sich dafür ganz einzusetzen. Und es gibt viele Parallelen zur Emerging Church, vielleicht weniger in den Formen als vielmehr in den Haltungen: Viele sind anfangs auch als Bilderstürmer und lästige Rebellen behandelt worden, jede(r) kann von Fehlern und Irrwegen berichten, die sie oder er im Lauf der Jahre gemacht und – oft mit Hilfe von Mentoren oder treuen Betern – auch wieder hinter sich gelassen hat. Und wir sprachen auch von Erfolgen und Rückschlägen und der immer noch vorhandenen Sehnsucht nach einem erfüllten geistlichen Leben, wachsenden Gemeinden und einer echten Transformation der Gesellschaft, die sich nicht allein auf guten Willen und menschliche Anstrengung, sondern auf den Geist Gottes gründet.
Jetzt im ICE nach Erlangen bereite ich den vorletzten Abend des Alpha-Kurses vor: Heilt Gott heute noch? Ich lese in Nicky Gumbels Skript eine ganze Reihe kleiner und größerer Heilungsgeschichten und bin neu motiviert, für Kranke zu beten, auch wenn meine eigenen Erfahrungen noch deutlich bescheidener ausfallen. Andererseits fragen immer mal wieder Leute, ob es Alpha auch „weniger charismatisch“ gibt. Ich würde sagen: In der Form vielleicht schon, in der Sache aber wäre das ein schwerer Verlust.
Wertvoller Beitrag! Danke!
Liebe Dodo,
auch für dich wahrscheinlich ein interessanter Artikel über
die charismatische Bewegung/Kirchen usw. heute.
Grüße von
Bine
Die halbkritischen Gedanken zu einigen Auswüchsen der Charismatikerszene finde ich zu oberflächlich. Natürlich gibt es überall Mißstände, also ist dieser Einwand schnell weggetan. Wie wäre es, den charismatischen Denkansatz (oder soll man „Gefühlsansatz“ sagen?) einmal etwas skeptisch zu beleuchten, nämlich die mehr oder weniger intensive Erwartung von „Zeichen und Wundern“, das Begründen des Glaubens mit Erlebnissen und Emotionen, die Gefahr, zu glauben, man könne über den Heiligen Geist gewissermaßen „verfügen“, wobei man leicht vergißt, daß Christus vorbildlich betete: „Herr, nicht mein, sondern DEIN Wille geschehe!“
Leider sehe ich auch eine weiterhin zu unkritische Haltung zur pfingstkirchlichen Frömmigkeit. Daß niemand eine höhere Stufe der Spiritualität für sich reklamieren sollte, ist sowieso klar. Aber daß das Bedürfnis nach lebendigem Glauben, nach Heilung, nach Wundern und vor allem nach der berühmten „Erweckung“ so oft und viel mißbraucht wurde, ist einer tieferen Analyse wert.
Selbst die offensichtlichsten Verirrungen, die wieder und wieder durch die charismatische Bewegung schwappen, werden verteidigt und in Schutz genommen – sei es nun der „Toronto-Segen“ oder neuerdings das „Lakeland-Theater“.
Wann werden endlich die falschen Propheten Buße tun, die so viele Erweckungen ausgerufen haben, oder die Heiler, die mittels seelischer Manipulationen Kranke und Behinderte in Krisen gestürzt haben? Immerhin hat der Chef von „Charisma“ schon mal etwas Selbstkritik geübt.
Aber ok – sicher ist der Blick auf das ganze immer sehr subjektiv, und das Thema „Charismatiker“ löst heftigste Kontorversen aus, die am Ende auch niemandem was bringen.
@ Felizitas/Flash: Ich habe hier von zwei konkreten Ereignissen geschrieben. Manches stellt sich vielleicht einfach anders dar, wenn man dabei ist und Menschen halbwegs offen begegnet. Und da fallen meine Urteile eben anders aus. Manches an der Sachkritik kann ich verstehen, aber es ist definitiv nicht so, dass da nicht auch viel Gutes wäre. Ich denke, vielen Charismatikern (die kann man nicht über einen Kamm scheren) sind diese Punkte durchaus bewusst. Aber von den Menschen will ich mich gar nicht distanzieren. Das bringt tatsächlich niemandem etwas.
In den den charismatischen Kreisen heute ist wirklich ein sehr grosses Geisteswirken da – aber ist es auch von Gott gewirkt? Zu etwa 80 % mache ich da ein sehr grosses Fragezeichen. In den meisten Fällen ist doch nur ein Gefühsdasein. In der Bibel ist nachzu lesen … und Gott sprach — oder .. Gott redete und solches — nirgens habe ich gefunden – Gott liess fühlen — nach Johannes 16:13 wird der Geist Gottes alles sagen und erinnern was Gott schon gesagt hat .. nicht – er wird fühlen lassen. —– Zu den Wundern :-: Wann Gott nicht mehr solche Wunder tut – wie sie uns in der Bibel uns berichtet ist, liegt es nicht an Gott, sondern an uns Menschen – da wir Menschen schon vielfach von Gott abgewichen sind und haben Ersatzt gesucht und gefunden. Heute tanz man wohl nicht um den gegossenen Kalb. Trotzdem wird ein gewaltiger Tanz in den einzelnen Zusammenkünften gemacht. Heute sagt Gott: – MEIN HAUS SOLL EIN BETHAUS SEIN; IHR ABER HABT ES ZU EINEM THEATERHAUS GEMACHT. – Wer heute Gottes Wirken ablehnt oder eigenes erwirkt – der lehnt den lebendigen Gott ab. Wenn etliche heute behaupten – das war früher, heute nicht mehr – – der gibt zum Ausdruck, das wir heute einen Toten Gott haben – wer Gott ablehnt wie er ist, der wird selbst von Gott abgelehnt werden — wo es einmal heissen wird – HINWEG MIT EUCH; ICH KENNE EUCH NICHT —- wir müssen wieder zur besinnung kommen und uns so wenden, das zu dem lebendigen Glauben der sich entwickelt, das Gottes Wort so verkündigt wird, das ER sein Evangelium bestätigt, und nicht den Menschen – auch nicht mich, weil grad mal etwas gesagt wurde – mit einem christlichem Anstrich. Ich sage:-: WIR HABEN NOCH EINEN LEBENDIGEN GOTT; DER SICH AUCH BESTÄTIGT – MITTEN IM TÄGLICHEM DASEIN.
danke für den beitrag, der die gedanken unseres workshops gut aufgreift und weiterführt. ich denke, wir sind da auf guten fährten.
zu den comments: gewisse themen lösen immer noch bedingte pawlowsche reflexe aus.