Barth missional (7): Die Freiheit der Sprache

Die einen sind den anderen zu fromm und antiquiert, die anderen sind den einen zu flapsig. Die sprachliche Innovation von gestern ist der alte Hut von morgen. Muss man es genau so wie immer sagen oder um jeden Preis anders, wenn man über Gott spricht? Barth plädiert für die größtmögliche Freiheit. So wie er schreibt, schaffen es ohnehin nur wenige, und auch das ist gut so:

Sie ist ihre Freiheit, weil sie, gerade indem sie über keine ihnen eigene sakrale Sprache verfügen, auch nicht an eine solche gebunden sind, weil ihnen grundsätzlich das ganze Gebiet der menschlichen Sprache, der ganze Reichtum ihrer Möglichkeiten offen steht, um allen Menschen gegenüber, je in deren eigener Sprache – den Einfachen einfach, den Komplizierten kompliziert – das «zur Sprache zu bringen», was die Gemeinde als Zeuge Gottes, seines Werkes und Wortes zu sagen hat.

Sie ist ihre Freiheit, weil sie auf dem weiten Gebiet der Sprache wirklich wählen, diese Möglichkeit einer anderen vorziehen, zwischen den verschiedenen Möglichkeiten aber auch abwechseln, von dieser zu einer anderen übergehen, von dieser fast regelmäßig, von jener öfters, von jener selten, von jener wohl auch gar keinen Gebrauch machen dürfen und sollen.

Sie ist ihre Freiheit, weil sie mit dem profanen Sinn der von ihr gebrauchten Worte und Wendungen unbefangen spielen bzw. arbeiten dürfen, weil sie nämlich bei deren Auswahl und Gebrauch nur einer Instanz streng und letztlich verantwortlich sind: dem Worte Gottes selbst, um dessen Bezeugung es ihnen bei dem, was sie sagen, unter allen Umständen gehen muß – im übrigen aber unabhängig von allen etwa in dieser oder jener Erkenntnistheorie, Semantik, Logik oder Metaphysik begründeten Denk- und Sprachgesetzen, selbstverständlich auch unabhängig von allen Wünschen nach besonderer Feierlichkeit, Frömmigkeit und Salbung, aber auch von solchen nach besonderer Modernität, Ungeniertheit und Weltlichkeit ihrer Äußerungen. Sie müssen in allen diesen Richtungen gar nichts, sie dürfen alles.

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Barth missional (6): Weltlich von Gott reden

Barth kommt auf das Thema Kontextualisierung zu sprechen. Die Kirche hat für das Evangelium keine eigene, religiöse Sprache, sie muss sich aber auch nicht krampfhaft um eine „nichtreligiöse“ Sprache bemühen und dabei den Bezug zum Wort der Schrift oder der christlichen Tradition aufs Spiel setzen. Auch die sind ja ursprünglich in „profaner“ Sprache formuliert worden. Auch deswegen, weil alle Sprache stets und unweigerlich verständlich und missverständlich zugleich ist:

Die christliche Gemeinde hat etwas ihr Eigenes zu sagen, sie hat aber – und das bedeutet zunächst ihre Abhängigkeit von ihrer Umgebung – keine eigene Sprache. Sie kann sich in ihren Äußerungen, auch im strengsten Dienst der ihr aufgetragenen Bezeugung des Wortes Gottes, auch in der notwendigen Arbeit des immer neuen prüfenden Reflektierens ihres Zeugnisses – auch in ihrer Theologie also – nur an die Denk- und Redeweise ihrer jeweiligen zeitlich und räumlich näheren oder ferneren, früheren oder gegenwärtigen Umwelt anschließen, sich deren Bedingungen und Grenzen unterwerfen. Sie kann also die menschliche Sprache, auch wenn sie in Zungen redete, nicht wirklich transzendieren.

[…] Was immer die christliche Gemeinde zu sagen hat, sie kann es auf alle Fälle nur weltlich sagen: in jedem Wort weltlich bis auf dessen Wurzel, in jeder Wendung weltlich bis auf deren ursprünglichsten Sinn.

[…] Aber in welcher Sprache sie auch rede, sie lebt dabei gänzlich von fremdem, vielmehr von allgemeinem Gut: sie ist dabei notorisch und ohne alle Ausweichmöglichkeiten nach rechts oder links begrenzt und bedingt durch die menschlichen Ausdrucksformen, die sie mit ihrer näheren und ferneren, mit ihrer einstigen und heutigen Umwelt gemein hat. Sie kann nur weltlich reden. (KD IV,3 / S. 842)

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Barth missional (5): Inkarnation und Gemeinde

Barths nicht enden wollende Bandwurmsätze sind eine schwere Anfechtung für den Leser. Wer sich dennoch die Mühe macht, sie zu entwirrren, der stößt hier auf die Grundlagen einer „Ekklesiologie der Inkarnation“ – und deren direkte Verbindung zur Christologie:

So gewiß ihr Herr Jesus Christus nicht als „logos asarkos“, sondern als das Verbum incarnandum, in seiner konkreten Menschlichkeit und Sichtbarkeit als der Mensch Jesus von Nazareth, von Ewigkeit her erwählt wurde, so gewiß er (1 . Joh. 4, 2) «im Fleisch gekommen» ist, gelebt und gelitten hat und gestorben ist, so gewiß er sein konkret menschliches Wesen auch nicht abgelegt hat, sondern gerade in ihm von den Toten auferstanden, gen Himmel gefahren ist und mit ihm bekleidet zur Rechten Gottes sitzt, so gewiß gerade die Herablassung Gottes ins Fleisch, in die konkrete adamitische Menschheit, keine bedauerliche Minderung, sondern als das Werk seiner Gnade, der Triumph und die Vollendung seiner […] Ehre und Herrlichkeit ist – so gewiß hat er in demselben Jesus Christus auch seine Gemeinde gerade in ihrem Sein nach außen, gerade in ihrer Sichtbarkeit und Weltlichkeit, gerade in ihrer Gleichartigkeit mit allen anderen Völkern erwählt, so gewiß wird auch sie ihrer nicht wieder entkleidet, wird vielmehr auch sie in der Vollendung seiner Wiederkunft gerade in ihrer Sichtbarkeit und Weltlichkeit offenbar und eben so – dann gewiß keinem Mißverständnis mehr ausgesetzt, dann eindeutig leuchtend in der Ganzheit ihres Wesens, des ewigen Lebens in der Gemeinschaft mit Gott teilhaftig werden. Ist es ihr aber von Ewigkeit her und in Ewigkeit wesentlich, als die Gemeinde Jesu Christi auch ganz nach außen, sichtbar und weltlich, den anderen Menschenvölkern gleichartig zu sein, dann offenbar erst recht in ihrer inzwischen sich ereignenden zeitlichen Geschichte. (KD IV,3, S. 829)

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Barth missional (4): Das eine Reich Gottes

Es bleibt nicht beim Gegenüber von menschlicher Konfusion und göttlicher Vorsehung. Das Evangelium hat glücklicherweise mehr zu sagen, als bloß auf diesen Zwiespalt hinzuweisen, meint Barth:

Denn das ist das offenbare Geheimnis des in Jesus Christus Geschehenen: daß in Ihm der hohe, aber die Welt liebende, den Menschen erwählende und befreiende Gott und die niedrige, aber von Gott geliebte Welt, der von ihm erwählte und befreite Mensch, wohl unterschieden, aber nicht getrennt, nicht Zwei, sondern Einer, Eines sind. In Ihm ist der Bund zwischen Gott und dem Menschen nicht nur der von Gott gehaltene, vom Menschen aber gebrochene, sondern der von beiden zugleich gehaltene und so der erfüllte Bund. In Ihm klaffen nicht zwei Reiche auseinander: in Ihm ist das eine Reich Gottes Wirklichkeit. Das ist das Neue, das die christliche Gemeinde nicht irgendwo gesucht und gefunden, geschweige denn in irgendeinem Geistesschwung erfunden hat, von dem sie aber, indem es selbst sich ihr eröffnete, ihrerseits gefunden wurde, indem das Wort, der Ruf Jesu Christi an sie erging und von ihr vernommen wurde.

KD IV,3 S. 815

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(Schl)echtes Heldentum?

Tom Wright setzt sich in der Church Times mit der Tötung Osama bin Ladens durch die USA auseinander. Er kritisiert die Neigung der Amerikaner, das Recht in die eigene Hand (oder sollten wir sagen: Faust?) zu nehmen und beklagt, dass der Aufbau effektiver internationaler Rechtsstrukturen vor allem auch am Widerstand der USA bisher gescheitert ist.

Die Superhelden-Logik der westlichen Supermacht beschreibt er mit Robert Jewett so:

  • Die Macht von Gesetz und Ordnung ist zu gering
  • Die Bösen kommen mit ihren Machenschaften davon
  • Der Held übt ohne Deckung durch das Gesetz und verdeckt Gewalt, um die bedrohte Gemeinschaft zu retten

Diese Mythos erlösender Gewalt beeinflusst auch Obamas Strategie. Leider reproduziert er die Gewalt, die er zu bekämpfen sucht. Wrights Fazit: Wir im Westen haben noch gar nicht angefangen, die Implikationen des Evangeliums für die Konflikte unserer Zeit auszuloten.

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Barth missional (3): Konfuse Welt

Barth betrachtet nach der Geschichte Israels nun die Weltgeschichte unter der Dialektik von menschlicher Verwirrung und göttlicher Vorsehung – hominum confusio et dei providentia. In dieser Perspektive lassen sich Realismus und Hoffnung zusammenhalten und ein Rückzug der Christen aus der feindliche Welt in eine fromme Nische vermeiden:

Der Teufel in Ehren: aber der Teufel kann im Großen wie im Kleinen nur da los sein, wo der Mensch los, nämlich gottlos und bruderlos existiert. Die gottlosen und bruderlosen Menschen machen die Verwirrung und damit eine nun allerdings weithin verteufelt aussehende Weltgeschichte. Der Ausdruck hominum confusione ist endlich auch darin gerade theologisch zutreffend, daß er nicht zu wenig, aber auch nicht zuviel sagt. Confusio bezeichnet zweifellos eine tief bedenkliche, eine ganze üble Sache. Confusio eröffnet den Ausblick auf ein Meer von Torheit und Bosheit, von Betrug und Unrecht, von Blut und Tränen. Confusio spricht aber doch kein schlechthiniges Verwerfungsurteil aus, bezeichnet die Weltgeschichte nicht als eine Nacht, in der alle Katzen grau sind, nicht als ein Irrenhaus, nicht als eine Verbrecherhöhle, nicht als ein Leichenfeld, geschweige denn als ein Inferno, sondern sagt von ihr nur – und das ist ernst und hart genug – daß die Menschen da Verwirrung machen, veranstalten, vollziehen. Und «Verwirrung» impliziert doch auch ein positives Moment. Daß sie unter Gottes Vorsehung geschieht, kann ja auch da drunten nicht bloß theoretische Bedeutung haben. Wo Verwirrung stattfindet, da ist nicht nur ein Element, da müssen mindestens zwei verschiedene im Spiel sein […]:
Auf der einen Seite die gute und ihrer Güte keineswegs beraubte oder sonst verlustig gegangene, auch keineswegs «zerbrochene», sondern herrlich wie am ersten Tag existierende Schöpfung Gottes: der Mensch, der hinsichtlich alles dessen, was ihn zur menschlichen Kreatur macht und als solche auszeichnet – was auch von seinem Tun zu melden sei – nicht schlecht, sondern gut ist […]
Auf der anderen Seite aber (und hier könnte nun ernstlich des Teufels zu gedenken sein): die auf keine ihr von Gott gegebene Möglichkeit begründete, von ihm, dem Schöpfer, nicht gewählte und gewollte, sondern nur eben per nefas existierende Wirklichkeit und Wirksamkeit des Absurden, des Nichtigen. Was ist das? Nichts Anderes als die Verneinung der guten Schöpfung Gottes, die als solche auch von ihm nur eben verneint, ausgeschlossen, verworfen sein kann, die darum auch von seinem Geschöpf, vom Menschen im Mittelpunkt, in der Schlüsselstellung seiner Geschöpfwelt, lebte er mit Gott, seinem Bruder und sich selbst im Frieden, nur eben verneint, ausgeschlossen, verworfen werden könnte und dürfte!

(KD IV,3 S. 796f.).

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Die Kinderbibel-Illusion

Immer wieder begegnet mir bei Jugendlichen, die mit Kindergottesdienst und Religionsunterricht groß geworden sind, ein eher gelangweiltes Verhältnis zur Bibel. „Kenn‘ ich doch schon alles…“, heißt es da oft. Und das stimmt auch in gewisser Weise. Sie kennen den Kanon im Kanon, der in Kinderbibeln, Kindergottesdienstmaterial und Lehrplänen tatsächlich mehrfach durchgehechelt wird.

Und weil sie an jedem dieser Denkmäler schon mehrfach vorbeichauffiert wurden, denken sie, sie haben alles gesehen. Wie Touristen, die schon die dritte Stadtrundfahrt durch London machen. In Wirklichkeit haben sie bei dieser Sightseeing-Tour nur die üblichen Postkartenmotive abgeklappert. London kennen ist dagegen eine ganz andere Sache.

Leider erscheinen die nicht gerade benutzerfreundlichen Paulusbriefe tatsächlich wie die weniger pittoresken Seitenstraßen im Vergleich zum bunten, (ver)einfach(t)en Hochglanzrepertoire des Kinderkanons. Das weckt nicht gerade die spontane Lust am Lesen. Der Umstieg auf die „richtige“ Bibel kann zwar erleichtert werden durch sprachlich aktuelle Übersetzungen („modern“ ist irgendwie kein passendes Wort dafür, finde ich). Aber es bleibt auch so noch eine Erwachsenenbibel, in deren Teig deutlich weniger Rosinen stecken als erhofft.

Der Weg ist nicht ganz leicht, vor allem beginnt er mit der Entdeckung, dass man die tatsächliche Bibel noch gar nicht richtig kennengelernt hat. Ein kleiner Ausschnitt ist zu oft traktiert worden, der Rest fiel unter den Tisch. Wenn es ganz dumm läuft, haben wir dann am Ende Menschen mit einer geringen Dosis Bibel sogar immunisiert?

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Barth missional (2)

Weiter geht es mit einem Kommentar aus KD IV,3 über die Beziehung zwischen dem Volk Gottes und den Völkern der Welt in alttestamentlicher Perspektive:

Entscheidend ist vielmehr auch für die Weltvölker dies, was derselbe Gott auch für sie ist: daß nämlich auch sie gerade in ihrer so kritischen Funktion im Verhältnis zu seinem Volk nicht etwa souverän oder zufällig oder schicksalshaft, sondern ihnen selbst verborgen, aber höchst real, von ihm geführt und regiert, nach seinem Willen von ihm dazu eingesetzt werden.

Er macht seinem Volk Raum in ihrer Mitte. Er führt seine Kriege und er gibt ihm Frieden. Er stellt es durch sie als seine Nachbarn, durch ihre Art und Unart, auf die Probe. Er läßt es ihre Vitalität und Macht erfahren, um es um so zwingender an ihn selbst zu erinnern und ihm selbst zu verpflichten. Er läßt es jetzt über sie siegen und triumphieren, jetzt ihnen unterliegen und zur Beute werden. Er wirkt und redet in der Schwachheit und in der Stärke dieser Völker ihm gegenüber. Es geht auch in dem, was sie tun und zu leiden haben, um seine Sache.

Er führt den Pharao, und er die Potentaten von Assur, Babylon und Persien auf den Plan. Er braucht sie zu Vollstreckern seiner Gerichte, aber wie jenen Cyrus auch als Werkzeuge seiner Treue und Güte. Er setzt ihrem Tun aber auch seine Grenzen. Er läßt auch ihre Reiche steigen, stehen und fallen. Er ist auch ihr Richter und handelt auch an ihnen als solcher. Er zerstört jeden auch nur auftauchenden Schein einer Konkurrenz ihres Wollens, Könnens und Vollbringens mit dem seinigen. Er und in Wahrheit er allein ist auch in ihnen groß. (S. 791)

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Barth missional (1)

Im vierten Band der Kirchlichen Dogmatik schlug Barth die Brücke vom „prophetischen Amt“ Christi zur christlichen Gemeinde, die in seine Sendung einbezogen wird und betrat damit theologisches Neuland. Ich werde in lockerer Abfolge hier Auszüge aus dem §72 („Der Heilige Geist und die Sendung der Gemeinde“) posten, um zu sehen, was sie für die missionale Diskussion abwerfen. Hier der Einstieg zum Thema „Berufung“:

Des Menschen Berufung ist […] seine Berufung zum Christen. Eben die Berufung zum Christen ist aber, […) des Menschen Berufung in die Christenheit und also in die Kirche, d. h. in die lebendige Gemeinde des lebendigen Herrn Jesus Christus. Man wird nicht zuerst zur Kirche und dann, in der Kirche und durch sie, wohl auch noch zum Christen berufen. Man kann aber auch nicht Christ werden, um dann wohl nachträglich auch zur Kirche berufen (möglicherweise auch nicht berufen) zu werden. Wie die christliche Existenz kein bloßes Komplement der kirchlichen ist, so ist die kirchliche auch kein bloßes Komplement der christlichen.

aus: Karl Barth, Kirchliche Dogmatik IV,3, §72 S. 780

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Kind der Verheißung

Seit Jahrhunderten zerbrechen sich Christen die Köpfe (und schlugen sich dieselben gegenseitig machmal auch fast ein), wie man angemessen über Jesus reden kann. Die historischen Formulierung in den Lehre von den zwei Naturen hat dabei in vielfältige Sackgassen geführt. Hauptursache sind die Kategorien, die dort verwendet werden, da sie einer „Ontologie der Substanz“ entnommen sind. Und an dieser Stelle ist es vielleicht auch einmal angemessen, von einem gewissen Gegensatz zwischen griechischem und hebräischem Denken zu sprechen. Letzteres weist eher in die Richtung einer Ontologie der Relation, die wiederum leichter mit neueren Denkansätzen, z.B. auch dem Gedanken der Emergenz als dynamischer Interaktion, ins Gespräch zu bringen ist. Ersteres steht dagegen dem Essentialismus nahe, der die Essenz der Existenz vorordnet oder in der Biologie die Art dem Individuum.

In der neueren Theologie sind diese Kategorien daher wie in den meisten anderen Wissenschaften auch aufgegeben und die Inhalte dessen, das man mit ihrer Hilfe hatte aussagen wollen, wurden und werden in das relationale Koordinatensystem übertragen. Von Jesus als Gott zu sprechen geschieht nun nicht mehr so, dass man ihm Teilhabe an einer abstrakt bestimmbaren göttlichen Natur zuschreibt, sondern auf seine Identifikation mit Gott und Gottes Identifikation mit ihm verweist, in der Einheit und Differenz (im Sinne eines echten „Gegenübers“) vorhanden sind.

Im neuen Testament finden sich nebeneinander mehrere Linien, die diese Identifikation beschreiben: Die Geburtsgeschichten bei Matthäus und Lukas, die Taufe mit dem Empfang des Geistes (Matthäus, Markus und Lukas), die Auferweckung (z.B. Römer 1,3), die wiederum die Erhöhung schon mit umfasst.

Stellt man mal die beliebte Streitfrage nach der Jungfrauengeburt als historisches und biologisches „Faktum“ zurück, dann bleibt die Frage nach dem theologischen Gehalt und der Bedeutung. Wäre ein vermeintliches oder tatsächliches Faktum nämlich ohne heute noch nachvollziehbare und aussagbare Bedeutung, dann lohnt sich der Streit darum auch gar nicht mehr. Immerhin: Muslime glauben auch an die Jungfrauengeburt Jesu, ziehen aber daraus keineswegs dieselben Schlussfolgerungen wie Christen.

Die altkirchliche Theologie musste die Vorstellung eines Halbgottes oder Hybridwesens (bzw. eines natürlich-übernatürlichen „Zwitters“) abwehren und orientierte sich an der (damaligen) Anthropologie: So wie in der Person eines Menschen Leib und (Geist-)Seele vereint sind, so in der Person Christi göttliches und menschliches „Wesen“. Das Risiko bleibt aber, dass sich ein tendenziell unweltliches und (nicht im ethischen Sinne) unmenschliches Jesusbild daraus entwickelt, beziehungsweise dass die Logik „Pneuma statt Sperma“ sich dem Verdacht einer „Leibfeindlichkeit“ aussetzen könnte, die Sexualität grundsätzlich anrüchig findet. Der Dualismus des Leib/Geist Schemas hat in der Geschichte unter anderem ja auch dazu geführt, dass die weiblich verstandenen Materie gegenüber dem männlich konnotierten Geist als minderwertig und unterlegen erscheint.

Geht man zurück auf die nächsten jüdischen Analogien, dann stößt man auf Geschichten, die davon handeln, dass unfruchtbare Frauen Mütter werden. In der Antike galt Unfruchtbarkeit meist als das Problem der Frau, nicht des Mannes. Das Motiv wird in Jes 49,21 auf das am Boden zerstörte Israel ausgeweitet. Relational gedacht ließe sich das im Blick auf Jesus vielleicht so weiterdenken: Gott überbietet, was er bei Isaak, Samuel oder Johannes dem Täufer getan hat in Jesus noch. Bei Matthäus folgt mit dem Kindermord und der Flucht nach Ägypten ja auch noch die Bezugnahme auf Mose, die größte Gestalt des Alten Testaments, die genealogische Linie zu David erwähnen Matthäus wie Lukas (und im Römerbrief auch Paulus). All das zusammen baut ein Beziehungsfeld auf, in dem Jesus zu betrachten ist.

Könnte man es also so sagen: Jesus ist nicht nur ein, sondern das Kind der rettenden Verheißung, die in seiner Person ihrer umfassenden Erfüllung entgegen geht. Er ist darin, dass er sich nicht sich selbst verdankt, Teil unserer geschöpflichen Wirklichkeit und damit nicht weniger menschlich (im Sinne von „unnatürlich“) als wir, sondern vielleicht ja noch mehr. Weil Gottes Verheißung aber unableitbar ist und keiner bestimmten menschlichen Voraussetzungen bedarf, entzieht sich diese Geburt und diese Person auch unseren gängigen biologischen (dazu neigt die „fromme“ Richtung wie das katholische Dogma) und psychologischen (das wäre die Grundtendenz der liberalen Theologie) Aneignungs- und Anknüpfungsversuchen. Jesus ist also weder Super-/Sondermensch noch die Extrapolation eines allgemeinen religiösen Bewusstseins auf eine absolute Stufe oder in Reinform.

Paulu schreibt in 2.Korinther 1,20: „Er ist das Ja zu allem, was Gott verheißen hat.“ Als dieses Kind der Verheißung kann man ihn mit dem Evangelisten Johannes auch als das göttliche Wort verstehen.

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Am Puls der Zeit

Die letzten zwei Tage habe ich beim IGW Christologie unterrichtet. In Olten, das ist ein größerer Bahnhof mit angeschlossener Kleinstadt, in deren engen Straßen abends derzeit junge Typen mit Gelfrisur – natürlich unter meinem Zimmerfenster – mit ihren fahrbaren Untersätzen dröhnend eine Art „Need for Speed“ mit echtem Benzin spielen.

Stichwort Krawall: Wir sind in den Kurs eingestiegen, indem wir aus dem Spiegel von vorletzter Woche die Titelstory über Jesus („die rohe Botschaft“ – Frost/Hirsch oder McManus wären begeistert!) gelesen und etwas analysiert haben. Der Autor hat sich unter anderem bei Gerd Theissen und Nick Page schlau gemacht. Wer den jüdischen Kolorit des Jesusbildes bei N.T.Wright kennt, erlebt wenig Überraschungen, aber für andere Leser mag der gar nicht lammfromme Jesus (zwischendurch aktualisierend als „Wutbürger“ bezeichnet) mit nicht nur potenziell gewaltbereiten Anhängern durchaus neu sein.

Dabei erscheint ein Standardmotiv, das wir seit 200 Jahren kennen: Das Jesusbild ist im Laufe der Geschichte kirchlich übermalt worden, nun geht es darum, das Original zu rekonstruieren. Der wiederentdeckte Jesus ist hier diesseitiger und politischer als oft angenommen, er ist jüdischer (was die ersten beiden Begriffe einschließt, sie aber mit einer religiös-apokalyptischen Erwartung verbindet) und weniger romfreundlich, er stirbt den Tod eines Aufrührers, nicht den eines „Opfers“ im kultischen Sinn oder in der Logik der Satisfaktionstheorie.

Von der radikalen Skepsis, die solche Beiträge oft kennzeichnet („Hat es Jesus überhaupt je gegeben?“), diesmal keine Spur. Ich fand das ganz erfreulich. Und solche Formulierungen wie „Missionar mit heißem Atem“ würden der ein oder anderen Gemeindepredigt auch gut tun.

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Gerächtigkeit

Bin Laden ist tot, ob die Welt damit wesentlich sicherer geworden ist, bleibt unklar. Obama verbessert seine innenpolitische Position und hebt sich wenigstens dadurch von seinem Vorgänger ab, dass er eine kleine, durchdachte Operation einem ausufernden Flächenbombardement vorzieht.

Die Genugtuung darüber ist für einen Europäer eher befremdlich. Mich hat das Ganze an den Film True Grit erinnert. Da geht es auch um Vergeltung, nur ist die Protagonistin ein 14-jähriges Mädchen, ein versoffener Marshal und ein stoffeliger Texas Ranger begleiten sie. Irgendwie wird der Gedanke vergeltender „Gerechtigkeit“ (oder eben Gerächtigkeit) damit auch wieder ein Stück ironisiert.

Der ironische Obama gefällt mir nebenbei deutlich besser. Hoffentlich nimmt das demnächst wieder breiteren Raum ein.

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Inhalt und Verpackung

Das sind zwei Begriffe, die immer wieder auftauchen, wenn es um die christliche Botschaft geht. Gerade in theologisch eher konservativen Kreisen spricht man davon, dass es einen unantastbaren, ewig (im Sinne von zeitlos oder kontextunabhängig) gültigen Inhalt gibt, aber hier und da werden Zugeständnisse an die Form gemacht, die darf dann „moderner“ werden, oder was auch immer, so lange das missionarisch „funktioniert“.

Das Problem ist: Es geht nicht. Es geht genauso wenig, wie man einen Satz aus dem Deutschen verlustfrei in eine fiktive „Universalsprache“ übersetzen kann und von da in jede beliebige andere. Das Evangelium gibt es nur kontextualisiert, in einer ganz bestimmten, konkreten Sprache und Kultur, aus der es nicht rückstandsfrei herausgelöst werden kann.

Es kann also auch nur tastend, allmählich und nicht über Nacht, in der Spannung von Versuch und Irrtum in eine neue Kultur und „Sprache“ übertragen werden. Mit der „Verpackung“ ändert sich nun zwangsläufig das Gesamtpaket. Trotzdem gibt es sachgemäße und unsachgemäße Übersetzungen. Beurteilen kann das aber nur der, der „zweisprachig“ ist. Wir müssen also zurückfragen, was das biblische Evangelium in seiner jüdisch-hellenistischen Ursprungskultur ursprünglich bedeutet hat und auf welche ihrer Themen es wie antwortet. Und wir müssen unsere Zeit gut genug kennen und verstehen, um es in ihren Begriffen und auf ihre Fragen bezogen wieder neu zu sagen.

Immer wieder wird ja auch gesagt, wie hätten „kein Theoriedefizit, sondern ein Umsetzungsdefizit“. Da steckt im Grunde ein ähnlich unbefriedigender Dualismus drin wie der von Form/Verpackung und Inhalt. Und oft genug die Weigerung, gründlicher nachzudenken und radikaler zu fragen, als man das bisher getan hat. Anders gesagt: Eine Theologie, die den Horizont ihrer Zeit verfehlt, ist auch nicht mehr „richtig“. Selbst dann, wenn sie Sätze wiederholt, die vor 500 oder 1500 Jahren durchaus „richtig“ waren.

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