Inhalt und Verpackung

Das sind zwei Begriffe, die immer wieder auftauchen, wenn es um die christliche Botschaft geht. Gerade in theologisch eher konservativen Kreisen spricht man davon, dass es einen unantastbaren, ewig (im Sinne von zeitlos oder kontextunabhängig) gültigen Inhalt gibt, aber hier und da werden Zugeständnisse an die Form gemacht, die darf dann „moderner“ werden, oder was auch immer, so lange das missionarisch „funktioniert“.

Das Problem ist: Es geht nicht. Es geht genauso wenig, wie man einen Satz aus dem Deutschen verlustfrei in eine fiktive „Universalsprache“ übersetzen kann und von da in jede beliebige andere. Das Evangelium gibt es nur kontextualisiert, in einer ganz bestimmten, konkreten Sprache und Kultur, aus der es nicht rückstandsfrei herausgelöst werden kann.

Es kann also auch nur tastend, allmählich und nicht über Nacht, in der Spannung von Versuch und Irrtum in eine neue Kultur und „Sprache“ übertragen werden. Mit der „Verpackung“ ändert sich nun zwangsläufig das Gesamtpaket. Trotzdem gibt es sachgemäße und unsachgemäße Übersetzungen. Beurteilen kann das aber nur der, der „zweisprachig“ ist. Wir müssen also zurückfragen, was das biblische Evangelium in seiner jüdisch-hellenistischen Ursprungskultur ursprünglich bedeutet hat und auf welche ihrer Themen es wie antwortet. Und wir müssen unsere Zeit gut genug kennen und verstehen, um es in ihren Begriffen und auf ihre Fragen bezogen wieder neu zu sagen.

Immer wieder wird ja auch gesagt, wie hätten „kein Theoriedefizit, sondern ein Umsetzungsdefizit“. Da steckt im Grunde ein ähnlich unbefriedigender Dualismus drin wie der von Form/Verpackung und Inhalt. Und oft genug die Weigerung, gründlicher nachzudenken und radikaler zu fragen, als man das bisher getan hat. Anders gesagt: Eine Theologie, die den Horizont ihrer Zeit verfehlt, ist auch nicht mehr „richtig“. Selbst dann, wenn sie Sätze wiederholt, die vor 500 oder 1500 Jahren durchaus „richtig“ waren.

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13 Antworten auf „Inhalt und Verpackung“

  1. Lieber Peter,

    wieder einmal eine sehr gute Feststellung, die die Grundfragen im Blick hat, mit denen wir uns so selten beschäftigen – wie ist meine Weltanschauung? Welchen Verstehenshorizont habe ich und wie bestimmt mein individuelles und soziales „ich“ meine Form der Präsentation. Hier haben wir viel, viel nachzuholen und nachzubessern. Aber ganz ehrlich: Manchmal träume auch ich noch von einem „einfachen“ Evangelium. Eine Utopie, wenn man einmal diese Zusammenhänge erkannt hat, vielleicht Wehmut und Sehnsucht nach einer „einfacheren“ Welt steckt dahinter. Aber ich kann diejenigen gut verstehen, die sich mit Händen und Füßen gegen diese komplexen Zusammenhänge wehren. Wie ich auch Menschen verstehen kann, die sich gegen die komplexen Zusammenhänge ihrer Umwelt wehren und immer wieder kleine, sichere „Blasen“ erschaffen in denen alles wieder „einfach“ ist. Gut, wenn wir gemeinsam auf dem Weg sind Komplexität auszuhalten (oh – ist das jetzt Nitzsche’eske, wenn auch netter?) und trotzdem nach Einfachheit zu streben. Macht keinen Sinn, oder? Na dann… 😉

  2. Ja! Nur, was wenn jetzt auch das fiktive Ur-Evangelium wegfiele? Also wenn uns diese – oftmals sehr hilfreiche – Konstruktion einer „reinen Erst-Inkarnation“ des Evangeliums in den jüdisch-hellenistischen Kontext auch genommen würde? Oder mit NT Wrights „five-act-drama“ zu reden: was wenn wir weder den Anfang noch das Ende unseres 5. Aktes kennen würden?

  3. @Arne: Mann sollte die „Erstinkarnation“ eben einfach nicht als „rein“ bezeichnen, immerhin gibt es vier Evangelien und ganz unterschiedliche Strömungen im frühen Christentum, hinter die wir historisch nicht mehr zweifelsfrei zurück kommen.

  4. @Arne. Ein Interessanter Gedankengang, den man eigentlich weiter spinnen müsste: Was, wenn wir gar keine Kenntnis hätten…und das zeigt schon in welche Richtung es geht. Wir haben etwas, wir haben einen ersten Akt und wie wir ihn verstehen, wie wir die Dichotomie zwischen Inhalt und Verpackung überwinden ist ja die Frage.
    Versteh mich nicht falsch – ich habe nichts gegen Gedankenspiele, aber mir ist die Lage schon komplex genug. Weder den Anfang noch das Ende in irgendeiner Weise sehen zu können (und sehen müssen wir, erkennen müssen wir, wenn wir nicht im Nichts enden wollen).
    Mir dämmert, dass wir (Wir = alle, die sich dieser Komplexität bewusst sind und unsichere Schritte in Richtung einer „Deutung“ oder „Kontextualisierung“ oder „Verpackung“) fassen müssen, was „kaum zu fassen“ ist. Aber das sind wir bei Peter an der richtigen Adresse… 😉

  5. Zusätzlich wäre noch zu fragen, wie die Lesenden mit dem Text umgehen, ihn verarbeiten. Wie verfertigt der Leser das, was ihm übermittelt wird? Dazu hat in den letzten Jahren ein Ansatz aus der Literaturwissenschaft einiges für die Homiletik ausgetragen, nämlich die Rezeptionsästhetik.

  6. zwei dinge:

    für mich ist der schlüssel zum „richtigen“ verständnis der bibel, dass ich die prinzipien, die hinter einer aussage stehen, erkenne. das prinzip der nächstenliebe bspw. ist ein universelles und zeitübergreifendes. wie nächstenliebe aber konkret ausgelebt werden soll, hängt mehr oder weniger stark von den momentanen normen und vorstellungen einer gesellschaft ab.

    ich glaube nicht, dass wir ein „umsetzungdefizit“ haben, sondern viel mehr ein beziehungsdefizit. der christliche glaube wird mmn viel zu sehr als ein theoretisches denk- oder normenmodell angesehen, das bestmöglich einzuhalten ist. davon, worum es in der bibel *eigentlich* geht, nämlich dass gott eine person ist, die sich eine beziehung zu uns wünscht, hört man in predigten erschreckend wenig.

    davbei wär doch genau das der kern des evangeliums: nämlich, dass gott uns frei gemacht hat vom fluch, theologische gesetze und moralische verhaltenskodices zu befolgen. würden wir tatsächlich aus der beziehung heraus leben, unser glaube wäre ungleich kraftvoller und attraktiver, als das, was wir gegenwürtig leben. und, ja, dabei nehme ich mich auch selbst bei der nase, weil auch ich ein kind unserer zeit und gesellschaft bin.

    1. @yumiyoshi: Die Kategorien, die wir verwenden, sind heikel. Für mich wäre die Nächsten- und Feindesliebe gerade kein „universelles Prinzip“, sondern eine sehr konkrete Praxis bei Jesus.

  7. @yumiyoshi: Ich stimme Peter zu, wobei Du ja „Deinen“ Verständnisschlüssel hier schön darlegst. Ein anderer würde vielleicht „Rechtfertigung aus Glauben“ nennen und die Bibel unter diesem Aspekt lesen (wurde auch schon so gemacht 😉 )
    Von daher ist die ursprüngliche Frage nach Inhalt und Verpackung weiter spannend. Ich glaube wir dürfen gespannt abwarten auf manche gute und tiefe Antwort auf diese Frage und es gibt ja auch schon einige, leider nicht so ganz viele im deutschsprachigen Raum unserer Tage, aber das kann „man“ ja noch ändern. 😉

  8. @peter: prinzipien sind für mich nichts, was für sich alleine halt dasteht und mich im übrigen nix angeht. ich muss ja was tun damit und sie in meinem leben irgendwie umsetzen. aus meiner sicht ist die nächstenliebe das universelle prinzip. sprich, dass ich meinen mitmenschen *irgendwie* liebevoll begegnen soll. wie genau das in meinem alltag aussieht ist dann die zeitliche und örtliche anwendung. die nur dann dem geist des evangeliums entsprechen wird, wenn ich das prinzip hinter den zeitlich und örtlich angewandten aussagen, vorgaben und beispielen aus den evangelien, briefen, propheten, und, ja, auch dem gesetz, verstanden habe.

    @björn: ich habe die nächstenliebe nur als beliebiges beispiel angeführt. was die rechtfertigung aus glauben betrifft: nun, das ist ja schon so ein typisch heißes eisen. klar, der theologischen aussage an sich werden christen aller konfessionen und zeitepochen sofort zustimmen. was das aber dann für konkrete auswirkungen für mein leben hat oder haben sollte, darüber gehen die meinungen allerdings zum teil sehr, sehr weit auseinander, damit kannst du alles vom extremen fundamentalismus bis hin zum völlig relativistischen laissez-faire-liberalismus rechtfertigen…

    im übrigen bin ich nach wie vor davon überzeugt, dass das kernproblem in unseren breiten darin besteht, dass wir das christentum auf ein bündel theologischer prinzipien (die natürlich *auch* wichtig und notwendig sind) zurechtgestutzt haben, und es uns nimmer wirklich bewusst ist, dass der kern unseres glaubens eigentlich die wiederherstellung der beziehung zu unserem schöpfer ist, und wir nur aus dieser innigen beziehung heraus unsere bestimmung finden können.

    nicht umsonst verwendet gott selbst ja besonders im at für seine beziehung zu seinem volk immer wieder das der zwischenmenschlichen liebesbeziehung. je mehr mir das bewusst wird, umso mehr begreife ich, wie absurd diskussionen wie „darf man als christ…“ eigentlich sind, und welch eine katastrophale themenverfehlung, weil es in einer liebesbeziehung um völlig andere dinge geht.

    und das mit der liebesbeziehung hab jetzt nicht ich mir ausgedacht, weil ichs so lieb und nett finde, es ist ja christus selbst, der die gemeinde als seine braut bezeichnet. ich geh davon aus, dass er damit sehr viel mehr meint als bloß ein hübsches bild dafür wie nett es dann in der ewigkeit wohl sein wird…

  9. @yumiyoshi:

    Ich stimme mit Dir überein, dass man konkrete Ableitungen für mein Leben ziehen muss etc. Was Peter hier aber angesprochen hat ist das Problem schon damit anfängt, dass man einfach „weiß“, was der Kern des Evangeliums ist. Übrigens in Deinem Fall Mt. 22,34-40 – eine Antwort auf die Anfrage nach dem höchsten Gebot. Aber was heißt Liebesbeziehung zur Zeit Jesu? In dem Kontext der Evangelien und was bedeutet das dann im hier und jetzt? Hier, und damit stimme ich Peter 100% zu, müssen wir neu fragen lernen und neu offen sein was wir als Antworten finden. Aber allzu schnell geht das nicht und die Kommentare in einem Blog sind nicht wirklich ausreichend um eine „Diskussion“ zu führen, die für alle Seiten zufriedenstellend ist.
    Ich zitiere einfach einen Teil des Posts hier noch mal, dann wird es hoffentlich klarer:

    „Es kann also auch nur tastend, allmählich und nicht über Nacht, in der Spannung von Versuch und Irrtum in eine neue Kultur und “Sprache” übertragen werden. Mit der “Verpackung” ändert sich nun zwangsläufig das Gesamtpaket. Trotzdem gibt es sachgemäße und unsachgemäße Übersetzungen. Beurteilen kann das aber nur der, der “zweisprachig” ist. Wir müssen also zurückfragen, was das biblische Evangelium in seiner jüdisch-hellenistischen Ursprungskultur ursprünglich bedeutet hat und auf welche ihrer Themen es wie antwortet. Und wir müssen unsere Zeit gut genug kennen und verstehen, um es in ihren Begriffen und auf ihre Fragen bezogen wieder neu zu sagen.“

    Darum geht es. Und das ist wirklich leider nicht zu schnell, auch mit dem Verweis auf die Liebesbeziehung, zu machen. Das erfordert einen Weg, aufmerksames Lesen, neue Sichtweisen. Wenn es eine Abkürzung geben würde, glaub mir, ich würde sie gern gehen! Aber die gibt es nicht. Und darum bin ich froh, dass ich mit Menschen zusammen auf dem Weg bin, denn es ist auch nicht mehr die Aufgabe nur eines Menschen (wie damals Luther), sondern eine Kollektivaufgabe des Leibes Jesu.

    Ich fürchte aber, dass ich nicht besser ausdrücken konnte um was es geht als Peter oben in dem Post…
    Liebe Grüße

    Björn

  10. @björn ich kann deine wehmut über hohe komplexität verstehen, teile sie aber nur in sehr melanchonischen stunden. die tage, da die bibel und das evangelium „einfach“ für mich waren, liegen lange zurück (kinder- und jugendzeit) und ähnlich wie ich dorthin gefühlt nicht zurück möchte, will ich es auch gedanklich nicht, was den glauben angeht. ich suche auch nicht mehr nach der (einen) richtigen weise, das evangelium zu verstehen, sondern bin fasziniert, dass man es so unterschiedlich lesen kann. der hinweis auf ein notwendiges kontextuelles verständnis der bibel könnte ebenfalls der wunsch nach dem goldenen zeitalter sein (ist hier nicht so gemeint, ich weiß). es ist jedenfalls – wie die suche nach universalen ethischen prinzipien – eine deutungsebene unter vielen möglichen. das ist doch das eigentlich erstaunliche: dass gott spricht: einfach für die einen, komplex für die anderen, hier durch dogmen, dort durch nächstenliebe…

  11. Über die unzureichende und irreführende Aufteilung in Form und Inhalt hat sich übrigens auch Nietzsche Gedanken gemacht. Er sieht die Betonung der „Innerlichkeit“ einhergehend mit einer Vernachlässigung oder sogar Ablehnung der Form als Zeichen einer gestörten Identität; bei Nietzsche geht es dabei jedoch vorrangig um Geschichtsschreibung (in „Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben“ von 1874).
    Dieser Gedanke ist meiner Meinung nach aber durchaus auf unsere zeitgenössische Interpretation des Christentums und der Annahme eines rein innerlichen Ursprungsevangeliums übertragbar.

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