Am Puls der Zeit

Die letzten zwei Tage habe ich beim IGW Christologie unterrichtet. In Olten, das ist ein größerer Bahnhof mit angeschlossener Kleinstadt, in deren engen Straßen abends derzeit junge Typen mit Gelfrisur – natürlich unter meinem Zimmerfenster – mit ihren fahrbaren Untersätzen dröhnend eine Art „Need for Speed“ mit echtem Benzin spielen.

Stichwort Krawall: Wir sind in den Kurs eingestiegen, indem wir aus dem Spiegel von vorletzter Woche die Titelstory über Jesus („die rohe Botschaft“ – Frost/Hirsch oder McManus wären begeistert!) gelesen und etwas analysiert haben. Der Autor hat sich unter anderem bei Gerd Theissen und Nick Page schlau gemacht. Wer den jüdischen Kolorit des Jesusbildes bei N.T.Wright kennt, erlebt wenig Überraschungen, aber für andere Leser mag der gar nicht lammfromme Jesus (zwischendurch aktualisierend als „Wutbürger“ bezeichnet) mit nicht nur potenziell gewaltbereiten Anhängern durchaus neu sein.

Dabei erscheint ein Standardmotiv, das wir seit 200 Jahren kennen: Das Jesusbild ist im Laufe der Geschichte kirchlich übermalt worden, nun geht es darum, das Original zu rekonstruieren. Der wiederentdeckte Jesus ist hier diesseitiger und politischer als oft angenommen, er ist jüdischer (was die ersten beiden Begriffe einschließt, sie aber mit einer religiös-apokalyptischen Erwartung verbindet) und weniger romfreundlich, er stirbt den Tod eines Aufrührers, nicht den eines „Opfers“ im kultischen Sinn oder in der Logik der Satisfaktionstheorie.

Von der radikalen Skepsis, die solche Beiträge oft kennzeichnet („Hat es Jesus überhaupt je gegeben?“), diesmal keine Spur. Ich fand das ganz erfreulich. Und solche Formulierungen wie „Missionar mit heißem Atem“ würden der ein oder anderen Gemeindepredigt auch gut tun.

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