Barth missional (8): Die „richtige“ Gemeindeform

Über die ideale, richtige Form von Gemeinde wird ja immer wieder mal gestritten. Gegen jeglichen Strukturfundamentalismus („heilige Soziologie“) gibt Barth zu Bedenken, dass die Gemeinde frei ist, sich aus den denkbaren, sämtlich zeitgebundenen Formen eine konkrete auszuwählen, ohne diese damit gleich absolut zu setzen. Das einzige Kriterium für angemessene Formen und Strukturen ist der Auftrag der Kirche, wie der letzte Absatz zeigt:

Ihre Verfassung und Ordnung war und ist vielmehr bei allen Besonderheiten im Einzelnen in ihren großen Linien zu allen Zeiten und an allen Orten bestimmt und bedingt durch gewisse aus ihrerweltgeschichtlichen Situation mehr oder weniger imperativisch sich aufdrängende Vorbilder politischer, wirtschaftlicher, kultureller Natur. Sie hatte und hat sich ihnen, um sich zu behaupten, entweder (fast ganz oder doch teilweise) anzupassen, anzugleichen, oder sie hatte und hat sich ihnen – auch darin dem Gesetz ihrer Umgebung unterworfen – wieder um sich selbst zu behaupten, hinsichtlich der Form ihrer Existenz (wieder teilweise oder fast ganz) zu entziehen oder entgegenzusetzen.

Sie hat sich so oder so nie und nirgends schlechthin spontan und originell gerade so oder so gestaltet, vielmehr immer und überall in offener oder heimlicher, bewußter oder unbewußter, positiver, kritischer oder negativer Beziehung zu den Ereignissen, Veränderungen und Zuständen in ihrer jeweiligen Umwelt, zu deren besonderen Tendenzen und Verhältnissen. […]

Und daß sie auch nur ein Menschenvolk unter anderen war und ist, zeigte sich […] darin, daß die Möglichkeiten, für die sie sich jeweils entschied, durchgehend Entsprechungen derjenigen waren, die sich auch der übrigen Menschheit, wenn es um die gesellschaftliche Gestaltung ihres Lebens und ihrer Verhältnisse ging, unverkennbar ähnlich, ja gleich angeboten haben.

[…] Denn wo schimmert der unauslöschlich profane ursprüngliche Charakter aller soziologischen Gestalt – in jenen Fällen das römische Imperium und der byzantinische Hofstaat mit seinem Zeremoniell – deutlicher durch als gerade da, wo man eine solche Gestalt allen anderen schlechthin und konsequent meinte vorziehen zu sollen und als die heilige, die christliche kirchliche Gestalt par excellence meinte ausgeben zu können?

[…] Ihr Gottesdienst und in dessen Rahmen ihr Gebet und ihre Predigt, die Lebensgemeinschaft ihrer Glieder und ihr Wirken nach außen wird auf alle Fälle Ausführung ihres Auftrags und also Zeugnis der sie umgebenden Welt gegenüber sein müssen. Und so wird das Recht oder Unrecht ihrer so oder so gewählten Verfassungs- und Ordnungsform schlechterdings davon abhängen, ob das ihr anvertraute und sie regierende Wort Gottes in gegebener Zeit und Situation in der einen oder anderen zu Ehren oder nicht zu Ehren kommt. So wird sie, sei es als Volkskirche und vielleicht Staatskirche, sei es als Freikirche, ihr unsichtbares Wesen unter allen Umständen darin sichtbar machen müssen, daß sie bekennende, daß sie Missionskirche ist, ihrer Umgebung keinen Zweifel darüber läßt, für wen und für was sie in ihrer Mitte einzustehen hat. (KD IV,3, 846ff)

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Barth missional (7): Die Freiheit der Sprache

Die einen sind den anderen zu fromm und antiquiert, die anderen sind den einen zu flapsig. Die sprachliche Innovation von gestern ist der alte Hut von morgen. Muss man es genau so wie immer sagen oder um jeden Preis anders, wenn man über Gott spricht? Barth plädiert für die größtmögliche Freiheit. So wie er schreibt, schaffen es ohnehin nur wenige, und auch das ist gut so:

Sie ist ihre Freiheit, weil sie, gerade indem sie über keine ihnen eigene sakrale Sprache verfügen, auch nicht an eine solche gebunden sind, weil ihnen grundsätzlich das ganze Gebiet der menschlichen Sprache, der ganze Reichtum ihrer Möglichkeiten offen steht, um allen Menschen gegenüber, je in deren eigener Sprache – den Einfachen einfach, den Komplizierten kompliziert – das «zur Sprache zu bringen», was die Gemeinde als Zeuge Gottes, seines Werkes und Wortes zu sagen hat.

Sie ist ihre Freiheit, weil sie auf dem weiten Gebiet der Sprache wirklich wählen, diese Möglichkeit einer anderen vorziehen, zwischen den verschiedenen Möglichkeiten aber auch abwechseln, von dieser zu einer anderen übergehen, von dieser fast regelmäßig, von jener öfters, von jener selten, von jener wohl auch gar keinen Gebrauch machen dürfen und sollen.

Sie ist ihre Freiheit, weil sie mit dem profanen Sinn der von ihr gebrauchten Worte und Wendungen unbefangen spielen bzw. arbeiten dürfen, weil sie nämlich bei deren Auswahl und Gebrauch nur einer Instanz streng und letztlich verantwortlich sind: dem Worte Gottes selbst, um dessen Bezeugung es ihnen bei dem, was sie sagen, unter allen Umständen gehen muß – im übrigen aber unabhängig von allen etwa in dieser oder jener Erkenntnistheorie, Semantik, Logik oder Metaphysik begründeten Denk- und Sprachgesetzen, selbstverständlich auch unabhängig von allen Wünschen nach besonderer Feierlichkeit, Frömmigkeit und Salbung, aber auch von solchen nach besonderer Modernität, Ungeniertheit und Weltlichkeit ihrer Äußerungen. Sie müssen in allen diesen Richtungen gar nichts, sie dürfen alles.

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