Barth missional (9): Solidarität mit Kain & Co

Einer der für mich bisher erstaunlichsten Gedanken dieses Paragraphen findet sich auf Seite 853f. von KD IV,3. Barth geht der Randexistenz der Christenheit in der Welt nach, er spricht davon, dass sie in Zelten wohnt mitten unter den Steinhäusern der verschiedenen Völker und Kulturen, dass sie eine nomadische Existenz als Fremdlinge unter Seßhaften und Einheimischen führt und er sieht darin eine prophetische Dimension. Denn wahrhaft heimatlos sind ausgerechnet die Arrivierten und Etablierten (und man kann zu Barths Ausführungen hinzufügen: vielfach beruhen Wohlstand und Macht tatsächlich auf Brudermord):

Die in der Schwachheit, nämlich in der Fremdlingschaft der christlichen Gemeinde wirksame Kraft dürfte doch wohl zunächst auch schlicht die Kraft der Wahrheit der allgemeinen menschlichen Situation sein, die in ihr, während sie in den anderen Menschenvölkern, weil sie sie nicht sehen können oder wollen, verborgen bleibt, rücksichtslos ans Licht drängt.

An dem ist es ja nicht, daß die die Gemeinde umgebenden anderen Menschenvölker in ihren Steinhäusern, gestützt durch jene Konstanten des Weltgeschehens, im Unterschied zum Volke Gottes wirklich zuhause, gesichert, geborgen wären. Der mit Gott, seinem Nächsten und sich selbst nicht mehr im Frieden lebende, weil den auch ihm geschenkten Frieden noch nicht erkennende und ergreifende Mensch, lebt doch, fern von wirklicher Geborgenheit, fern davon eine bleibende Stätte zu haben, eine solche wohl suchend, aber durchaus nicht findend, seit den Tagen Kains (Gen 4,12) «unstet und flüchtig auf Erden».

Und nun ist es doch wohl so, daß in jener Randexistenz der christlichen Gemeinde auch das an den Tag kommt, in ihr gewissermaßen stellvertretend sichtbar gemacht wird: Heimatlosigkeit als wirkliche Situation der kainitischen Menschheit. In der Nachfolge Jesu Christi hat sich die Gemeinde in Solidarität eben zu dieser kainitischen, aber wie ihr Stammvater von Gott festgehaltenen, weil geliebten Menschheit zu bekennen.

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