Barth missional (16): Singende Gemeinde

Den Dienst der Gemeinde an Gott und der Welt beschreibt Barth grundsätzlich als Verbindung von Sprechen und Handeln. Das gilt auch für den Gottesdienst, zum Beispiel für das unentbehrliche Singen:

Das kann und muß man mit Sicherheit sagen: eine Gemeinde, die nicht sänge, wäre gar nicht Gemeinde. Und wo sie nicht in ihrer Sprache singt, oder nur archaisierend in Wiederholung der Texte und Weisen ihrer Vorfahren zu singen weiß, wo sie nur beiläufig, unfreudig, verschämt mehr seufzt und brummt als singt – da ist sie mindestens eine betrübte, ihrer Sache offenbar nicht recht sichere Gemeinde, von deren Dienst und Zeugnis gewiß auch sonst nicht viel zu erwarten ist.

Er stellt aber auch gleich klar:

Mit einer Konzertveranstaltung kann ihr Singen nichts zu tun haben. Sie singt aber, und das aus innerer, sachlicher Notwendigkeit. Singen ist menschliche Aussage in ihrer höchsten Potenz.

Und im Blick auf die Tendenz einer sich verselbstständigenden Kirchenmusik – das wird für Diskussionen sorgen, zum Glück nennt er weder Gitarren noch Schlagzeug! – schreibt der Mozart-Liebhaber doch tatsächlich:

Daß daneben auch noch Orgel oder Harmonium gespielt werden muß, ist jedenfalls nicht als notwendig einzusehen. […] wenn es nur gewiß wäre, daß die Geister, denen mit den uns nur allzu vertrauten Klängen gerade jener Instrumente gerufen wird, lauter reine Geister sind! Für Orgelsolovorträge jedenfalls dürfte in der kirchlichen Liturgie kein Raum sein – auch nicht in Form der so beliebten Vor- und Nachspiele! (KD IV,3, S. 994)

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Himmel, Hölle und die „Reichen“

Mich beschäftigt immer noch ein Beitrag zum Runden Tisch Evangelisation im Rückblick auf den Kongress von Kapstadt. Die Frage, die dort aufgeworfen wurde, lautete: Immunisiert unser Wohlstand Menschen gegen das Evangelium? Wie gehen wir mit Menschen um, die – so weit wir sehen können – ganz zufrieden leben und materiell gesichert sind? Müsste man, so die Frage, nicht wieder mehr über Himmel und Hölle predigen?

Mag sein. Gern über die real und global existierende Hölle der Armut (die wir nur zu gern ignorieren, wo wir auf sie stoßen), biblische (Sozial-)Kritik an Gier und Reichtum und über die quälenden Sorgen, die sowohl der Mangel als auch der Reichtum (man könnte ihn ja verlieren) hervorrufen. Die Drohung mit einer rein jenseitigen Hölle bliebt aber (zumal wenn man ihre Ansätze oder Spuren in der Gegenwart nicht aufzeigen kann, sei also nicht auch eine schon gegenwärtige wäre) ebenso unbefriedigend wie das Winken mit einem rein jenseitigen Himmel, dessen Schilderungen zudem oft nach endlosen Gottesdiensten klingen, die viele schon im irdischen Kurzformat als langweilig empfinden.

Wenn „der Himmel“ – die Herrschaft Gottes, seine neue Welt – schon jetzt eine (wenn auch erst in Ansätzen) erfahrbare Wirklichkeit ist, dann wäre doch die theologische Arbeit, die es im Blick auf Wohlhabende (die Definition des Begriffs lassen wir mal dahingestellt sein) zu leisten gilt, die Beantwortung der Frage: Welche gute Nachricht haben wir eigentlich jemandem zu sagen, der materiell schon “alles hat“? Anders herum gefragt: Ist unser Evangelium beziehungsweise unsere Verkündigung so defizitorientiert, dass wir, wie Bonhoeffer schon bemängelte, immer nur beim Mangel ansetzen können, um dann „Lösungen“ anzubieten? Und könnte das ein Indiz für eine theologische Engführung sein, die schon seit Generationen besteht? Immerhin stammen die folgenden Worte aus dem Jahr 1944:

Die Religiösen sprechen von Gott, wenn menschliche Erkenntnis (manchmal schon aus Denkfaulheit) zu Ende ist oder wenn menschliche Kräfte versagen – es ist eigentlich immer der deus ex machina, den sie aufmarschieren lassen, entweder zur Scheinlösung unlösbarer Probleme oder als Kraft bei menschlichem Versagen, immer also in Ausnutzung menschlicher Schwäche bzw. an den menschlichen Grenzen: das hält zwangsläufig immer nur solange vor, bis die Menschen aus eigener Kraft die Grenzen etwas weiter hinausschieben und Gott als deus ex machina überflüssig wird; das Reden von den menschlichen Grenzen ist mir überhaupt fragwürdig geworden (ist der Tod heute, da die Menschen ihn kaum noch fürchten, und die Sünde, die die Menschen kaum noch begreifen, noch eine echte Grenze?), es scheint mir immer, wir wollten dadurch nur ängstlich Raum aussparen für Gott; – ich möchte von Gott nicht an den Grenzen, sondern in der Mitte, nicht in den Schwächen, sondern in der Kraft, nicht also bei Tod und Schuld, sondern im Leben und im Guten des Menschen sprechen. An den Grenzen scheint es mir besser, zu schweigen und das Unlösbare ungelöst zu lassen. Der Auferstehungsglaube ist nicht die „Lösung“ des Todesproblems. Das „Jenseits” Gottes ist nicht das Jenseits unseres Erkenntnisvermögens!

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Barth Missional (15): Die Vielfalt der Gemeinde

Lange vor fresh expressions und mixed economies ging Karl Barth in KD IV,3 dem Wirken des Geistes in der Gemeinde nach und erkundete die charakteristisch christliche Spannung von Einheit und Vielfalt. Auf der Seite der Gemeinde ist Letzteres für ihn der Ausgangspunkt:

Der Heilige Geist ist nun einmal kein Gleichmacher. Und so kann die christliche Gemeinde auch ganz abgesehen von der natürlichen Individualität ihrer Angehörigen und von deren Gefahren keine Kaserne, können ihre Angehörigen nicht deren uniformierte Bewohner, kann ihr Tun nicht die Ausführung eines ihnen allen gleichmäßig eingedrillten Manövers sein. (KD IV,3 S. 981)

Von daher ist es nur noch ein kurzer Schritt zum folgenden Gedanken, dass die Gemeinschaft der Kirche aus unterschiedlichen Gemeinschaften besteht, die den allgemeinen Auftrag in vielfältigen Formen und Konkretionen leben, ohne dass

die die ganze Gemeinde konstituierende «Gemeinschaft des Heiligen Geistes» ( 2. Kor. 13, 13), in der die Einzelnen sich allein ernsthaft an ihrem Dienst und Zeugnis beteiligen können, aus der sie also unter keinen Umständen heraustreten dürfen, wird sich konkret immer in Gestalt von besonderen Gemeinschaften derer darstellen, die sich im Rahmen des einen Tuns der einen Gemeinde im Besonderen zu einem gleichen oder doch ähnlichen Tun berufen und begabt finden. Sie darf, sie muß sich entfalten in besonderen Arbeitsgemeinschaften, zu denen dann nicht ohne weiteres alle Christen gehören können und werden,

Diese besonderen Gemeinschaften sind erwünscht und nötig, gerade weil es um den einen Auftrag der einen Kirche geht. Und wo es um den tatsächlich geht, ist es auch völlig in Ordnung, dass nicht alle Christen dort ihren Platz sehen und sich an dieser konkreten Form des Dienstes beteiligen. Dabei ist nun gerade nicht ein ausgedehntes Filialnetz gemeint, wo überall alles dasselbe tun und die Unterschiede nur geografischer Natur sind, sondern ganz unterschiedliche Typen von kirchlicher Lebens- und Arbeitsgemeinschaft. Freilich dürfen sie nie zum Selbstzweck werden, keine „auf die Befriedigung gewisser gemeinsam empfundener seelischer Bedürfnisse bedachte Zusammenrottungen von Gleichgesinnten oder Gleichgestimmten“. Wo diese Gefahr nun gesehen wird,

… da ist es nicht nur zu begrüßen, sondern zu fordern, daß es im Rahmen der allgemeinen Gemeinschaft aller Christen auch zur Entstehung und zum Bestand besonderer Gemeinschaften Einiger oder Vieler unter ihnen kommt. Gerade in der Vielzahl solcher Arbeits-, Dienst- und Zeugnisgemeinschaften wird dann die Einzahl der lebendigen Gemeinde des lebendigen Jesus Christus nur um so kräftiger wirksam und sichtbar werden.

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Barth missional (14): Ein Gleichnis zum Mitmachen

Der Auftrag der christlichen Gemeinde ist es, der Welt das „Gleichnis der suchenden Vaterliebe Gottes“ vor Augen zu stellen, schreibt Barth. Sie kann dabei nicht mehr als ein Zeichen geben, einen „innerweltlichen Anstoß“, der Menschen zum Aufbrechen und Aufmerken veranlasst, mehr nicht. Die Mneschen, an dies sie sich wendet, soll sie dabei in dieses Gleichnis einbeziehen. Sie überschreitet oder verwischt damit bestehende Grenzen. Wie diese Art der Mit-Teilung gemeint ist, beschreibt er so:

Evangelische Anrede als Zeugendienst der Gemeinde heißt: alle Menschen, jeden Menschen nah und fern zum vornherein und ohne Federlesens zu machen (als die großen Sünder, die sie, wie übrigens auch die Glieder der Gemeinde selbst, sind), im wörtlichsten Sinn «ins Bild setzen», d. h. einbeziehen in das ihnen vorzuführende Gleichnis des Reiches Gottes, in den Umkreis der Gültigkeit des Inhalts des Evangeliums – der Gnade also, des Bundes, der Versöhnung, der in Jesus Christus der Welt zugute geschehenen Erniedrigung Gottes zur Erhebung des Menschen.

In evangelischer Anrede greift die Gemeinde also im vollen Bewußtsein dessen, was sie damit wagt – sie muß es aber wagen! – über die das nicht-christliche Menschenvolk von ihr selbst als dem erwählten und berufenden Volk Gottes unterscheidende Grenze hinaus, nimmt sie diese Grenze gerade damit ernst, daß sie die da draußen – von Optimismus und Pessimismus in ihrer Beurteilung gleich weit entfernt, aber ihrer Sendung getreu – nicht als Juden oder Heiden dieser oder jener Farbe, nicht als Atheisten, Skeptiker oder Indifferente, nicht in ihrem Irrglauben, Aberglauben und Unglauben, auch nicht als die ganzen oder halben Heuchler, als die sie sich ihr darstellen mögen, sondern als das Volk der christiani designati ernst nimmt und anspricht (KD IV,3 S. 978)

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Barth Missional (13): Lust und Ernsthaftigkeit

Barth spricht vom dienenden Zeugnis der Gemeinde. Ein Aspekt des Dienstes liegt darin, das Evangelium so zu verkünden, dass es für andere Menschen nachvollziehbar ist. Zu hoch schrauben sollte man die Erwartungen an den „Erfolg“ dabei zwar nicht:

Sie [die Gemeinde] wird sich davor hüten, das, was sie in dieser Richtung tun kann, zu überschätzen, ihr bißchen Erklären für ein göttliches Offenbaren zu halten und auszugeben, um dann enttäuscht und betrübt zu werden, wenn es nicht die Wirkung eines solchen hat. Sie wird sich aber erst recht davor hüten, ihr Pfund zu vergraben, dem Evangelium und den Menschen, an die es sich richtet, den beschränkten, aber bestimmten Dienst nicht zu leisten, den sie in Gestalt der Erklärung ihrer Aussage und also des Evangeliums leisten kann.

Nur weil etwas (die „göttliche Offenbarung“ nämlich) nicht machbar ist, bedeutet nicht, dass man gar nichts dazu beizutragen hätte. Also fügt Barth umgehend hinzu, dass man sich nicht zu schnell damit abfinden darf, nicht verstanden zu werden. Ungeteilte Zustimmung zu erwarten, wäre ein Fehler. Aber wenn einem völliges Unverständnis entgegenschlägt, dann sollte man dies nicht als Zeichen interpretieren, dass man auf dem richtigen Weg ist:

Das dürfte nämlich bei allen … Menschen, ob sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen können oder nicht, erreichbar sein, daß ihnen wenigstens die innere Konsistenz und insofern der Sinn der evangelischen Botschaft einleuchte. Erreichte die Gemeinde auch das nicht, dann dürfte ihr zu raten sein, sich zu fragen: ob das nicht an einem Versagen ihres eigenen Aufmerkens auf die innere Klarheit, die Rationalität, die Vernünftigkeit des Evangeliums einerseits und an einer Vernachlässigung der ihr zu Gebote stehenden menschlichen Mittel anderseits liegen möchte? Es dürfte ihr dann zu raten sein, den Fehler bei sich selbst und nicht bei der bösen Welt zu suchen, und darum mit neuer Lust und Ernsthaftigkeit zu neuen Anstrengungen und Versuchen in dieser Richtung aufzubrechen. (KD IV,3 S. 972f.)

Gefragt sind also „neue Anstrengungen und Versuche in dieser Richtung“. Sie beginnen mit dem „eigenen Aufmerken“, denn die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass ich selbst etwas nicht richtig verstanden habe, wenn ich es anderen nicht erklären kann. Das zuzugeben, ist keine Schande, es zu verdrängen dagegen wäre kirchliche Selbstsabotage. Zweitens geht es um die “Wahl der Mittel“. Welche Formen und Räume der Kommunikation stehen uns offen? Sind die bisher genutzten noch erste Wahl? Das wäre doch etwas, wenn viele Gemeinden sich aufmachten, diese Fragen mit „neuer Lust und Ernsthaftigkeit“ anzugehen!

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Knackiger Dreisatz

Rob Bell und Dallas Willard habe davon gesprochen, dass Gott die Christen retten muss, beziehungsweise dass sie ihm ab und zu verloren gehen, weil sie sich um sich selbst drehen und Kirche zum Selbstzweck machen. Ein paar Jahrzehnte zuvor hat Barth das schon auf diesen prägnant-provokativen – und für seine Verhältnisse unglaublich kurzen – Nenner gebracht:

(1) Die Welt wäre zwar ohne Jesus Christus, ohne sein Werk und Wort verloren.

(2) Die Welt müßte aber nicht verloren sein, wenn es keine Kirche gäbe.

(3) Wogegen die Kirche, ohne in der Welt ihr Gegenüber zu haben, verloren wäre.

KD IV,3, S. 946

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„Wie sag ich’s meinem Kinde?“

Vor kurzem hatte ich hier schon – nicht zum ersten Mal – das Problem von Form und Inhalt bedacht. Man stößt auch bei gut gemeinten, aber naiven (und in dieser Naivität auch problematischen) Versuchen von „Kontextualisierung“ auf die irrige Vorstellung, man kenne den Inhalt des Evangeliums hinreichend gut, um ihn objektivieren zu können. Aus einer Botschaft, deren primäres Subjekt Gott ist und bleibt, wird nun ein „Stoff“, den man bearbeiten kann und darf, ein Prozess, dessen Subjekt dann der jeweilige Mensch wird. Karl Barth sieht darin die Grundversuchung des theologischen Konservativismus und schreibt:

wie man die Menschen dieser Gegenwart mit der Kunde von diesem Objekt am besten erreichen, am sichersten für das gewinnen könne, was man für dessen eigene, sichere, keiner Erneuerung bedürftige Erkenntnis halten zu sollen meint, wurde und wird jetzt die Frage. Vermeintlich schon wissend um das, was in der Bibel steht und dann auch schon wissend um den Sinn der ganzen communio sanctorum, aber eben: auch dem Evangelium selbst gegenüber auf hoher Warte, meinte und meint man, nach dieser Seite mit freiem Rücken, munter verfügend zur Tagesordnung, nämlich zur zeitgemäßen Übersetzung, Interpretation und Applikation jenes bekannten Textes, zur kritischen Verarbeitung und Nutzbarmachung jenes Objektes übergehen zu können. (KD IV,3 S. 937)

Mir begegnet das gar nicht selten, dieser Drang von Menschen, sich einer Sache theologisch zu bemächtigen, um „endlich“ zur Anwendung vorzudringen. Das ungute an diesem Pragmatismus (unpraktisch und vage zu bleiben ist durchaus auch eine Versuchung der Christen) liegt darin, dass man sich dabei in eine Situation bringt, in der nur Gewissheiten zählen. Folglich werden die eigenen Ungewissheiten nicht als Chance erkannt, Gott neu zu hören und zu begegnen, sondern nur als lästige Hindernisse auf dem Weg zur Praxis, die alleine zählt.

So gesehen könnte die größte Versuchung die sein, dass man auf die Frage „Was ist das Evangelium?“ wie aus der Pistole geschossen mit drei Sätzen (um mal nicht von vier Gesetzen zu reden) antworten zu können meint…

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Barth Missional (12): Ganz oder gar nicht

Zu Beginn des dritten Abschnitts von KD IV,3 kommt Barth, der ja zwischendurch gern die eine oder andere rhetorische Pirouette dreht, ganz unverblümt auf den Punkt. Man darf das in all seiner Wucht erst einmal auf sich wirken lassen. Über die Konsequenzen für das Selbstverständnis, die Gestalt und das Handeln der jeweils eigenen Gemeinde wird man von da aus lange und gründlich nachdenken müssen. Ich überlege gerade, ob ich den folgenden Abschnitt nicht hier irgendwo im Büro aufhängen sollte:

Die christliche Gemeinde ist nicht von ungefähr, nicht aufs Geratewohl, sondern mit einem ganz bestimmten Auftrag in die Welt gesendet. Sie ist nicht vor ihrem Auftrag da, um ihn dann erst zu bekommen. Und sie ist nicht ohne ihn da, so daß die Frage, ob sie ihn habe und auszuführen habe oder nicht, je offen sein könnte. Sie ist ja eben für die Welt da. Ihr Auftrag konstituiert und formiert sie zum vornherein. Er bildet die Mitte und den Horizont ihrer Existenz. Hätte sie ihn nicht bekommen, so wäre sie gar nicht entstanden. Würde sie ihn verlieren, so könnte sie nicht mehr bestehen. Er ist also nicht so etwas wie eine ihr erst verliehene Würde: sie ist überhaupt nur, indem sie ihn, vielmehr: indem er sie hat.

Und er ist nicht so etwas wie eine ihr erst auferlegte Bürde: er ist das ihr unveräußerliche, das sie tragende Fundament. An ihm ist sie in allen Stunden ihrer Geschichte gemessen. Mit ihm steht und fällt sie in allen ihren Lebensäußerungen, in ihrem ganzen Tun und Lassen. Sie versteht sich entweder von ihrem Auftrag her oder sie versteht sich gar nicht. Sie nimmt sich entweder von ihrem Auftrag her ernst, oder sie kann sich gar nicht ernst nehmen. Sie kann auch der Welt nur entweder im Blick auf ihn oder aber gar nicht respektabel werden – es wäre denn, sie imponierte ihr auf Grund von Eigenschaften und Leistungen, die sie mit anderen geschichtlichen Gebilden gemein hat, die mit ihrem besonderen, ihrem eigentümlichen und eigentlichen Sein nichts zu tun haben. Die christliche Gemeinde lebt von und mit ihrem Auftrag.

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Barth Missional (12): „Heiliger Egoismus“

Barth bescheinigt der klassisch-reformatorischen Lehre von der Kirche ein gravierendes Versäumnis. Bei allen richtigen Reflexionen über das Wesen der Kirche gerät die Frage „Wozu das alles?“ nie richtig in den Blick. Die Folgen liegen auf der Hand:

Die klassische Lehre von der Kirche leidet unter demselben «heiligen Egoismus», den wir schon in unserer Auseinandersetzung mit der klassischen Lehre von des Menschen Berufung zu beklagen fanden. Daß die Kirche nicht um ihrer selbst willen, sondern für die Welt da ist, wird in ihr überhaupt nicht sichtbar, geschweige denn, daß sie von Grund und Haus aus, wesenhaft eben für die Welt da ist. Kam es daher, daß das protestantische 16. und 17. Jahrhundert durch jene ausgesprochene Unfreudigkeit, ja Unwilligkeit zur Mission ausgezeichnet war, auf die hier am Anfang dieses dritten Teils der Versöhnungslehre hingewiesen wurde? Oder war umgekehrt diese Unfreudigkeit und Unwilligkeit der Grund des auffallenden Versagens des Selbstverständnisses der Kirche jener Zeit? (S. 878)

Auf den ersten Blick scheint es, als hätte die katholische Kirche das besser gelöst. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich aber eine ähniche Tendenz, nämlich der Parole „die Welt für die Kirche“ zu folgen statt umgekehrt zu sagen: „Die Kirche für die Welt“.

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Barth missional (11): Ekstatische und exzentrische Gemeinde

Barth beginnt den zweiten Teil des §72 über die Sendung der christlichen Gemeinde mit einer klaren Bestimmung dessen, was seit Bonhoeffer unter dem Stichwort „Kirche für andere“ diskutiert (und leider oft mehr diskutiert als praktiziert) wird, und antwortet damit auch auf die oft (im Sinne einer Abkehr von der Welt) erhobene Forderung, Kirche müsse sich doch primär um Gott drehen: Sie tut genau das, indem sie für die Welt da ist:

Die Gemeinde Jesu Christi ist für die Welt da, will sagen: für alle, für jeden Menschen, für den Menschen aller Zeiten und Räume, der im Ganzen der irdischen Kreatur die Stätte, den Gegenstand und das Mittel, aber auch die Grenze seines Lebens und Wirkens hat. Menschliche Kreatur und also Welt ist auch die Gemeinde Jesu Christi selbst. So ist sie, indem sie für die Menschen, die Welt da ist, gewiß auch für sich selbst da. Sie ist aber die menschliche Kreatur, die in ihrem Wesen dazu bestimmt ist, für die übrige, von ihr verschiedene menschliche Kreatur zu sein. In Erfüllung dieser ihrer Bestimmung ist sie, was sie ist, ist sie auch für sich selbst da: so und nicht anders! Sie existiert ekstatisch, ekzentrisch: auch innerhalb der Welt, zu der sie gehört, nicht auf sich selbst, sondern ganz und gar auf sie, auf ihre Umgebung bezogen. Sie errettet und erhält ihr eigenes Leben, indem sie es für die übrige menschliche Kreatur einsetzt und hingibt.

Eben damit und so ist sie für Gott da: für den Schöpfer und Herrn der Welt, für die Vollstreckung seiner Absicht und seines Willens mit und an der ganzen menschlichen Kreatur. Zuerst und vor allem ist ja Er, Gott, für die Welt da. Und indem die Gemeinde Jesu Christi zuerst und vor allem für Gott da ist, bleibt ihr gar nichts Anderes übrig, als in ihrer Weise und an ihrem Ort ihrerseits für die Welt da zu sein. Wie könnte und würde sie sonst für Gott da sein?(KD IV,3 S. 872)

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Barth missional (10): Europa und das „Christentum“

Wertkonservative Politiker und der eine oder andere Kirchenvertreter weisen gern auf die Rolle des Christentums bei der Entstehung der europäischen Zivilisation hin. Karl Barth hält dagegen, weil er darin den höchst problematischen Versuch sieht, die Bedeutung von Kirche durch den Verweis auf ihren Erfolg zu begründen, und zwar in einer Zeit, wo ihre Relevanz innerhalb wie außerhalb offen in Frage gestellt wird, und schreibt (KD IV, 3 / S. 856):

Man kann weiter gewiß auch auf die Einwirkung ihres besonderen Tuns auf das, was in ihrer Umgebung sonst getan wird, hinweisen: nicht ohne Stolz etwa auf ihren oft gerühmten Einfluß auf die Entstehung und die Formung der sogenannten europäischen Zivilisation und Kultur. Aber wer hatte und hat bei deren Entstehung und Formung nun eigentlich die Führung und das entscheidende Wort: die griechisch-römische Antike?, der Geist und Ungeist des urtümlichen Europäertums?, der idealistische Realismus oder realistische Idealismus des im Spätmittelalter und im 16. Jahrhundert aufsteigenden sogenannten modernen Menschen? Auch das «Christentum»? Sicher hat da auch das «Christentum» ein Stück weit – kein großes Stück weit freilich! – mitgewirkt. Aber hörte es nicht in dem Maß auf, Christentum zu sein, als es sich neben und im Bunde mit jenen anderen Faktoren im Weltgeschehen «auswirkte»?

Und er schließt eine weitere Spitze gegen den Kulturprotestantismus an:

Die Sache der Gemeinde ist aber das ihr aufgetragene Zeugnis von dem in Jesus Christus nahe herbeigekommenen Reiche Gottes, und diese Sache besser zu machen, würde bedeuten: als ecclesia reformata semper reformanda dieses Zeugnis in immer treuerer Entsprechung zu seinem Ursprung, Gegenstand und Inhalt, in dessen immer tieferem und vielseitigerem Ausschöpfen und zugleich in immer klareren, schärferen und einfacheren Konturen, nicht zuletzt in Gestalt von eindeutigen und verbindlichen praktischen Entscheidungen zur Sprache zu bringen. (S. 857)

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Barth missional (9): Solidarität mit Kain & Co

Einer der für mich bisher erstaunlichsten Gedanken dieses Paragraphen findet sich auf Seite 853f. von KD IV,3. Barth geht der Randexistenz der Christenheit in der Welt nach, er spricht davon, dass sie in Zelten wohnt mitten unter den Steinhäusern der verschiedenen Völker und Kulturen, dass sie eine nomadische Existenz als Fremdlinge unter Seßhaften und Einheimischen führt und er sieht darin eine prophetische Dimension. Denn wahrhaft heimatlos sind ausgerechnet die Arrivierten und Etablierten (und man kann zu Barths Ausführungen hinzufügen: vielfach beruhen Wohlstand und Macht tatsächlich auf Brudermord):

Die in der Schwachheit, nämlich in der Fremdlingschaft der christlichen Gemeinde wirksame Kraft dürfte doch wohl zunächst auch schlicht die Kraft der Wahrheit der allgemeinen menschlichen Situation sein, die in ihr, während sie in den anderen Menschenvölkern, weil sie sie nicht sehen können oder wollen, verborgen bleibt, rücksichtslos ans Licht drängt.

An dem ist es ja nicht, daß die die Gemeinde umgebenden anderen Menschenvölker in ihren Steinhäusern, gestützt durch jene Konstanten des Weltgeschehens, im Unterschied zum Volke Gottes wirklich zuhause, gesichert, geborgen wären. Der mit Gott, seinem Nächsten und sich selbst nicht mehr im Frieden lebende, weil den auch ihm geschenkten Frieden noch nicht erkennende und ergreifende Mensch, lebt doch, fern von wirklicher Geborgenheit, fern davon eine bleibende Stätte zu haben, eine solche wohl suchend, aber durchaus nicht findend, seit den Tagen Kains (Gen 4,12) «unstet und flüchtig auf Erden».

Und nun ist es doch wohl so, daß in jener Randexistenz der christlichen Gemeinde auch das an den Tag kommt, in ihr gewissermaßen stellvertretend sichtbar gemacht wird: Heimatlosigkeit als wirkliche Situation der kainitischen Menschheit. In der Nachfolge Jesu Christi hat sich die Gemeinde in Solidarität eben zu dieser kainitischen, aber wie ihr Stammvater von Gott festgehaltenen, weil geliebten Menschheit zu bekennen.

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Barth missional (8): Die „richtige“ Gemeindeform

Über die ideale, richtige Form von Gemeinde wird ja immer wieder mal gestritten. Gegen jeglichen Strukturfundamentalismus („heilige Soziologie“) gibt Barth zu Bedenken, dass die Gemeinde frei ist, sich aus den denkbaren, sämtlich zeitgebundenen Formen eine konkrete auszuwählen, ohne diese damit gleich absolut zu setzen. Das einzige Kriterium für angemessene Formen und Strukturen ist der Auftrag der Kirche, wie der letzte Absatz zeigt:

Ihre Verfassung und Ordnung war und ist vielmehr bei allen Besonderheiten im Einzelnen in ihren großen Linien zu allen Zeiten und an allen Orten bestimmt und bedingt durch gewisse aus ihrerweltgeschichtlichen Situation mehr oder weniger imperativisch sich aufdrängende Vorbilder politischer, wirtschaftlicher, kultureller Natur. Sie hatte und hat sich ihnen, um sich zu behaupten, entweder (fast ganz oder doch teilweise) anzupassen, anzugleichen, oder sie hatte und hat sich ihnen – auch darin dem Gesetz ihrer Umgebung unterworfen – wieder um sich selbst zu behaupten, hinsichtlich der Form ihrer Existenz (wieder teilweise oder fast ganz) zu entziehen oder entgegenzusetzen.

Sie hat sich so oder so nie und nirgends schlechthin spontan und originell gerade so oder so gestaltet, vielmehr immer und überall in offener oder heimlicher, bewußter oder unbewußter, positiver, kritischer oder negativer Beziehung zu den Ereignissen, Veränderungen und Zuständen in ihrer jeweiligen Umwelt, zu deren besonderen Tendenzen und Verhältnissen. […]

Und daß sie auch nur ein Menschenvolk unter anderen war und ist, zeigte sich […] darin, daß die Möglichkeiten, für die sie sich jeweils entschied, durchgehend Entsprechungen derjenigen waren, die sich auch der übrigen Menschheit, wenn es um die gesellschaftliche Gestaltung ihres Lebens und ihrer Verhältnisse ging, unverkennbar ähnlich, ja gleich angeboten haben.

[…] Denn wo schimmert der unauslöschlich profane ursprüngliche Charakter aller soziologischen Gestalt – in jenen Fällen das römische Imperium und der byzantinische Hofstaat mit seinem Zeremoniell – deutlicher durch als gerade da, wo man eine solche Gestalt allen anderen schlechthin und konsequent meinte vorziehen zu sollen und als die heilige, die christliche kirchliche Gestalt par excellence meinte ausgeben zu können?

[…] Ihr Gottesdienst und in dessen Rahmen ihr Gebet und ihre Predigt, die Lebensgemeinschaft ihrer Glieder und ihr Wirken nach außen wird auf alle Fälle Ausführung ihres Auftrags und also Zeugnis der sie umgebenden Welt gegenüber sein müssen. Und so wird das Recht oder Unrecht ihrer so oder so gewählten Verfassungs- und Ordnungsform schlechterdings davon abhängen, ob das ihr anvertraute und sie regierende Wort Gottes in gegebener Zeit und Situation in der einen oder anderen zu Ehren oder nicht zu Ehren kommt. So wird sie, sei es als Volkskirche und vielleicht Staatskirche, sei es als Freikirche, ihr unsichtbares Wesen unter allen Umständen darin sichtbar machen müssen, daß sie bekennende, daß sie Missionskirche ist, ihrer Umgebung keinen Zweifel darüber läßt, für wen und für was sie in ihrer Mitte einzustehen hat. (KD IV,3, 846ff)

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Barth missional (7): Die Freiheit der Sprache

Die einen sind den anderen zu fromm und antiquiert, die anderen sind den einen zu flapsig. Die sprachliche Innovation von gestern ist der alte Hut von morgen. Muss man es genau so wie immer sagen oder um jeden Preis anders, wenn man über Gott spricht? Barth plädiert für die größtmögliche Freiheit. So wie er schreibt, schaffen es ohnehin nur wenige, und auch das ist gut so:

Sie ist ihre Freiheit, weil sie, gerade indem sie über keine ihnen eigene sakrale Sprache verfügen, auch nicht an eine solche gebunden sind, weil ihnen grundsätzlich das ganze Gebiet der menschlichen Sprache, der ganze Reichtum ihrer Möglichkeiten offen steht, um allen Menschen gegenüber, je in deren eigener Sprache – den Einfachen einfach, den Komplizierten kompliziert – das «zur Sprache zu bringen», was die Gemeinde als Zeuge Gottes, seines Werkes und Wortes zu sagen hat.

Sie ist ihre Freiheit, weil sie auf dem weiten Gebiet der Sprache wirklich wählen, diese Möglichkeit einer anderen vorziehen, zwischen den verschiedenen Möglichkeiten aber auch abwechseln, von dieser zu einer anderen übergehen, von dieser fast regelmäßig, von jener öfters, von jener selten, von jener wohl auch gar keinen Gebrauch machen dürfen und sollen.

Sie ist ihre Freiheit, weil sie mit dem profanen Sinn der von ihr gebrauchten Worte und Wendungen unbefangen spielen bzw. arbeiten dürfen, weil sie nämlich bei deren Auswahl und Gebrauch nur einer Instanz streng und letztlich verantwortlich sind: dem Worte Gottes selbst, um dessen Bezeugung es ihnen bei dem, was sie sagen, unter allen Umständen gehen muß – im übrigen aber unabhängig von allen etwa in dieser oder jener Erkenntnistheorie, Semantik, Logik oder Metaphysik begründeten Denk- und Sprachgesetzen, selbstverständlich auch unabhängig von allen Wünschen nach besonderer Feierlichkeit, Frömmigkeit und Salbung, aber auch von solchen nach besonderer Modernität, Ungeniertheit und Weltlichkeit ihrer Äußerungen. Sie müssen in allen diesen Richtungen gar nichts, sie dürfen alles.

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Barth missional (6): Weltlich von Gott reden

Barth kommt auf das Thema Kontextualisierung zu sprechen. Die Kirche hat für das Evangelium keine eigene, religiöse Sprache, sie muss sich aber auch nicht krampfhaft um eine „nichtreligiöse“ Sprache bemühen und dabei den Bezug zum Wort der Schrift oder der christlichen Tradition aufs Spiel setzen. Auch die sind ja ursprünglich in „profaner“ Sprache formuliert worden. Auch deswegen, weil alle Sprache stets und unweigerlich verständlich und missverständlich zugleich ist:

Die christliche Gemeinde hat etwas ihr Eigenes zu sagen, sie hat aber – und das bedeutet zunächst ihre Abhängigkeit von ihrer Umgebung – keine eigene Sprache. Sie kann sich in ihren Äußerungen, auch im strengsten Dienst der ihr aufgetragenen Bezeugung des Wortes Gottes, auch in der notwendigen Arbeit des immer neuen prüfenden Reflektierens ihres Zeugnisses – auch in ihrer Theologie also – nur an die Denk- und Redeweise ihrer jeweiligen zeitlich und räumlich näheren oder ferneren, früheren oder gegenwärtigen Umwelt anschließen, sich deren Bedingungen und Grenzen unterwerfen. Sie kann also die menschliche Sprache, auch wenn sie in Zungen redete, nicht wirklich transzendieren.

[…] Was immer die christliche Gemeinde zu sagen hat, sie kann es auf alle Fälle nur weltlich sagen: in jedem Wort weltlich bis auf dessen Wurzel, in jeder Wendung weltlich bis auf deren ursprünglichsten Sinn.

[…] Aber in welcher Sprache sie auch rede, sie lebt dabei gänzlich von fremdem, vielmehr von allgemeinem Gut: sie ist dabei notorisch und ohne alle Ausweichmöglichkeiten nach rechts oder links begrenzt und bedingt durch die menschlichen Ausdrucksformen, die sie mit ihrer näheren und ferneren, mit ihrer einstigen und heutigen Umwelt gemein hat. Sie kann nur weltlich reden. (KD IV,3 / S. 842)

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