Barth Missional (12): Ganz oder gar nicht

Zu Beginn des dritten Abschnitts von KD IV,3 kommt Barth, der ja zwischendurch gern die eine oder andere rhetorische Pirouette dreht, ganz unverblümt auf den Punkt. Man darf das in all seiner Wucht erst einmal auf sich wirken lassen. Über die Konsequenzen für das Selbstverständnis, die Gestalt und das Handeln der jeweils eigenen Gemeinde wird man von da aus lange und gründlich nachdenken müssen. Ich überlege gerade, ob ich den folgenden Abschnitt nicht hier irgendwo im Büro aufhängen sollte:

Die christliche Gemeinde ist nicht von ungefähr, nicht aufs Geratewohl, sondern mit einem ganz bestimmten Auftrag in die Welt gesendet. Sie ist nicht vor ihrem Auftrag da, um ihn dann erst zu bekommen. Und sie ist nicht ohne ihn da, so daß die Frage, ob sie ihn habe und auszuführen habe oder nicht, je offen sein könnte. Sie ist ja eben für die Welt da. Ihr Auftrag konstituiert und formiert sie zum vornherein. Er bildet die Mitte und den Horizont ihrer Existenz. Hätte sie ihn nicht bekommen, so wäre sie gar nicht entstanden. Würde sie ihn verlieren, so könnte sie nicht mehr bestehen. Er ist also nicht so etwas wie eine ihr erst verliehene Würde: sie ist überhaupt nur, indem sie ihn, vielmehr: indem er sie hat.

Und er ist nicht so etwas wie eine ihr erst auferlegte Bürde: er ist das ihr unveräußerliche, das sie tragende Fundament. An ihm ist sie in allen Stunden ihrer Geschichte gemessen. Mit ihm steht und fällt sie in allen ihren Lebensäußerungen, in ihrem ganzen Tun und Lassen. Sie versteht sich entweder von ihrem Auftrag her oder sie versteht sich gar nicht. Sie nimmt sich entweder von ihrem Auftrag her ernst, oder sie kann sich gar nicht ernst nehmen. Sie kann auch der Welt nur entweder im Blick auf ihn oder aber gar nicht respektabel werden – es wäre denn, sie imponierte ihr auf Grund von Eigenschaften und Leistungen, die sie mit anderen geschichtlichen Gebilden gemein hat, die mit ihrem besonderen, ihrem eigentümlichen und eigentlichen Sein nichts zu tun haben. Die christliche Gemeinde lebt von und mit ihrem Auftrag.

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4 Antworten auf „Barth Missional (12): Ganz oder gar nicht“

  1. Ich meine, Barth verliert hier etwas aus dem Blick, was in den vorausgehenden Posts schon mal deutlich im Blick war. Dass die Kirche, in dem sie nur die weltliche Sprache sprechen kann, auch ein weltliches Werk ist. Man müsste, wenn man eigene Erfahrungen noch hinzunimm, sogar sagen: Kirche ist in ihrer tatsächlichen Gestalt selber ein Stück Welt. Wer in die Kirche kommt und sich in ihrer gegenwärtigen Sozialgestalt aufhält und bewegt, der kommt in die Welt.

    Dieser Einsicht haben sich – verkürzt formuliert – m.E. die durch die Erweckungsbewegung entstandenen Gruppierungen verweigert und dabei (folgerichtig) eine eigene Sozial- und Sprachgestalt angestrebt. Um dann aber wiederum missionarisch zu werden, waren enorme zusätzliche Anstrengungen erforderlich.

  2. @Werner: Barth verliert das nie aus dem Blick, er kommt immer wieder ganz hartnäckig drauf zurück, nur aus meinen Zitaten wird das nicht deutlich genug (er hat halt nicht im SMS-Zeitalter gelebt). Für ihn ist die Kirche in Stück Welt und ihr Ort ist die Welt. Aber der Fehler erweckter Introversion ist sicher richtig markiert!

  3. @Tom56: Christus und sein Evangelium zu bezeugen. Wobei bei Barth dann wieder entscheidend ist, wie er das beschreibt und wie es auf keinen Fall geschehen sollte.

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