Über die ideale, richtige Form von Gemeinde wird ja immer wieder mal gestritten. Gegen jeglichen Strukturfundamentalismus („heilige Soziologie“) gibt Barth zu Bedenken, dass die Gemeinde frei ist, sich aus den denkbaren, sämtlich zeitgebundenen Formen eine konkrete auszuwählen, ohne diese damit gleich absolut zu setzen. Das einzige Kriterium für angemessene Formen und Strukturen ist der Auftrag der Kirche, wie der letzte Absatz zeigt:
Ihre Verfassung und Ordnung war und ist vielmehr bei allen Besonderheiten im Einzelnen in ihren großen Linien zu allen Zeiten und an allen Orten bestimmt und bedingt durch gewisse aus ihrerweltgeschichtlichen Situation mehr oder weniger imperativisch sich aufdrängende Vorbilder politischer, wirtschaftlicher, kultureller Natur. Sie hatte und hat sich ihnen, um sich zu behaupten, entweder (fast ganz oder doch teilweise) anzupassen, anzugleichen, oder sie hatte und hat sich ihnen – auch darin dem Gesetz ihrer Umgebung unterworfen – wieder um sich selbst zu behaupten, hinsichtlich der Form ihrer Existenz (wieder teilweise oder fast ganz) zu entziehen oder entgegenzusetzen.
Sie hat sich so oder so nie und nirgends schlechthin spontan und originell gerade so oder so gestaltet, vielmehr immer und überall in offener oder heimlicher, bewußter oder unbewußter, positiver, kritischer oder negativer Beziehung zu den Ereignissen, Veränderungen und Zuständen in ihrer jeweiligen Umwelt, zu deren besonderen Tendenzen und Verhältnissen. […]
Und daß sie auch nur ein Menschenvolk unter anderen war und ist, zeigte sich […] darin, daß die Möglichkeiten, für die sie sich jeweils entschied, durchgehend Entsprechungen derjenigen waren, die sich auch der übrigen Menschheit, wenn es um die gesellschaftliche Gestaltung ihres Lebens und ihrer Verhältnisse ging, unverkennbar ähnlich, ja gleich angeboten haben.
[…] Denn wo schimmert der unauslöschlich profane ursprüngliche Charakter aller soziologischen Gestalt – in jenen Fällen das römische Imperium und der byzantinische Hofstaat mit seinem Zeremoniell – deutlicher durch als gerade da, wo man eine solche Gestalt allen anderen schlechthin und konsequent meinte vorziehen zu sollen und als die heilige, die christliche kirchliche Gestalt par excellence meinte ausgeben zu können?
[…] Ihr Gottesdienst und in dessen Rahmen ihr Gebet und ihre Predigt, die Lebensgemeinschaft ihrer Glieder und ihr Wirken nach außen wird auf alle Fälle Ausführung ihres Auftrags und also Zeugnis der sie umgebenden Welt gegenüber sein müssen. Und so wird das Recht oder Unrecht ihrer so oder so gewählten Verfassungs- und Ordnungsform schlechterdings davon abhängen, ob das ihr anvertraute und sie regierende Wort Gottes in gegebener Zeit und Situation in der einen oder anderen zu Ehren oder nicht zu Ehren kommt. So wird sie, sei es als Volkskirche und vielleicht Staatskirche, sei es als Freikirche, ihr unsichtbares Wesen unter allen Umständen darin sichtbar machen müssen, daß sie bekennende, daß sie Missionskirche ist, ihrer Umgebung keinen Zweifel darüber läßt, für wen und für was sie in ihrer Mitte einzustehen hat. (KD IV,3, 846ff)