Den Dienst der Gemeinde an Gott und der Welt beschreibt Barth grundsätzlich als Verbindung von Sprechen und Handeln. Das gilt auch für den Gottesdienst, zum Beispiel für das unentbehrliche Singen:
Das kann und muß man mit Sicherheit sagen: eine Gemeinde, die nicht sänge, wäre gar nicht Gemeinde. Und wo sie nicht in ihrer Sprache singt, oder nur archaisierend in Wiederholung der Texte und Weisen ihrer Vorfahren zu singen weiß, wo sie nur beiläufig, unfreudig, verschämt mehr seufzt und brummt als singt – da ist sie mindestens eine betrübte, ihrer Sache offenbar nicht recht sichere Gemeinde, von deren Dienst und Zeugnis gewiß auch sonst nicht viel zu erwarten ist.
Er stellt aber auch gleich klar:
Mit einer Konzertveranstaltung kann ihr Singen nichts zu tun haben. Sie singt aber, und das aus innerer, sachlicher Notwendigkeit. Singen ist menschliche Aussage in ihrer höchsten Potenz.
Und im Blick auf die Tendenz einer sich verselbstständigenden Kirchenmusik – das wird für Diskussionen sorgen, zum Glück nennt er weder Gitarren noch Schlagzeug! – schreibt der Mozart-Liebhaber doch tatsächlich:
Daß daneben auch noch Orgel oder Harmonium gespielt werden muß, ist jedenfalls nicht als notwendig einzusehen. […] wenn es nur gewiß wäre, daß die Geister, denen mit den uns nur allzu vertrauten Klängen gerade jener Instrumente gerufen wird, lauter reine Geister sind! Für Orgelsolovorträge jedenfalls dürfte in der kirchlichen Liturgie kein Raum sein – auch nicht in Form der so beliebten Vor- und Nachspiele! (KD IV,3, S. 994)
Das Verbot des Instrumenten-Solos erinnert etwas an Bonhoeffers Verbot des mehrstimmigen Gesangs. Ich kann das theologische Motiv dahinter schon verstehen, das Ergebnis ist mir aber dennoch unangenehm. Läuft doch auf Dauer auf eine ziemlich armeselige Rolle der Kunst im Gottesdienst hinaus, oder? Nunja, vom reformierten Barth, der sich am Ende seines Lebens noch mal mit aller Kraft gegen Buntglasfenster in der Basler Kirche einsetzte, war ja vielleicht nichts andres zu erwarten ;).
(Vielen Dank übrigens für die vielen tollen Barth-Posts!)
Ich habe es zunächst auch so gelesen. Jetzt bin ich mir nicht sicher – in dem Fall wollte Barth, glaube ich, nur, dass der Organist nicht wie so oft das Eigentliche, nämlich die singende Gemeinde, in den Schatten stellt.
Ja, habe es gerade noch mal im Zusammenhang angesehen. Die Pointe liegt tatsächlich da – also an der Stelle, wo man sich angesichts einer Hillsongs-DVD fragt, ob die Musiker die singende Gemeinde unterstützen, oder ob das in Fan-Manier jubelnde Publikum die Kulisse der gut-geschminkten Musiker abgibt.
Allerdings: Die Erwähnung der „gerufenen Geister“ schien mir so verdächtig. Was sollen das denn für Geister sein? Mit Bonhoeffer im Hintergrund dachte ich an die Geister der künstlerischen Eitelkeit – und genau hier scheint mir der blinde Fleck bei „Verkündigungstheologen“ wie Barth zu liegen: Als ob ein Prediger nicht eitel sein könnte! Und als ob man deshalb das Predigen besser gleich bleiben ließe! (Und als ob Barths Sprache bei aller Brillanz nicht gerade auch das wäre: ein wenig selbstverliebt…)
@Alex: Selbstverliebte Sprache – geschenkt. Gefahren der Prediger sieht Barth gewiss auch, die der folgende Abschnitt dann andeutet, Eitelkeit aber bestenfalls indirekt, indem jemand mit exegetischem oder dogmatischen Fachwissen angibt.
Erstaunlich bleibt aber, dass die „Verkündigungstheologe“ das Singen der Gemeinde hier der Predigt voranstellt – und zwar nicht als „Warmsingen“ fürs „Eigentliche“, sondern eben „Aussage in höchster Potenz“.
@ Alex: Auch ich habe spontan an Bonhoeffer gedacht und kann mich mit seinem Vorschlag ebenfalls nicht anfreunden.
Das Herumprügeln auf tatsächlicher oder vermeintlicher Eitelkeit führt nur zur Verunsicherung und beruht auf einer sehr merkwürdigen Annahme: dass erst dann Frieden und Demut herrschen, wenn alle gleich unauffällig sind. Ein besonders deutsches Problem, scheint mir. Vorgartenzwerg-Mentalität.
Wer an der Entfaltung der Gaben eines anderen keine Freude hat sondern dies verdächtig und unangemessen findet, ist wohl eher selbst derjenige, dem es an Demut mangelt.