Barth missional (10): Europa und das „Christentum“

Wertkonservative Politiker und der eine oder andere Kirchenvertreter weisen gern auf die Rolle des Christentums bei der Entstehung der europäischen Zivilisation hin. Karl Barth hält dagegen, weil er darin den höchst problematischen Versuch sieht, die Bedeutung von Kirche durch den Verweis auf ihren Erfolg zu begründen, und zwar in einer Zeit, wo ihre Relevanz innerhalb wie außerhalb offen in Frage gestellt wird, und schreibt (KD IV, 3 / S. 856):

Man kann weiter gewiß auch auf die Einwirkung ihres besonderen Tuns auf das, was in ihrer Umgebung sonst getan wird, hinweisen: nicht ohne Stolz etwa auf ihren oft gerühmten Einfluß auf die Entstehung und die Formung der sogenannten europäischen Zivilisation und Kultur. Aber wer hatte und hat bei deren Entstehung und Formung nun eigentlich die Führung und das entscheidende Wort: die griechisch-römische Antike?, der Geist und Ungeist des urtümlichen Europäertums?, der idealistische Realismus oder realistische Idealismus des im Spätmittelalter und im 16. Jahrhundert aufsteigenden sogenannten modernen Menschen? Auch das «Christentum»? Sicher hat da auch das «Christentum» ein Stück weit – kein großes Stück weit freilich! – mitgewirkt. Aber hörte es nicht in dem Maß auf, Christentum zu sein, als es sich neben und im Bunde mit jenen anderen Faktoren im Weltgeschehen «auswirkte»?

Und er schließt eine weitere Spitze gegen den Kulturprotestantismus an:

Die Sache der Gemeinde ist aber das ihr aufgetragene Zeugnis von dem in Jesus Christus nahe herbeigekommenen Reiche Gottes, und diese Sache besser zu machen, würde bedeuten: als ecclesia reformata semper reformanda dieses Zeugnis in immer treuerer Entsprechung zu seinem Ursprung, Gegenstand und Inhalt, in dessen immer tieferem und vielseitigerem Ausschöpfen und zugleich in immer klareren, schärferen und einfacheren Konturen, nicht zuletzt in Gestalt von eindeutigen und verbindlichen praktischen Entscheidungen zur Sprache zu bringen. (S. 857)

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