Geschäftemacher

Es war ein sehr kurzes Telefonat. Die Mitarbeiterin eines mir bis dahin unbekannten Finanzdienstleisters aus der Oberpfalz erklärte mir, wie viel Steuern ich bezahle, und dass ich bis zu 80% davon zurückbekommen würde mit der Hilfe ihrer Firma.

Denn – so fuhr sie fort – das Geld ginge sowieso nur in den Bundeshaushalt und von da nach Griechenland oder nach Leipzig und Dresden. An dieser Stelle war das Gespräch auch schon wieder vorbei, ehe sie Luft holen und „Sozialschmarotzer“ oder „Hartz IV“ sagen konnte.

Gier und Vorurteile als Geschäftsmodell. Nicht neu, aber immer wieder widerlich. Vor allem, wenn man kurz zuvor dieses Interview gelesen hat.

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Weisheit der Woche: Nachahmung

Iain McGilchrist schreibt in The Master and His Emissary, wie er sich eine Alternative zu Dawkins‘ umstrittenen und problematischen Begriff des Meme vorstellt. Es geht dabei um die Frage, wie kulturprägende Muster und Dispositionen bei Menschen entstehen. Statt von Mechanismen auszugehen betont er die menschliche Fähigkeit und Neigung zur Nachahmung, die allem Lernen und jeglicher Persönlichkeitsentwicklung zugrunde liegt. Und die Kraft menschlicher Phantasie:

Imagination, then, is not a neutral projection of images on a screen We need to be careful of our imagination, since what we imagine is in a sense what we are and who we become. The word imago is related to the word imitari, which means to form after a model, pattern or original. There is ample evidence […] that imitation is extremely infectious: thinking about something, or gene just hearing words connected with it, alters the way we behave and how we perform our tasks. This was understood by Pascal, who realized that the path to virtue was the imitation of the virtuous, engagement in virtuous habits – the foundation of all monastic traditions. (S. 251)

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Was man so singt

Die Melodie ist so eingängig, dass ich die Zeilen auch schon x mal gesungen hatte, bis ich ins Stolpern kam. Sie lauten „Taking my sin, my cross, my shame, rising again I bless your name“ und handelt von Jesus.

Sünde und Schmach – geschenkt. Aber das Kreuz? Ich verstehe schon, was da wohl gemeint sein soll. Trotzdem mutet es bei genauerem Nachdenken seltsam an, dass Jesus „mein Kreuz“ getragen haben soll. Jesus hat sein Kreuz getragen (Joh 19,17) und seine Nachfolger auch noch ganz ausdrücklich aufgefordert, ihr Kreuz auf sich zu nehmen (Lukas 14,27). Daher ist es für Paulus auch weder sein eigenes noch unseres, sondern das Kreuz Christi, von dem er redet. Wenn ich davon singe, Jesus habe mein Kreuz auf sich genommen, dann muss ich es ja vielleicht gar nicht mehr tun…?

Allerdings sind die Bezüge in den beiden Textzeilen ohnehin unklar. Es könnte nämlich auch das „ich“ das Subjekt sein, das da alles nimmt und dann gleich wieder aufersteht. Auch etwas unorthodox.

Aber die Melodie ist ein echter Ohrwurm.

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Feuchter Triumph

Heute ist das ja zum Glück kaum noch ein Problem – im 19. Jahrhundert standen sich jedoch im frommen Wuppertal Reformierte und Lutheraner nicht sehr freundschaftlich gegenüber. Das Unglück des anderen wurde als Zeichen dafür gedeutet, dass er auch theologisch im Unrecht war. Vor allem an der Frage nach der Prädestination schieden sich die Geister, wie ein (zugegeben: sehr bissiger) Zeitzeuge schildert:

Einmal kam ein alter steifer Lutheraner ein wenig angetrunken aus einer Gesellschaft und mußte über eine baufällige Brücke gehen. Das mochte ihm in seinem Zustände doch etwas gefährlich dünken, und so begann er zu reflektieren: Gehst du hinüber, und es geht gut, so ist’s gut, geht es aber nicht gut, dann fällst du in die Wupper und dann sagen die Reformierten, es hätte so sein sollen; nun soll es aber nicht so sein. Er kehrte also um, suchte eine seichte Stelle, und an dieser watete er, bis an den Leib im Wasser, hindurch, mit dem seligen Gefühl, die Reformierten eines Triumphes beraubt zu haben.

Friedrich Engels, Briefe aus dem Wuppertal (1839)

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Sinnklaubereien

Vor einer Weile habe ich hier den Begriff „Leib“ schon einmal reflektiert. Kürzlich bin ich beim Lesen von Kolosser 2,12f. wieder ins Nachdenken gekommen. Dort steht nämlich eine auf den ersten Blick ziemlich merkwürdige Aussage:

In ihm habt ihr eine Beschneidung empfangen, die man nicht mit Händen vornimmt, nämlich die Beschneidung, die Christus gegeben hat. Wer sie empfängt, sagt sich los von seinem vergänglichen Körper. Mit Christus wurdet ihr in der Taufe begraben, mit ihm auch auferweckt, durch den Glauben an die Kraft Gottes, der ihn von den Toten auferweckt hat.

Wörtlich übersetzt heißt es am Ende von V. 12: „legt seinen Leib des Fleisches ab“, und man fragt sich, ob Paulus zum Gnostiker mutiert ist, dessen größte Sehnsucht es ist, der physisch-materiellen Welt und dem Gefängnis des Körpers zu entfliehen, um als reiner Geist in die Sphären ewigen Glücks zu entschweben.

Wie sich die Übersetzer ein „Lossagen“ vom eigenen Leib vorstellen, würde mich ja auch sehr interessieren. Und es wäre eine Untersuchung wert, welche dieser Text im Lauf der Jahrhunderte bei der Entstehung eigenartiger asketischer Bußpraktiken gespielt haben könnte. Aber hat er auch einen Sinn für „Normalos“?

Er hat, wenn man die Begriffe richtig versteht. Zuerst den Begriff „Leib“. Bei Jünger habe ich die hilfreiche Formulierung gelernt: Der Mensch ist „Leib“, insofern er ein Weltverhältnis hat. Nur weil wir leiblich existieren, kommunizieren wir auch und stehen in Beziehung zu anderen. Dieses „Weltverhältnis“, das es hier abzulegen gilt, wird weiter bestimmt durch den Begriff „Fleisch“. Damit wird nicht nur auf die physische Vergänglichkeit und Gebrechlichkeit Bezug genommen, sondern „Fleisch“ kann bei Paulus als eine gottferne und gottwidrige Macht erscheinen, von der Menschen befreit werden müssen, beziehungsweise als ein Modus des Menschseins, der sich gegen Gott verschließt – etwa in Galater 5. Diese Art, in Streit und Konkurrenz auf andere und Gott zu reagieren, gilt es tatsächlich abzulegen.

Die Taufe als christliches Pendant zur jüdischen Beschneidung, so wäre die Aussage im Gesamtzusammenhang dann zu lesen, geht weiter als diese, weil sie einen grundlegenderen Wandel bewirkt und ermöglicht. Sie betrifft nicht nur einen symbolischen Teil des „Leibes“, sondern unsere komplette Existenz. Sie nimmt nicht nur etwas weg, sondern sie bringt etwas Neues ins Spiel, für das die Beschneidung der Platzhalter war, der Hinweis auf etwas, das noch ausstand.

Also muss ein Getaufter (das war schon der Streit mit den Galatern) nicht auch noch beschnitten werden, um zum Volk Gottes zu gehören. Nicht Abraham ist für ihn der Einstiegspunkt in Gottes Heil, sondern der auferstandene Christus, dem er vertraut. Dessen Kraft verändert nun alle Beziehungen: Die zu mir selbst (ich erkenne mich als geliebten Menschen), zu den Mitmenschen (ich kann den anderen lieben) und zu den Mächten und Gewalten, deren Zwänge und Drohungen ihre Wirkung einbüßen. Das ist natürlich idealisiert. Tatsächlich ist es ein ständiges Ringen, sich so verwandeln zu lassen. ( vgl. 1,29)

In diesem veränderten Bezug auf die Umwelt entspricht der Glaubende also den veränderten Verhältnissen, die seit der Auferstehung Jesu von den Toten gelten. Es ist insofern eine prophetische Existenz, als weder die Mächte selbst noch das Gros der Menschheit schon erkannt hätten, dass deren unterdrückerische Macht nur noch auf Illusionen und leeren Drohungen beruht.

Sie ist der Nährboden für Zivilcourage, unangepasstes Leben und friedliche (aber keineswegs harmlose) Revolutionen. Zum Beispiel auch davon, sich freizuschwimmen von den Erwartungsschablonen unserer Gesellschaft. Neulich habe ich mich mit ein paar jungen Christen über deren Erwartungen und Lebensträume unterhalten und war hinterher deprimiert, wie oft da Haus, Beruf, Partner und Glück zu hören war, aber nicht mehr als das. Nicht weiter und größer denken zu können, visionär verarmt zu sein, im Materiellen und Privaten erst auf- und dann unterzugehen, das ist das Werk der „Mächte und Gewalten“ der Konsumgesellschaft. Deren Wucherungen gilt es zu beschneiden oder ihnen kontinuierlich abzusterben. Die Taufe ist der Auftakt dieses Prozesses. Derzeit haben wir noch viel Luft nach oben.

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