Was man so singt

Die Melodie ist so eingängig, dass ich die Zeilen auch schon x mal gesungen hatte, bis ich ins Stolpern kam. Sie lauten „Taking my sin, my cross, my shame, rising again I bless your name“ und handelt von Jesus.

Sünde und Schmach – geschenkt. Aber das Kreuz? Ich verstehe schon, was da wohl gemeint sein soll. Trotzdem mutet es bei genauerem Nachdenken seltsam an, dass Jesus „mein Kreuz“ getragen haben soll. Jesus hat sein Kreuz getragen (Joh 19,17) und seine Nachfolger auch noch ganz ausdrücklich aufgefordert, ihr Kreuz auf sich zu nehmen (Lukas 14,27). Daher ist es für Paulus auch weder sein eigenes noch unseres, sondern das Kreuz Christi, von dem er redet. Wenn ich davon singe, Jesus habe mein Kreuz auf sich genommen, dann muss ich es ja vielleicht gar nicht mehr tun…?

Allerdings sind die Bezüge in den beiden Textzeilen ohnehin unklar. Es könnte nämlich auch das „ich“ das Subjekt sein, das da alles nimmt und dann gleich wieder aufersteht. Auch etwas unorthodox.

Aber die Melodie ist ein echter Ohrwurm.

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4 Antworten auf „Was man so singt“

  1. Ja, solche „Aha-Momente“ in Bezug auf christliches Liedgut kennt wohl jeder. Seien es Lieder, die solche von dir angesprochenen Unschärfen, bzw. Ungereimtheiten haben oder auch Lieder, die von der Wortwahl her einfach gruselig sind. Mein Anti-Favorit ist dabei das Wort „Seraphinen“ aus dem (eigentlich ganz schönen) Lied „Großer Gott wir loben dich“.

  2. Ungeordnete Assoziationen dazu:

    In der Bibel ist der einzige, der das Kreuz eines anderen auf sich nimmt – Simon von Kyrene. 🙂
    Im Evangelischen Gesangbuch fällt mir nur ein Rudolf Alexander Schröders Zeile „Litt unser Kreuz, starb unsern Tod“ (Aus „Wir glauben Gott im höchsten Thron“).
    Also ist es offenbar weder biblische noch traditionelle Sprache.
    So what?
    Ist es nicht gerade Anspruch und vielleicht sogar Stärke moderner Anbetungstexte, alte Wahrheiten in neuer, anderer, vielleicht auch bewusst irritierender Sprache zu formulieren? Vielleicht war das sogar schon R.A. Schröders Absicht.
    Kreuz im Sinne des 1. Kor als Symbol der Schande würde auch passen.

    Im Rahmen biblischer Sprache würde es heißen, dass Jesus jetzt schon von allem Leid befreit habe – dann wäre es eine problematische theologische Tendenz, die aber (wie sage ich’s ohne Schubladen?) auch manchmal vorkommt.
    Wie der Autor es nun gemeint hat, können wir nicht sagen.

    Im Zweifelsfall würde ich aber, wenn der Text trotz unorthodoxer Sprache ein orthodoxes Verständnis zulässt, ihn so auslegen und singen.

  3. Für Innovation und Poesie bin ich immer zu haben. Ob dies ein gutes Beispiel für beides ist, da bin ich mir nicht sicher. Gut gemeint ist es bestimmt.

  4. Ein gutes Beispiel wird es in dem Moment, wo so drüber nachgedacht und es dann bewusst gesungen wird. Wird es unbewusst gesungen, ist die Frage von innovativer und traditioneller Sprache egal.
    Schon deshalb: Danke für die Gedanken!

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