Sweet little lies

Zeit Wissen interviewte jüngst den Psychologen Robert Feldman, der sich mit der Rolle von Lügen in menschlicher Kommunikation auseinandersetzt. Lügen definiert der dabei als Aussagen, die der eigenen Wahrnehmung der Realität widersprechen. Für knallharte Moralisten eine schwere Lektüre: Denn vieles ist (das zeigt etwa der Vergleich mit fernöstlichen Kulturen) kulturell bedingt, und so haben längst nicht alle Lügen negative Auswirkungen, sie werden nicht einmal bemerkt:

… die meisten sozial kompetenten Menschen praktizieren das Lügen unbewusst als eine wirksame Technik. Es geht in ihr natürliches Repertoire ein. So natürlich, dass sie oft gar nicht merken, dass sie lügen.

Mein Eindruck ist, dass man in den angelsächsischen Ländern oder auch in der Schweiz mit Kritik etwas zurückhaltender und indirekter ist als bei uns. Aber auch hier gilt Feldmanns Beobachtung:

wenn es darum geht, im Alltag mit anderen Menschen auszukommen, macht man sich das Leben sehr schwer, wenn man diesem Ideal strikt folgt. Wer stets unverblümt die Wahrheit sagt, ist meist unbeliebt. […] Weniger beliebte Menschen sind nicht so sensibel dafür, was ihre Gesprächspartner hören wollen, daher sind sie eher verletzend. Gute Lügner sind sympathischer.

Freilich können auch die freundlichen Lügen, die zum Schmierstoff der Kommunikation werden, sich auf Dauer negativ auswirken: Erstens verliert man ohne ehrliche Rückmeldungen das Gespür dafür, wie man auf andere wirkt, zweitens verstrickt man sich gerade in den langjährigen Beziehungen zunehmend in Unwahrheiten – der klassische Stoff für Sketche über alte Ehepaare.

Lügen ist erlernt. Schon Kinder entdecken, dass es keineswegs immer erwünscht ist, dass man die Wahrheit sagt, und dass es positive Konsequenzen haben kann, wenn man so geschickt lügt, dass man nicht erwischt wird. So kann dann leicht das Dilemma eintreten, dass „die Wahrheit“ zwar allenthalben lautstark gefordert wird, aber dann trotzdem jeder ahnt oder weiß, welche Wahrheiten man in welcher Umgebung auf keinen Fall sagen sollte. Eine positive Kultur der Wahrhaftigkeit ist also eine Lebensaufgabe.

Noch etwas komplexer wird die Wahrheitsfrage in diesem Text von Vaclav Havel beleuchtet (danke, Arne!)

Den passenden Song dazu liefert Fleetwood Mac…

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