Geschichte machen

Lesslie Newbigin bringt die Dinge immer wieder schön auf den Punkt, etwa wenn er geschichtslose – pietistische wie hinduistische – Herzensfrömmigkeit in Frage stellt:

Die Frage ist: Ist diese Beziehung zu Gott unabhängig von deiner Teilnahme am fortlaufenden Leben der Welt, deiner Familie, deines Volkes in der Völkergemeinschaft? Hast oder suchst du eine Beziehung zu Gott, in der du all diesen Beteiligungen den Rücken kehren kannst? Oder ist deine Beziehung zu Gott notwendigerweise verknüpft damit, dass du die Rolle annimmst, die Gott dir in seinen Absichten für diese Welt zugedacht hat? Wenn letzteres der Fall ist, dann ist deine Beziehung zu Gott nicht zu trennen von den Akten, in denen Gott sich offenbart und durch die er seine Absicht mit dieser Welt wirksam werden ließ. Dein Leben der Hingabe an Gott wird sich darin ausdrücken, dass du an der Geschichte mitwirkst, deren Teil du bist. Du wirst dein Leben als Teil einer Geschichte verstehen, die du dir nicht ausgedacht hast.

Share

Brief aus Athen

Eher zufällig bin ich heute auf der Website des ÖRK gelandet und habe da einen interessanten Brief von der Weltmissionskonferenz Athen 2005 gefunden. Bestimmt bin ich der einzige, dem das bisher entgangen war… Es gibt ihn sogar in (nicht immer richtig gutem) Deutsch, hier ein kleiner Auszug, der vielen aus dem Herzen sprechen wird:

Der Missionscharakter der Kirche wird in größerer Vielfalt erfahren als je zuvor, und die christlichen Gemeinschaften setzen ihre Suche nach eigenen Antworten auf das Evangelium fort. Diese Vielfalt ist eine echte Herausforderung und kann mitunter Unbehagen in uns hervorrufen. Wir entdecken darin aber auch Möglichkeiten für ein tieferes Verständnis des schöpferischen, lebenserhaltenden, heilenden und versöhnenden Wirkens des Heiligen Geistes.
Denn die Kraft des Geistes berührt uns in vielerlei Weise : in Sanftmut und Wahrheit, Trost und Kreativität, Gottesdienst und Handeln, Weisheit und Unschuld, Gemeinschaft und Heiligung, Befreiung und heiliger Kontemplation.
Doch es gibt auch böse Geister, die in der Welt und leider auch in einem großen Teil unserer Geschichte und in vielen unserer Gemeinschaften am Werk sind. Dies sind Geister der Gewalt, Unterdrückung, Ausgrenzung, Spaltung, Korruption, Selbstsucht, Ignoranz, des Versagens, unseren Glauben zu leben, und des angstvollen Schweigens angesichts von Unrecht.
Um das Werk des Heiligen Geistes erkennen zu können, haben wir die Notwendigkeit verspürt, immer wieder zu den Wurzeln unseres Glaubens zurückzukehren und den dreieinigen Gott zu bekennen, der uns in Jesus Christus, dem Fleisch gewordenen Wort, offenbart worden ist.

Share

Auf dünnem Eis

Wissenschaftliche Wunder-Erklärung bleibt ein Widerspruch in sich. Den neuesten Anlauf schildert die SZ: Jesus sei über eine Art sporadisch auftretendes Blitzeis am See Genezareth marschiert. Petrus muss dann wohl eingebrochen sein?

Biblische Geschichten auf diese Weise für “moderne Menschen” nachvollziehbarer zu machen bedeutet, sich auf sehr dünnes Eis zu begeben. Meistens verschiebt man die Probleme nur. Die Forscher wiesen lediglich auf die Möglichkeit hin. Wie es tatsächlich war, können sie auch nicht sagen…

Share

Das Kreuz tragen

Mag sein, dass in der Passionszeit besonders viel dazu geschrieben und darüber geredet wird, aber ich finde es immer noch verwirrend, was so alles zum Thema “das Kreuz auf sich nehmen” gesagt wird.

  • Geht es darum, sich in sein Schicksal zu fügen und einfach alles Leiden, was einem im Leben zustößt (selbst-, fremd- und unverschuldet) standhaft zu tragen und daran zu wachsen?
  • Oder geht es darum, dass wir zu dem unvermeidlichen Leid bewusst wenigstens das Risiko in Kauf nehmen, zusätzlichen Schmerz zu erleiden, indem wir uns mit leidenden Menschen und mit einem leidenden Gott aktiv identifizieren?
  • Eher unwahrscheinlich ist die Variante, sich willkürlich Schmerzen zuzufügen in obskuren Praktiken, sei es um sich abzuhärten oder innere Prozesse damit (im wahrsten Sinn des Wortes) anzustacheln.
  • Oder ist es ein bisschen von allem und man kann das gar nicht trennen…

Mir scheint die Antwort eher im zweiten Punkt zu liegen – Leiden um der Liebe zu anderen willen, indem wir uns zurücknehmen und verletzlich machen. Aber vielleicht habe ich das noch nicht ganz verstanden? Vielleicht muss man das auch gar nicht verstehen?

Share

Rituale – tragende Gewohnheiten

Es ist schon erstaunlich, was einem so alles auffällt, wenn man die richtige Brille aufsetzt. Ich habe an einer Predigt über Rituale gearbeitet. Tony Campolo hat mal gesagt, wenn man etwas über die Kraft von Ritualen lernen will, muss man den Islam studieren. Oder als Protestant die katholische Kirche. Rituale sind das letzte, was noch funktioniert (und, wenn es die richtigen sind, Menschen mit Gott verbindet) wenn aufgrund von Alter oder Krankheit die Kräfte schwinden. Liederverse und Bibelstellen, die man jahrelang “aufgesagt” hat, tragen einen Menschen plötzlich durch.

Brian McLaren hat es so definiert: Ein Ritual ist etwas, das ich tue, ob ich mich danach fühle oder nicht, weil es mich an das bindet, wofür es steht. Oft ist das Zusammengehörigkeit: singende Fußballfans, die Nationalhymne oder eine Parade, der Spaziergang der Familie (einschließlich das dazu gehörige Murren der Kinder) am Sonntag nachmittag. Wahrscheinlich haben (und brauchen) alle Gruppen ihre Rituale.
„Rituale – tragende Gewohnheiten“ weiterlesen

Share

Menschenbild

Ich frage mich, ob es das viel beschworenechristliche Menschenbild” überhaupt gibt. Erstens sind die verschiedenen (Re-)Konstruktionen zu dem Thema keineswegs einheitlich, was vermutlich daran liegt, dass auch die biblischen Aussagen sich eben kaum in ein stimmiges System bringen lassen. Schließlich muss das gar kein Schaden sein, weil es nicht nur im Hinblick auf die konkrete Person, sondern vielleicht auch auf “den Menschen” eine christliche Tugend sein könnte, sich kein griffiges und fixes Bildnis zu machen.

Haben wir also kein komplettes Bild, sondern verschiedene, nicht völlig systematisierbare Schlaglichter? Die reichen durchaus, um die verschiedenen Ideologien zu dekonstruieren (auch die “christlichen”…?). Vielleicht will Gott gar kein durchgestyltes System – sondern dass wir für uns selbst und einander immer ein Stück Geheimnis bleiben, das nur er kennt?

Wenn es also weniger geschlossen ist, als der eine oder andere meint, dann könnte der Dialog und Austausch mit anderen Wissenschaften, Kulturen und Denktraditionen nicht unbedingt einfacher, aber etwas flexibler verlaufen und vor allem Lernen nach beiden Richtungen ermöglichen, ohne dass man gleich seine Wurzeln verrät.

Share

Christliches Selbst-Konzept

Eine Art Kontrastprogramm zur Ich-Thematik von neulich habe ich gestern auf der Jahrestagung von Ignis erlebt. Der sympatische Referent Eric Johnson von der Society for Christian Psychology hat ein theologisches Fass nach dem anderen aufgemacht. Sein Grundgedanke ist, dass wir in der Bibel eine Art “folk psychology” finden (kann man da “Vulgärpsychologie” dazu sagen, oder klingt das zu negativ?). Heute, sagt er, brauchen wir aber komplexere Modelle, um Menschen zu verstehen und zu behandeln.

Johnson hat eine Unterscheidung eingeführt zwischen dem “aktuellen” oder tatsächlichen Selbst (alles, was mich augenblicklich ausmacht: Geschöpf – Sünder – Erlöster) und dem “realen” Selbst (Wer ich nach den Aussagen der Schrift in Christus bin). Etwas unglücklich fand ich dabei die Differenzierung aktuelles Selbst “hier unten”, reales Selbst “da oben” bzw. in der Zukunft. Erweitert wurde das Modell durch den Begriff des idealen Selbst, das nochmal differenziert wurde in nützliche (weil erreichbare) und fehlgeleitete Ideale.

Es waren viele gute Gedanken und interessante Beobachtungen dabei. Hundertprozentig überzeugt war ich noch nicht von dem Modell. Manche theologischen Denkvoraussetzungen hätte man noch einmal auf den Prüfstand stellen müssen: Die Erbsündenlehre, die Zuordnung von innen und außen (bzw. oben/unten, jetzt/zukünftig) und etliches mehr. Ich denke, ich bleibe dran…

Share

Rechtfertigung?

Mich beschäftigt eine Bemerkung von NT Wright zum Thema Rechtfertigung (aus dem Aufsatz: Walking to Emmaus in a Postmodern World), wo er erklärt, dass moderne Menschen “eifrige Pelagianer” seien. Er meint damit, dass einerseits ein gewisser Optimismus über die eigenen Möglichkeiten herrscht, der sich dann mit einem Hang zu moralischen Appellen verbindet. Solchen Leuten muss man Rechtfertigung á la Luther und Augustin predigen.


Wenn ich mir die meisten Gemeindepredigten anhöre, dann stelle ich genau das fest: Man meint, Pelagianer vor sich zu haben. Also predigt man gegen religiöses Leistungsdenken bzw. dessen neurotische Konsequenzen an, oder man spricht weniger fromm das soziale Gewissen der Leute an und mahnt (inzwischen eher milde) zu mehr Einsatz, Solidarität, Mitmenschlichkeit. Für die Insider und typischen Aufatmen-Leser 😉 stimmt das auch tatsächlich.
„Rechtfertigung?“ weiterlesen

Share

Das Dividuum

Ausgerechnet in Zeiten des Individualismus und der scheinbar unbegrenzten Wahlmöglichkeiten wird es immer schwerer zu sagen, was das Individuum eigentlich ausmacht. Es erinnert ein wenig an die Suche nach der Seele bei den ersten legalen (und illegalen) Obduktionen im mittelalterlichen Europa. Da fand man auch nichts. Oder an Juri Gagarin, der im Weltraum ankam und nichts von Gott sah.

Jemand zuhause?
Je nach Blickwinkel scheint es keine bestimmende Konstante zu geben. Menschen zerfallen in Rollen, Verhaltensmuster, ihre Lebensgeschichte in Episoden und Fragmente. Wir sind viel stärker verwoben in unsere Umwelt, als es die gängigen Konstrukte von Identität suggeriert hatten. So landet der Philosoph Thomas Metzler im Focus bei der Aussage: “keiner war oder hatte jemals ein Selbst”. Atome haben wir schon längst in andere “Elementarteilchen” zerlegt. Nun sind auch wir selbst zerlegbar – kein In-dividuum (Unteilbares) mehr.
„Das Dividuum“ weiterlesen

Share

Nochmal Bonhoeffer

Den Tipp verdanke ich Michael, aber es ist wirklich erstaunlich, wie aktuell und fast schon prophetisch die Worte Bonhoeffers vom 30.4.1944 heute in unserer Situation klingen:

Die Religiösen sprechen von Gott, wenn menschliche Erkenntnis (manchmal schon aus Denkfaulheit) zu Ende ist oder wenn menschliche Kräfte versagen – es ist eigentlich immer der deus ex machina, den sie aufmarschieren lassen, entweder zur Scheinlösung unlösbarer Probleme oder als Kraft bei menschlichem Versagen, immer also in Ausnutzung menschlicher Schwäche bzw. an den menschlichen Grenzen: das hält zwangsläufig immer nur solange vor, bis die Menschen aus eigener Kraft die Grenzen etwas weiter hinausschieben und Gott als deus ex machina überflüssig wird; das Reden von den menschlichen Grenzen ist mir überhaupt fragwürdig geworden (ist der Tod heute, da die Menschen ihn kaum noch fürchten, und die Sünde, die die Menschen kaum noch begreifen, noch eine echte Grenze?), es scheint mir immer, wir wollten dadurch nur ängstlich Raum aussparen für Gott; – ich möchte von Gott nicht an den Grenzen, sondern in der Mitte, nicht in den Schwächen, sondern in der Kraft, nicht also bei Tod und Schuld, sondern im Leben und im Guten des Menschen sprechen. An den Grenzen scheint es mir besser, zu schweigen und das Unlösbare ungelöst zu lassen. Der Auferstehungsglaube ist nicht die „Lösung“ des Todesproblems. Das „Jenseits” Gottes ist nicht das Jenseits unseres Erkenntnisvermögens! Die erkenntnistheoretische Transzendenz hat mit der Transzendenz Gottes nichts zu tun. Gott ist mitten in unserm Leben Jenseits. Die Kirche steht nicht dort, wo das menschliche Vermögen versagt, an den Grenzen, sondern mitten im Dorf.

Share

Volltext-Anbetung

In letzter Zeit fällt mir immer mehr auf, wie sehr wir in Liedern, Gebeten und (ja, leider) auch Predigten wesentliche Glaubensinhalte in Chiffren und Kurzformeln darstellen. Paradebeispiel ist “das Kreuz”. Es gibt Gottesdienste oder Veranstaltungen, wo das Thema fortlaufend referenziert wird, aber eben immer irgendwie floskelhaft.

Es ist so lange völlig in Ordnung, solche Kurzformeln zu verwenden, wie alle Beteiligten genau wissen, worum es geht. Bei geflügelten Worten wie “die spinnen, die Römer” hört auch jeder (naja, fast jeder) die ganze Geschichte im Hintergrund. Nur ist meine Beobachtung aber die, dass zwar viele Christen auf Nachfrage die Kurzfassung sagen können, aber wesentlich weniger die Langfassung in eigenen, nicht vorgestanzten Worten (von Außenstehenden in unseren Gottesdiensten ganz zu schweigen).
„Volltext-Anbetung“ weiterlesen

Share

Was ist das Evangelium?

Seit ein paar Tagen brüte ich (für eine Predigtreihe ab kommendem Sonntag) darüber, wie man das Evangelium knapp und sachlich/inhaltlich stimmig in heutiger Sprache wiedergeben kann. Es ist eine spannende, aber anstrengende Übung.

Ein-Satz-Definitionen (etwa: “Jesus ist für dich gestorben damit du in den Himmel kommst, wenn du tot bist”) sind – so viel habe ich schon gemerkt – unangemessen. Entweder sind sie so komprimiert, dass jeder alles herauslesen kann, oder gräßlich formelhaft und eindimensional. Es geht ja um eine Geschichte, nicht um eine Gleichung.

Daher nehmen wir uns vier Sonntage Zeit. Mein momentaner Zwischenstand sieht so aus:

  1. Gott kommt, um in dieser Welt Unterdrückung zu beseitigen und Menschen Freiheit zu schenken
  2. Trennende Unterschiede zwischen Menschen werden überwunden; alle sind eingeladen, niemand ist ausgeschlossen
  3. Eine neue Lebensqualität entsteht mit bisher ungeahnten Entfaltungsmöglichkeiten
  4. All das wird allein deshalb möglich, weil Gottes Liebe keine Schmerzen scheut

Habe ich irgend etwas Wesentliches vergessen?
„Was ist das Evangelium?“ weiterlesen

Share

Falsches Format

Eben war ich bei Aldi eine Matratze 90×200 einkaufen. Ich konnte das Ding, obwohl heute aktuell im Angebot, einfach nicht finden. Also fragte ich nach, wurde nach hinten geschickt, fand nichts, fragte erneut. Der freundliche Mitarbeiter führte mich schließlich zu einer Palette. Dort waren die Matratzen – vakuumverpackt und handlich eingeschrumpft. Ich hatte immer nach einem viel größeren Teil geschaut.

Diese Geschichte hat tatsächlich eine kleine “Moral”: Gott kommt an Weihnachten (oder da besonders, aber ich fürchte, nicht nur dann) in einer unerwartet kleinen Verpackung – jedenfalls nicht in dem Format, auf das wir geeicht sind, und prompt wird er übersehen. Bis jemand kommt und mich mit der Nase drauf stößt, dass ich die ganze Zeit achtlos an dem vorbei gegangen bin, was ich eigentlich gesucht habe.

Share

Die Guten ins Töpfchen…

Beim weiteren Nachdenken über die Gutmensch-Problematik fiel mir auf, dass sich die populäre Vorstellung, das ewige Leben sei eine Belohnung für anständiges Verhalten in diesem Leben, neben der klassisch vulgär-katholischen Leistungsfrömmigkeit vor allem auf Kant zurückgeht. Nicht, dass den alle gelesen oder gar verstanden hätten, aber er hat sicher eine Menge dazu beigetragen, dass in der Religiosität der Aufklärungskultur dieser moralisierende Zug so populär ist.
„Die Guten ins Töpfchen…“ weiterlesen

Share

Höllenpredigten

Ich bin je länger je mehr der Meinung, dass die klassischen Konzepte von Hölle weder zur missionarischen Mobilisierung von Christen noch zur Überzeugung von Noch-Nicht Christen irgend etwas Positives abwerfen. Es kommt nur Quatsch und Krampf dabei heraus.

Dennoch ist das Evangelium eine Botschaft, bei der es um Leben und Tod geht. Tod – nicht “Hölle”! Und über den Tod (der für uns alle so bedrohlich real ist, dass wir nicht darüber reden) sprechen wir nicht, so lange nur das “Danach” interessiert. Ganz anders dagegen Paulus, bei dem jede Vorstellung von Hölle fehlt (Gott wird alles in allem sein – da ist schlicht kein Platz mehr), ohne dass das (wie manche argwöhnen) zur “Allversöhnung” führen würde, die ja auch den Tod wieder nur verharmlost.

Warum also nicht offener, ehrlich und direkter über den Tod und seine Verwandten sprechen: Krankheit, Isolation, Hass, Verzweiflung. Da hat niemand Zweifel, ob das real ist. Und wer hier Hoffnung weckt, dem werden die Leute gerne zuhören, auch wenn es keine billige Lösung ist, die er beschreibt.

Share