Auf Wiederlesen

Heute fand ich mit etwas gemischten Gefühlen die erste Weihnachtskarte in der Post. Aber das Fest ist nicht mehr fern, und mit ihm Geschenke, die ich aussuche und andere die ich bekomme, darunter – in beiden Richtungen – natürlich wieder etliche Bücher.

Trotzdem habe ich mir in diesen Tagen die Frage gestellt, welche Bücher ich in den nächsten Monaten noch einmal lesen will. Manchmal entdeckt man beim zweiten Mal wichtige Dinge, über die man beim ersten Lesen noch hinweggegangen ist. Manchmal tut es einfach gut, sich an Bekanntes erinnern zu lassen.

Die Liste ist noch am Entstehen, mein Blick schweift immer wieder über die Regale. Da steht zwar auch noch das eine oder andere ungelesene Buch. Das erste aber, das in die Auswahl zum Wiederlesen gekommen ist, ist Vincent Donovans Christianity Rediscovered, das ich auf diesem Blog schon ab und zu erwähnt habe. Als nächstes steht John D. Caputos What would Jesus deconstruct? an. Und Terry Eagletons The Meaning of Life, das gibt es auch auf Deutsch.

Alex wird mit der KD ausgelastet sein, aber alle anderen sind herzlich eingeladen, ihre Kandidaten in den Kommentaren zu nennen. Bibel übrigens ausgenommen, die lest Ihr sowieso, da muss man (an dieser Stelle jedenfalls) nicht drüber reden.

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Liebe und Absichtslosigkeit

Neulich blieb ich an diesem Satz von Franz Jaliczs hängen:

Es ist der selbstverständliche Wunsch eines Christen, dass Jesus Christus von allen Menschen anerkannt werde. Dieser Wunsch kann aber ein Hindernis sein, die persönliche Bedeutung der Äußerungen zu erfassen, falls sie von diesem Wunsch abweichen oder dazu im Widerspruch stehen.

und etwas später schreibt er (Miteinander im Glauben wachsen, S. 47/49):

Wer seinen Glauben mit der Überzeugung mitteilen möchte, dass er über einen Schatz verfügt, den der andere nicht oder noch nicht in demselben Maß besitzt, kann auf einen inneren Widerstand stoßen, wenn er mit seinem Gesprächspartner auf gleicher Stufe sprechen möchte.

Ich habe mich dann gefragt, ob man den Begriff der Absichtslosigkeit aus der Tradition des kontemplativen Gebets übertragen kann auf die Haltung, die man auch in einem Glaubenskurs (das war der Grund, warum ich das nachlas) anderen Menschen gegenüber pflegen sollte. Aber es gibt ja auch immer die, für die „offen für alles“ automatisch „nicht ganz dicht“ bedeutet.

Also: Kann ich meine Überzeugung schon dadurch verraten, dass ich sie einem anderen nicht aufschwatze?

Absichtslosigkeit beim Beten bedeutet ja nicht, dass ich nicht beten will, sondern dass ich nicht auf ein ganz bestimmtes Resultat festgelegt bin. Wie es kommt, so ist es in Ordnung. Ähnlich im Alpha-Kurs: Ich bringe mich in das Gespräch und den Kurs ein, ich interessiere mich für mein Gegenüber um seiner selbst willen. So wie mir beim Beten Gott konkurrenzlos wichtig ist, und ich ihm keine Vorgaben mache, wie er diese Zeit zu füllen hat, damit es sich für mich lohnt, so kann ich auch in ein Gespräch mit anderen hineingehen. Es hat seinen Wert in sich.

Pah, höre ich jetzt schon den Einwand, Reden um des Redens willen ist verschwendete Zeit, dafür sind wir nicht auf der Welt.

Ist das so?

Wenn ich absichtslos zuhöre und mich mitteile, ist schon etwas herausgekommen. Wenn ich aber unausgesprochen ein bestimmtes Resultat zur Bedingung mache, dann steigt automatisch die Wahrscheinlichkeit, enttäuscht zu werden – und die Gefahr, dass ich mich beim nächsten Mal erst gar nicht mehr auf das Beten oder auf ein weiteres Gespräch einlasse. Und dann kann gar nichts mehr passieren.

Absichtslosigkeit ist auch nicht bloße Pflichterfüllung. Wo ich etwas nur abhaken will, bin ich schon nicht mehr bei der Sache. Absichtslosigkeit ist nicht mit Gleichgültigkeit und Wurstigkeit zu verwechseln. Sie hat aber alles mit Liebe zu tun. Und darum lohnt es sich, ein bißchen Übung zu investieren.

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Nicht hart genug?

Der Tod von Robert Enke könnte einen Sinn bekommen, wenn eine öffentliche Debatte über den Umgang mit psychischen Leiden und Erkrankungen in Gang käme. Bis jetzt ist es so, dass man seine Erkrankung nach Möglichkeit geheim halten muss, weil man sonst nur allzu oft von anderen Menschen als „verrückt“ angesehen und gemieden wird – vor allem aber, weil man um seinen Arbeitsplatz bangen muss, denn jede Tätigkeit mit nur etwas Verantwortung ist den Starken und Selbstsicheren vorbehalten.

Dass darunter eine ganze Reihe Workaholics und Soziopathen sind, das wiederum ist weithin akzeptiert. Die gelten dennoch als „stark“. Aber „Schwache“ müssen fürchten, dass man ihnen unterstellt, sie seien auf Dauer unfähig, die in sie gesetzten Erwartungen zu erfüllen. Vor einigen Tagen erschien das Buch von Sebastian Deisler, der sich seiner Krankheit auch öffentlich stellte und seine Karriere beendete.

Robert Enke hat wohl gehofft, dass es auch anders geht – ohne Ausstieg, ohne zermürbende und entwürdigende öffentliche Diskussion darüber, ob er diesen Kampf gewinnt, ohne Loser-Image. Und möglicherweise hat er eben deshalb den Ausweg nicht mehr gefunden, den Sebastian Deisler gewählt hat.

Natürlich müssen sich nun die Fußballfunktionäre zu allererst die Frage stellen, wo das System und seine Vertreter hier versagt haben – aber bitte nicht als einzige! Das Thema geht alle an. Hoffentlich rüttelt dieser Tod uns nachhaltig auf.

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Bekehrungen: was ist echt?

Ich sitze in einer Gesprächsrunde, wo das Thema „Konversion“ sozialwissenschaftlich und praktisch-theologisch erörtert wird. Eine Studie des IEEG Greifswald wird vorgestellt.

Mein Blick fällt auf einen prominenten Teilnehmer, der seit unserem letzten Treffen von seinem PC auf ein schickes Macbook umgestiegen ist. Nur den Apfel hat er verschämt zugepappt mit einem Aufkleber. Und ich frage mich: Ist das eine „echte“ Bekehrung, wenn man sich hinterher nicht dazu bekennt?

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Pointiert: Besserwisser

Sagen wir es, wie es ist: Newton war ein Klugscheißer, einer, der neu denkt und das auch laut sagt. Ein Besserwisser eben. Einer, der den Seelenfrieden und die Ruhe anderer stört. Die Idylle all jener, die nicht wissen, wie es besser geht.

Im Großen und Ganzen kann man die sich geistig anstrengende Menschheit, also ohnehin wohl nur einen Bruchteil der Gesamtpopulation, in zwei Denkschulen einteilen: in die Denkbürokraten und die Denkunternehmer. Newton war ohne Zweifel Denkunternehmer, denn was er an Wissen produzierte und damit an Problemen löste, gab es vor ihm nicht. Damit stellte er sich aber zwangsläufig gegen die große Mehrzahl jener, die mit dem vorhandenen Wissen gut ausgekommen waren, es verwaltet und sich gemütlich darin eingerichtet hatten: die Denkbeamten. Leute, von denen Di Trocchio schreibt: „Sie waren nicht nur nicht in der Lage, anders zu denken, sondern weisen diejenigen, die es versuchen, auch noch zurück und grenzen sie aus.“

Wer Bürokraten bei der Routine stört, der kann schon mal die Koffer packen.

Wolf Lotter in brand eins

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Ehelos um unseretwillen

Das unterhaltsame Ermittlerduo aus Münster musste im Tatort Tempelräuber gestern den Mord am Regens des Priesterseminars aufklären. Die Suche nach dem Täter war nicht halb so spannend wie das Gekappel der Akteure untereinander. Und weder die Kirchenkritik noch das als Tabuthema gehandelte Problem der Priesterkinder waren nicht schon an anderen Stellen ausgiebig gewürdigt worden. Zwischendurch sagte die sehr blonde Kommissarin während der Vernehmung zum Priesteramtskandidaten, dass Sex wichtig sei für die Seele. Spätestens als er das anhören musste, tat der junge Mann einem leid.

Was der Film aber auch andeutete ist dies: Der Zölibat hat sich als de facto Lebensform doch längst von den Kirchenleuten zu dem Kriminalern hin verschoben. Der lädierte Börne empört sich über die Invasion in seine Eremitage und findet dann so etwas wie Familie doch ganz gut, aber ach – leider war es die (heimliche) Familie des Priesters. Thiel ist und bleibt Single, so wie seine Staatsanwältin, so wie die meisten Kommissare die meiste Zeit – Donna Leons glücklich verheirateter Brunetti scheint die einzige Ausnahme zu sein. Praktisch fürs Plot, dann können die Ermittler sich immer mal wieder in Verdächtige verlieben und die ansonsten lahme Handlung verkomplizieren. Aber es scheint eben auch ins Klischee zu gehören.

Niemand verbietet ihnen zu heiraten (viele waren es ja auch irgendwann einmal), aber vor lauter Arbeit wird nie was draus. Im Zweifelsfall geht die Jagd nach den Schurken eben immer vor. (Fernseh-)Kommissare leben ehelos um unseretwillen. Sie bringen dieses Opfer, um die Gesellschaft vor finsteren Elementen (oder vor sich selbst?) zu beschützen. Das erfordert ständige Wachsamkeit und Einsatzbereitschaft. Private Interessen stehen zurück. Sie haben eine Mission, die keinen Aufschub duldet. Es geht um Leben und Tod.

Fragt sich also, warum die katholische Kirche es nicht einfach der Kripo nachmacht.

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Was so alles untergeht…

James Hamilton-Paterson macht sich bei Spiegel Online lesenwerte Gedanken über Sonnenuntergänge bzw. deren Abbildungen. Warum sind sie so populär, dass kaum ein Kitschmotiv ohne sie auskommt? Kunsthistorisch gesehen lässt sich dabei feststellen (und jetzt wird die Grafikabteilung von Aufatmen und erst recht der Kawohl-Verlag ins Schwitzen geraten):

Von 1780 an schätzte man Sonnenuntergänge zusammen mit Ehrfurcht gebietenden Sujets wie Bergen, Gletschern, Wüsten und wilden Küsten zunehmend dafür, dass sie ein Gefühl der Erhabenheit evozierten. Es ist kein Zufall, dass zur selben Zeit der Pantheismus Mode wurde. Infolge der Aufklärung und des Aufkommens der Naturwissenschaften waren die in heiligen Schriften festgehaltenen religiösen Gewissheiten ins Hintertreffen geraten. Dank dem Pantheismus konnte man nicht nur die Menschheit, sondern die Natur überhaupt als Gottes Werk betrachten. Damit wurde die unschuldige Natur erstmals in der abendländischen Kultur Objekt aller möglichen menschlichen Sehnsüchte. Schlagartig wurden Sonnenuntergänge zum Malerischen schlechthin, und die großen romantischen Landschaftsmaler ließen ihrem Gefühlsüberschwang freien Lauf.

Glücklicherweise bietet er dann auch noch eine andere Deutung an, die dürfte all jenen Wächtern der reinen Lehre, für die Aufatmen bisher eher den Untergang der evangelikalen Tugenden und des christlichen Abendlandes symbolisierte, besser gefallen. Weshalb sie hoffentlich der Redaktion aus den bisherigen Titelbildern – Anselm Grün natürlich ausgenommen – keinen (weiteren) Strick drehen dürften. Denn da ist der Sonnenuntergang als Symbol für – nein, nicht das Höllenfeuer, sondern die Endlichkeit menschlichen Daseins. Eine Urlaubspostkarte könnte auch diese Botschaft transportieren, in der Regel freilich eher unbeabsichtigt:

Ich dachte, es schadet dir nichts, daran erinnert zu werden, dass das menschliche Dasein etwas mit Sonnenuntergängen zu tun hat und dass wir uns mit jedem Tag ein Stückchen weiter westwärts bewegen. Drum rate ich dir: Bewahre jeden Sonnenuntergang in deinem Herzen, denn du hast immer weniger Gelegenheiten, noch einen zu erleben.

Mein Vorschlag an Kawohl & Co zur Beseitigung von Missverständnissen und zur Kundenbindung am recht(gläubig)en Rand: Druckt ab jetzt nur noch Sonnenaufgänge – als Hinweis auf die Sonne der Gerechtigkeit und die Gewissheit (oder war es Hoffnung?) der Auferstehung von den Toten 🙂

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Zeit statt Zuckerbrot?

Diese beiden interessante Beiträge auf TED, die ich gestern auf der (leider überlangen) Zugfahrt gesehen habe, ergänzen sich recht gut:

Der Designer Stefan Sagmeister spricht über den Wert eines Sabbaticals, nicht nur zur Regeneration, sondern um kreativ wieder Luft zu holen.

Auf der anderen Seite erklärt dann Dan Pink, dass finanzielle Belohnungen (außer bei so etwas wie stumpfer Akkordarbeit) nachweislich keinen oder sogar einen negativen Effekt haben, wo immer es um kreatives Denken und komplexe Tätigkeiten geht. Die Wurst vor der Nase engt das Denken ein.

Es geht viel mehr um Autonomie, Entscheidungsfreiheit, die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln und darum, etwas Sinnvolles zu tun.

Nachtrag: Der Wirtschaftswissenschaftler Ulrich Thielemann sagt der SZ zum Thema Boni heute:

Wenn Mitarbeiter nur ein Fixgehalt haben, können sie sich auf die Prinzipien der guten Berufsausübung konzentrieren und ihren Job verantwortungsvoll ausfüllen. Der Bonuswettbewerb behindert sie darin.

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Schwarzgelb

wird für die nächsten vier Jahre den Ton angeben, nicht unbedingt zu jedermanns Begeisterung. Hier das Motto für diese Zeit, von den unnachahmlichen Goscinny und Morris:

Während der Bewährungsfrist (und wer die Daltons kennt, weiß wie sie endet) wird sich die SPD neu sortieren und mit der Linken pragmatisch zusammenarbeiten, die CSU wird bundespolitisch weiter an Gewicht einbüßen, das soziale Ungleichgewicht wird wachsen und in vier Jahren erleben wir dann keinen lahmen Schmusewahlkampf mehr.

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Ich kapier’s nicht…

In den letzten Tagen wurde mehr als genug über den Amoklauf im Carolinum in Ansbach berichtet. Bei mehreren Online-Berichten war auch gleich eine Galerie der Amok-Historie seit Columbine angefügt – der ganze Rattenschwanz.

Und das, bitteschön, verstehe ich nicht: Wenn wir doch inzwischen alle wissen, dass Medienberichte Nachahmer inspirieren, warum machen wir die Täter durch eine solche Litanei quasi unsterblich?

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Eine Frage der Rhetorik?

Deutschland im September 2009: Der Rat der EKD hat sich gegen eine pauschale Verurteilung evangelikaler Christen und gegen Vergleiche mit islamischen Fundamentalisten ausgesprochen. Anlass war ein Beitrag des ZDF-Magazins Frontal 21 mit dem Titel „Sterben für Jesus – Missionieren als Abenteuer“ vom 4. August. Evangelikale fühlen sich diffamiert, und diesmal – das findet auch die EKD – ist es vielleicht doch mehr als der übliche fromme Verfolgungskomplex, der eher der Immunisierung gegen Kritik von außen dient.

Gleichzeitig habe ich im Urlaub mitbekommen, wie anders Evangelikale in Großbritannien gesellschaftlich verankert sind. Der theologische Referent der Evangelical Alliance und ihr Generaldirektor waren beide innerhalb einer Woche in verschiedenen Live-Sendungen der BBC zu sehen. Wenn Evangelikale hierzulande nun in manchen Fällen tatsächlich Opfer unfairer Berichterstattung sind, dann ist das vielleicht auch dadurch begünstigt worden, dass man sich in der Öffentlichkeit ungeschickt positioniert bzw. dass an vielen Stellen an der Basis tatsächlich problematische Positionen in einer noch problematischeren Sprache vertreten werden.

Eine spannende Frage ist dabei ja auch, warum der Dalai Lama Homosexualität als unnatürlich beschreiben darf, ohne eine Proteststurm hervorzurufen. Mein Verdacht ist, dass der Einsatz des Dalai Lama für den Frieden ebenso eine Rolle dabei spielt (die wenigsten Evangelikalen sind grundsätzliche Verfechter der Gewaltfreiheit) wie vor allem auch die Tatsache, dass er grundsätzlich mit dem Pluralismus unserer Gesellschaft deutlich weniger auf Kriegsfuß zu stehen scheint als konservative Christen, die in Deutschland leider allzu oft noch eine Rhetorik pflegen, die den eigenen Standpunkt absolut zu setzen scheint. Die Herzenshaltung dahinter mag – zum Teil jedenfalls – ganz anders sein, aber sie bleibt verborgen.

Was mich an all dem beunruhigt: Kann es sein, dass sich die Mahnung Jesu „richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“ hier auf eine unerwartet konkrete Weise erfüllt… ?

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Todsünden – endlich lokalisiert?

Wired hat eine Karte, in der regionale Häufungen der sieben Todsünden in den USA verzeichnet sind. Der Ansatz ist dabei gar nicht so schlecht, wie die Nachricht zunächst vermuten lässt. Zum Thema Gier wird die Relation von Durchschnittseinkommen zu Geringverdienern analysiert, zum Thema Lust (da könnte man ein Fragezeichen dahinter machen) die Infektionsraten von Geschlechtskrankheiten, bei Völlerei (das wäre schon eher konsensfähig) die Konzentration von Fast Food Restaurants. Die Studie stammt erstaunlicherweise von der Kansas State University. Ob so etwas auch mal auf Deutsch erscheint?

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