Der Tod von Robert Enke könnte einen Sinn bekommen, wenn eine öffentliche Debatte über den Umgang mit psychischen Leiden und Erkrankungen in Gang käme. Bis jetzt ist es so, dass man seine Erkrankung nach Möglichkeit geheim halten muss, weil man sonst nur allzu oft von anderen Menschen als „verrückt“ angesehen und gemieden wird – vor allem aber, weil man um seinen Arbeitsplatz bangen muss, denn jede Tätigkeit mit nur etwas Verantwortung ist den Starken und Selbstsicheren vorbehalten.
Dass darunter eine ganze Reihe Workaholics und Soziopathen sind, das wiederum ist weithin akzeptiert. Die gelten dennoch als „stark“. Aber „Schwache“ müssen fürchten, dass man ihnen unterstellt, sie seien auf Dauer unfähig, die in sie gesetzten Erwartungen zu erfüllen. Vor einigen Tagen erschien das Buch von Sebastian Deisler, der sich seiner Krankheit auch öffentlich stellte und seine Karriere beendete.
Robert Enke hat wohl gehofft, dass es auch anders geht – ohne Ausstieg, ohne zermürbende und entwürdigende öffentliche Diskussion darüber, ob er diesen Kampf gewinnt, ohne Loser-Image. Und möglicherweise hat er eben deshalb den Ausweg nicht mehr gefunden, den Sebastian Deisler gewählt hat.
Natürlich müssen sich nun die Fußballfunktionäre zu allererst die Frage stellen, wo das System und seine Vertreter hier versagt haben – aber bitte nicht als einzige! Das Thema geht alle an. Hoffentlich rüttelt dieser Tod uns nachhaltig auf.
Das Thema wurde auch leidenschaftlich von meinen Klienten und Kollegen auf meiner Arbeit (ich bin Heilerziehungspfleger) diskutiert.
Was die meisten irritiert und verstört ist die fehlende „soziale Berechenbarkeit“ solcher Menschen. Wenn sich jemand an Bein stösst und danach humpelt, ist das für Aussenstehende nachvollziehbar. Wenn sich Jemand ohne erkennbare Veranlassung vor den Zug wirft, verunsichert das. Das ist eine normale Reaktion. Menschen die mit schwer depressiven Elternteilen aufgewachsen, werden Rest ihrer Lebens, unter der Verunsicherung der „soziale Unberechenbarkeit“ die sie erlebt haben zu leiden haben. Auch wenn sie schon lange nicht mehr bei den Eltern wohnen. Zu einem grossen Teil, werden sie selber in ihrem Leben psychisch erkranken.
Es ist also für keinen der Beteiligten leicht. Weder für die Betroffenen, noch für die Angehörigen und auch nicht für die „professionellen Helfer“, die meist selber hilflos sind.
Das unsere erbarmungslose „Leistunsgesellschaft“ das auch nicht leichter macht, ist auch klar.
„Fussball war alles für ihn“, sagt seine Frau. Das Bittere ist doch, dass damit sein Selbstmord (jetzt, wo man von der Erkrankung weiß) fast logisch ist: Einem Leben, das seine Existenz aus einem Leistungssport bezieht, entzieht sich die Grundlage, wenn keine (oder zu wenig) Leistung erbracht werden kann.
Leistungssport ist die Spitze des Eisbergs. Jeder von uns kennt einen Teil dieses Drucks.
In meinen Augen kann ein Mensch aus so einem Tod nur zwei Schlüsse ziehen:
1. Ich muss mich verdammt noch MEHR anstrengen, um zu bestehen.
2. Verdammt noch mal: WO kann ich sein (wollen), ohne dass man nach meinen Noten, meinem Lebenslauf etc. fragt?
@Marco: Das Merkmal eine depressiven Erkrankung ist, das sie keine erkennbaren Ursachen erkennen lässt. Gäbe es eine Ursache, würde der Umkehrschluss bedeuten: ein Abstellen der Ursache beseitigt das Leiden. Ist aber nicht so. Schuldzuweisung sind hier völlig deplatziert. Es gibt einige Faktoren die den Ausbruch einer Depression begünstigen (Erziehung, (soziales) Umfeld, Belastung, Exposition und vermutlich eine genetische Veranlagung). Aber eine zwingende Kausalität ist nicht nachweisbar.
@Olaf: Auch wenn eine Kausalität nicht nachweisbar ist, ist der Umstand, aus Angst um die Konsequenzen die Erkrankung geheim halten zu müssen, doch sicher nicht förderlich.
Ich habe bei Kerner den Präsidenten von Hannover 96 gesehen, der Robert Enke schon etwas durch die Blume vorgeworfen hat, nicht offensiv mit seiner Krankheit umgegangen zu sein. Auf die Frage was denn passiert wäre, wenn der das getan hätte, hatte er aber auch keine Antwort.
Ich stelle mir schon vor das der Druck einfach zu gross geworden ist. Die Isolation und offenbar keine Möglichkeit aus diese Zwickmühle auszubrechen.
@Christof: Du sagst doch selber, das du nicht erwartest, das sich sein Umfeld großartig anders verhalten hätte, wenn er sich offenbart hätte. Das „hätte, hätte…“ hilft auch niemanden wirklich. Robert Enke war nicht entmündigt. Es war seine Entscheidung so mit seiner Erkrankung um zu gehen. Sein Umfeld und seine Angehörigen müssen ihre Verantwortung für ihre eigenen Entscheidungen übernehmen. Verantwortung zu übernehmen heißt nicht, sich oder anderen Vorwürfe zu machen, für Dinge die man nicht kontrollieren kann. Verantwortung zu übernehmen heißt die Dinge in die Hand zu nehmen, die man tatsächlich beeinflussen kann. Depressive Menschen von ihrer Krankheit zu befreien, gehört definitiv nicht dazu. Genauso wenig, wie Alkoholiker von ihrer Sucht zu befreien oder Pädophilie zu guten Pädagogen zu machen. Es gibt einfach Dinge, da sind wir auch im 21. Jahrhundert noch machtlos gegenüber.
Die viel interessantere Frage für mich währe: Ob es einen Christ leichter fällt mit seiner Machtlosigkeit um zu gehen…?
Danke, Olaf. Gute Frage. Vielleicht ist es gerade die Ohnmacht, die wir nicht aushalten. Ich fürchte, längst nicht alle Christen haben das gelernt, und würde mich sofort in den Zweifel einschließen. Es ist verdammt schwer…
Also, wer Ruhm und Eitelkeit in der Welt sucht, für den ist der Absturz eigentlich schon vorprogrammiert, spätestens im Alter, wenn eh der normale psychische Zusammenbruch kommt. Man muß sein Ansehen bei Gott suchen, in der Stille, und in ihm wachsen, wie ein einzelnes Grashalm im Milliardenmeer der Menschen, die es gibt, auf der Erde. Es einfach lernen zu ertragen, daß man nicht der größte Star ist, den man gerne sein möchte. Bescheidenheit lernen, kleine Schritte lernen zu tun.
Gruß,
Rainer Poppe
@ Rainer: Falls das eine Anspielung auf Robert Enke bzw. dann doch eher ein Urteil über ihn sein sollte (und der Kommentar an dieser Stelle legt das ja nahe), dann finde ich das doch ziemlich daneben.
…ein kleiner Hoffnungsschimmer?! Bin gespannt, ob das Versprechen hält!
Das Frage ist ja nicht, ob wir machtlos sind gegenüber Depressionen oder nicht, sondern wie die Gesellschaft mit dem Thema umgeht, mit Leuten umgeht, die psychische Probleme haben. Hier ist schon Kritik erlaubt und das sind Themen, wo Christen etwas dazu zu sagen haben und auch sagen sollten.
Ich möchte gerne die Frage auf den Einzelnen beziehen (ich also auf mich). Wie gehe ich mit meiner Krankheit oder allgemeiner meiner Schwäche um? Und welche Rolle schreibe ich den Anderen dazu, damit ich so damit umgehen „muss“? Ich meine, dass zumindest ein Teil der Schwierigkeit darin liegt, dass ich den Anderen eine Rolle zuschreibe, damit mein Verhalten gerechtfertigt ist. Und ich meine auch, dass ich als Kind Gottes eine andere Antwort auf die Frage haben kann.
Hier noch ein interessantes Interview mit Peter Neururer zu dem Thema:
http://www.sport1.de/de/fussball/fussball_bundesliga/artikel_173927.html
Danke für alle Kommentare. Hier ist noch ein guter Beitrag aus der FAZ: http://tinyurl.com/yj2tnaw
@Marco und Rainer
Tut mir leid, ich finde Euch reichlich überheblich. Depressionen sind eine sehr ernste Erkrankung. Eine Bekannte von mir hat sich vor einigen Jahren mit 26 Jahren – als Christin – das Leben genommen. Natürlich ist es gut, wenn ich meinen Selbstwert und meine Anerkennung bei Jesus suche und bekommen. Trotzdem bekommen Christen Depressionen – sowie sie auch Krebs bekommen oder an Unfällen sterben. Und es gibt Situationen, da schaffen Sie es nicht mehr – auch nicht mit Jesus.
@Andrea: Ja, von Weiten lassen sich immer gut Ratschläge erteilen. Wenn man dann mal selbst betroffen war (als Angehöriger – oder wie ich – als „professioneller Helfer“ ) sieht die Situation anders aus. Ich denke die Diskussionen vom Fernsehsessel aus sind völlig fruchtlos. Wem das Thema wirklich um treibt, dem empfehle ich sich mit Fachliteratur ein zu decken und sich bei einer Freiwilligen-Agentur zu melden. Dann kann er seine Idee und Vorstellungen an der Realität prüfen.
Den einzigem dem die derzeitige Diskussion hilft, sind die Medien, denen es Einschaltquoten und Lesern bringt. Ja, das war jetzt mal ein gefundenes Fressen für die Medien: Promi mit Kind springt vor den Zug; hübsche junge Frau weinend vor der Kammer… Das sind die Bilder, von den die Medien leben. Der Jahre lange zermürbende Alltag mit depressiven Menschen ist keine Meldung. Weil es einfach zu öde ist. Und es gibt Menschen mit Depressionen die da zu stehen. Aber von denen wollt und will man nichts wissen.
Das ist das gleiche Spiel mit den Zuständen in deutschen Altersheimen. Eine Pflegerin die durchdreht und zu so einem so genannten „Todesengel“ wird und Bewohner totspritzt – ja, das ist eine Meldung wert! Aber das 30% der zig-tausenden Heimbewohner, aus Personalmangel, tagtäglich vernachlässigt werden und stundenlang in ihrer eingekoteten Windeln sitzen, ist keine Meldung wert. Und das ziehe ich mir nicht aus den Finger! Sie hier zu der Bericht http://www.pflegewiki.de/wiki/SGB_XI#Zweiter_MDK-Bericht_zur_Qualit.C3.A4t_in_der_Pflegeversorgung
In zwei Wochen spricht kein Mensch mehr über den ehemaligen Torwart der deutschen Nationalmannschaft. Dann ist es wieder die Unterwäsche von Britney Spears…
Hallo nochmal,
ich finde es sehr schade, dass esbeim Thema „Depression“ immer eine Gruppe von Menschen gibt, die sich bei jedem nicht 100%-mitfühlendem Wort auf Füsschen getreten fühlt. Ich kann dazu nur sagen, dass ich selbst aus einer hochgradig mit Depressionen infizierten Familie komme und recht gut Bescheid weiß.
@Marco: Ich würde sagen, Depressionen sind Gefühle, die einer rational nachvollziehbaren Grundlage entbehren. Oder zu mindesten in ihrer (Un-)Verhältnismäßigkeit pathologisch sind. Es ist ein Zeichen psychischer Gesundheit, nicht mitfühlend zu sein – wenn man so will. Wenn ich die Gefühle eines Depressiven Menschen zu 100% teile, sollte ich mir als „Professioneller“ einen neuen Job suchen und als Angehöriger eine neue (eigene) Wohnung, wenn mit an meinem eigenen Leben was liegt. Klinkt hart, ist aber eine Erfahrung.
Ich denke dein Beitrag wirkte auf einige Leser Polemisch. Das war das Problem.
Gruß