Wertvolle Fehleranalyse

Srdja Popovic ist ein Weltreisender in Sachen gewaltfreier Revolution. Die Quintessenz seiner Einsichten hat er in Protest! festgehalten. Wer schon einmal Walter Wink und Gene Sharp gelesen hat, wird dort viel Vertrautes wiederfinden.

Am meisten sind mir noch die im Buch verstreuten Kommentare über fehlgeschlagene Revolutionen nachgegangen. Popovic hält sich nicht übermäßig lange mit der Analyse des Scheiterns auf, aber er gibt Hinweise, aus denen sich eine komplette Fuckup-Night bestreiten ließe. Vermutlich lassen die sich kritisch kommentieren und hinterfragen (das kann ich hier nicht leisten), doch interessant sind sie allemal, weil das Scheitern der Opposition in vielen Ländern ja die Frage aufgeworfen hat, ob es denn überhaupt möglich ist, eine Gesellschaft von unten zu verändern.

  • Die Occupy-Bewegung hat es zum Beispiel versäumt, ihre Kultur und Gruppenidentität zu öffnen für den Rest der 99%, der nicht „Hiphop hört, politisch eher links der Mitte steht und Nischenfernsehen liebt“, aber dennoch vom neoliberalen Wirtschaftssystem im Stich gelassen wurde,
  • und sie konzentrierte sich auf eine Taktik (Besetzung, Proteste, Basisdemokratie), ohne weiter reichende Strategien zu entwickeln.
  • Mehrere Bewegungen des arabischen Frühlings haben das Ziel zu kurzsichtig bestimmt, indem sie auf den Sturz des jeweiligen Diktators hinarbeiteten, aber es versäumten, eine funktionierende Demokratie aufzubauen.
  • Widerstand, der gewaltfrei bleibt, hat eine Erfolgsaussicht von 53% gegenüber 26% bei Anwendung von Gewalt, dieser Punkt hat sich vor allem in Syrien ausgewirkt. Fünf Jahre nach einer gewaltfreien Revolution sind noch 40% dieser Länder demokratisch, nach einem gewaltsamen Umbruch nur 5%, das haben Erica Chenoweth und Maria J. Stephan in Why Civil Resistance Works ermittelt. Gewalt macht den Diktator stark, sie treibt ihm verängstigte Menschen in die Arme, sie schließt fast alle vom Widerstand aus, die im Umgang mit Waffen unerfahren sind.
  • Die Demonstranten auf dem Platz des himmlischen Friedens, schreibt Popovic, hat es versäumt, die angebotenen Zugeständnisse der chinesischen Regierung zu akzeptieren (gewiss nur als Teilerfolg, als erster Schritt, als eine Möglichkeit, sich als verändernde gesellschaftliche Kraft zu profilieren), und überspannten in ihrem jugendlichen Idealismus den Bogen.
  • Die orangene Revolution in der Ukraine schließlich zeigt, was passiert, wenn man zu früh zu siegesgewiss ist und es nicht gelingt, die innere Einheit einer Bewegung für Demokratie, Transparenz und Menschenrechte zu wahren. Popovic trocken: „Eine gewaltlose Revolution ist wie ein Schlag beim Golf: Sie müssen voll durchziehen.“

Der Gedanke, der sich mir angesichts dieser Fehlschläge am nachdrücklichsten eingeprägt hat, war jedoch der: Es gibt keinerlei Garantie auf Erfolg, der Kampf kann uns viel kosten und (selbst wenn wir alles richtig machen!) am Ende doch wenig bringen, aber der Preis des Nichtstuns ist noch viel höher.

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