Die FAZ interviewt den Schweizer Professor Fredmund Malik zur Wirtschaftskrise und bekommt spannende Antworten. Die wahren Dimensionen des Umbruchs wurden und werden seiner Ansicht nach immer noch unterschätzt, und das führt zu falschen Reaktionen:
Eine Alte Welt geht zugrunde, weil eine Neue Welt entstehen will – bildhaft vergleichbar mit einer Raupe, die stirbt, weil der Schmetterling ans Licht kommt. Was Finanzkrise genannt wird, ist nur ein oberflächliches Symptom. Weltweit gehen Wirtschaft und Gesellschaft durch die grösste Transformation der Geschichte, nämlich hin zu einer Gesellschaft, deren wichtigstes Merkmal ihre extreme Komplexität ist.
Interessant ist die Parallele zur Ökologie, hier haben wir es ja mit einer ähnlichen Komplexität zu tun. Den Managern der großen Banken und börsennotierten Konzerne, aber auch den Consultingfirmen macht Malik schwere Vorwürfe:
Eine der Hauptursachen des Debakels ist die total fehlgeleitete amerikanisierte Corporate Governance mit ihrer desaströsen Shareholder Value Doktrin, die noch immer vorherrscht. Sie muss radikal und ersatzlos eliminiert werden, denn diese programmierte die systematische und unvermeidbare Fehlsteuerung entscheidender Teile der Wirtschaft.
… Die falsche Art der shareholder-orientierten Unternehmensführung stammt aus Universitäten, aus zahllosen MBA-Programmen und aus der Consulting-Szene. Auch manche Medien haben tatkräftig mitgewirkt. Wer weiterhin desaströse Management-Irrlehren verbreitet, verhindert Lösungen und trägt zur Verschärfung der Krise bei. Wenn sich daran nichts ändert, wird die Folge eine soziale Katastrophe sein.
Aber auch die politischen Parteien sind überfordert, weil altes Lagerdenken ihnen im Weg steht. So lange die „kopernikanische Wende“ noch aussteht, empfiehlt er übrigens Bargeld als „Anlageform“, das werde durch den Preisverfall täglich mehr wert.
Die Wurzel des Problems sieht Malik im Reduktionismus der Theoriebildungen:
Die bisherigen Massnahmen beruhen weitgehend auf einer grotesken, eindimensionalen, auf reine Ökonomie reduzierten Vorstellung vom Menschen. Selten zuvor haben ökonomische Theorien deutlicher ihre Untauglichkeit öffentlich bewiesen. Die meisten Menschen sind keine ökonomisch-rationalen Wesen im Sinne der Ökonomie. Die Sozialwissenschaften haben das längst erwiesen. Daher fügen sich Menschen nicht den realitätsfernen ökonomischen Gewinnmaximierungskalkülen. Zwar gibt es den geldgetriebenen, egozentrischen, koordinationsunfähigen Menschen auch, aber er ist eine pathologische Erscheinungsform. An der Spitze von Unternehmen richtet er irreversiblen Schaden an.
(Den letzten Absatz könnte man sicher auch auf die verschiedenen modernen Theorien von Gemeindeaufbau und -wachstum übertragen, die alte Gegensätze wie Liberal und Evangelikal pflegen, alles auf ein paar starre Mechanismen reduzieren und ähnliche Führungspersönlichkeiten hervorbringen. Und wenn man bedenkt, dass einige der oben so hart kritisierten Consultants auch in landeskirchlichen Chefetagen ein- und ausgegangen sind… Ich muss jetzt doch endlich mal Kester Brewins Der Jesus-Faktor lesen, das ursprünglich Complex Christ: Signs of Emergence in the Urban Church hieß. Eine Kurzvorstellung gibt dieser Podcast, im April ist er bei Kirche 21 zu Gast)
Sehr interessante Betrachtung, die mir, wie so oft, aus der Seele spricht!
„… Die falsche Art der shareholder-orientierten Unternehmensführung stammt aus Universitäten, aus zahllosen MBA-Programmen und aus der Consulting-Szene.“
Man sieht sie förmlich vor sich, die Heere durchgestylter Kofferträger, die „Consultants“, durchgängig nicht älter als Mitte dreißig, die seit den neunzigern in mittelständischen und größeren Unternehmen Einzug halten, um den 50- bis 60-jährigen „Schaffern“, die durch ihrer Hände Arbeit unsere Wirtschaft vor Jahrzehnten zum Boomen gebracht und durch widrige Zeiten gesteuert haben, mit Anglizismen und Euphemismen zu erklären versuchen, dass sie Angst vor Menschen mit Lebenserfahrung haben und sie deshalb rausschmeißen wollen… und nach kürzester Zeit werden sie dann selbst durch noch jüngere und noch dynamischere Endzwanziger ersetzt zu werden… nicht mehr Lebenserfahrung, solide Arbeit und „Erdung“ zählen da, es geht nur noch um den „shareholder value“ und „cash-flow“… vielleicht hilft uns ja die Finanzkrise, wieder den Boden unter den Füßen zu erreichen – dann hätte das Ganze auch sein Gutes gehabt.