Ich bin auf dem Weg nach Berlin und der ICE erreicht die bayerisch-thüringische Grenze. Hinter mir sitzt der kleine Lukas mit seinem Papa und unterhält lautstark den Ruhebereich des Zuges. Er bekommt gerade erklärt, dass Deutschland nach dem Krieg geteilt war und dass hier die scharf bewachte Grenze verlief. Wenn jemand versuchte, sie zu überwinden, wurde er von den Wachsoldaten beschossen. 1989 dann, sagt der Papa, wurde die Grenze geöffnet und schließlich die deutsche Teilung aufgehoben.
Daraufhin fragt Lukas: „Wo sind die, die geschossen haben?“ Und der Vater antwortet: „Die haben nur ihre Arbeit gemacht“.
Hat er tatsächlich so gesagt.
Ganz Unrecht hatt e er ja nicht, so furchtbar die Arbeit auch ist. Tun ja auch die Banker, die den Leuten ihre Häuer unterm Hintern weg versteigern, oder die Personalchefs, die Menschen entlassen (müssen). Das hat System: Von oben runter wird alles dem gängigen Ideal untergeordnet (damals vielleicht Sozialismus, heute Kosteneffizienz) und wer da nicht mithalten kann, bleibt halt auf der Strecke. Survival of the fittest. Wer nicht mitzieht, nimmt im Wettbewerb selbst Nachteile für sich in Kauf.
So so, du bist also der Meinung, dass man das Entlassen eines Menschen mit seiner Erschießung gleichsetzen kann.
Das hab ich nicht gesagt.
Ich habe die Vergleiche aus der Wirtschaft deutlich in einer geringeren Liga gesehen, deswegen musste ich das mal so pointieren.
Wenn der Vater gesagt hätte, „die haben Ihre Befehle befolgt“, hätte ich damit weniger Probleme.
Das kann man dann im Einzelfall immer noch diskutieren. Befehlsnotstand kann grundsätzlich in allen aktiven Armeen zu ethischen Dilemmata führen. Dem Einzelnen kann ich jedenfalls nicht ohne Weiteres einen Vorwurf daraus machen, wenngleich ich Befehlsnotstand auch nicht für einen ethischen Blankoscheck halte.
Aber: „Die haben nur ihre Arbeit gemacht“ ist mir deutlich zu banal als Erklärung.
Nun ja, faktisch war es ja ihre Arbeit. Ich will das jetzt gar nicht gutheißen oder so, Arbeit ist nicht immer nur gut, Arbeit kann auch schlecht sein, negaitve Folgen für die Menschen haben. Darauf wollte ich hinweisen mit meinem Kommentar. Ehrlich gesagt finde ich den Befehlsnotstand noch schlimmer, als wenn jemand „seine Arbeit macht“. Derjenige der sagt, er habe „nur“ Befehle befolgt, sagt damit IMHO auch aus, daß er sich über deren Inhalte weniger Gedanken gemacht hat. Er tut einfach wie geheißen. Ist es nicht Befehl, sondern Arbeit, könnte man eher eine Aueinandersetzung mit zustimmendem Ende annehmen. Dann hat er sich wenigstens die Mühe gemacht, darüber nachzudenken, ob das okay ist. Mit seinem Ergebnis bin ich nicht einverstanden, aber ich halte es für allemal besser, daß er einen wie auch immer gearteten Grund für sein Tun hat. Mit solchen Leuten kann man reden. Leute die nur Befehle ausführen sind dagegen gegen alles Reden immun: Es gibt Regeln, es gibt Befehle, alles darüber hinaus ist ihnen von Übel. Da ist Hopfen und Malz verloren.
Meines Erachtens ist auch in der ehemaligen DDR keiner gezwungen worden, als Grenzsoldat zu arbeiten. So einfach wie dieser (wohl gedankenlose) Vater kann man es sich also nicht machen. Die meisten Grenzsoldaten wussten wohl, auf was sie sich einlassen, auch wenn die meisten sicher gedacht haben, dass dieser Extremfall sie wohl hoffentlich nicht treffen würde. Alternativ könnte man (haben wohl auch einige gemacht) auch absichtlich danebenschießen, das macht sich zwar nicht so gut im Lebenslauf, aber ist allemal besser, als sein Leben mit dieser Schuld leben zu müssen.
„aber ist allemal besser, als sein Leben mit dieser Schuld leben zu müssen.“
Ich bin ja durchaus Deiner Meinung. Aber die betreffenden Personen haben das offenkundig anders gesehen, wenn auch nur für ne Sekunde…
Es ist sehr bedenklich, was militärischer Drill und ideologische Beeinflussung mit einer großen Mehrheit von Menschen machen. Wenn man mich mit 19 mit so etwas in harter Form an der richtigen Stelle erwischt hätte, hätte ich vielleicht auch einfach ‚funktioniert‘.
Ja, leider. Parallelen zum dritten Reich sind rein zufällig…