Gewinnen und verlieren

Bei Richard Rohr bin ich noch auf einen interessanten Gedanken gestoßen, der das Thema Helden/Antihelden von letzter Woche etwas weiter führt:

In der ersten Lebenshälfte bekämpfen wir den Teufel und haben die Illusion oder den schmeichelhaften Eindruck, dass wir ab und zu „gewinnen“; in der zweiten Lebenshälfte verlieren wir immer, weil wir unweigerlich mit Gott kämpfen. Die ersten Schlachten festigen das Ego und schaffen einen standhaften Soldaten; die zweiten Schlachten bringen dem Ego Niederlagen bei, weil Gott immer gewinnt. Kein Wunder, dass viele den standhaften Soldaten so schwer loslassen können; kein Wunder, dass so wenige den Glauben haben, um erwachsen zu werden. Das Ego hasst es, zu verlieren, selbst gegen Gott.

Hier erscheint die Fähigkeit, mit Niederlagen umzugehen und sich Siege nicht zu Kopf steigen zu lassen, als ein entscheidendes Merkmal für den Übergang zur spirituellen Reife. Die Projektion eines plumpen Heldenideals auf Jesus führt dagegen zu solchem Quatsch, wie ihn die Süddeutsche gerade aufgespießt hat. Da sagt der Künstler Stephen Sawyer zum Beispiel:

Männer brauchen Helden. Einen, der das verkörpert, was sie gern wären. Der Jesus, der vor über 2000 Jahren auf die Erde kam, war für mich ein echter Held. Er war klüger, stärker und sah meiner Meinung nach auch besser aus als ich.

Wenn man das liest und sieht, dann bekommt man wieder ein Gespür dafür, warum es im Judentum und im Islam ein Bilderverbot gibt. Eigentlich auch im Calvinismus, aber Neocalvinisten wie Mark Driscoll gehören auch zu denen, die (dann eben verbal) die krassesten Macho-Projektionen abliefern. Vom Calvi- zum Chauvinismus ist es offenbar nur ein kleiner Schritt, jedenfalls verrät Sawyer im Interview, dass Nationalstolz und Religion für ihn eng verwandt sind: Mein Gott ist der coolste und stärkste. Das entspricht in etwa dem Reflexionsniveau eines Achtjährigen.

Ob man überhaupt sagen kann, die Christenheit sei verweiblicht, ist eine interessante Frage. Ich habe vor einer Weile ein paar Gedanken dazu hier gepostet.

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5 Antworten auf „Gewinnen und verlieren“

  1. Ich glaube ich verstehe, wo das Problem liegt. Es liegt in dem Unterschied zwischen weltlichem und geistlichem Heldentum. Zunächst einmal haben beide mindestens drei Grundtugenden gemein, nämlich Tapferkeit, Rechtschaffenheit und Hilfs- bzw. Opferbereitschaft (Selbstlosigkeit). Soweit so gut. Doch dann gibt es eben mindestens zwei Aspekte, in denen sie sich voneinander unterscheiden. Während der Held der Welt sich vor allem auf seine eigenen Stärken verlässt, vertraut der geistliche Held auf die Stärke Gottes (und folgt dessen Willen). Außerdem verzichtet er idealiter auf jegliche Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung dessen, was recht und gut ist. Stattdessen opfert er sich vollkommen auf und verzichtet auf sein Recht und den mittels Gewalt möglichen Sieg. Er nimmt die Rolle des Verlierers bzw. Antihelden (in den Augen der Welt) an und überwindet das Böse mit Gutem. Seine „Waffen“ sind das wahre Wort und die Liebe. Dies mag für manche verweichlicht oder verweiblicht erscheinen, doch dann haben sie eben noch nicht die Erkenntnis dessen erlangt, was einen wahren Helden auszeichnet. Viele Christen haben vermutlich einen noch weltlich verzerrten Heldenbegriff. Ich denke aber nicht, dass man deshalb als Christ den Terminus „Held“ gänzlich aus seinem Vokabular streichen muss. Im Gegenteil, auch ich meine, dass wir (vor allem in jungen Jahren) echte Helden (im rechten Sinne verstanden) als Vorbilder brauchen, weil nichts anderes vergleichbar wirkungsvoll bildet bzw. erzieht und zum rechten Handeln animiert.

  2. Das einzige vollkommene Vorbild ist Jesus, wie er uns in der Bibel geschildert wird. Ich glaube, dass er auch deshalb Mensch geworden ist, um uns das Wesen Gottes näher zu bringen und uns ein Beispiel zu geben, an dem wir uns orientieren und nach dem wir uns bilden sollen, um das beschädigte Abbild Gottes, das wir Menschen ja seit dem Sündenfall sind, wiederherzustellen. (Von Gott selbst können und dürfen wir uns ja kein Bild machen.) Allerdings kann man sich natürlich auch von anderen Menschen einiges abschauen. Letzten Endes würde ich aber sagen: Nimm dir kein Beispiel, sondern gib eines! Denn Geben ist seliger denn Nehmen…

  3. Das Richard-Rohr-Zitat wäre ein schönes Bonmot über den Eifer der Jugend und die Weisheit des Alters – wenn es aus dem Munde eines Humanisten käme, der die Worte „Gott“ und „Teufel“ im übertragenen Sinn verwendet und es nicht anders kennt.
    Denn im christlichen Sprachgebrauch ist es doch genau anders herum: Der natürliche Mensch kämpft mit Gott, und wenn er bekehrt ist, kämpft er gegen den Teufel. Wäre schade, wenn sich das mit zunehmendem Lebensalter wieder umkehren würde.
    Ich frage mich, warum ein christlicher Autor die Worte in diesem anderen, übetragenen Sinn, verwendet. Was gewinnt er damit?

    Stimmt. Dieser SZ-Artikel ist gruselig.

    Helden: Bin vor einiger Zeit auf die „Christian Heroes“-Serie im YWAM-Verlag gestossen.
    Sind eigentlich Jugendbücher, aber ich habe ein paar gelesen und fand sie ziemlich inspirierend. Wir würden im Deutschen eher „Vorbilder“ sagen als „Helden“. Ich wünschte ich hätte als Jugendlicher so etwas gelesen, und gerne noch ein bisschen mehr, und mutiger, Schlachten geschlagen. 🙂
    (http://www.ywampublishing.com/p-470-christian-heroes-then-nowbrcomplete-set-books-1-38.aspx)

  4. @Jürgen: Wenn das so wäre, wie Du es schilderst, dann wäre der „natürliche“ Mensch im Moment der „Bekehrung“ schon eliminiert. Meiner schaut mich täglich aus dem Spiegel an. Auch für Paulus ist er ja nicht passé, und damit hört auch das Ringen mit Gott nicht auf. Wäre zu schön, wenn es so einfach wäre…

  5. Sehe ich genauso – aber was hat das jetzt mit dem zu tun, was ich geschrieben habe?!
    Willst Du sagen, dass Rohr die Begriffe doch im klassisch christlichen Sinn verwendet, und der Kampf gegen den Teufel in der zweiten Lebenshälfte vorbei wäre? Wenn’s so einfach wäre …

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