Mit dem Buch Jona hat sich eine phantasievolle und freche Erzählung zwischen all die ernsten Prophetentexte der Bibel gemogelt. Historische Details sind Mangelware, stattdessen stehen eher schablonenhafte Kontraste und Klischees im Zentrum der Geschichte, wie sie für Satire und Karikaturen typisch sind. Die Frage, ob das also alles genau so war oder nicht, können wir getrost zurückstellen hinter die Frage, ob und inwiefern es heute so ist. Jona steht hier als Spiegel, als Platzhalter, als Symbolfigur für das Volk Gottes: Nicht die Adressaten von Gottes Botschaft lassen hier Gottes Ruf an sich abprallen, sondern der Bote selber ist verstockt.
Gottes Auftrag scheint Jona aus heiterem Himmel zu treffen, aber Trägheit kann man ihm kaum vorwerfen: Seine plötzliche Panik hat aber nichts mit Angst zu tun – das wäre eine durchaus verständliche Regung gewesen, angesichts der Tatsache, dass er sich allein in die Metropole einer brutalen Großmacht wagen soll. Er bucht eine Schiffspassage in den äußersten Westen der damals bekannten Welt. Sein Motto erscheint zweimal im Text: „Weit weg vom Herrn“. Äußerlich wird damit das nachvollzogen, was innerlich schon der Fall ist: Gott ist Jona lästig geworden, weil der Glaube an ihn irritierende innere Grenzüberschreitungen mit sich bringen würde. Um die Konfrontation mit sich selbst zu vermeiden, ist ihm kein äußerer Weg zu weit, sogar die Angst der palästinischen Landratten vor dem Meer überwindet er.
Jona behandelt „seinen“ Gott, als wäre der eine territoriale Größe – wie die Götter des antiken Pantheons auf bestimmte Bereiche des Lebens begrenzt oder als Stammesgottheit nur ein Garant für das Überleben und die Macht eines bestimmten Volkes. Jeder außer Jona weiß sofort, dass die Rechnung nicht aufgehen kann. Seine Flucht war ungefähr ebenso schlau wie der Versuch des (eigentlich so cleveren) Odysseus, dem Meeresgott Poseidon ausgerechnet auf dem Seeweg zu entwischen. Nur dass Jonas Irrfahrt deutlich kürzer ausfällt und so gar nichts Heldenhaftes an sich hat.
Die weitere Geschichte zeigt: Gott lässt nicht locker. Während sich Ninive im dritten Kapitel scheinbar en passant bekehrt, dreht sich alles um die bis zuletzt offene Frage, ob sich auch der bockige Bote noch ändert. Gott hat hier keinen Plan B, keinen Ersatzmann, den er ins Rennen schickt. Wenn Jona der „Platzhalter“ für das gesamte Gottesvolk ist, dann ist das auch ganz logisch. Jonas Reaktion liest sich wie ein Gleichnis zur Klage Gottes in Jeremia 7,24: „Aber sie wollten nicht hören noch ihre Ohren mir zukehren, sondern wandelten nach ihrem eignen Rat und nach ihrem verstockten und bösen Herzen und kehrten mir den Rücken zu und nicht das Angesicht.“
Also stellt sich gleich zu Beginn der Geschichte die Frage,
- ob manchmal erst ein „nach außen“ gerichteter Auftrag Gottes Menschen und ganze Glaubensgemeinschaften dazu zwingt, sich mit ihren inneren Widerständen und Vorbehalten ihm gegenüber auseinanderzusetzen
- welche Funktion wir Gott denn insgeheim zugewiesen haben: Soll er vor allem dafür sorgen, dass die Dinge bleiben, wie sie sind (und wir mit ihnen)?
- und ob diese Funktionalisierungen aus Gott praktisch einen Götzen machen
- wie notwendig bestimmte Feindbilder und Klischees über andere sind, um der eigenen Verstocktheit nicht ansichtig zu werden
Erst einmal bricht der Sturm los. In Todesangst werfen die Seeleute ihre Ladung – den Grund der riskanten Reise und jede Aussicht auf Lohn und Gewinn – über Bord. Nur einer auf dem Schiff nimmt keine Notiz von der Gefahr, der Angst und dem Verlust aller anderen. Wenn man das nicht individualpsychologisch deutet, sondern auf das Verhältnis von Kirche und Gesellschaft hin – und so dürfte es auch gemeint gewesen sein – dann stellt sich die Frage, wie Kirche innerhalb einer stürmischen See, in der sich unsere Gesellschaft befindet, noch meinen kann, dass sich alle anderen zu ändern hätten, nur nicht sie selbst. Dann wäre das Buch Jona eine Mahnung gegen jede Form des Klerikalismus, ähnlich wie es der Jesuit Klaus Mertes jüngst in Zeit Online formulierte.
Lieber Peter, ich lese Deine Kolumne mit größtem Gewinn. Du triffst den Nagel immer wieder auf den Kopf. Danke!