Festtags-Fundstücke

Über die Feiertage war Zeit, die Nase mal hier und dort hineinzustecken, ein paar der interessanteren Dinge seien hier kurz vermerkt:

  • Heribert Prantl schreibt in der SZ, dass aus dem Baby in der Krippe der Mann wurde, der wütend die Wechseltische im Tempel angriff. Er stellt Jesus in die Tradition der jüdischen Propheten und folgert: »Feiern angesichts schreiender Ungerechtigkeit empfindet der Prophet Amos als gotteslästerlich. Vor dem Feiern kommt anderes: „Das Recht ströme wie Wasser, die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach“. Das ist eine zornige, strenge und tröstliche Weihnachtsbotschaft. Darin steckt das innere Feuer für eine bessere Lebensordnung.« Was bedeutet das konkret für die gemeindlichen und persönlichen Aktivitäten über die Festtage?
  • Die weihnachtliche Kapitalismuskritik der Kirchen nach dem Ausbruch der Finanzkrise kommentiert Prantl übrigens hier.
  • National Geographic widmet dem König Herodes einen Artikel. Dort wird (in der Printausgabe bzw. der Fotostrecke für die US-Ausgabe) Flavius Josephus zitiert, der den Bau des künstlichen Hafens von Cäsarea an der von Wind und Strömung geplagten Küste Judas so verstand, dass Herodes die Natur gebändigt habe. Da liest sich ein Vers wie Markus 4,41 („Wer ist der, dass ihm Wind und Meer gehorchen?“) gleich ganz anders…
  • Die Pulitzerpreisträgerin Tina Rosenberg schreibt (auch für das NGM) sehr bewegend über unberührbare Frauen, die in indischen Dörfern das darbende Gesundheitswesen revolutionieren und dabei langsam aber sicher das Kastenwesen und den verbreiteten Aberglauben untergraben.
  • Der renommierte Alttestamentler Walter Brueggeman spricht im Interview mit Brian McLaren über das Lesen und Verstehen der Bibel in der Form einer echten Auseinandersetzung („contestation“) und aktuelle Themen, hier gehts zum (englischen) Video auf IndieFaith.
  • Viele fragen sich, wie Führungsaufgaben in christlichen Gemeinden gestaltet werden müssen, weil diese weder Behörden sind, die von Beamten verwaltet, noch Firmen, die von Managern zum Erfolg getrieben werden (obwohl es natürlich beide Modelle de facto gibt). JR Woodward hat eine interessante Serie zum Thema „Leiter als Ökologen“ (environmentalists), der erste Teil steht hier.

Share

„Wer von euch ist denn gläubig?“

Der Spiegel berichtet über die Toten Hosen als Religionslehrer in einer achten Klasse. Campino sagt da unter anderem:

Immer wieder in meinem Leben habe ich mich mit Glauben beschäftigt. Die Auseinandersetzung damit sollte meiner Meinung nach niemals enden. Man kann zum Beispiel nicht einfach sagen „Ich bin Katholik“ und das dann zeitlebens nie wieder ernsthaft hinterfragen. Außerdem ist es nie zu spät, ein- oder auszusteigen in die Religionsdiskussion. Die Option, Glaube als Kraftquelle zu nutzen – da würde ich jedem raten, nicht so schnell die Tür davor zuzumachen.

Und der kleine religionskritische Exkurs am Ende zum Thema FC Bayern wird Haso sicher freuen 🙂

Share

Wieder Streit um Gender Mainstreaming

Das Thema eines fairen Miteinanders der Geschlechter war diese Woche Thema im Leitungskreis der Koalition für Evangelisation. Es wird uns auf dem Emergent Forum kommende Woche (übrigens – es ist noch möglich, sich anzumelden!) auch beschäftigen.

Die allgemeine Wahrnehmung ist die, dass Frauen in den Kirchen (wie in der Wirtschaft) immer noch schwer unterrepräsentiert sind, wenn es um Führungsaufgaben geht, und dass es einer bewussten Anstrengung aller bedarf, um das zu ändern.

Daher habe ich gerade mit großem Interesse diesen Post von Rolf Krüger, gelesen, der sich kritisch mit einem Bericht des Medienmagazins Pro auseinandersetzt (der mir gestern auch auf den Schreibtisch flatterte). Er lässt den dort geäußerten konservativen Unkenrufen und Verschwörungstheorien (ob von „Pro“ oder der FAZ…) freundlich die Luft ab.

Und die Nachricht passt auch dazu: Hillary Clinton wird US-Außenministerin. Daran war sicher keine Quote schuld.

200811211135.jpg

Share

Falscher Fehler

In der Tageszeitung stand heute ein Leserbrief, in dem jemand die Nachricht über eine grausame Steinigung eines vergewaltigten Mädchens in Somalia zum Anlass nahm, die Menschheit als „größten Fehler der Evolution“ zu bezeichnen.

Aber die Evolution kann gar keine „Fehler“ machen: Sie ist ein Prozess, der nach einer immanenten Logik (etwa der Auslese der schwachen oder nicht optimal angepassten Lebewesen) abläuft und bestimmte „Grausamkeiten“ selbstverständlich einschließt. Nächstenliebe und die Würde des Menschen gehören nicht in ihr Programm. Sie ist amoralisch und lässt sich nicht romantisch verklären; aus der Biologie lässt sich eben keine allgemein gültige Ethik ableiten.

Einem persönlichen Schöpfer (wobei Schöpfung durchaus evolutionär beschrieben werden kann) kann man andererseits Fehler vorhalten. Dann muss man aber auch damit leben, dass Gott den Spieß umdreht und uns Menschen – einzeln und allen zusammen – dieselbe Frage stellt. Wenn das alles ein Fehler der Evolution war, dann sind die Männer, die dieses empörende Unrecht begangen haben, damit quasi entschuldigt.

Share

Wichtiger Fund

Ein jüdischer Archäologe, dessen Kollegen David und Salomo schon im Reich der Fabel und Legende ansiedelten, hat einem Bericht von Ulrich Sahm auf n-tv zufolge nun eine Grenzfestung des großen Königs aus biblischer Zeit ausgegraben und damit den ersten klaren archäologischen Hinweis auf das Großreich Davids und Salomos entdeckt.

Share

Verdirbt Geld den Charakter?

Die Welt zitiert dazu heute John Grisham, der McCains Verbindungen zur Ölindustrie anrüchig findet und auch sonst kein Blatt vor den Mund nimmt:

„Ich denke, Geld und Erfolg erlauben einem nur, der Mensch zu sein, der man ohnehin ist.“ Wenn man sich grundsätzlich um das Wohl anderer Menschen sorge, dann könne man sein Geld dafür auch sinnvoll einsetzen. „Auf der anderen Seite macht Geld aus einem Arschloch ein richtig fieses Arschloch.“

Share

Ein Stück vom Krisenkuchen

Die ostentative Empörung über der Gier der Banker wurde in jüngster Zeit ja fast schon langweilig – unbegründet ist sie dennoch nicht. Der Spiegel berichtet, dass an der Wall Street noch einmal gigantische Summen als Boni an die Manager ausgeschüttet werden:

Wie die britische Tageszeitung „The Guardian“ recherchiert hat, verteilen alleine die Geldhäuser an der Wall Street noch einmal 70 Milliarden Dollar an ihr Spitzenpersonal, das meiste davon in diskreten zusätzlichen Bonuszahlungen. Die Manager belohnten sich damit für ein Geschäftsjahr, schreibt der „Guardian“, in dem sie das globale Finanzsystem in die schlimmste Krise seit dem Börsencrash von 1929 führten.

Zehn Prozent der Summe, die nun als Rettungspakte vom Staat kommt, wandern also vorab in die Taschen der Hohenpriester des Turbokapitalismus. So gepolstert lässt sich der Absturz gut verkraften. So verständlich der Ärger ist, die Sündenbock-Kampagne der Linken (Bankmanager einsperren) ist da auch keine Lösung.

Share

Existenzieller Dialog

Die Welt interviewt Notker Wolf im Blick auf die umstrittene Anti-Islamisierungskonferenz in Köln. Der Abtprimas der Benediktiner hat da ganz andere Ansichten als die Organisatoren:

Was ich am Islam schätze, ist, dass die Menschen ihren Glauben zumindest ernst nehmen. Vielleicht hat ihn uns Gott ja auch deshalb geschickt – gewissermaßen als Provokation, um unseren verwalteten Glauben, der ja keine Katze hinter’m Ofen vorlockt, wieder lebendig werden zu lassen.

… Wir halten den interreligiösen Dialog immer für eine Sache des Intellekts. Dabei ist das eine existenzielle Sache des Miteinander-Auskommens und des Miteinanderredenkönnens. Erst wenn die Menschen unterschiedlichen Glaubens an der Basis anfangen mit einander zu leben, wird sich etwas bewegen. Es nützt überhaupt nicht, wenn Theologen diesen Dialog führen, der doch aber an den Menschen völlig vorbeigeht.

Share

Der menschliche Makel

Theologisch kann man sich beim Thema „Erbsünde“ ja heiße Diskussionen liefern. Ab und zu aber stolpert man über unerwartet gute literarische Beschreibungen dessen, was mit diesem Begriff gemeint sein könnte. Zum Beispiel in Der menschliche Makel von Philip Roth. Dort betrachtet Faunia, die Geliebte des Protagonisten Coleman Silk, eine zahme Krähe in der Voliere des Vogelschutzbundes. Sie wohnt dort, weil die wilden Krähen sie nicht akzeptieren. Vielleicht wäre Augustinus ja einverstanden mit ihren Schlussfolgerungen:

„Das kommt davon, wenn man handzahm geworden ist“, sagte Faunia. „Das kommt davon, wenn man die ganze Zeit mit Leuten wie uns verbringt. Das ist der menschliche Makel“, sagte sie, weder angewidert noch verurteilend. Nicht einmal traurig. So ist es eben (…) Die Berührung durch uns Menschen hinterlässt einen Makel, ein Zeichen, einen Abdruck, eine Unreinheit, Grausamkeit, Missbrauch, Irrtum, Ausscheidung, Samen – der Makel ist untrennbar mit dem Dasein verbunden. Er hat nichts mit Ungehorsam zu tun. er hat nichts mit Gnade oder Rettung oder Erlösung zu tun. Er ist in jedem. Eingeboren. Verwurzelt. Bestimmend. Der Makel, der schon da ist, bevor irgendeine Spur davon zu erkennen ist. es ist nichts zu sehen, und doch ist er da. Der Makel, der so wesenseigen ist, dass er kein Zeichen braucht. Der Makel, der jedem Ungehorsam vorausgeht, der den Ungehorsam einschließt und jedes Erklären und Begreifen übersteigt.

Share

Göttlicher Virenschutz

Neulich hat eine Frau in einem Gottesdienst berichtet, wie sie ihren Rechner durch Weihwasser gegen Spam immunisiert hat. Etwas ungewöhnlich die Methode, aber offenbar hat Gott ein Herz für Leute, die mit Virenschutz und Spamfiltern technisch überfordert sind. Wenigstens in diesem Fall. Wenn der Glaube kranke Körper heilt, dann vielleicht auch infizierte Computer?

Heute entdecke ich nun, dass auch im IT-Sektor der interreligiöse Wettbewerb ausgebrochen ist. Die Online-Redaktion des ZDF berichtet, dass japanische Shinto-Priester entsprechende Dienstleistungen anbieten. Über die „Erfolgsquote“ werden leider keine Angaben gemacht. Dass sogar Computerfirmen den Beistand höherer Mächte erflehen, lässt aber vielleicht doch auf ein gewisses Maß von Verzweiflung schließen…

Share

Selbsterkenntnis

Aus dem Buch der Unruhe (Eintrag 39), das irgendwie an Augustinus‘ Bekenntnisse erinnert, nur eben aus der Sicht eines Agnostikers, der mit sich selbst allein bleibt:

Sich nicht kennen, heißt leben. Sich kaum kennen, heißt denken. Sich erkennen, plötzlich wie in diesem läuternden Augenblick, heißt eine flüchtige Vorstellung von dieser inneren Monade zu gewinnen, vom magische Wort der Seele. Doch dieses plötzliche Licht verbrennt, verzehrt alles. Entblößt uns sogar von uns selbst.

Ich habe mich gesehen, wenn auch nur einen Augenblick lang. Und nun vermag ich nicht einmal mehr zu sagen, was ich war.

Share

Überraschendes Votum

Für mich die Überraschung des Tages: Sir Cliff Richard hat sich, wie die Times berichtet, für eine kirchliche Anerkennung homosexueller Partnerschaften ausgesprochen und erklärt, dass er seit sieben Jahren mit einem ehemaligen katholischen Priester zusammen lebt. Es sei an der Zeit, die veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse zu akzeptieren.

Das Thema sorgt für andauernde Kontroversen in der anglikanischen Kirche. Idea hat die Story auch, aber noch ohne Kommentar…

Share

Finding Our Way Again

Brian McLaren wendet sich nach „Everything Must Change“ (demnächst auf Deutsch!) und der Beschäftigung mit globalen Krisen dem Thema „geistliche Übungen“ zu. Es geht hier um die vielen kleinen, nachhaltigen Schritte zur persönlichen und gesellschaftlichen Veränderung. Wie immer bei Brian findet das alles allgemein verständlich (fast im Plauderton), immer angenehm zu lesen und frei von allem Druck statt. Er gibt Anregungen, aber er stellt keine Forderungen auf und verzichtet in dieser Einführung auch auf detaillierte Anleitungen. Ab und zu sorgen ein paar lyrische Beschreibungen und Aufzählungen dafür, dass die Materie nicht trocken daherkommt. Dem europäischen Leser macht er es diesmal leicht, weil er sich nicht groß (wie sonst so oft) kritisch mit den Schwächen des nordamerikanischen Evangelikalismus auseinandersetzt.

Der erste Teil dieses Buches ist dem Gedanken des „Weges“ gewidmet. Glaube und Religion wird nicht als System von Regeln und Glaubenssätzen aufgefasst, sondern als ein Weg. Man könnte auch sagen, Brian denkt prozesshaft statt statisch, und er schreibt werbend statt abgrenzend. Manch einer wird überrascht sein, dass in diesem Teil des Buches die drei abrahamitischen Religionen immer wieder in einem Atemzug genannt werden. Aber die Vorstellung, mit Juden und Muslimen einmal aus dieser Perspektive ins Gespräch zu kommen (statt über Terror, Kreuzzüge und Holocaust oder die jeweiligen theologischen Grenzziehungen zu debattieren), ist spannend.

Im zweiten Teil spielt Brian dann seine Stärken aus. Er beschreibt drei Formen spiritueller Disziplinen: Kontemplativ, gemeinschaftlich und missional. Das Gemeinschaftliche verbindet die via contemplativa mit der via activa, (auch wenn das lateinische Wort „communitiva“ mir dafür nicht so recht über die Lippen gehen will – warum nicht einfach „communis“?). Wegen der beiden Kapitel zur gemeinschaftlichen und missionalen Praxis alleine lohnt sich das Buch schon, sie sind eine Fundgrube voll guter Anregungen. Hier kommt auch eine wichtige Entscheidung ins Spiel, die ist ein Zitat wert:

Ich gehe davon aus, dass es bei der ganzen Sache nicht nur um mich geht. Ich gehe davon aus, dass die Gemeinschaft des Glaubens nicht für mich existiert. Ich gehe davon aus, dass es in meinen kontemplativen Übungen letztlich nicht um mich geht. Ich gehe davon aus, dass Reife als ein spirituelles menschliches Wesen nicht vollendet ist, wenn sie mich nicht hinaus sendet in die Gemeinschaft des Glaubens. Aber es geht auch nicht einfach um „uns“ – im Sinne unserer Gemeinde, Konfession oder Religion. Nein, ich gehe davon aus, dass die Gemeinschaft des Glaubens nicht vollendet ist, bis sie wiederum über sich selbst hinaus in die Welt hinein gesandt wird mit rettender Liebe. (S. 114f)

Der dritte Teil („Ancient“) widmet sich den Grundbegriffen der Mystik: Purgatio, Illuminatio und Unio. Sie werden in einem fiktiven Lehrgespräch mit einer Äbtissin entfaltet, aber in vielfältige aktuelle Bezüge gestellt. Und ganz am Schluss nimmt Brian den Lesern den Druck, eine lange Liste von zusätzlichen Aktivitäten im ohnehin schon vollgestopften Alltag unterzubringen, indem er nach keltischem Vorbild von „faithing our practises“ spricht, wo man alltägliche Verrichtungen mit einem konkreten geistlichen Impuls verbindet. Auf die sieben Folgebände dieser Reihe darf man gespannt sein.


„Finding Our Way Again: The Return of the Ancient Practices“ (Brian McLaren)

Share