Kriminell spannend

Krimis und Kirche haben, anders als hier, im Vereinigten Königreich eine große Tradition: Agatha Christies Mord im Pfarrhaus, Chestertons Father Brown, P.D. James‚ Romanfigur Adam Dalgliesh hatte Theologie studiert, bevor er zur Polizei ging, Ian Rankins Rebus ist schottischer Calvinist und die große Dorothy Sayers schrieb neben Krimis auch theologische Texte.

Und nun Phil Rickman. Seine Hauptfigur ist Merrily Watkins, alleinerziehende Pfarrerin der Church of England mit einer halbwüchsigen Tochter, einem Hausgeist und einem Spezialauftrag beim Bischof von Hereford. Und der führt sie in den Grenzbereich von Glaube und Aberglaube, Spiritualität und Scharlatanerie und das gesamte Spektrum menschlicher Macken, Eitelkeiten, Ängste und Geheimnisse. Denn Merrily Watkins ist Deliverance Consultant, ein zeitgemäßerer Begriff für das Amt des „Exorzisten“. Und nebenbei klärt sie in ihrer nüchternen, aber sensiblen Art das eine oder andere Verbrechen auf.

In Crown of Lights prallen in einem walisischen Dorf mit verfallener, aufgelassener Kirche ein Wicca-Hexenzirkel und ein charismatischer Pfarrer mit manipulierbarem Anhang aufeinander. Merrily Watkins hat mit ein paar Trauerfällen im Krankenhaus zu tun und muss in einer berüchtigten Talkshow gegen einen smarten Hexenmeister auftreten. Kaum hat sie sich davon erholt, verschwindet eine Frau, die tags zuvor noch beim frühen Tod ihrer Schwester eine gewisse Fremdeinwirkung vermutet hatte.

Rickman erzählt seine geschickt verwobene Handlung spannend und mit lebendigen Dialogen. Er charakterisiert Held(inn)en wie Schurken und alles, was sich dazwischen tummelt, erfreulich nuanciert. Am Ende gelingt ihm ein temporeiches Finale mit so mancher überraschenden Wendung. Übersinnliche Erfahrungen kommen (ganz anders als bei Frank Peretti) eher nebenbei vor und werden unaufgeregt, fast lapidar beschrieben. Und auch mit der Kirche kennt Rickman sich aus. Obwohl (oder gerade weil?) es kein „christliches“ Buch ist, ich fand es spannend zu lesen und sehr anregend. Inzwischen ist übrigens ein Band aus der erfolgreichen Reihe unter dem Titel Frucht der Sünde auch auf Deutsch erschienen.

Share

Deregulierung

Dietrich Dörner betrachtet die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, bei der die erfahrenen Ingenieure nicht zum ersten Mal die Sicherheitsvorschriften sehr frei interpretierten und sich dabei mächtig verschätzten. Und er zieht daraus Schlüsse, die nicht nur für die Finanzwirtschaft interessant sein können, sondern auch unsere ganz persönlichen Tendenzen, in bestimmten Lebenssituationen den Ausnahmezustand zu erklären und uns zum eigenen Schaden und zum Nachteil anderer über sinnvolle Regeln hinwegzusetzen, von Straßenverkehr angefangen bis zum Umgang mit den zehn Geboten:

Verletzungen der Sicherheitsvorschriften aber werden im lerntheoretischen Sinne gewöhnlich «verstärkt», das heißt: Es lohnt sich; man hat etwas davon. Wenn man Sicherheitsvorschriften verletzt, wird gewöhnlich dadurch das Leben leichter. (…) Sicherheitsvorschriften sind in der Regel so ausgelegt, dass man bei ihrer Verletzung keineswegs unmittelbar in die Luft fliegt, sich verletzt oder sonst irgendwie zu Schaden kommt, sondern so, dass das Leben leichter wird. Die positiven Folgen der Verletzung von Sicherheitsvorschriften führen dazu, dass sich die Tendenz erhöht, sie zu übertreten. Damit aber steigt die Wahrscheinlichkeit, dass tatsächlich etwas passiert. Und wenn dann tatsächlich etwas passiert ist, hat man unter Umständen nie mehr Gelegenheit, daraus Folgerungen für sein zukünftiges Handeln zu ziehen.

Share

Spruch des Tages (11)

Die Ideen von Ökonomen und politischen Philosophen, seien sie nun richtig oder falsch, sind mächtiger als man gemeinhin annimmt. Tatsächlich regiert kaum etwas anderes die Welt. Praktiker, die sich für weitgehend frei von intellektuellen Einflüssen halten, sind in der Regel Sklaven irgendeines veralteten Ökonomen.

John Maynard Keynes (1883-1946), zitiert bei Dallas Willard in Divine Conspiracy

Share

Trügerische Sicherheit

Unsere Unfähigkeit, angesichts komplexer Situationen Unbestimmtheit zu ertragen, spielt uns immer wieder böse Streiche, sagt der Psychologe Dietrich Dörner in Die Logik des Mißlingens:

Wenn man schwer lösbare Probleme einfach fallen lässt oder sie durch «Delegation» scheinbar löst; wenn man sich allzu bereitwillig durch neue Informationen von dem gerade behandelten Problem ablenken lässt; wenn man die Probleme löst, die man lösen kann, statt derjenigen, die man lösen soll; wenn man die Reflexion des eigenen Verhaltens und damit die Konfrontation mit der eigenen Unzulänglichkeit scheut, so liegt es nahe, den gemeinsame Nenner für all diese Verhaltens- und Denkformen in der Tendenz zu suchen, der eigenen Ohnmacht und Hilflosigkeit in einer schwierigen Situation nicht ansichtig zu werden, sich in Bestimmtheit und Sicherheit zu flüchten.

Share

Spruch des Tages (9)

Schenke mir eine Gedichtzeile am Tag, mein Gott, und wenn ich sie nicht aufschreiben kann, weil es kein Papier und kein Licht gibt, dann werde ich sie abends leise unter deinem großen Himmel aufsagen. Aber schenke mir ab und zu eine einzige kleine Gedichtzeile.

Etty Hillesum in Das denkende Herz

DSC02224

Share

Ein reisender Schauspieler

Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun.

… im Gegenteil,
du weißt nicht, was du getan hast.

Die Bühne der Geschichte
wurde errichtet, betreten und erprobt
lange vor deinem kurzen
Ausflug aus der Kulisse

Das Drama der Erlösung
– du wirst das verstehen,
du bist ja religiös –
wird regelmäßig aufgeführt
gehört zum Repertoire
und man findet es in der Regel
erfreulich…
Und zwar ohne einen Erlöser
nur Gott und das System.

Aber du
Emporkömmling von außen
warst entschlossen, das Stück umzuschreiben
die Handlung auf den Kopf zu stellen
das Absolute persönlich zu machen
und, mit dem Publikum improvisierend,
anzudeuten, dass diese Travestie
wahr sei.
Wer bist Du?

Du weißt nicht, was du getan hast.

Aber es ist nicht irreparabel.

Zwei, vielleicht drei Tage
und dein Gesicht wird vergessen sein,
so wie der Schauspieler,
der abends den Clown gespielt hat
und sich ungeschminkt
am Morgen wie ein Narr vorkommt.

Deine Zuhörer werden aufhören, von dir zu reden;
deine Nachfolger werden aufhören, zu folgen
Religion wird wieder die alte sein –
solche Sekten gab es früher schon –
und dein Rundtheater
wird seine unsichtbaren Türen schließen
endgültig
wenn der Held stirbt
und alle gehen ab.

Text by John L. Bell, copyright © WGRG, Iona Community, Glasgow G2 3DH, Scotland.
http://www.wgrg.co.uk/. Reproduced by permission.

Share

Zitat zum Karfreitag

Wir fürchten uns wohl vor dem Schmerz,
Mehr aber vor der Stille, denn kein grausamer Alpdruck
Könnte furchtbarer sein als diese Öde.
Dies ist die Verdammnis. Dies ist der Zorn Gottes.

(aus: W.H. Auden, Weihnachtsoratorium)

DSC02096.JPG

Share

Ansichten und Einsichten

Ben Myers schreibt einen wunderbaren Post über zehn Tugenden für Theologiestudenten. Selbst wenn man nicht mehr studiert (oder andere Fächer) kann man noch mit Gewinn drin lesen. Besonders gut hat mir die Mahnung zur Unvoreingenommenheit gefallen:

In theological education, even the most brash and opinionated among us are given the opportunity to cultivate a childlike fascination with the views of other people. Without attentive fascination, one’s capacity for surprise is diminished; and the essence of theology is surprise.

Ein gefundenes Fressen für all jene Kritiker der emerging church, die Texte nicht so genau lesen oder es schon immer gewusst haben: Pete Rollins leugnet die Auferstehung. 🙂

Auf Ehrensenf gestern: Eine simple Frage, die (kaum zu glauben!) Abtreibungsgegner in den USA schwer in Verlegenheit bringt.

Michael Naumann interviewt Philip Roth über das Älterwerden, die Schriftstellerei und Amerika. Am Ende sagt Roth von sich selbst:

… wenn ich an einem Buch sitze, bin ich lebendig. Ich wache morgens auf und will sofort an die Arbeit. Die schlimmste Zeit ist diejenige zwischen zwei Büchern. Dann weiß ich nicht, was ich mit mir anfangen soll. Ich gehe in drei Museen, und dann ist das erledigt. Aber was soll ich mit meiner Zeit anfangen? Ich bin einfach zum Schreiben da, und wenn ich nicht schreibe, komme ich mir vor wie ein Wagen, dessen Räder im Schnee durchdrehen.

Und wer lieber entspannt oder etwas Heiteres sucht, der sollte sich diese Episoden aus dem Funkverkehr zwischen Piloten und Fluglotsen nicht entgehen lassen. Hier mein Lieblingsstück:

Tower: „Say fuelstate“

Pilot: „Fuelstate“

Tower: „Say again“

Pilot: „Again“

Tower: „Argh! Give me your fuel!“

Pilot: „Sorry, need it by myself…“

Share

Wechselspiele

Das wird es demnächst auch auf theologisch geben: Jörg Lau beobachtet auf zeit.de, wie in der Politik hierzulande inzwischen die Linken den Rechten Antiamerikanismus vorwerfen. Ob sie sich mühsam das Lachen verbeißen, wenn sie nun den rhetorischen Spieß umdrehen, Dankbarkeit oder Kooperation einfordern und zur Begründung auf die Luftbrücke und den Marshallplan verweisen? Seine Schlussfolgerung aber hat viel für sich:

Sicher wollen die einen gerne im Kielwasser von Obamas change segeln, und die anderen möchten sich als knallharte Sicherheitspolitiker profilieren. Aber insgeheim ahnen beide Seiten schon, dass Obamas Weg auch von Deutschland eine Neuausrichtung jenseits von Rechts und Links verlangt.

Scot McKnight hatte vor einer Weile eine Serie von Posts über einen „dritten Weg“, Gedanken zu Adam Hamiltons Buch Seeing Gray in a World of Black and White: Thoughts on Religion, Morality, and Politics. Ob man zweidimensional denkt und nun die „radikale Mitte“ sucht (irgendwie behagt mir diese „geometrische“ Lösung nicht so recht) oder ein ganz anderes Koordinatensystem fordert – dass die alten Gegensätze nicht weiter bringen, scheint schon klar. Ob Theologie oder Politik, ich bin gespannt, was sich noch alles tut.

Share

Schwierige Rechtfertigungen

Auch ein „gerechter“ Krieg ist ein Krieg. Und seine Folgen unterscheiden sich nicht von denen anderer Kriege. Die SZ berichtet vom erschütternden Interview eines israelischen Senders mit Issaldin Abu al-Aisch, einem israelfreundlichen palästinensischen Arzt, dessen drei Töchter gerade von einem israelischen Geschoss getötet worden waren.

Natürlich kann man sich auf den Standpunkt stellen, daran sei ausschließlich die Hamas schuld. Und doch droht eine Gesellschaft zu verrohen, wenn sie auf Gewalt mit Gewalt antwortet, das schreibt diese Woche ausgerechnet die Welt. Die Zeit konstatiert lapidar: „Israel, das steht nach fast drei Wochen Krieg in Gaza fest, ist gut im Zerstören, aber schlecht im Heilen.

Walter Wink hat in Engaging the Powers geschrieben:

My point is not simply that war is bad. The issue is far deeper. It is that war draws intelligent, rational, decent people ineluctably into mimetic violence. Before they realize it they are themselves doing or condoning acts of utter barbarity and feel unable to act otherwise.

Share

„Gott hat mich in dieses Flugzeug geschickt“

Das Reich Gottes ist wie ein Flugzeug, das wunderbar sanft in einem kalten Fluss wasserte. Viele Passagiere versuchten, ihr Leben zu retten. Einige dachten nicht nur an sich und halfen anderen. Manchen aber war ihr Besitz wichtiger als die Sicherheit der Mitreisenden… Der Spiegel erzählt Geschichten einzelner Passagiere des US-Airways Flugs 1549, der im Hudson River glücklich landete. Darunter auch diese:

Dave Sanderson, ein 47-jähriger Vater von vier Kindern aus Charlotte, kümmerte sich um eine Mutter mit ihrem sechs Monate alten Baby. Er bahnte ihr den Weg zum Notausgang und half, das Kind in ein Rettungsboot hinüberzureichen. „Ich sollte eigentlich einen späteren Flug nehmen. Aber Gott hat mich in dieses Flugzeug geschickt“, sagte er der Zeitung „New York Daily News“.

Tolle Einstellung! Andere hätten Gott dafür Vorwürfe gemacht, dass er sie in Schwierigkeiten bringt. In einem solch kritischen Augenblick, zeigt sich, aus welchem Holz jemand geschnitzt ist. Denn nicht jeder sieht in diesem Moment noch die anderen: Eine Frau versperrte anderen den Weg, weil sie ihr Gepäck unbedingt mitnehmen wollte. Ein anderer Passagier nahm seine Kleidertasche mit auf die Tragfläche hinaus und eine Dame im Pelz wollte, dass jemand ins Flugzeug zurückgeht, um ihre Handtasche zu retten. Pilot Chesley Sullenberger blieb bis zuletzt und ging noch einmal durch die Kabine, um sicherzustellen, dass alle draußen waren. Passagier Billy Campbell: „Ich habe ihn am Arm genommen und mich im Namen von uns allen bedankt. Er hat nur gesagt: Gern geschehen.

Share