Jurassic Church

Auf dem Rückweg von Nürnberg heute morgen (mit Alan Roxburgh und Daniel Hufeisen im Dürerhaus und St. Lorenz) kam das Gespräch auf verschiedene aktuelle Ansätze, die Unzufriedenheit mit den bestehenden Kirchen und Gemeinden zu überwinden, indem man in einem Anflug von Idealismus und aus einer gewissen Romantik die Uhr zurückdreht, um vorkonstantinische Unschuld und Ursprünglichkeit wieder herzustellen.

Das Projekt erinnert an Jurassic Park: Wir spüren die urchristliche, reine DNA der neustestamentlichen Kirche auf und klonen sie daraufhin – strikt organisch, natürlich! – für das 21. Jahrhundert. So richtig neu ist der Ansatz nicht, leider hat er auch nie richtig funktioniert. Zudem ist er so „modern“ wie es nur geht. Wir werden die Geschichte nicht los, indem wir sie ignorieren. Um mit ihrem Ballast richtig umzugehen und ihre Schätze zu würdigen und zu bewahren, müssen wir sie kennen und können nicht tabula rasa spielen, auf der es nur uns und das neue Testament gibt. Sonst verspielen wir nur den Reichtum und wiederholen die Fehler.

Kurz: Der Sprung über den „garstigen breiten Graben“ ist eine Nummer zu groß. Ad Fontes gerne, aber wer ernsthaft organisch denkt, muss den Weg des Glaubens durch die Geschichte mit einbeziehen und die Jahresringe dran lassen, wenn die Pflanze leben soll. Unsere Klone wären entweder nicht lebensfähig oder gar irgendwelche Monster. Auf beides lässt sich verzichten.

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Paulus verstehen

Gute Neuigkeiten vom Büchermarkt: Rainer Behrens hat nach Simply Christian (dt.: Warum Christ sein Sinn macht) ein weiteres allgemeinverständliches Buch von N.T. Wright übersetzt – eben ist der Klassiker Worum es Paulus wirklich ging („What St Paul really said“) im Brunnen-Verlag erschienen.

Ein gut geschriebener, inspirierender Einstieg in das Denken des Paulus zwischen jüdischem Hintergrund und seiner Verkündigung an die heidnische Welt. Sehr zu empfehlen!

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Wieviel „Ordnung“ hatte das Paradies?

In den letzten Monaten ist mir immer wieder einmal der Begriff der „Schöpfungsordnung“ begegnet. Dabei werden Genesis 1 und 2 in erster Linie als ein (wenigstens in Annäherung zu erreichender) Idealzustand angesehen. Praktisch fällt der Begriff meistens im Blick auf Ehe und Familie sowie das Verhältnis der Geschlechter. Paulus etwa zieht in 1. Kor 11 eine steile Schlussfolgerung, die heute nur noch von wenigen befolgt wird – Christen stehen in der Kopftuchdebatte doch wohl mehrheitlich auf der Seite der Kopftuch-Kritiker.

Da man sich also leicht vergaloppiert, habe ich mich gefragt, ob „Ordnung“ im Sinne von „Vorschrift“ nicht vielleicht doch nur ein Randthema dieser Erzählung ist. Eigentlich gibt es ja nach Genesis 3 bloß eine einzige Vorschrift – und mit der Fixierung darauf fangen alle möglichen Probleme dann ja erst an.

Ein weiterer Hinweis darauf, dass wir die Ordnung nur selektiv befolgen, ist die Tatsache, dass vegetarisch zu leben für Christen bestenfalls optional ist. Nach dem Buch Genesis jedoch essen die Menschen erst nach der Sintflut Fleisch (Gen 9,3); sonst hätten viele Tiere – was auch immer die dann zu sich nahmen – kaum heil die 7 Monate an Bord der Arche überstanden. Nachdenklich macht auch, dass nicht nur die Kleidung später kam, sondern auch Sex und Fortpflanzung erst nach dem Fall stattfinden.

Wie viel „Ordnung“ steckt also wirklich im Paradies? Oder welche anderen Leitmotive lassen sich finden, um diese Geschichten richtig zu verstehen?

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Exzessive Gnade und falsche Rechenwege

Das Thema passt in die Passionszeit: Kevin Vanhoozer hat – sicher nicht als einziger – darauf hingewiesen, dass in der Postmoderne der Gedanke des „Überschusses“ ein wichtiges Element der Lehre von der Versöhnung geworden ist. Gottes Selbsthingabe in Christus übertrifft menschliche Schuld und Verlorenheit. Sie wiegt sie nicht einfach nur auf, tauscht nicht einfach die Plätze oder tilgt einfach nur die Schulden.

In der Passionsmystik – und das ist für viele heute ein fremder und anstößiger Gedanke – wurde die Relation oft umgekehrt und dann wurde das Kreuz nicht nur zum Zeichen dafür, dass wir uns nicht am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen können, sondern dass die persönliche Schuld eines jeden einzelnen so verheerend war, dass man mit Paul Gerhard sagen konnte:

Nun, was du, Herr, erduldet, Ist alles (!!!) meine Last; Ich hab’ es selbst verschuldet, Was du getragen hast.
Die Wunden Christi werden so zum Spiegel meiner individuellen Schuld. Als Dichter darf man durchaus dick auftragen und überspitzt formulieren. Aber für zarte Gemüter war das kein einfacher Gedanke und mündete immer wieder in Selbstanklagen. Oder die Frage, was für ein Gott das eigentlich ist, der sowohl für meine Fehlgriffe als auch für die grauenhaften Verbrechen eines Massenmörders und Folterers unterschiedslos die Todesstrafe und äußerstes körperliches und seelisches Leid fordert, selbst wenn er das nicht an mir selbst vollstreckt. Und genau so bedrohlich wird Gottes „Heiligkeit“ ja gelegentlich dargestellt: Deftige Beschreibungen der Höllenqualen sind die unausweichliche Folge.
Doch wenn wir verstehen, dass – um mit Paulus zu sprechen – die Gnade viel größer war und ist als alle Schuld und Sünde, die Menschen im Verlauf der Geschichte aufgehäuft haben, dann hört das Kreuz auf, zum Maß unserer „privaten“ Schuld zu werden. Sie hört aber nicht auf, ein Verweis auf die unermessliche Größe der Liebe Gottes zu sein! Exzessive Gnade heißt dann auch, dass ich meine Schuld auch nicht rückwirkend wiegen, zählen oder messen muss. Noch muss und darf ich sie mit der anderer Menschen vergleichen.
Die Logik des Umkehrschlusses führt dagegen in die Irre.

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Die Suche nach dem „dritten Weg“

Der dritte Weg ist derzeit für viele ein großes Thema. Es geht dabei nicht darum, zu sagen, dass alles bisherige falsch war – egal, wie man nun den ersten und zweiten Weg inhaltlich beschreiben würde – sondern nach einer Möglichkeit zu suchen, herrschende Gegensätze und vor allem Ausschlüsse zu überwinden, mit Paradoxien zu leben und zu einem tieferen Verständnis des Lebens vorzudringen. Im dualistischen Denken erscheint dies dennoch als Widerspruch.

Die Suche nach dem dritten Weg ist an vielen Stellen erkennbar. Es ist das erklärte Gegenstück zu faulen Kompromissen und kleinsten gemeinsamen Nennern. Es geht auch nicht um den prichwörtlichen „Mittelweg“. Anders als im Schema These-Antithese-Synthese scheint mir oft nicht die höhere Ebene, sondern das tiefere Verstehen das Ziel zu sein.

Treffend beschrieben hat Bernhard von Mutius diesen Ansatz in Die andere Intelligenz – Wie wir morgen denken werden. Ich habe eine stark vereinfachte Version seiner hilfreichen Gegenüberstellung hier eingefügt. Um die in dieser Kürze schablonenhaft wirkenden Begriffe zu entschlüsseln, ist die Lektüre des anregenden Sammelbandes jedoch sinnvoll.

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Es ist nicht einfach nur ein intellektueller, sondern ein spiritueller Weg. Das bedeutet, dass sich nicht nur der Inhalt der Erkenntnis dabei verändert, sondern auch ihr Subjekt. Für Glaube und Theologie hat auch Richard Rohr ein paar gute Gedanken dazu. Ganz am Ende von Ins Herz Geschrieben stellt er eine kleine Liste von Streitfragen zusammen, an denen die Misere des dualistischen Denkens sichtbar wird:

  • Kreationismus contra Evolution (bzw. Biblizismus und Szientismus)
  • Rechtfertigung durch Glauben contra gute Werke
  • Dilemma der Debatte um Homosexualität
  • Kontinuität contra Innovation
  • Geist contra Natur
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Dreimal drei ist Neun

Der Theologe und Blogger Ben Myers hat einen bemerkenswerten Fall von „Theology Fail“ dokumentiert: Benny Hinn hat die Trinität kurzerhand potenziert. Das Gewöhnliche war ihm wohl noch nie genug. Ich war jedenfalls ganz Hinn und weg:

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Ganz großes Kino

Der katholische Theologe James Alison spricht über Versöhnung. Ich habe ja schon eine Menge Predigten und Vorträge gehört zu diesem Thema, aber das gehört zum Besten, was ich kenne. Einerseits so mitreißend vorgetragen, dass es nie langweilig wird , andererseits so dicht, dass man es zwei oder dreimal hören muss, – oder immer wieder eine Pause einlegen, um nachzudenken und sich Dinge zu notieren. Und er klingt fast ein bißchen wie N.T. Wright.

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Komplizierte Beziehung, aber nicht hoffnungslos

Die Naturwissenschaftler stört wahrscheinlich am meisten, wenn Theologen Behauptungen über Jesus unter Bezugnahme auf bestimmte wissenschaftliche Theorien oder Entdeckungen zu beweisen versuchen, oder wenn sie bestimmte christologische Glaubensinhalte verwenden, um damit angebliche Lücken im Kenntnisstand der Wissenschaft zu füllen. Vermutlich stört es die Theologen am meisten, wenn die Naturwissenschaftler ihre angeblich neutralen Forschungsgebiete abschirmen, indem sie jeglichen religiösen Glauben als Trugschluss bezeichnen oder wenn sie versuchen, religiöse Erfahrung auf Faktoren zu reduzieren, die ihre eigene Disziplin lückenlos erklären könnte.

LeRon Shults, Christology and Science

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Zuspruch und Wirklichkeit

Heute las ich einen Bibeltext, der, wie ich zunächst fand, den Mund gehörig voll nahm bei der Beschreibung der Wende, die Jesus für die Welt und das Leben der Christen (nein, aller Menschen) gebracht hat. Meine eigene Erfahrung und der Vergleich mit dem, was Menschen um mich her erleben, erschien mir in dem Augenblick weit hinterherzuhinken. Spontan war mir mehr danach, Gott darum zu bitten, dass er uns hilft, die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu verringern.

Dann wurde mir plötzlich bewusst, dass es so gar nicht gemeint war. Ein Wortspiel aus dem Englischen fiel mir ein: „Not an expectation to live up to, but a promise to live into“. Und genau das ist es! Auch zwischen Zuspruch und Wirklichkeit besteht noch eine Kluft, aber sie wird dadurch geschlossen, dass wir auf dem Weg bleiben, dem Zuspruch vertrauen und uns immer wieder die Verheißungen vor Augen halten. GInge es um einen Anspruch, dann stellte sich sofort die Schuldfrage: Wer trägt die Verantwortung dafür, dass meine persönliche Erfahrung nur ein fader Abklatsch dieser Aussagen ist? Aber Gott und die biblischen Autoren legen uns hier keine Latte vor die Nase, die wir nur überspringen oder reißen können, sondern sie bauen uns ein Sprungbrett. Die Kluft ist erst dann ein Problem, wenn ich nicht mehr springen will.

Es geht dabei auch um die Richtung der Zeit. Der biblische Zuspruch blickt vom herrlichen Ende zurück und sieht den Sonnenaufgang auf den Gesichtern derer, die ihm entgegen gehen. Von hinten betrachtet, aus der Perspektive dessen, der noch auf dem Weg (oder erst am Anfang des Weges ist) verdunkeln wir bloß den Schimmer am Horizont. Aber wenn irgendetwas mit dieser Welt – und mit mir – besser werden soll, dann muss ich mir diese Perspektive der Verheißung schenken lassen, die im Senfkorn schon den großen Baum sehen kann.

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Durch die Brust ins Auge

201001172251.jpgIn den letzten Wochen habe ich von Joshua Cooper Ramo The Age of the Unthinkable: Why the new world disorder constantly surprises us and what to do about it gelesen (deutsch: Das Zeitalter des Undenkbaren). Die Anregung hatte ich im Blog von Alan Roxburgh gefunden. Es erinnert etwas an die Bücher von Malcolm Gladwell wie Blink!: Die Macht des Moments und Tipping Point: Wie kleine Dinge Großes bewirken können , nur geht es um viel ernstere Fragen: Wie überleben wir in einer immer unberechen- und unbeherrschbaren Welt?

Vielleicht finde ich die Zeit, einige der Punkte, die Cooper Ramo stets mit Anekdötchen garniert serviert, zu rekapitulieren. Er geht der Frage nach, warum Militäraktionen im Irak und Afghanistan scheitern, warum Israel die Hisbollah mit seinen Angriffen stärkt statt schwächt und was man gegen die Bankenkrise hätte unternehmen können.

Notgedrungen stammen viele Themen aus dem Bereich Militär und Sicherheit. An einem bin ich als Theologe jedoch hängen geblieben. Er beschreibt die Diskussion unter Nato-Strategen über eine indirekte Kriegsführung: Statt die Truppen des Feindes direkt zu treffen, bombardiert man die Treibstofflager. Oder wirft Metallstreifen über Belgrad ab und blendet die serbische Flugabwehr, um als nächstes die Stromversorgung zu treffen und die Lichter auszuknipsen. Die Idee ist nicht neu, schon der chinesische Stratege Sunzi hat um 500 v.Chr. ähnliche Ideen und riet unter anderem, die direkte Konfrontation nach Möglichkeit zu vermeiden. Hingegen konzentriert sich westliches Denken und Strategie fast ausschließlich auf den direkten Schlag.

Nachdem mich das Thema diese Woche schon anderweitig beschäftigt hatte, habe ich mich gefragt, ob man nicht den Sieg Christi am Kreuz nicht ähnlich verstehen kann. Ein „direkter Schlag“ hätte den Palast des Kaiphas, die Präfektur des Pilatus und das Kapitol in Rom treffen können, aber einem Hohenpriester wäre ein weiterer gefolgt, ebenso einem Kaiser ein anderer und der Statthalter wäre noch leichter zu ersetzen gewesen. Die feindlichen Systeme hätten sich regeneriert, nichts hätte sich verändert. Alle ausradieren wäre auch keine Alternative gewesen, aber das ist ja zum Glück seit Noah schon klar.

Stattdessen zielt Gott indirekt – und gewinnt. Wenn wir Kolosser 2,15 lesen, dann bekommen wir einen Eindruck davon, was geschah:

Erstens entzieht Gott den „Mächten“ (und das verstehen wir eben am besten systemisch) die Legitimation. Er entzaubert sie, er nimmt ihnen den göttlichen Nimbus, der das Kaisertum (und die Tempelhierarchie) umgab. Denn er erklärt durch die Auferweckung das ergangene Urteil für null und nichtig. Bis dahin war es so etwas wie ein säkularer Staat praktisch undenkbar. Seither kann kein Herrscher, kein Regime, keine Institution mehr uneingeschränkte göttliche Autorität beanspruchen ohne sich damit zugleich als Götze zu entlarven.

Zweitens nimmt er den Mächten ihre entscheidende Waffe. Bislang konnten sie mit Verbannung und dem Tod drohen. Wer gegen die Staatsräson handelte, wurde geächtet, musste ins Exil oder wurde gewaltsam beseitigt. Nun fehlt dem Tod der Stachel, die Drohgebärde wird hohl. Denn außen vor dem Tor der Stadt wartet der auferstandene Christus bei den Vogelfreien und an den Gräbern der Dissidenten.

Wer bisher empfand, dass er keine Wahl hatte, hat sie nun zurückbekommen. Wir können mit den Mächten gegen Gott kämpfen und verlieren, oder gegen die Mächte verlieren und mit Gott gewinnen. Und hin und wieder werden wir Zeugen, wie eine dieser Mächte ins Stolpern gerät, strauchelt, und in sich zusammenfällt. Beispiele gab es genug in der Geschichte.

Das Kreuz – wenn wir es denn verstehen – immunisiert Menschen gegen den Anspruch der Mächte unser Leben letztgültig zu bestimmen, wie auch gegen die Angst, die sie verbreiten. Sie sind zu Pappkameraden geworden. Gott greift das Böse nicht frontal an, aber er gräbt ihm das Wasser ab. Allerdings geht der Kampf weiter. Eine andere Geschichte, die Cooper Ramo erzählt, ist die von Dr. Tony Moll, der in Tugela Ferry bei Durban ein AIDS-Projekt leitet. Der Erfolg rührt daher, dass er HIV-Infizierte als Trainer einsetzt. Oft sind sie selbst Analphabeten, aber sie helfen anderen Patienten, die Wirkung der AIDS-Medikamente zu verstehen und wir richtig anzuwenden. Dagegen haben teure, staatlich organisierte Programme gegen TB häufig versagt, weil sie auf Profis und Spezialisten setzen und den Patienten wenig zutrauen und zumuten.

Christen – egal welche – sind in gewisser Hinsicht wie die Patienten von Dr. Moll. Sie kennen die Krankheit, sie sind im Prozess der Heiljung begriffen und nehmen die Medizin selbst immer noch. Daher können (oder sollte ich das im Konjunktiv schreiben?) sie anderen auch ganz gut erklären, wie sie selbst kuriert werden und sich ihrerseits für eine gesunde Welt einsetzen.

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Vom Himmel hoch…

Heute auf Zeit Online: Theologische Deutungen des allmächtigen Google, zum Beispiel dieser Entwicklung vom Deismus zur „Inkarnation“:

… bislang störten sich nur wenige am Google-Gott, der alles von uns weiß, der jeden unserer Schritte sieht und dank des neuen Google-Handys immer bei uns ist, uns führt »an der lieben Hand«. Denn dieser Gott war ein abstrakter Gott, sein Reich waren die fernen Rechnerzentralen. Nun aber erscheint er uns, wird Auto, wird Kamera – wird bedrohlich.

Im gleichen Artikel ein frecher Vergleich von Florian Illies: Google als Sinnbild des nüchternen, auf Wissen und Worte reduzierten Calvinismus und der sinnlichen-ästhetischen Erfahrung, die Apple als Analogon zur katholischen Kirche vermittelt. So hatte ich das bisher noch nie gesehen…

PS: Etwas realitätsnäher und ganz untheologisch schreibt die Zeit hier zum Erfolg Apple

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Das Gute, das Böse und der Tod

Der Gedanke an den Tod, vor allem dann, wenn man den Tod als endgültig betrachtet, begünstigt eine egozentrische Lebenshaltung. Nehmen wir das Klimaproblem mal stellvertretend für alle Formen von Selbstsucht und – sagen wir es ruhig – Bosheit: Leben auf Kosten anderer also. Selbst Immanuel Kant, dem eigentlich alle Spekulation zuwider war, konnte nicht anders, als im Namen der „praktischen Vernunft“ darauf zu wetten, dass es Gott und ein ewiges Leben gibt.

Denn der Tod begrenzt die Folgen meiner schlechten Taten, so dass ich mich vor ihnen nicht zu fürchten brauche. Bis sie mich treffen könnten, bin ich vielleicht schon nicht mehr da. Die wahren Konsequenzen unseres Lebensstils erleiden ja erst kommende Generationen in voller Härte. Zugleich würde alles Gute, das ich heute tue, seine Wirkung auch erst allmählich entfalten. Insofern verhindert der Tod also gleichzeitig, dass ich die Früchte meiner positiven Mühen und meines Verzichts ernte.

Das Motto „lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot“ ist also durchaus plausibel und wird in einer Kultur des grenzenlosen Individualismus, wo sich längst niemand mehr der Sippe, dem Stamm oder seinem Volk verantwortlich fühlt, zum Überlebensrisiko: Lasst uns Schulden machen, lasst uns die Umwelt verpesten, lasst uns Konflikte eskalieren und Gräben vertiefen und lasst andere sehen, wie sie damit klarkommen. Und hat auch niemand gefragt, ob wir die Suppe auslöffeln wollen, die man uns eingebrockt hat. Gut und Böse sind vor dem Tod nicht mehr zu unterscheiden, wie Reinhard Mey anno ’66 auf dem Schuttabladeplatz der Zeit feststellte:

Da lag der von der Vogelweide bei dem Kätchen von Heilbronn,

die hohe Messe in H-Moll neben einem Akkordeon,

neben gescheiterten Argumenten, die Reden eines Präsidenten;

Pornografie und Strafgesetz, in friedevoller Einigkeit am Schuttabladeplatz der Zeit.

Der Tod verharmlost das Böse und trivialisiert das Gute. Nur wer an die Auferweckung glaubt, pflanzt heute noch das sprichwörtliche Apfelbäumchen und packt irgendeines der anderen komplexen Probleme an, die man vielleicht in einer einzigen Generation gar nicht in den Griff bekommt. Natürlich gibt es auch Idealisten, die nicht an Auferstehung glauben, und trotzdem Gutes tun. Gott sei Dank für ihre Inkonsequenz. Hoffentlich halten sie noch lange durch, oder – noch besser – hoffentlich entdecken sie, dass es tatsächlich eine Hoffnung über den Tod hinaus gibt.

Die biblische Auferstehungshoffnung unterstreicht nämlich auch dies: Gut und Böse sind nicht dasselbe. Und der „erste Tod“, wie es beim Seher Johannes heißt, das „natürliche“ Sterben, begrenzt das Böse. Das Gute dagegen, auch die kleinste Kleinigkeit, ist niemals vergeblich getan. Nicht nur andere ernten diese Früchte, auch wir selbst werden sie genießen, wenn Gott seine Schöpfung neu macht.

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Theorie und Praxis

Frühere Generationen von Theologen mussten mit G.E. Lessings „hässlichen Graben“ zwischen zufälligen Geschichts- und notwendigen Vernunftwahrheiten fertig werden. Theologen in der Spätmoderne stehen vor einer anderen, ebenso hässlichen Trennung. Kein Gegensatz ist für theologische Lehre so fatal wie der von Theorie und Praxis, eine tödliche Verwerfung, die Kirche und Hochschulen gleichermaßen durchzieht.

Kevin J. Vanhoozer, The Drama of Doctrine

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Welt ging verloren – Christ ist geboren

Weihnachten betonen wir – völlig zu Recht – die Immanenz Gottes: Er wird Mensch, ein Kind, er kommt uns nahe und will uns nahe bleiben, wenn auch nicht mehr in dem physisch-handgreiflichen Sinn wie vor 2000 Jahren.

Aber da ist eben auch die andere Seite, nämlich die unserer (nicht immer ehrlich eingestandenen) Erlösungsbedürftigkeit. Wir retten uns nicht selbst, sondern die Hilfe muss von außen kommen. Unsere individuellen, sozialen und globalen Probleme sind uns in ihrer Summe längst über den Kopf gewachsen. An vielen Punkten erleben wir diese Ohnmacht dann auch ganz persönlich.

Selbst mit gut gemeinten Lösungsversuchen scheitern wir, nicht nur wegen Betriebsblindheit, an der Komplexität der Verstrickungen. Ein echter Neuanfang ist erst mit einem Partner möglich, der in dieser Hinsicht unbefangen (die Bibel sagt „ohne Sünde“) ist. Befangen dagegen bestenfalls in dem Sinne, dass er uns hartnäckig liebt. Auf uns allein gestellt, ist diese Welt – unsere Welt – nämlich verloren. Nur der, der sie geschaffen hat, kann sie wieder ins Lot bringen. Und selbst ihn kostet es alles.

Eben das feiern wir heute, dass Gott nicht sagt, macht Euren Dreck doch alleine. In diesem Sinne: frohe Weihnachten!

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Unsere „Identität in Christus“

Bei einer Diskussion über geistliche Reife kam neulich mal wieder die Forderung auf, wir müssten mehr über „unsere Identität in Christus“ lehren. Ich empfand das als recht zwiespältige Angelegenheit, zumal das auch ein Schlagwort aktueller Sektengründer ist. Sie haben das aber nicht erfunden, sondern eine problematische Denkweise nur einen Schritt weiter getrieben.

Natürlich kann man das Thema auch auf gute Weise angehen, und das war zumindest die Intention. Vielleicht lässt sich das – zumal an Weihnachten – hier kurz gegenüberstellen:

Oft genug wird unsere Identität in Form von wörtlich zu nehmenden Behauptungen aufgeschlüsselt, und dann bekommt das Thema etwas Ideologisches: Wir sind in Christus dies und das, und zu diesem und jenem bestimmt. Konkret stürzt man sich meist auf Teile des Epheserbriefs, ohne nach rechts und links zu sehen. Am Ende steht dann eine Lehre wie: Wir sind in Christus erlöst, wir haben einen Platz im Himmel, wir sind zu Königen und Priestern bestimmt, es ist unsere Berufung, mit Christus zu herrschen. Und dann geht es um Heilung und Wohlstand und immer auch ein bisschen um Macht. Und eine gewisse Glaubensanstrengung ist nötig, um die offensichtliche Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit nicht zu groß werden zu lassen. Man muss es möglichst laut und oft proklamieren, um die Zweifel einzudämmen.

Ich weiß nicht, ob wir davon wirklich mehr brauchen.

Identität hat aber weniger mit Satzwahrheiten als mit Geschichten zu tun. Die sympathischere Variante dieser Lehre funktioniert also narrativ. Ich bin Teil der großen Geschichte des Segens, den Gott seit Abraham über alle Völker bringen will. In Christi Menschwerdung, Tod und Auferstehung hat diese Verheißung begonnen, sich zu erfüllen. Ich bin mitgestorben und werde mit ihm auferstehen, und als „Anzahlung“ auf dieses Leben lebt und wirkt Gottes Geist in mir. Immer wenn ich denke, jetzt ist es aus mit meiner Kraft, meinem Glauben und meiner Liebe, dann fließt aus dieser Quelle etwas nach. Ich bin Teil dieser liebenden Suchbewegung Gottes nach den Menschen, die ihm verloren gegangen sind. Und damit lebe ich als Glied der christlichen Kirche in der Spannung von Verheißung und Erfüllung, Leiden und Herrlichkeit. Ich muss gar nicht viel über mich reden, aber viel über Jesus. Was „königlich“ und „herrschen“ bedeutet, bestimmt sich damit ideologiekritisch ganz exklusiv von dem einen König her, der sich selbst aller Macht und Pracht entleerte. Jedesmal, wenn wir das Abendmahl feiern, schaue ich auf diesem Weg Gottes mit uns (und damit auch mit mir) zurück und nach vorne.

Gibt es eine bessere Form, unsere wahre Identität zu bekräftigen, als Brot und Wein und diese große Story?

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