Jurassic Church

Auf dem Rückweg von Nürnberg heute morgen (mit Alan Roxburgh und Daniel Hufeisen im Dürerhaus und St. Lorenz) kam das Gespräch auf verschiedene aktuelle Ansätze, die Unzufriedenheit mit den bestehenden Kirchen und Gemeinden zu überwinden, indem man in einem Anflug von Idealismus und aus einer gewissen Romantik die Uhr zurückdreht, um vorkonstantinische Unschuld und Ursprünglichkeit wieder herzustellen.

Das Projekt erinnert an Jurassic Park: Wir spüren die urchristliche, reine DNA der neustestamentlichen Kirche auf und klonen sie daraufhin – strikt organisch, natürlich! – für das 21. Jahrhundert. So richtig neu ist der Ansatz nicht, leider hat er auch nie richtig funktioniert. Zudem ist er so „modern“ wie es nur geht. Wir werden die Geschichte nicht los, indem wir sie ignorieren. Um mit ihrem Ballast richtig umzugehen und ihre Schätze zu würdigen und zu bewahren, müssen wir sie kennen und können nicht tabula rasa spielen, auf der es nur uns und das neue Testament gibt. Sonst verspielen wir nur den Reichtum und wiederholen die Fehler.

Kurz: Der Sprung über den „garstigen breiten Graben“ ist eine Nummer zu groß. Ad Fontes gerne, aber wer ernsthaft organisch denkt, muss den Weg des Glaubens durch die Geschichte mit einbeziehen und die Jahresringe dran lassen, wenn die Pflanze leben soll. Unsere Klone wären entweder nicht lebensfähig oder gar irgendwelche Monster. Auf beides lässt sich verzichten.

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5 Antworten auf „Jurassic Church“

  1. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr Parallelen tun sich auf!
    So gingen auch die Wissenschaftler in „Jurassic Park“ nicht von der Realität, sondern von ihrem Idealbild der Vergangenheit aus und sind daran letztendlich gescheitert. So auch bei uns: Die viel gerühmte „Urgemeinde“ ist ein frommes Klischee. Auch zu Zeiten von Paulus und Petrus gab es Ecken und Kanten, Streit und Kompromisse. Eine weitere Übereinstimmung: auch wir Christen scheinen oft zu glauben, die heute noch bekannten Probleme von damals besser zu beherrschen – und auch wir Christen würden daran kläglich scheitern.

    Ad Fontes? (Als Nicht-Lateiner kommt mir hier zugut, schon einige Jahre „fromm“ zu sein!) – Sie einzige Quelle, zu der wir immer wieder zurückkehren sollen ist Jesus. Somit dürfte sich die Forderung eigentlich erübrigen – oder?

  2. @ Peter: Du beschreibst m.E. ein Problem evangelischer Frömmigkeit überhaupt. Der reformatorische Impuls enthielt ja starke traditionskritische Züge. Auch wenn Luther in den Invokavitpredigten um der Liebe willen von einem radikalen Traditions- und Kulturbruch abriet, war er doch auch ein Dinosaurier der Bibelauslegung, der sich vom Mainstream der Hermeneutik und Verkündigung seiner Zeit deutlich distanziert, natürlich nicht ohne Tradition (immerhin: Augustin und Bernhard v. Clairvaux haben ihm Anregungen gegeben). Die 4 reformatorischen „soli“ (allein die Schrift, der Glaube, die Gnade, Christus) fördern zudem die psychologische Tendenz, sich besserwisserisch abgrenzen.

    Mir scheint, dass die missionale / emergente Diskussion möglicherweise eine Veränderung der Tiefenstruktur evangelischer Theologie unterstützen könnte, indem sie die vielfältigen Quellen christlicher Tradition für die gelebte Glaubenspraxis stärker anzapft. Kritiker sagen, dass sei nur ein selektiver und willkürlicher Umgang mit Tradition. Aber immerhin: ein Anfang ist gemacht. Und: Die Berücksichtigung der „Wirkungsgeschichte“ in wissenschaftl. Bibelkommentaren ist auch noch nicht so alt und kommt oft auch über Spotlights nicht weit hinaus.

    Die katholische Kirche ist hier konzeptionell klarer (Schrift und Tradition), was wiederum mit dem für Protestanten problematischen „Lehramt“ (Papst) zusammenhängt.

    „Es könnte alles so einfach sein, isses aber nicht.“

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