Der Gedanke an den Tod, vor allem dann, wenn man den Tod als endgültig betrachtet, begünstigt eine egozentrische Lebenshaltung. Nehmen wir das Klimaproblem mal stellvertretend für alle Formen von Selbstsucht und – sagen wir es ruhig – Bosheit: Leben auf Kosten anderer also. Selbst Immanuel Kant, dem eigentlich alle Spekulation zuwider war, konnte nicht anders, als im Namen der „praktischen Vernunft“ darauf zu wetten, dass es Gott und ein ewiges Leben gibt.
Denn der Tod begrenzt die Folgen meiner schlechten Taten, so dass ich mich vor ihnen nicht zu fürchten brauche. Bis sie mich treffen könnten, bin ich vielleicht schon nicht mehr da. Die wahren Konsequenzen unseres Lebensstils erleiden ja erst kommende Generationen in voller Härte. Zugleich würde alles Gute, das ich heute tue, seine Wirkung auch erst allmählich entfalten. Insofern verhindert der Tod also gleichzeitig, dass ich die Früchte meiner positiven Mühen und meines Verzichts ernte.
Das Motto „lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot“ ist also durchaus plausibel und wird in einer Kultur des grenzenlosen Individualismus, wo sich längst niemand mehr der Sippe, dem Stamm oder seinem Volk verantwortlich fühlt, zum Überlebensrisiko: Lasst uns Schulden machen, lasst uns die Umwelt verpesten, lasst uns Konflikte eskalieren und Gräben vertiefen und lasst andere sehen, wie sie damit klarkommen. Und hat auch niemand gefragt, ob wir die Suppe auslöffeln wollen, die man uns eingebrockt hat. Gut und Böse sind vor dem Tod nicht mehr zu unterscheiden, wie Reinhard Mey anno ’66 auf dem Schuttabladeplatz der Zeit feststellte:
Da lag der von der Vogelweide bei dem Kätchen von Heilbronn,
die hohe Messe in H-Moll neben einem Akkordeon,
neben gescheiterten Argumenten, die Reden eines Präsidenten;
Pornografie und Strafgesetz, in friedevoller Einigkeit am Schuttabladeplatz der Zeit.
Der Tod verharmlost das Böse und trivialisiert das Gute. Nur wer an die Auferweckung glaubt, pflanzt heute noch das sprichwörtliche Apfelbäumchen und packt irgendeines der anderen komplexen Probleme an, die man vielleicht in einer einzigen Generation gar nicht in den Griff bekommt. Natürlich gibt es auch Idealisten, die nicht an Auferstehung glauben, und trotzdem Gutes tun. Gott sei Dank für ihre Inkonsequenz. Hoffentlich halten sie noch lange durch, oder – noch besser – hoffentlich entdecken sie, dass es tatsächlich eine Hoffnung über den Tod hinaus gibt.
Die biblische Auferstehungshoffnung unterstreicht nämlich auch dies: Gut und Böse sind nicht dasselbe. Und der „erste Tod“, wie es beim Seher Johannes heißt, das „natürliche“ Sterben, begrenzt das Böse. Das Gute dagegen, auch die kleinste Kleinigkeit, ist niemals vergeblich getan. Nicht nur andere ernten diese Früchte, auch wir selbst werden sie genießen, wenn Gott seine Schöpfung neu macht.
Meine Erfahrung nach einem Jahr Hospizdienst, 10 Jahre Heilerziehungpflege und 39 Jahre Lebenserfahrung: Mit Tod und Sterben wird in aller Regel völlig irrational umgegangen. Der Wald-Friedhof in München ist ein sehr „schönes“ Zeugnis davon. Man sollte mindestens einen halben Tag einplanen und ein kleine Wegzehrung einstecken.
Hier ein paar Fotos vom Wald-Friedhof in München, in dem Artikel vom :„Rückblick: Ein Jahr München“
thank you for this, peter.
Hallo,
der Grundgedanke stimmt meiner Meinung nach. Wäre nur die Frage, ob der Tod so weit in unser tägliches Handeln reicht und wir unsere Lebensspanne überblicken. Ich denke eher, dass ganz allgemein versucht wird, im Jetzt zu leben, dass also schon die Tatsache, dass das Morgen scheinbar völlig außerhalb unseres Handelns und unserer Verantwortung liegt, einen größeren Part einnimmt als die Angst vor dem Tod.
Marco
@Marco: Das Zeitverständnis in der Konsumkultur ist zusammengebrochen, weil wir, wie Jason Clark hier sagt, das ewige Leben und die Erfüllung aller Wünsche jetzt schon haben wollen. Nur funktioniert es nicht. Ich glaube, wir leben weniger als je zuvor in der Gegenwart, sondern immer im Vorgriff auf die Erfüllung des nächsten Wunsches. Kurzfristiges Denken und Leben in der Gegenwart sind nicht dasselbe. Würden wir richtig in der Gegenwart leben, wären wir vielleicht zufriedener mit dem, was wir haben…
Ich meine damit nicht die sicherlich lobenswerte Eigenschaft, im Jetzt leben zu können/wollen. Das war etwas missverständlich geschrieben. Ich meine: Leben, als wäre jeder Tag der letzte Tag, das Morgen juckt nicht. Das drückt sich in der Unverbindlichkeit und in der Kurzlebigkeit aus, wie wir sie erleben. Und, um wieder zum Ausgangsthema zu kommen, hat meiner Meinung nach mehr Einfluss auf eine egoistische Lebensplanung als der Gedanke an den Tod. Es ist wie ein Miniatur-Tod, den wir jede Nacht sterben und dadurch für die kommenden Tage keine Verantwortung verspüren. Paradoxerweise gibt es gleichzeitig einen gesteigerten Vorsorgedrang. Vielleicht sind es aber auch einfach zwei verschiedene Personengruppen.
@Marco: Ich verstehe. Aber man kann ja diese Kurzlebigkeit durchaus als Verdrängung des Todes verstehen. Ich denke gar nicht weit in die Zukunft, weil da der Tod lauert. Das weiß ich zwar im tiefsten Innern, aber ich versuche, meine Gedanken davon fernzuhalten. Ein grandioses Beispiel dafür findet sich übrigens in Cowslip aus „Watership Down“.
Habe diese Gedanken mit einem 17jährigen Skeptiker diskutiert. Sein Einwand: Demnach müßten eigentlich die Reinkarnations-Gläubigen den höchsten Einsatz gegen den Klimawandel bringen.
Immerhin wäre es aus dieser Perspektive denkbar, sich in einem nächsten Leben als Eisbär wiederzufinden. Oder, weniger platt, vielleicht als Bewohner einer der Regionen unserer Erde, die überproportional von den negativen Folgen des Klimawandels betroffen sein werden.
Christen, meinte mein junger Skeptiker, würden eigentlich wegen der Hoffnung auf den Himmel eher dazu neigen, Umweltprobleme als nicht so dramatisch anzusehen. Wenn die Welt eh neu geschaffen werden soll…..
Ich wünschte, wir wären für anderes bekannt!!!!
@Heike Dreisbach
Dein 17jährigen Skeptiker hat gar nicht so unrecht! Und zwar noch aus einem ganz anderem Grund! Im Buddhismus ist es ein Gebot, Leid zu vermeiden und dabei wird nicht zwischen Menschen und Tiere unterschieden.
Zitat aus Majjhima Nikaya, Mittlere Sammlung:
„Wer da, Jivako, um des Vollendeten oder Vollendeten Jüngers willen das Leben raubt, der erwirbt zu fünf Malen schwere Schuld.
1. Weil er da also befiehlt: ‚Geht hin und bringt jenes Tier dort herbei!‘, darum erwirbt er zum erstenmal schwere Schuld.
2. Weil dann das Tier, zitternd und zagend herbeigeführt, Schmerz und Qual empfindet, darum erwirbt er zum zweitenmal schwere Schuld.
3. Weil er dann spricht: ‚Geht hin und tötet dieses Tier!‘, darum erwirbt er zum drittenmal schwere Schuld,
4. weil dann das Tier im Tode Schmerz und Qual empfindet, darum erwirbt er zum viertenmal schwere Schuld.
5. Weil er dann den Vollendeten oder des Vollendeten Jünger ungebührend laben läßt, darum erwirbt er zum fünftenmal schwere Schuld.
Wer da, Jivako, um des Vollendeten oder Vollendeten Jüngers willen das Leben raubt, der erwirbt zu diesen fünf Malen schwere Schuld.“
In einem Buddha-Sutra (Lehrrede) ermahnt der Buddha seine Jünger (Tier-)Fleisch mit der selben angewiedertheit zu essen, so wie ein Vater sein eigenes Kind verzehren würde, wenn im nichts anderes bliebe, um in der Wüste überleben zu können.
Aber es ist immer ein „passives Mitgefühl“, wenn man mal bewusst darauf achtet, beim lesen den Buddha-Sutras. In den Kernaussagen liegen Buddha und Jesus aber gar nicht soweit auseinander. Buddha war etwas diplomatischer als Jesus und hat die Attentate auf sich überlebt. Beide wollten aber soziale Schranken niederreißen. In ihren Gemeinschaften galt Gleichheit und Gütergemeinschaft bzw. Besitzlosigkeit.
In beiden Gemeinschaften ist aber von den Ursprünglichen Idee und Idealen nicht mehr viel übrig. Die meisten christlichen und buddhistischen Gemeinschaften haben heute mehr oder weniger stark ausgeprägte Hierarchien.
Link-Tip: Der Palikanon auf Deutsch im Netz
Gruß
Olaf
@Heike: Da haben Christen ein falsches Bild von ihrer Hoffnung abgegeben, wenn so ein Eindruck entstanden ist. Auf der anderen Seite denke ich, dass die Vorstellung, in einer Welt wieder hineingeboren zu werden, die sich nicht verändert hat, ja auch ziemlich „höllisch“ klingt. Das Ziel ist daher ja auch, dem zu entkommen.
@Olaf: Klar, wenn Du anderen Leid zufügst, gibt das auch für Buddhisten schlechtes Karma, oder?
@Peter
Ich verstehe deine Frage nicht. „Karma“ ist ein Konzept aus dem Buddismus. Ich bin aber Christ. Ich verstehe nicht, warum jetzt die armen Buddhisten, schlechtes Karma bekommen sollen, wegen dem Leid was ICH Andern zufüge?
*Kratz am Kopf*
Noch mal ganz generell zum buddhistischen Konzept der Wiedergeburt: Als Christ vergisst man immer all zu schnell, das es das Konzept der Seele nicht im Buddhismus gibt (und auch nichts übertragbares).
Das was da wieder geboren wird, ist nicht eine Seele, sondern Karma. Leid gebärt Leid. Gier gebärt Gier. Nirwana ist das völlige erlöschen von Gier und Leid. Nicht der eintritt einer Seele in das Paradies. Selbstauflösung ist also das höchste Ziel, wobei „Selbst“ nur ein Konzept ist, was in der Vorstellung existiert und eine Illusion ist.
„Darum also, ihr Mönche: was es auch für eine Form sei, vergangene, zukünftige, gegenwärtige, eigene oder fremde, grobe oder feine, gemeine oder edle, ferne oder nahe: alle Form ist, der Wahrheit gemäß, mit vollkommener Weisheit also anzusehn: ‚Das gehört mir nicht, das bin ich nicht, das ist nicht mein Selbst.'“
(Zitat aus Majjhima Nikaya, Mittlere Sammlung – M. 109. (XI,9) Mahāpunnama Sutta (Vollmond I)
Die (ethische) Streitfrage zwischen Buddhismus und Christentum wäre also: Ist Erlösung (bzw. Leidvermeidung) eine Aktive Tätigkeit, oder eine Passive Haltung? Reicht es Tiere nicht zu essen oder muss ich Labor-Tiere aktiv vom Leid befreien?
Olaf
@Olaf: „Du“ war im Sinne von „man“ allgemein gebraucht…
Ich bin mir nicht sicher, ob die Streitfrage zwischen Christen und Buddhisten nicht die nach der Erkennbarkeit der Wirklichkeit ist, wenn das „Selbst“ nur eine Illusion ist. Ohne Subjekt kein Erkennen…?
@Peter
Das „erkennen“ und die „(Selbst-)Erkenntnis“ ist vergänglich und wird erst im Laufe des Lebens erworben. Was ich erwerbe, kann das „Ich“ sein? Dann könnte ich ja auch mein Auto sein. In sofern stimmt dann auch der Satz von einem aufgebrachten Autofahrer „Mensch, sie haben mir beim Einparken eine Delle reingefahren!“.
Gruß
Olaf
@Olaf: das war um eine Ecke zuviel gedacht für mich…
@Peter
Na, wenn ich mein „Ich“ erst in laufe meines Lebens „erwerbe“, ist das „ich“ erschaffen. Und was erschaffen wurde, muss auch vergehen. Subjekt ist sich Objekt. Dieses Objekt „ich“ ist Objekt unter Objekten „Du, Er, Sie, Es…“. Die Welt ist Objektivierte Vorstellung des Subjekt. Kein Subjekt = kein Objekt = keine Welt. Das Subjekt ist der Schöpfer seiner Welt und seiner Selbst. Was ist nun das Subjekt? Schobenhauer sagt: das Subjekt ist blinder Wille. Der Wille wird in der Materie sichtbar, aber der Wille ist nicht die Materie. Also ist weder mein Auto noch mein Körper „Ich“ sondern bestenfalls mein Wille.
Musst du mal selber lesen: Die Welt als Wille und Vorstellung
Ist eigendlich ganz gut lesbar. Am Anfang muss man sich ein bisschen reindenken.
Am Ende kommt Schopenhauer aber auf das gleiche Resultat wie Buddha. Das Leid entsteht durch das Anhaften an der Welt und die Gier. Man hat nur zwei Optionen: Entweder man gibt sich seinen blinden Willen hin und verliert sich in der Welt. Schaft Leid und leidet. Oder, man erkennt das der Kampf um und mit der Welt nicht gewonnen werden kann, und hört auf „zu wollen“. Damit schafft man kein neues Leid mehr und Leidet selber immer weniger unter seinen schwächer werdenden Willen, bis zur Selbstauflösung.
Na, wer fühlt sich da als Christ nicht ein bisschen an Lk 9,24 erinnert: „Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es retten […]“
Aus meinen christlichen Kontext heraus, fällt mir die Vorstellung meinen Willen durch den willen Gottes zu ersetzen leichter, als die Vorstellung meinen Willen durch Nichts zu ersetzen. Aber ich vermute, der Sinn der Übung ist der Selbe.
Gute Nacht!
Olaf
Hey, Olaf,
da liegt die Lösung für Dein Trinitäts-Problem! Wenn die Einheit der Person die des Willens ist (weil es am Ende gar kein „Bewusstsein“ o.ä gibt), dann fiele ja auch Deine Kritik (wie kann Jesus den Vater als Gegenüber anreden und doch eins sein?) zusammen… Nicht dass Schopenhauer irgendwie christlich denken würde (Buber als Jude wäre da näher dran). Aber wenn sein Ausflug in den Buddhismus dazu dient, warum nicht? 😉
Nachtrag:
Hier ist Schopenhauer noch in moderner Schrift als PDF-Download …liest sich besser.
@Peter
Schopenhauer hatte nicht wirklich eine klare Vorstellung von der Buddhistischen Leere.Bei ihm geht Hinduismus und Buddhismus munter drüber und drunter. Er hatte (meines Wissens) die Buddha-Sutras weder in Original gelesen, noch als Übersetzung, denn die gab es noch nicht. Vielleicht als englische Übersetzung mit fragwürdiger Qualität. Insofern ist der Objektivismus von Schopenhauer nicht das Gleiche wie der Buddhismus.
Das “ Trinitäts-Problem“ habe nicht ich, sondern die Trinianer. Mit der Trinität haben sie sich mehr Probleme geschaffen, als gelöst. Und jeder Versuch Unstimmigkeiten auf zu lösen, führ zu noch abenteuerlicheren Konstruktionen.
Von einer „Einheit der Person“ sprach ich nicht. Das ist kein Buddhistisches Konzept. Und auch nicht Bestanteil des Objektivismus bei Schopenhauer.
„Wille“ ist bei Schopenhauer weder „Person“, noch „Individuum“. Es ist blinde, treibende Kraft. Im Buddhismus ist „Wille“ negativ belegt und wird als „Anhaften“ an der Welt bezeichnet.
Weder bei Schopenhauer, noch bei Buddha gibt es ein Schöpfer oder Erlöser. Die Erlösung besteht darin, vom Willen und damit von der Welt ab zu lassen.
Im Christentum ist der „(Eigen-)wille“ der Menschen Ursache für den Fall (Erbsünde) und das Hindernis auf dem Weg zur Erlösung und zum Reich Gottes. Anders als im Buddhismus, soll im Christentum der Mensch nicht, nichts wollen, sondern „den Willen des Vaters im Himmel tun“.
Nur, ohne „Vater im Himmel“ kann man auch nicht dessen willen tun. An der Stelle unterscheidet sich die Vorstellung von Christen und Buddhisten was die Erlösung betrifft.
Nur in dem, worin man das Übel sieht, sind sich Christen und Buddhisten gleich.
Wenn man mit dem Islam jetzt noch einen vierten Referenzpunkt hinzuzieht, wird man bei gründlicher Betrachtung feststellen, das der Islam und der Koran nur oberflächlich, eine scheinbare Nähe zum Christentum und zu Bibel hat. Durch die entliehenen Geschichten und Personen, wird eine Nähe und gemeinsame Basis suggeriert, aber wenn man sich anschaut, wie in Islam die Frage nach der Rechtfertigung beantwortet wird, könnten die Unterschiede kaum größer sein. Da sieht der Buddhismus noch wie ein naher Verwandter – gar wie ein „Stiefbruder“ aus. Und der Islam nur wie ein „Namensvetter“.
Aber in der Tat. Ich kann mir vorstellen, das kirchenentfremdete postliberalen Menschen über den Buddhismus wieder ein unverkrampftes Verhältnis zu „Lama Jesus“ oder „Buddha Jesus“ finden können.
Gruß
Olaf