Familiensinn

Ich hatte ja versprochen, das eine oder andere Highlight aus New Monasticism zum besten zu geben. Gestern ging mir dieser Satz aus dem Kapitel „Tägliches Brot und vergebene Schulden“ noch lange nach:

Wenn wir in der Kirche wirklich zusammen Gottes Familie sind, dann wirkt sich die Entscheidung eines Paares, ein Ferienhaus zu kaufen, auf ihre Beziehung zu der alleinerziehenden Mutter in der Gemeinde aus, die in zwei Jobs arbeitet, um die Miete zu bezahlen und Essen auf den Tisch zu stellen. Es ist schwer vorstellbar, wie sie eine ehrliche Beziehung zu einander haben können, selbst wenn sie zu derselben Gemeinde gehören.

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Der Ort prägt die Optik

Diese Woche habe ich meinen kleinen Rasen gemäht und ein paar Dinge im Haus gefunden, die repariert oder ersetzt werden müssen. Ein neues Regalbrett für die vielen Bücher im Arbeitszimmer. Die Stühle um den Esstisch knarzen und wackeln erbärmlich. Es geht uns ganz gut in diesem Haus und in dieser Nachbarschaft. Und ich weiß nicht, ob ich mich darüber freuen soll, oder ob es Grund zur Beunruhigung ist. Eben lese ich das nächste Kapitel aus „New Monasticism“, und da steht unter anderem:

Manchmal muss man den Ort wechseln um die Welt wirklich zu sehen und die eigene Rolle in ihr neu zu durchdenken. Deshalb zog Antonius in die Wüste und Franziskus ging auf die Straßen. Sie wussten, dass mit der Kirche etwas nicht in Ordnung war, aber sie konnten die Alternativen nicht sehen von da, wo sie sich befanden. Ihr Ort blendete sie, besetzte ihre Vorstellungskraft. Die „monastics“ müssen die Welt von einem anderen Ort aus sehen, wenn sie sie neu sehen wollen. Also zogen sie um. Und als sie das taten, lösten sie eine Bewegung aus. Die Erneuerung der Kirche hing von ihrem Ortswechsel ab.

Also, auf nach Neusehland…?

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Neuer Lesestoff

Seit vorgestern lese ich Jonathan Wilson-Hartgroves Buch New Monasticism: What It Has to Say to Today’s Church und finde nach den ersten beiden Kapiteln, es ist eine gute Ergänzung und Vertiefung zu Shane Claibornes „Ich muss verrückt sein“.

Neben seiner eigenen Geschichte und der seiner Kommunität beschreibt Wilson-Hartgrove den theologischen und geschichtlichen Hintergrund des „neuen Mönchtums“ systematischer und zusammenhängender, als es die Episoden und Aphorismen des bekannten Mitstreiters hergeben. Und trotzdem hat er immer wieder prägnante Formulierungen, über die ich lange und ausführlich nachdenken möchte.

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Umkehrschluss

Diese Woche hat jemand eine Statistik zitiert, nach der (wenn ich mich recht erinnere, aber auf ein paar Prozent kommt es auch gar nicht an…) 85% der Menschen bis zum 14. Lebensjahr zum Glauben gefunden hatte. Die Schlussfolgerung war, dass Kinder- und Jugendarbeit enorm wichtig ist.

Ist sie auch. Nur kann man aus der Statistik eben auch entnehmen, dass man offenbar in eine christliche Familie und Gemeinde mehr oder weniger hineingeboren werden muss. Und möglicherweise kann man auch schließen, dass außer ein paar Alibiaktionen die bestehenden Gemeinden (so gut wie) nichts unternehmen, um Erwachsenen zu helfen, ihren Weg zum Glauben zu finden.

Denn vielleicht liegt es nicht an den Leuten und nicht am Alter, sondern an der Art, wie unsere Gemeinden funktionieren…?

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Žižek zu Postmoderne und »westlichem Buddhismus«

Ich finde Žižeks (Danke für den Tipp mit den „Häkchen“, Christian) »gnadenlose Liebe« immer noch ungemein spannend. Leider schreibt er so dicht, dass es fast unmöglich ist, sinnvolle Inhaltsangaben oder Exzerpte zu machen. Stattdessen hier ein paar anregende Zitate des slowenischen Denkers, weitere werden folgen:

Die Philosophie bedarf des Rückgriffs auf den Mythos, nicht aus äußerlichen Gründen, um den ungebildeten Massen ihre Konzepte zu vermitteln, sondern um ihrer selbst willen, d.h., um ihr eigenes begriffliches Gebilde dort zu „vernähen“, wo es beim Erreichen seines innersten Kerns scheitert, von Platons Höhlengleichnis bis zu Freuds Mythos des Urvaters und Lacans Mythos der Lamelle. (…)

… und was ist die Postmoderne, wenn nicht die ultimative Niederlage der Aufklärung im Augenblick ihres Triumphes? Wenn die Dialektik der Aufklärung ihren Höhepunkt erreicht, erzeugt die dynamische, wurzellose Gesellschaft ihren eigenen Mythos selbst. Der technologische „Reduktionismus“ des Cyberspace (der Geist … selbst wird wird letztlich auf eine „spirituelle Maschine“ reduziert) und das heidnische mythische imaginäre der Hexerei, geheimnisvoller magischer Mächte usw. sind letztlich zwei Seiten desselben Phänomens – die Niederlage der Moderne im Augenblick ihres Triumphes. (S. 62f)

Žižek sieht hier einen „merkwürdigen Tausch zwischen Europa und Asien“, der zu einem „westlichen Buddhismus“ führt, der die „hegemoniale“ Ideologie des globalen Kapitalismus liefert. Vordergründig präsentiert er sich als Heilmittel gegen den Stress der Konsumgesellschaft durch den Rückzug aus äußeren der Welt des rasenden Wandels in einen „inneren Frieden“. Genau darin aber wird der westliche Buddhismus ein „imaginäres Supplement zum irdischen Elend“, eine Art Opium für das Volk:

Die meditative Einstellung des „westlichen Buddhismus“ dürfte für uns die effektivste Methode sein, vollständig an der kapitalistischen Dynamik teilzuhaben und zugleich den Anschein mentaler Gesundheit zu wahren. Lebte Max Weber heute, so würde er zweifellos einen Ergänzungsband zu seiner protestantischen Ethik verfassen, der dann den Titel Die taoistische Ethik und der Geist des globalen Kapitalismus trüge.

Nebenbei weist Žižek auch aktuell darauf hin, dass die westliche Tibetbegeisterung (bei gleichzeitigem schwunghaften und ungebrochenen Handel mit China) eine solch fetischistische Struktur hat: Wir wünschen uns, dass Tibet das mythische Ideal einfachen und spirituellen Lebens stellvertretend bewahrt, um besser mit unserer völlig anderen Situation leben zu können.

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Die Macht der Netze

Wie spannend Sozialforschung sein kann, zeigt ein Artikel des Spiegel: Übergewicht, Depressionen oder Alkoholismus verbreiten sich über Beziehungsnetze, irgendwie ja auch passend zum 15. Geburtstag des Internets:

„Soziale Netze haben die Fähigkeit zu verstärken, was in ihnen ausgesät wird“, sagt der Soziologe. Oft ist für einen Übersprung von Mensch zu Mensch ein direkter Kontakt gar nicht vonnöten. „Es genügt, dass der Freund meines Freundes dick wird“, erklärt Christakis. „Auch wenn ich gar keinen Umgang mit ihm habe – ich registriere, dass meine Freunde ihn seiner Fettsucht wegen nicht missachten. Und dieser Umstand verändert mein soziales Netz.“

Die Forscher stießen immer wieder auf Überträger, die selbst nicht dick wurden, nicht tranken oder dem Trübsinn verfielen – und doch verbreiteten sie die jeweiligen Verhaltensmuster. Ein Netz ist eben mehr als die Summe seiner Einzelbeziehungen.

Die Autoren vermuten, dass sich Religionen ähnlich verbreiteten. Einerseits mag das für viele nichts Neues sein. Wichtig aber ist die Bedeutung, die hier den etwas oberflächlicheren Bekanntschaften (statt den ganz engen Freundschaften oder der Intimität der Kernfamilie) zugemessen wird. Wenn man die wenigen ganz tiefen Beziehungen weg nimmt, leidet das Netz kaum. Fazit der Forscher:

Es sind vor allem die mittelguten Bekanntschaften, die eine Gesellschaft zusammenhalten. Sie sorgen für den Austausch zwischen Kleingruppen aller Art, die sonst isoliert wären.

Und Nicholas Christakis formuliert es so:

Ob jemand trinkt oder nicht, hängt weniger von seiner Zugehörigkeit zu einem sozialen Typ oder zu einer Schicht ab als vielmehr von seinen Freunden und deren Freunden. Also: nicht arme Menschen trinken, sondern vernetzte Gruppen von Menschen trinken.

Bevor jetzt vielleicht mal wieder allzu eilig missionarische Anwendungen daraus gestrickt werden: Vielleicht sollten wir aufhören, andere Nationen als oberflächlich zu bezeichnen, weil sie weniger tiefe, aber mehr oberflächliche Kontakte pflegen, und lieber von ihnen lernen: Wie Briten mit jedem Small Talk hinbekommen, wie Italiener feiern, wie Amerikaner einen nach einer Begegnung als Freund bezeichnen.

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Missionsorden

Die Church of England hat Leitlinien zur Gründung von bischöflichen Missionsorden (BMO) festgelegt. Ein Missionsorden gründet Gemeinden und arbeitet dabei überparochial bzw. in Kooperation mit mehreren Kirchengemeinden. Das ganze vollzieht sich in drei Schritten:

  1. (Irgend-)ein Amtsträger aus der Diözese kann ein Projekt vorschlagen, das der Bischof dann von einer möglichst neutralen Person unter die Lupe nehmen lässt, die mit den beteiligten bzw. betroffenen Gemeinden spricht.
  2. Ein Entwurf wird zu Papier gebracht, der die Ziele des Gründungsprojekts, die Leitungsstruktur und die Verwaltung der Sakramente festlegt. Der Entwurf mit mit allen besprochen, die bei der Initiative mitarbeiten möchten oder die direkte Berührungspunkte mit ihr haben werden, also auch mit ökumenischen Partnern und den jeweiligen Gremien des Bistums. Es gibt aber, wenn ich das richtig lese, kein „Vetorecht“, die Entscheidung liegt allein beim Bischof.
  3. Der Orden wird eingerichtet und zweimal im Jahr vom Bischof oder einem Beauftragten visitiert. Alle 18 Monate bekommt der Bischof einen Bericht und nach fünf Jahren findet eine Bestandsaufnahme statt. Wird das Arrangement bestätigt (es kann immer auch modifiziert werden), dann gilt es weitere fünf Jahre, danach steht die Entscheidung an, ob diese Orden dauerhaft bestehen bleibt.

Wir stehen hier in Erlangen vor einer weiteren Runde von Gesprächen über unseren Platz im Kontext der Landeskirche bzw. dieses Dekanats. Da finde ich solche Gedanken und Modelle sehr hilfreich.

Und natürlich sind sie das erst recht im Hinblick auf neu entstehende Emerging Churches, die zumindest in den Städten in den allermeisten Fällen überparochial funktionieren werden. Die spannende Frage von „Wachstum oder Wildwuchs“ wird übrigens auch in der Württembergischen Landeskirche demnächst diskutiert.

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Auslese – falsch herum

Der Spiegel interviewt Udo Rauin von der Uni Frankfurt zu dessen Beobachtung, dass der Anteil inkompetenter Lehrer überdurchschnittlich hoch ist. Einen Hauptgrund dafür sieht der Forscher im Beamtenstatus der Pädagogen:

Der führt genau dazu, dass sich die Falschen für den Beruf interessieren, weil es eine vermeintliche Sicherheit gibt. Diese suchen eben viele Studierende, die sich der Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt nicht aussetzen wollen. Man müsste den Beamtenstatus tatsächlich abschaffen, um wenigstens die schlimmsten Übel zu vermeiden.

Da könnte man auch mal ganz zart fragen, ob der in den Kirchen nicht auch längst überholt ist und abgeschafft gehört. Dann würde das System vielleicht auch etwas flexibler und etwas weniger auf Wahrung und Ordnung des Bestands abgestellt, als es derzeit (zumindest nach außen hin) hier und da noch den Anschein hat…

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Emergenz, Grabsteine und schlechte Luft

Wer wissen möchte, wie das alles zusammenhängt, dem sei dieser schöne Artikel von Bill Dahl auf The Ooze empfohlen. Hier ein kleiner Appetizer:

Yet, one distinctly interesting characteristic of the emerging church is unlearning how we have learned to have relationship with God, as a methodology or approach to embracing The God of More, Jesus Christ. As Thomas Merton said, “The first step in the interior life, nowadays, is not, as some might imagine, learning not to see and taste and hear and feel things. On the contrary, what we must do is begin by unlearning our wrong ways of seeing, tasting, feeling, and so forth, and acquire a few of the right ones.”

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Werkstatt macht wieder Pause

Die Tagung des AfeM ist vorbei. Es waren zwei spannende Tage im Monbachtal mit guten Gesprächen, neuen und alten Bekannten – nach 20 Jahren gab es ein nettes Wiedersehen mit Prof. Peter Beyerhaus, der mir unter anderem erzählte, dass sein Sohn Alpha-Kurse hält. Unter den Anwesenden waren so viele Leute mit internationaler Missionserfahrung, das gibt in der Zusammensetzung einen gewaltigen Horizont.

Beim Abschied erfuhr ich, dass die Veranstalter im Vorfeld “gewarnt” worden waren, mich einzuladen. Ich finde, wenn man als gefährlich gilt, bewegt man ja vielleicht doch etwas. Aber es war vor Ort überhaupt nichts von einer feindseligen Atmosphäre zu spüren gewesen. Nicht einmal Reinhold Scharnowski schaffte es, den Ketzerhut zu ergattern. 🙂

Das Referat “Sünde, Kreuz und Bekehrung im Horizont der Postmoderne” hänge ich hier als PDF an, für alle, die es nachlesen wollen (und mit Dank an alle, die mitgedacht haben!). Wo doch Toby (dessen Vater ich just dort kennengelernt habe) heute eine Beschäftigung mit diesen Themen angemahnt hat. Die Lektüre dauert allerdings ein Weilchen…

Afem Vortrag

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Glaubensspiralen (4): Gelb

Ein für unsere Zwecke entscheidender Sprung geschieht beim Übergang zum gelben Mem. Hier erreicht menschliches Denken die „zweite Ordnung“ und vermag durch einen systemischen Denkansatz die Meme der ersten Ordnung zu überblicken:

„Wir können zum ersten Mal die Legitimität aller bislang erwachten menschlichen Systeme erkennen. Es sind Formen unserer Existenz, die das Recht haben, da zu sein. Die Systeme werden als dynamische Kräfte gesehen, die, wenn sie gesund sind, zur Lebensfähigkeit der gesamten Spirale und folglich zur Fortsetzung des Lebens selbst beitragen.” (Beck/Cowan S. 424)

Es gelingt, die Stärken einzelner und ganzer Kulturen zu nutzen, und ihre Schwächen konstruktiv zu überwinden, indem man mit Menschen in ihrer Vorstellungswelt kommuniziert, ohne sich von dieser begrenzen zu lassen.

„Menschen, die andernorts auf der Spirale ihren Schwerpunkt haben, sind von gelb Denkenden ganz verdattert. Sind sie purpurn geprägt, können sie sie praktisch nicht wahrnehmen. Rot geprägten erscheinen sie seltsam, aber manchmal macht es Spaß, mit ihnen zusammen zu sein. Wer blau denkt, dem erscheinen sie unbeständig, respektlos und unscharf. Wer seinen Schwerpunkt in Orange hat, der hat den Eindruck, die wären unwillig, sich der Erreichung eines Ziels vollständig zu verschreiben. Vom grünen Standpunkt aus gesehen, wirken sie cool und reserviert“ (Beck/Cowan 433f.)

Diese knappe und lückenhafte Skizze der letzten Posts lässt schon erkennen, vor welcher Aufgabe man mit den unterschiedlichen, aber gleichzeitig aktiven wMemen steht: Den Blauen ein Blauer zu werden, den Orangen ein Oranger und so weiter. Gelöst werden kann die Aufgabe angesichts des rapiden Wandels, der auf ebenso rapiden Veränderungen der Lebensbedingungen beruht, eigentlich nur, wenn die Kommunkation vielfarbig wird. In der Logik der Spiral Dynamics bedeutet das aber, sich zum Denken des gelben wMems in emergenten Systemen zu bewegen. Nur dann können die spezifischen Engführungen bestimmter Systeme vermieden und allergische Reaktionen auf andere Systeme gemildert werden.

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Glaubensspiralen (3): Grün

Ich setze die Reihe spiralaufwärts fort – immer mit der Frage, auf welche Wertesysteme und Denkweisen die christliche Botschaft trifft. Der Übergang von “Orange” nach “Grün” ist in etwa mit dem Beginn der Postmoderne gleichzusetzen:

Mit dem Übergang zum grünen wMem verschiebt sich der Schwerpunkt des Interesses zurück vom Individuum zur Gemeinschaft. Harmonie und Empathie beginnen, den Selbstausdruck zu beschränken. Allerdings fördert das grüne wMem (anders als konformistisches Blau) die Vielfalt und Toleranz der Überzeugungen und Lebensstile. Im Unterschied zu Orange wird nun Konkurrenz kritisch gesehen und die sozialen Kosten beklagt. Das blaue, moralisierende Evangelium erklärte “strukturelle” Sünde nicht (viele konservative Christen gingen den scheinbar „anständigen“ Nazis auf dem Leim) und begünstigt Spaltungen durch seinen Hang zum ausgrenzenden Sündenbock-Mechanismus. Es hat sich damit disqualifiziert und muss mit heftiger Ablehnung rechnen, vor allem, wenn es rot/Blau in aggressiver Rhetorik und mit Andeutungen totalitärer Ansprüche erscheint.

Auf der Frequenz von Grün kann Sünde als destruktives Sozialverhalten ausgemacht werden, insbesondere Diskriminierung und Ausgrenzung, aber auch Gleichgültigkeit und Kälte. Zusätzlich erscheint strukturelles Unrecht erstmals im Bewusstsein, während die Ethik zu situativen Entscheidungen neigt und blaues Schwarz/Weiß Denken verpönt ist. Bestimmte „blaue” Werte wie etwa Ehrlichkeit bestehen oft weiter.

Das Kreuz wird zum Anstoß, wo der Straf- und Opfercharakter dominiert und Gott (dem das Opfer gilt) als gewalttätig erscheint. Umgekehrt kann das unschuldige Leiden des gewaltlosen Messias unter der römischen Militärmaschinerie eine enorme Anziehungskraft entwickeln und die Vorstellung eines leidenden Gottes löst weder blaue Angst und Empörung noch oranges Schulterzucken aus. Allerdings besteht die Gefahr, dass die Passion lediglich exemplarisch verstanden wird, also keine neue, befreiende Wirklichkeit konstituiert. in der Regel wird in Grün des Aspekt des universalen Heilswillens Gottes stark zur Geltung kommen, der sich gerade den ausgegrenzten Sündern, den „Verlierern“ dieser Welt gilt, und der Versöhnung stiftet über ethnische, nationale und soziale Schranken hinweg.

Bekehrung (der – historisch betrachtet – typisch blaue Begriff wird in der Regel gemieden) wird auf der grünen Frequenz tendenziell so verstanden, dass man Teil einer Gemeinschaft wird, in der man in universaler Offenheit für andere die Praxis der Nächstenliebe und des Friedens einübt. Sie wird weniger als punktuelle Krise, sondern stärker als prozesshafte Transformation verstanden. Folglich wird auch die Unabgeschlossenheit dieses Prozesses betont – sich durch geistliche Übungen dem Einfluss der Gemeinschaft und des Geistes Gottes beständig auszusetzen, um lebenslang zu wachsen.

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Glaubensspiralen (2): Orange

Sünde ist im hedonistischen orangen Mem viel schwerer zu fassen, denn es hat sich von blauer Moral weitgehend verabschiedet. Richtig ist, was mir nützt und mich voranbringt. Postmoralisch muss man hier also fragen: Wo liegt das Problem in dieser Welt? Und würde von Vertretern des orangen Mems zu hören bekommen: Wir machen zu wenig aus unseren Möglichkeiten. Wir trauen uns zu wenig zu, gehen zu wenig Risiken ein und sind zu träge darin, unser Potenzial wirklich kreativ auszureizen. Wir verstecken uns hinter Traditionen und Ordnungen, die unser Versagen kaschieren und meiden die Verantwortung für uns selbst. Wir sind unfähig, unser Glück richtig zu genießen und den psychologischen (oder auch institutionellen) Ballast abzuwerfen, der uns daran hindert, voran zu kommen. Von den sieben Todsünden bleibt hier im Grunde nur die Trägheit übrig. Spiritualität ist ein Weg, das eigene Leistungsvermögen und Wohlbefinden zu steigern. Dafür lässt man sich zumindest oberflächlich auf Religion ein, bevorzugt aber unverbindlich-individualistische Richtungen.

Orange Versionen von “Kreuzestheologie” werden folglich das “pro nobis” der Erlösungstat betonen, den Erfolg Christi gegen alle Kräfte, die Freiheit beschränken und erfülltes Leben mindern, hervorheben, seine übermenschliche Leistung hervorheben, von der wir nun profitieren – und umgekehrt das Leid wie auch den Gedanken des Scheiterns in den Augen der Welt herunterspielen. Das wird am einfachsten dadurch erreicht, dass man den unmittelbaren Nutzen des Kreuzestodes herausstellt: In Christus sind wir körperlich geheilt, der Weg zum guten Leben (Wohlstand) ist uns geebnet, als Kinder Gottes haben wir einen begründeten Anspruch (!) auf Glück, gute Energien werden freigesetzt.

Bekehrung bedeutet den Aufbruch zu neuen, größeren Abenteuern, die Verwirklichung der individuellen Berufung und geistlichen Begabung, oft auch die Gründung neuer Gemeinschaften und Projekte. Die Aufgabe des Christen ist nun, ein entsprechendes Bewusstsein zu entwickeln, das das gute Leben antizipiert (Glaube) und ihm so den Weg ebnet. Prinzipiell sind dem, der mit Gott im Bunde ist, keine Grenzen des Erfolgs gesetzt.

Stark (aber nicht immer ausschließlich) orange gefärbtes Christentum findet man im undogmatischen Individualismus der charismatischen Bewegung, bei den pragmatischen Evangelikalen wie Hybels und Warren, im evangelischen Münchenprogramm (das überholte Hierarchien verflüssigt), deutlich problematischer und unangenehmer in den verschiedenen (in ihrem Grundimpuls asozialen) Versionen des Wohlstandsevangeliums.

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Glaubensspiralen (1): Blau

Um eine Antwort auf die Fragen von neulich zu finden, greife ich auf die schon mehrfach erwähnten Spiral Dynamics zurück. Es handelt sich um ein spiralförmig (also nicht einfach linear) vom Einfachen zum Komplexen ansteigende Folge von “Werte-Mems”. Darunter versteht man ein System kollektiver menschlicher Anpassungsintelligenzen, die sich als Reaktion auf bestimmte Lebensbedingungen entwickeln. Die späteren Schichten umlagern wie in einer Baumrinde die früheren, so dass in einer Gesellschaft wie bei einem Individuum gleichzeitig an unterschiedlichen Stellen unterschiedliche Muster aktiv sein können. Daher eignet sich diese Theorie (die eher deskriptiv als hegelmäßig-teleologisch funktioniert), um komplexe Veränderungsprozesse zu beschreiben. Es ist natürlich eine Schablone, aber für unseren Zweck eine hilfreiche, wie ich meine.

Ich überspringe die Darstellung der ersten drei w-Meme (instinktives beige, magisches purpur und egozentrisches rot), da sie für die aktuelle Fragestellung nur eine untergeordnete Rolle spielen (einen Überblick findet Ihr hier), und steige gleich mit der vierten Ebene ein.

Sünde wird im ordnungsliebenden blauen Mem verstanden als ein Verstoß gegen absolute, heilige oder kategorische Ordnungen, als Verletzung von Pflichten, das Leugnen objektiver Wahrheiten. Sie muss daher emotionslos und konsequent verfolgt werden, weil sonst das große Ganze in seinem Zusammenhalt bedroht ist und “rote”, rücksichtslose Anarchie ausbricht.

Folglich erscheint in blauer Verkündigung das Kreuz als Tilgung objektiver Schuld durch einen Ausgleich, eine Transaktion höherer Ordnung, als vollkommene Erfüllung des Gesetzes, das durch diese bestätigt und nicht etwa aufgehoben wird. Im blauen Mem hat unschuldiges Leiden seinen Platz innerhalb der Ökonomie eines großen, ewigen Sinnzusammenhangs.

Bekehrung bedeutet schließlich in diesem Mem, vom Feind der traditionellen Ordnung und absoluten Wahrheit zu ihrem Anhänger und Unterstützer werden, indem man sich ihrem Anspruch und ihrer Autorität bedingungslos unterwirft. Das schließt eine gewisse Neigung zur Gesetzlichkeit und ein binäres Schwarz-Weiß-Denken ein. Zweifler und Abtrünnige werden als noch schlimmere Bedrohung verstanden als die “Sünder” und “Heiden”, die sich noch nie dafür interessiert haben. Die Gerechten erwartet himmlischer Lohn, allerdings erfordert dieser geduldiges, treues und diszipliniertes Warten. Die Ungerechten dagegen ernten die Früchte ihrer Rebellion.

Weitgehend blaue Versionen des Christentums sind klassische Evangelikale (Billy Graham wird bei Don Beck explizit genannt), konfessionelle Traditionalisten, und in der eher unangenehmen Form jeglicher christliche Fundamentalismus, Puritanismus und Dogmatismus. Es werden institutionelle Formen bevorzugt mit einem hohen Grad an Homogenität.

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