Ich setze die Reihe spiralaufwärts fort – immer mit der Frage, auf welche Wertesysteme und Denkweisen die christliche Botschaft trifft. Der Übergang von “Orange” nach “Grün” ist in etwa mit dem Beginn der Postmoderne gleichzusetzen:
Mit dem Übergang zum grünen wMem verschiebt sich der Schwerpunkt des Interesses zurück vom Individuum zur Gemeinschaft. Harmonie und Empathie beginnen, den Selbstausdruck zu beschränken. Allerdings fördert das grüne wMem (anders als konformistisches Blau) die Vielfalt und Toleranz der Überzeugungen und Lebensstile. Im Unterschied zu Orange wird nun Konkurrenz kritisch gesehen und die sozialen Kosten beklagt. Das blaue, moralisierende Evangelium erklärte “strukturelle” Sünde nicht (viele konservative Christen gingen den scheinbar „anständigen“ Nazis auf dem Leim) und begünstigt Spaltungen durch seinen Hang zum ausgrenzenden Sündenbock-Mechanismus. Es hat sich damit disqualifiziert und muss mit heftiger Ablehnung rechnen, vor allem, wenn es rot/Blau in aggressiver Rhetorik und mit Andeutungen totalitärer Ansprüche erscheint.
Auf der Frequenz von Grün kann Sünde als destruktives Sozialverhalten ausgemacht werden, insbesondere Diskriminierung und Ausgrenzung, aber auch Gleichgültigkeit und Kälte. Zusätzlich erscheint strukturelles Unrecht erstmals im Bewusstsein, während die Ethik zu situativen Entscheidungen neigt und blaues Schwarz/Weiß Denken verpönt ist. Bestimmte „blaue” Werte wie etwa Ehrlichkeit bestehen oft weiter.
Das Kreuz wird zum Anstoß, wo der Straf- und Opfercharakter dominiert und Gott (dem das Opfer gilt) als gewalttätig erscheint. Umgekehrt kann das unschuldige Leiden des gewaltlosen Messias unter der römischen Militärmaschinerie eine enorme Anziehungskraft entwickeln und die Vorstellung eines leidenden Gottes löst weder blaue Angst und Empörung noch oranges Schulterzucken aus. Allerdings besteht die Gefahr, dass die Passion lediglich exemplarisch verstanden wird, also keine neue, befreiende Wirklichkeit konstituiert. in der Regel wird in Grün des Aspekt des universalen Heilswillens Gottes stark zur Geltung kommen, der sich gerade den ausgegrenzten Sündern, den „Verlierern“ dieser Welt gilt, und der Versöhnung stiftet über ethnische, nationale und soziale Schranken hinweg.
Bekehrung (der – historisch betrachtet – typisch blaue Begriff wird in der Regel gemieden) wird auf der grünen Frequenz tendenziell so verstanden, dass man Teil einer Gemeinschaft wird, in der man in universaler Offenheit für andere die Praxis der Nächstenliebe und des Friedens einübt. Sie wird weniger als punktuelle Krise, sondern stärker als prozesshafte Transformation verstanden. Folglich wird auch die Unabgeschlossenheit dieses Prozesses betont – sich durch geistliche Übungen dem Einfluss der Gemeinschaft und des Geistes Gottes beständig auszusetzen, um lebenslang zu wachsen.
Mal ne blöde Frage, um zu verstehen, woher diese Gedanken kommen, weil ich Beck nicht gelesen habe:
Versteh ich das richtig, dass Becks Modell sich nicht mit Theologie beschäftigt und du jetzt (vielleicht auch mit den drei Kategorien von Evangelikalen aus dem Jens-Stangenberg-Workshop im Hinterkopf) versuchst, Becks Gedanken im Hinblick auf Sünde, Kreuz und Bekehrung weiterzuspinnen? Oder stammen die hier geäußerten Gedanken direkt von Beck oder einem anderen Autor?
Ich find das alles ansonsten sehr interessant.
Genau. Ich verzichte auf die Webber-Kategorien, weil es um mehr als nur Evangelikale geht. Aber ich übertrage das Schema auf die theologischen Fragen bzw versuche umgekehrt, die Themen im jeweiligen w-Mem zu umreißen. Beck hat hin und wieder auch Kirchen und Religion im Blick, aber nicht durchgehend und nicht detailliert.