Glaubensspiralen (2): Orange

Sünde ist im hedonistischen orangen Mem viel schwerer zu fassen, denn es hat sich von blauer Moral weitgehend verabschiedet. Richtig ist, was mir nützt und mich voranbringt. Postmoralisch muss man hier also fragen: Wo liegt das Problem in dieser Welt? Und würde von Vertretern des orangen Mems zu hören bekommen: Wir machen zu wenig aus unseren Möglichkeiten. Wir trauen uns zu wenig zu, gehen zu wenig Risiken ein und sind zu träge darin, unser Potenzial wirklich kreativ auszureizen. Wir verstecken uns hinter Traditionen und Ordnungen, die unser Versagen kaschieren und meiden die Verantwortung für uns selbst. Wir sind unfähig, unser Glück richtig zu genießen und den psychologischen (oder auch institutionellen) Ballast abzuwerfen, der uns daran hindert, voran zu kommen. Von den sieben Todsünden bleibt hier im Grunde nur die Trägheit übrig. Spiritualität ist ein Weg, das eigene Leistungsvermögen und Wohlbefinden zu steigern. Dafür lässt man sich zumindest oberflächlich auf Religion ein, bevorzugt aber unverbindlich-individualistische Richtungen.

Orange Versionen von “Kreuzestheologie” werden folglich das “pro nobis” der Erlösungstat betonen, den Erfolg Christi gegen alle Kräfte, die Freiheit beschränken und erfülltes Leben mindern, hervorheben, seine übermenschliche Leistung hervorheben, von der wir nun profitieren – und umgekehrt das Leid wie auch den Gedanken des Scheiterns in den Augen der Welt herunterspielen. Das wird am einfachsten dadurch erreicht, dass man den unmittelbaren Nutzen des Kreuzestodes herausstellt: In Christus sind wir körperlich geheilt, der Weg zum guten Leben (Wohlstand) ist uns geebnet, als Kinder Gottes haben wir einen begründeten Anspruch (!) auf Glück, gute Energien werden freigesetzt.

Bekehrung bedeutet den Aufbruch zu neuen, größeren Abenteuern, die Verwirklichung der individuellen Berufung und geistlichen Begabung, oft auch die Gründung neuer Gemeinschaften und Projekte. Die Aufgabe des Christen ist nun, ein entsprechendes Bewusstsein zu entwickeln, das das gute Leben antizipiert (Glaube) und ihm so den Weg ebnet. Prinzipiell sind dem, der mit Gott im Bunde ist, keine Grenzen des Erfolgs gesetzt.

Stark (aber nicht immer ausschließlich) orange gefärbtes Christentum findet man im undogmatischen Individualismus der charismatischen Bewegung, bei den pragmatischen Evangelikalen wie Hybels und Warren, im evangelischen Münchenprogramm (das überholte Hierarchien verflüssigt), deutlich problematischer und unangenehmer in den verschiedenen (in ihrem Grundimpuls asozialen) Versionen des Wohlstandsevangeliums.

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