Heiße Ohren

Die heiß ersehnten Podcasts vom Wochenende mit Alan Roxburgh sind jetzt online. Die Highlights dabei waren der Samstag Nachmittag und Abend, aber natürlich lohnt sich die ganze Serie. Hier geht’s weiter.

Kleine Warnung vorweg: Alan spricht nicht gerade durch die Blume, er mag ein (seine Worte) „robust engagement“. Aber das macht er dann auch gut.

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Gestörter (Algo)rithmus?

Es wurde ja schon ab und an postuliert, die Kirchen müssten von Google lernen, wie man Erfolgsgeschichten schreibt. Das Problem dabei ist wie immer die Definition von Erfolg. In der Regel fällt hier der Begriff „Wachstum“: Gute Gemeinden wachsen, gute Christen auch. Sie werden besser, sie werden mehr.

Wachstum ist daher messbar. Es gibt Kennziffern. Google hat gerade einige beunruhigende Daten registriert. Die Belegschaft ist erstmals geschrumpft, und Top-Leute waren unter den Abgängern. Die Gefahr eines Brain Drain angesichts immer stärkerer Hierarchisierung des Großunternehmens nicht auszuschließen.

Nun hat Google eine Formel entwickelt, mit der man in einer Art Rasterfahndung unzufriedene, schlecht ausgelastete Mitarbeiter sucht. Die SZ zitiert den Personalchef Laszlo Bock, der sagt, es gehe darum, „in die Köpfe der Menschen zu kommen, bevor sie überhaupt wissen, dass sie das Unternehmen verlassen wollen.“

Und wir können nun in Ruhe darauf warten, wer den ersten quantitativen Algorithmus präsentiert, die die Abwanderung von Kirchengliedern präventiv zu erkennen hilft – bevor diese überhaupt darüber nachdenken. Nach dem Motto: Besser wir denken vor als die anderen nachdenken zu lassen. Denn wer weiß schon, auf was für Gedanken Leute so kommen?

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Neu: liberale Evangelikale :-)

In deutschen Medien sickert die Erkenntnis durch, dass „evangelikal“ nicht (mehr?) identisch ist mit der religiösen Rechten um James Dobson & Co in den USA. Das ist eine gute Nachricht, auf beiden Seiten des großen Teichs. Zwar verwechselt die SZ für mein Empfinden modern mit postmodern, aber sie schreibt abgesehen davon ganz zutreffend:

„Neue Evangelikale“ nennt man diese Gruppe in den USA. Ihre Angehörigen sind liberaler, sie kämpfen nicht mehr militant gegen Abtreibung, sondern für Umweltschutz. Vor allem aber sind sie: selbstsicher in ihrem Glauben. Sie müssen nicht mehr beschützt werden vor der Verkommenheit der Welt. Sie filtern ihre Informationen selbst, sie sind auf gottgefällige Medien nicht mehr angewiesen. Moderne evangelikale Frauen lesen Cosmopolitan und entwickeln trotzdem kein Bedürfnis nach Promiskuität. Moderne Evangelikale gucken sogar Avatar – und vergeben Hollywood, dass es offenbar nicht den gleichen Respekt vor dem Namen des Herrn hat wie sie.

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„Missional“ und doch „normal“?

Neue Schlagwörter wie „missional“ und „emergent“ (ganz zu schweigen von „postmodern“) haben eine merkwürdige Wirkung. Die einen werden neugierig, die anderen fühlen sich ausgeschlossen. Das liegt in der Natur der Sache. Wo Neues entdeckt oder entwickelt wird, da werden notwendigerweise auch neue Begriffe geprägt. Bei technischen Innovationen sind wir das gewohnt und eignen uns Begriffe wie WLAN und UMTS an. Wenn es um Kirche und Gemeinde geht, haben viele verständlicherweise die Nase voll von den neuesten Trends und betrachten den jeweils „letzten Schrei“ erst einmal mit Argwohn.

In Gesprächen kommt dann irgendwann die Frage auf: „Ich komme aus einer ganz normalen Gemeinde. Ist das auch etwas für mich?“. Ich finde die Formulierungen schon immer aufschlussreich: Am häufigsten sagen Leute „ganz normale Landeskirche“. Ich weiß schon, was damit gemeint ist, aber mir scheint trotzdem, dass dabei zwei Aspekte untergehen, die wichtig sind: Erstens sind auch landeskirchliche Parochien sehr unterschiedlich. Das einzige, was man daran als „normal“ bezeichnen kann, ist die institutionelle Grundstruktur. Und die – das ist der zweite Punkt – ist rein zahlenmäßig betrachtet eine Ausnahmeerscheinung innerhalb der globalen Christenheit, also gerade nicht „normal“, wenn man das statistisch versteht. Theologisch sowieso: Weder Kirchensteuer noch Gemeindebezirke und Beamtenrecht sind dem Neuen Testament abgeschaut.

Richtig problematisch wird dann der andere Versuch: irgendein zeitloses (in der Regel dann „biblisches“) Ideal als Norm zu formulieren – die Urgemeinde, der Jüngerkreis, die Pneumatiker in Korinth, der „fünffältige Dienst“ – das wir in Reinkultur hier wieder zu errichten hätten. Das „normale“ am Neuen Testament ist, dass jede Gemeinde ein bißchen anders aussieht. Für Theologen: Darin steckt auch die Weisheit von Minimaldefinitionen wie CA VII, dass sie nicht zuviel sagen wollen. Aber natürlich ist das keine breit entfaltete Ekklesiologie, die muss noch dazu kommen, wird sich aber in ihren Konkretionen auch ständig ändern.

Und so ist die Erkenntnis, dass keiner „normal“ ist – und damit auch keiner abnormal, also falsch – schon der erste Schritt dahin, die eigene Situation als einzigartig wahrzunehmen. Und hier sind wir mitten in der emergenten/missionalen Diskussion. Wenn es kein „Normalmodell“ mehr gibt, dem man sich einfach nur anzupassen hat, dann geht es nun um einen längeren Weg, eine kontinuierliche Suche und ein beständiges Fragen und Lernen: Was hat Gott mit der Welt vor? Was bedeutet das hier vor Ort? Welche Rolle können wir mit unseren Stärken und Grenzen darin spielen? Welche Schritte führen in diese Richtung? Wer ist noch unterwegs in diese Richtung? „Normal“ sind wir jedoch alle darin, dass wir mit einer gewissen Ratlosigkeit vor völlig neuen Fragen und Aufgaben stehen.

Einen Mann, der dieses Gespräch mit LeiterInnen und Gemeinden in vielen Ländern geführt hat und führt, haben wir für das Wochenende von 12. bis 14. März eingeladen: Alan Roxburgh. Hier geht es zum Download des Flyers. Und für alle, die gern einen Vorgeschmack hätten, hier ein Video (21:30 min) von Alan in einer Frage- und Antwortrunde, das vor einer Weile in Australien aufgenommen wurde.

Questions & Reflections on Being the Missional Church from Roxburgh Missional Network on Vimeo.

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Mittelstandskirchen

Letzte Woche habe ich einen sehr interessanten Vortrag von Michael Ramminger über Basisgemeinden in Lateinamerika gehört. Er konfrontierte uns mit der (sicher nicht neuen) Feststellung, dass die Kirchen in Deutschland Mittelstandskirchen sind.

Ich habe mich beim Zuhören gefragt: Was passiert eigentlich mit den Kirchen – mit uns Christen – wenn (wofür viele Indizien sprechen) die Mittelschicht hierzulande immer mehr verschwindet?

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Tote Tempel

Keine Ahnung, warum der Artikel über den Niedergang der US-amerikanischen Shopping Malls mit einem Werbeschild vor einem derangierten Gabäudekomplex beginnt, auf dem es um Jesus geht. Weitere Bilder gibt es auf der sehenswerten, aber momentan nicht erreichbaren Website deadmalls.com.

Nachdenklich macht allerdings die Feststellung, dass nicht nur viele Konsumtempel leer stehen und verfallen, sondern dass seit 2006 keine neue überdachte, klimatisierte Mall mehr gebaut wurde. Statt der monolithischen Klötze entstehen offene Lifestyle Center – das entspricht schon viel eher wieder einer kleinteiligen innerstädtischen Fußgängerzone.

Vielleicht ist das aber nicht nur ein Wink an die Stadtplaner, sondern auch ein Indiz dafür, dass das Konzept der Megachurch – hierzuland ohnehin nicht so erfolgreich – seine besten Tage schon gesehen hat: Der Versuch, auf der grünen Wiese neben einem großen Parkplatz alles unter ein Dach zu packen, Menschen aus einem weiten Umkreis mit hochglänzenden Angeboten und Attraktionen zu locken und so eine eigene, fromme, gar nicht so kleine Welt zu schaffen.

Je mehr Zeit Menschen in den Malls verbrachten, so dachte man, desto bessere Konsumenten würden sie schließlich. Auf Kirche umgemünzt bedeutet das, je mehr jemand an Gottesdiensten und Gruppenangeboten teilnimmt, desto besser steht es um seinen Glauben. Dachte man…

Kirchenbauten bilden übrigens laut Wikipedia schon seit der Antike die Stadt ab: Die Basilika mit ihrem Portal (als Analogie zum Stadttor), die via sacra durch das Mittelschiff führt zur Apsis, die dem Königspalast entspricht und in deren Mosaiken Christus als Weltenherrscher erscheint. Die antiken Kirche liegen noch mitten in den Stadtvierteln. Im Mittelalter prägten zunächst Burgen das Stadtbild – hohe Gebäude auf engem Raum – also bekamen auch die Kirche Türme. Aus einem Turm wurden schließlich viele, weil inzwischen die Städte gewachsen waren und ihr Bild durch viele Kirchtürme bestimmt wurde.

Ob man das nun eher positiv deuten möchte (Kirchen erinnern als Verweis auf das himmlische Jerusalem daran, dass die Stadt nicht sich selbst gehört) oder negativ (entweder als simple Anpassung oder als imperiale Geste) – die Frage nach dem Sinn und der implizit immer auch prägenden Botschaft christlicher Versammlungsräume bleibt spannend. Zum Beispiel eben auch die, ob Kirchen als unbewusstes Ebenbild des Einkaufszentrums Konsumhaltung und Kommerzialisierung fördern und Menschen aus der Verwurzelung in konkreten, nicht zwingend nur räumlich zu denkenden Nachbarschaften herauslöst. Das gilt dann vom Ansatz her schon für die kleineren Neubauten im Industriegebiet am Stadtrand, die es ja auch bei uns ganz oft gibt: Der Ort predigt mit. Er ist schon immer ein Bestandteil der jeweiligen Liturgie.

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Jetzt isses raus…

ZeitGeist 2 ist seit gestern auf dem Markt – nur Amazon muss den Status offenbar noch in „lieferbar“ ändern. Im zweiten Band wird sichtbar, was bei Emergent Deutschland und unseren Freunden in den letzten beiden Jahren weiter gegangen ist. Die Beiträge sind insgesamt noch reifer und durchdachter, und es ist alles Deutsch, nicht nur von der Sprache her…

Zum Thema „Emergenz“ habe ich ja gestern schon ein paar Gedanken gepostet. Warum wir auch dem Thema „Postmoderne“ dran bleiben müssen, dazu habe ich heute im Epilog der Dissertation von Matthias Schnell-Heisch aus dem Jahr das folgende Fazit gelesen. Er beschreibt unser Anliegen ganz treffend, finde ich:

Eine bleibende Herausforderung der Postmoderne-Diskussion besteht darin, daß in der Theologie und in den Kirchen intensiver als bisher darüber nachgedacht werden müßte, mit welchen strukturellen Veränderungen Theologie und Kirche auf die veränderten Rahmenbedingung der »Postmoderne« reagieren können. Dies erscheint besonders vor dem Hintergrund der zu beobachtenden Informatisierungs- und Globalisierungstendenzen (den Migrationsbewegungen, der zunehmenden Mediatisierung etc.) dringlich, die auch für Theologie und Kirche Herausforderungen mit sich bringen, mit denen sie bisher nicht konfrontiert waren.

In diesem Sinne: Viel Spaß beim Lesen, Diskutieren, Kritisieren, Ausprobieren und was Euch sonst noch dazu einfällt. Den Inhalt gibt es hier zu sehen.

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Leitung einer missionalen Gemeinde (2): Den Kopf frei kriegen

Ich komme zum 2. Kapitel aus Alan Roxburghs The Missional Leader: Equipping Your Church to Reach a Changing World und es geht darum, unsere Vorstellungskraft zu kultivieren.

Viele Gemeinden haben die Hoffnung verloren, dass Gottes Geist in ihnen und durch sie wirkt. Die Bibel dagegen ist voll von Geschichten, wo Gott genau die Menschen und Orte erwählt, die von allen anderen abgeschrieben werden. Wenn wir die Inkarnation ernst nehmen, müssen wir uns genau darauf einstellen. Die Autoren schreiben treffend:

In diesen Geschichten steht nichts davon, dass erst mal alle, die da nicht hingehören, aus dem Bus aussteigen und die richtigen einsteigen müssten, um Großes zu erreichen und die beste Organisation der Welt zu werden. Dieser Gott, der uns auf den Fersen ist, ruft immer die falschen Leute in einen Bus, von dem niemand damit rechnet, dass er ankommt.

Gottes Zukunft beginnt mitten unter seinem Volk, für das Ezechiel das Bild der vertrockneten Gebeine gebraucht hatte. Sie beginnt unspektakulär im Gewöhnlichen – zumindest für alle, die es nicht gewohnt sind, die Geschichte mit solchen Augen zu betrachten. Denn das Gewöhnliche ist das Geistliche, wenn und weil Gott dort wirkt.

Die Kultur einer Gemeinde muss ernst machen mit dieser Einsicht. Die Gemeinde muss aber auch verstehen, dass die Welt sich geändert hat. Menschen empfinden der Kirche gegenüber kaum noch eine Art von Bindung oder Verpflichtung und sie machen sich nicht die Mühe, kirchliche Binnensprache zu lernen. Christen fühlen sich umgekehrt immer fremder in einer Umgebung, die ihre Anschauungen und Werte nicht mehr teilt.

Also müssen Gemeinden angeleitet werden, danach zu fragen, wo und wie Gott heute wirkt und wirken möchte. Mitten in dem radikalen Wandel gilt es, vorgefasste Meinungen zurück zu lassen, keine Standardantworten auf Fragen zu geben, die keiner mehr stellt, und wieder genau hinzuhören. Kleingruppen etwa müssen aufhören, sich um die Bedürfnisse ihrer Mitglieder zu drehen, und damit anfangen, Gott und sein Reich in den Mittelpunkt zu stellen.

Gerade in Krisenzeiten wird der Ruf nach einem starken Leiter, einem Unternehmertypen, immer lauter. Er entspricht dem Mythos der heldenhaften Persönlichkeit, des großen Menschen. es geht aber nicht darum, anderen die Erleuchtung zu bringen, sondern einen Raum zu schaffen, der es den Gemeindegliedern ermöglicht, ihre Beobachtungen und Erfahrungen zu machen, mitzuteilen und zu erspüren, wohin Gottes Geist sie führt. Ein dreifaches Bewusstsein ist gefragt:

  1. Davon, was Gott im Leben der Gemeinde und ihrer Glieder wirkt
  2. Wie Gottes Wirken von dieser Gemeinde ausgehen und Kreise ziehen kann
  3. Was Gott im Umfeld der Gemeinde schon längst zu tun begonnen hat

Wenn man diesen Fragen Raum gibt, entsteht auch der Raum für Experimente. Teams bilden sich und nehmen verschiedene Aktionen in Angriff. Die Schrift wird plötzlich zur lebendigen, aufregenden Rahmengeschichte des Gemeindelebens und hört zugleich auf, ein trockenes dogmatisches Lehrbuch oder ein Katalog für persönliche Problemlösungen zu sein. Es bilden sich neue Praktiken und Gewohnheiten heraus – meditative Formen der Schriftlesung und des Betens, einfachen Lebens und der Gastfreundschaft – ohne die keine missionale Gemeinde existieren kann.

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Leitung einer missionalen Gemeinde (1)

In den nächsten Tagen werde ich hier einige Punkte aus Alan Roxburghs The Missional Leader: Equipping Your Church to Reach a Changing World zusammenfassen und wenn möglich auch kurz kommentieren. Roxburgh und Co-Autor Fred Romanuk gehen der Frage nach, wie sich bestehende Gemeinden verändern können oder auch müssen, um den Anforderungen einer neuen Zeit gerecht zu werden, und kommen im ersten Kapitel auf in sechs Hauptpunkte:

  1. Dass sich die Gesellschaft grundlegend gewandelt hat, ist vielen bewusst. Aber die Frage, was für konkrete Folgerungen daraus für das Gemeindeleben erwachsen und welche Rolle LeiterInnen dabei spielen können, ist damit noch längst nicht beantwortet.
  2. Die meisten Führungskonzepte antworten darauf, indem sie herkömmliche Modelle neu verpacken: Der Leiter als Therapeut, als Lehrer oder als Manager und Stratege, das sind nur die häufigsten. Aber eine Gemeinde ist eben keine Tagesklinik, keine Schule und keine Firma.
  3. Übersehen wird dabei, dass der Wandel in der Regel nicht kontinuierlich, sondern in vielfältigen Brüchen verläuft. Es reicht also nicht aus, die bisher vorhandenen Fertigkeiten zu optimieren, sondern es sind plötzlich ganz andere Dinge notwendig geworden, die in den konventionellen Ausbildungskonzepten in der Regel nicht vermittelt wurden.
  4. Trotz aller offensichtlicher Auflösungserscheinungen kommt es nach wie vor auf die Gemeinden an. Und nach wie vor wirkt Gottes Geist unter seinem Volk, also in den real existierenden Gemeinden.
  5. Leiter kommen sich dabei so vor, als hätten sie sich auf ein Baseballspiel vorbereitet und müssen nun Basketball spielen. Die Paradigmen und Vorstellungen davon, wie Leitung in einer Gemeinde auszusehen hat, gehen auseinander.
  6. Eine Gemeinde ist eine einzigartige Organisation, und anstatt sich die Führungskonzepte anderer Organisationen zu borgen, müssen wir unsere Vorstellungskraft mobilisieren und wie die Urchristen eigene Ansätze finden, wie Gemeinde heute „funktioniert“.

So weit für heute. Das Kapitel enthält auch eine mögliche (nicht aber die einzig mögliche) Gegenüberstellung des pastoralen und des missionalen Leitungsparadigma, die aber sehr von den amerikanischen Verhältnissen her gedacht ist. Bevor ich zum zweiten Kapitel gehe – hier ist sie.

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„Werte wählen“ – nur wie?

Die evangelische Allianz hat unter „werte-waehlen.de“ eine Internetseite erstellt mit Fragen, die Christen den Kandidaten für die Bundestagswahl stellen können. Das ist vom Ansatz her schon mal gut gedacht und wird hoffentlich auch geschehen. Und trotzdem hätte ich mir gewünscht, dass der Wertekatalog dort weniger penetranten Stallgeruch und Binnenperspektive gehabt hätte. Denn genau dies verraten die fünf Felder:

Es beginnt mit „Staat-Bürger-Medien“ – was man getrost als Reflex darauf verstehen kann, dass Evangelikale in der Öffentlichkeit – nach eigenem Dafürhalten zu Unrecht – einiges einstecken mussten und in die Fundi-Ecke gestellt wurden. Oder umgekehrt als Frage an die Politiker nach dem gesellschaftlichen Status und Schutz der eigenen (!) Bewegung.

Dann geht es weiter mit den Themen Glaube-Politik-Menschenrechte, wobei darunter hauptsächlich (insofern eine Fortsetzung von Punkt 1) Religionsfreiheit verhandelt wird. Frauenrechte etwa werden gar nicht explizit thematisiert. Weiter geht es zu den konservativen Standardthemen (3) Ehe und Familie und (4) Lebensschutz und als Punkt 5 taucht dann schließlich doch noch (als ein Punkt!) Armut und Reichtum (bei uns! – wo bleibt der Rest der Welt?) und Bewahrung der Schöpfung.

Wie soll ich es sagen… mein Verdacht ist, dass wenn Evangelikale in der ganzen Breite nur mal den Punkt 5 (Ökologie und globale wie lokale Gerechtigkeit) in seinen vielen, vielen Aspekten angehen würden, sich Fragen zu Punkt 1 und zum Teil auch 2 binnen kurzer Zeit erübrigen würden.

Vielleicht sollte mal jemand eine Website aufmachen, in der Politiker Fragen und Wünsche an Evangelikale aussprechen könnten?

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Undenkbar?

Who would have imagined, five years ago, that the best signs of life and hope would be coming out of these old Christendom churches, these hierarchies and structures that most of the new future seekers were ready to write off as irrelevant? We are at the end of a chapter in Western history when no one can predict or control what might be fermenting in the neighborhoods and communities where people are struggling to make do and God’s people are salt and light.

Alan Roxburgh von Allelon in einem spannenden Blogpost zu überraschenden Aufbrüchen in alten Kirchen, namentlich die Fresh Expressions der Anglikaner und Methodisten, und die Schwierigkeit von Prognosen auf der Grundlage dessen, was wir schon/noch wissen im „Zeitalter des Undenkbaren“ – angeregt durch ein Buch des Journalisten Joshua Cooper Ramos, das demnächst auch auf Deutsch erscheint.

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Gründerkultur – der Weg ist noch weit

Eine echte Flaute im Blick auf Unternehmensgründungen gibt es laut Zeit online derzeit in Deutschland. Was für die Wirtschaft gilt, stimmt durchaus auch im Blick auf die Kirchen: Neugründungen von „Profilgemeinden“ sind inzwischen in der EKD zwar denkbar, aber es gibt kaum einen Ort, wo intensiv darüber beraten wird, wie man Gründer systematisch fördert und begleitet.

Gut, was noch nicht ist, kann ja noch werden. Vielleicht hilft im Bereich der Landeskirchen ja diese Tagung der AMD mit dem für Frost- und Hirschgeprägte Ohren unglückliche Titel „ecclesia attractiva“.

Die Zeit nennt folgende Hindernisse dafür, dass Deutschland beim Gründen hinterher hinkt:

  • mangelnde Risikobereitschaft (man zieht die sichere unselbständige Existenz vor),
  • vergleichsweise hohe Angst vor dem Scheitern,
  • kein Zutrauen in eigene Ideen, und nicht zuletzt
  • ein Ausbildungssystem, das Gründungen nicht im Blick hat.

PS: Kann jemand den Artikel mal an die theologischen Fakultäten und Ausbildungsreferenten, Bischöfe und Synodalpräsidenten schicken?

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Christen in der Krise

Tom Sine fragt im Leadership Journal, ob unsere Gemeinden auf eine Rezession eingestellt sind. Natürlich lässt sich nicht alles 1:1 in den deutschen Kontext übertragen, wir hatten zum Beispiel bisher weniger Probleme mit einer „survivalist mentality“. Um die Jahrtausendwende seien viele Christen der Angstmache auf dem Leim gegangen und hätten sich mit Waffen und Trockenfutter in irgendwelche Berghütten geflüchtet, statt daheim zu bleiben und sich um ihre Nachbarn zu kümmern. Seit Katrina aber haben die Gemeinden dazu gelernt.

Ob es nun die Wirtschaft ist, ein Amoklauf oder eine Naturkatastrophe, ich denke, Sines Appell, eine Art Katastrophenplan (klingt schon schrecklich, ich weiß) aufzustellen, verdient auch bei uns Gehör. Er nennt dazu sechs Punkte:

  1. Rechtzeitig planen
  2. Eine Koordinierungsstelle einrichten
  3. Sich mit anderen Organisationen abstimmen und vernetzen
  4. Die eigene Gemeinde gut kennen (Stärken, Schwächen, Ressourcen, Nöte)
  5. Die Lage am Ort gut kennen
  6. Freiwillige trainieren, wie sei Familien während einer Krise helfen und sie an die richtigen Stellen weiter vermitteln können

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Tauwetter im Westen

Melissa Etheridges Musik habe ich immer gern gehört. Aber auch ihr Engagement für Frauen und Homosexuelle ist weithin bekannt. Nun habe ich auf Brian McLarens Blog diesen Link zu einem Bericht gefunden, wo sie eine Begegnung mit Rick Warren beschreibt, der ja durch seine Mitwirkung an Barack Obamas Amtseinführung nächste Woche für Schlagzeilen gesorgt hat. Hier beschreibt sie, was ihre Befürchtungen waren, als sie zum ersten Mal von Warren hörte:

This Pastor Rick must surely be one hate spouting, money grabbing, bad hair televangelist like all the others. He probably has his own gay little secret bathroom stall somewhere, you know. One more hater working up his congregation to hate the gays, comparing us to pedophiles and those who commit incest, blah blah blah. Same ‚ole thing.

Dann erfuhr sie, dass sie auf der Veranstaltung (einer islamischen Organisation!) auftreten sollte und Rick Warren der Gastredner war. Sie entschloss sich, ihn anzurufen. Es stellte sich heraus, dass er fast alles ihre CDs hatte. Viel wichtiger aber war dies:

He said he regretted his choice of words in his video message to his congregation about proposition 8 when he mentioned pedophiles and those who commit incest. He said that in no way, is that how he thought about gays. He invited me to his church, I invited him to my home to meet my wife and kids. He told me of his wife’s struggle with breast cancer just a year before mine. When we met later that night, he entered the room with open arms and an open heart. We agreed to build bridges to the future.

Eine Entschuldigung zur rechten Zeit – und Melissa Etheridge schließt mit einem Appell, den man sich von allen gesellschaftlichen Gruppen nur wünschen kann:

Sure, there are plenty of hateful people who will always hold on to their bigotry like a child to a blanket. But there are also good people out there, Christian and otherwise that are beginning to listen. They don’t hate us, they fear change. Maybe in our anger, as we consider marches and boycotts, perhaps we can consider stretching out our hands. Maybe instead of marching on his church, we can show up en mass and volunteer for one of the many organizations affiliated with his church that work for HIV/AIDS causes all around the world.

Maybe if they get to know us, they wont fear us. I know, call me a dreamer, but I feel a new era is upon us.

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