Anregende Unterhaltung

Der November hat ob der Rekordtemperaturen Schuldkomplexe bekommen und sich hinter zähem Hochnebel verbarrikadiert. Ich habe mich die längste Zeit des Tages mit Kopfschmerz herumgeplagt und der Perspektive, dass es noch fast vier Wochen lang immer dunkler wird. Der verschwand schließlich über einer Tasse Kaffee mit Avi und Ruth Snyder von Juden für Jesus, die auf dem Rückweg von Nürnberg nach Essen vorbeikamen. Avi hat mich an Alan Hirsch erinnert. Er ist ein paar Jahre älter und noch ein paar Zentimeter kürzer und die dunklen Augen funkeln noch einen Tick lebhafter. Avi ist mehr der Evangelist und Praktiker, und er kommt ohne alle Umschweife zum Punkt.

Wir haben uns auch ein wenig über die heiklen Themen unterhalten, mit denen man immer wieder zu tun bekommt (“biblisch” motivierter frommer Zionismus, Endzeit-Ideologien oder die Frage, ob der Schlüssel zur Zukunft in stellvertretender Buße für die Vergangenheit zu suchen sei – und wenn ja, warum Jesus dazu keinen Piep gesagt hat…). Aber es hat mich auch wieder an Newbigins “Logik der Erwählung” erinnert, mit diesem charakteristischen Ping-Pong zwischen Juden und Heidenvölkern, in der das Evangelium seinen Lauf nimmt. Und an alles, was ich von Buber und N.T. Wright über jüdisches Denken in den letzten Jahren gelernt und dabei mächtig profitiert habe.

Bei allen Kontroversen, die diese Arbeit im Judentum und den Kirchen und dem mühsam austarierten Miteinander auslöst: Jenseits aller Stilfragen bleibt Jesus und das Evangelium eine Provokation für beide Seiten. Gut, dass jemand dafür sorgt, dass wir sie nicht wegbügeln.

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Nachts sind (fast) alle Londoner schwarz

Es war mal eine ganz andere Stadtansicht: Als ich heute morgen um 4.00 Uhr von Kensington gen Stansted aufbrach, sah ich fast ausnahmslos schwarze Gesichter auf der Reise. Erst im Flughafen selbst dann wieder die gewohnte Mischung. Die paar “Bleichgesichter”, die so früh auf sind (viele können es nicht sein) sitzen in den PKWs.

Auf der Straße und im Bus sind die unterwegs, die Schicht arbeiten, vor allem im öffentlichen Dienst und Transportwesen – also nicht die Millionäre, zu denen angeblich jeder zwanzigste in der Londoner Klassengesellschaft gehört. Irgendwer muss ja auch die paar Kilometer Luxusappartments zwischen Tower und Canary Wharf bezahlen…

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London-Impressionen II: Saddams Swimmingpool

Canon Andrew White anglikanischer Pfarrer berichtet aus seinem Alltag in Bagdad. White war sieben Jahre Leiter des International Center for Reconciliation in Coventry und arbeitet heute für Versöhnung im Nahen Osten. Er leidet an MS und musste vor einer Weile sein Haus am Tigrisufer verlassen, weil er unter Beschuss war. Elf seiner Mitarbeiter kamen im letzten Jahr ums Leben. Ein ganzes Team, das nach Jordanien gereist war, kam nicht mehr zurück. Die Bedingungen sind, vorsichtig gesagt, schwierig. Um ans andere Ende des vielleicht gefährlichsten Pfarrbezirks der Welt zu kommen, muss er im Hubschrauber fliegen und kugelsichere Kleidung und einen Helm tragen. Wer zum arabischen Gottesdienst (im Regierungsgebäude des schiitischen Premierministers) kommen will, braucht drei Stunden, um die Sicherheitskontrollen zu passieren.

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Aber es gibt auch die andere Seite: Mitten in allem Chaos finden in den Alpha Kursen, die auf englisch, spanisch und arabisch stattfinden, Dutzende Menschen zum Glauben und damit zu einer lebendigen Hoffnung. An Ostern wurden mehrere Menschen im Swimmingpool von Saddam Husseins Residenz getauft (darunter, wenn ich es richtig verstanden habe, auch ein General); der Kurs fand in den Räumen statt, wo sich Saddams Kabinett traf. Und es gibt immer wieder überraschende Gebetserhörungen. Wer mehr wissen will, kann das Buch lesen, das 2005/2006 den Preis für das beste christliche Buch abgeräumt hat.


“Iraq: Searching for Hope” (Canon Andrew White)

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London-Impressionen: Eichhörnchen und Schlangenpsychologie

Es scheint beim Fliegen feste Rituale zu geben. Etwas dies, dass vor dem Abflug alle aus ihren Sitzen hochschießen, so bald die Durchsage kommt, dass der Einsteigevorgang nun beginnt. Dann stehen die Leute mit scharrenden Füßen in einer langen Schlange an der Bordkartenkontrolle. Als gäbe es etwas umsonst, aber nicht genug für alle (etwa die besten Plätze), oder als könne man den Flug jetzt noch verpassen.

Die ersten aus der Schlange dürfen zur Belohnung länger im kalten Bus warten, der sich langsam füllt, und sind dafür beim Aussteigen aus dem Bus die letzten. Taktisch gesehen eine Meisterleistung. Vermutlich sind das aber dieselben, die nach der Landung klatschen (ja, die gab’s heute) um gleich danach kollektiv aufzuspringen und sich in den Gang zu drängeln (so als ob sie deswegen schneller raus dürften), statt die Zeitung zu Ende zu lesen und dann in Ruhe und ohne Drängelei den Flieger zu verlassen. Zwischendrin ein korpulenter Althippie, der sich, als alles längst in Bewegung ist, zwei Minuten in den Gang stellt, seine Sachen anzieht und sein Handgepäck zusammensucht.

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London

Morgen geht es für zwei Tage und zwei Nächte nach London. Bei Alpha International kommen Leute aus Europa, Afrika und dem Nahen Osten zusammen. Immer eine sehr interessante Zeit, aber auch stressig wegen des vollen Programms und der vielen Leute.

Wenn ich mich mal nach nebenan ins naturgeschichtliche Museum (mit gutem Capuccino und WiFi) abseilen kann, gibt es das eine oder andere Schlaglicht auf diesem Blog. Jetzt muss ich erst mal die Fläschchen und Tuben für die Reise richtig packen…

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Dressiert

Ich glaube, unser Meerschwein hat es geschafft, meinen Sohn zu dressieren. Seit einer Weile fiept es mehrmals täglich so dramatisch, als wäre es kurz vor dem Hungertod. Wenn sein zart besaiteter Versorger in Hörweite ist, flitzt er sofort los und bringt dem Tierchen etwas zu fressen und/oder zu trinken. Wenn er nichts findet, bekommt er die Krise.

So langsam habe ich das Gefühl, das funktioniert nun so gut, dass der verfressene kleine Nager seinen Spaß dran findet. Ok, Spaß ist vielleicht etwas sehr menschlich geredet. Sagen wir, die beiden sind ein eingespieltes Team. Und es ist nicht immer klar, wer den Ton angibt. Obwohl, wenn wir von Ton reden, dann ist es doch eindeutig 🙂

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trübe Aussichten

verheißt ein Blick aufs Wetter – vor dem Fenster und auf dem Bildschirm. Seit der Umstellung auf Winterzeit und dem früheren Einbruch der Dunkelheit (Sonnenuntergang heute 16.37 Uhr und die nächsten 6 Wochen weiter sinkend…) merke ich, wie mir die Bewegung fehlt und die Dunkelheit auf die Stimmung drückt.

Was tun? Schokolade essen als Stimmungsaufheller wäre das falsche Rezept. Die Stirnlampe zum abendlichen Joggen herauskramen? Vielleicht schon eher.

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Klartext

Ich hatte heute ein viel zu kurzes, aber tiefes und gutes Gespräch mit jemandem, der mir eine Reihe herausfordernder, wichtiger und guter Fragen gestellt hatte – und das alles auch noch sehr leidenschaftlich. Es gab also eine Menge, worüber wir uns verständigen mussten.

Am Ende unserer intensiven Unterhaltung sahen wir uns in die Augen und er sagte zu Abschied: “Ich weiß jetzt, dass ich mit Dir Klartext reden kann.” Ich bin danach ganz fröhlich nach Hause zurückgekommen. Denn wenn wir Klartext mit einander reden können, dann können wir es zusammen auch weit bringen. Und nur dann, scheint mir. Doch unter dem Strick setzen Klartext-Gespräche mehr Energie frei, als sie kosten. Wir werden weiter reden.

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Twenty years ago today…

… war ich in Amsterdam zu einer YWAM DTS, noch zu Floyd McClungs Zeiten. Es war der definitive Abschied von Zuhause gewesen und ich kannte niemanden dort. Das änderte sich zwar schnell und nicht nur die Leute in meiner Schule, auch die über 200 Mitarbeiter auf der riesigen internationalen Base waren ein Erlebnis.

Ein absolutes Highlight war der Besuch von Loren Cunningham, der eines Abends in einer Predigt sagte, er erwarte dass Gott den eisernen Vorhang wegnehmen würde. Ich hielt ihn für einen etwas überspannten Amerikaner und fand, als Deutscher hätte ich eine realistischere Vorstellung von diesen Dingen. Peinlich: Drei Jahre später atmeten wir Trabi-Abgase und ich sah, roch und fühlte, er hatte Recht behalten.

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Führungskräfte

Neulich habe ich mich mit einem Manager unterhalten. Er berichtete, dass er mitbekommen hatte, wie ein an Aufstieg (oder war es Position?) interessierter Mitarbeiter, der sich unbeobachtet wähnte, eine Mitarbeiterin völlig unnötig herablassend und barsch behandelt hatte. In seinen Augen war der Mann für Führungsaufgaben damit disqualifiziert.

Die Klarheit, in der er das formulierte, fand ich bemerkenswert. Wer würde nicht gern in einem Unternehmen arbeiten, wo die “Chefs” aus Prinzip (und nicht nur wenn es ihnen nützt) höflich und freundlich sind? Und wie wäre es, wenn wir diesbezüglich unsere Maßstäbe in christlichen Gemeinden da auch etwas nachjustieren, ohne dabei süßlich und gekünstelt zu werden?

Klar, in einer Familie redet man auch mal unverblümt, aber es muss ja nicht verletzend sein. Aber wie die Familie wäre auch eine Gemeinde ein tolles Übungsfeld für Dinge, die man überall im Leben gut brauchen kann.

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Die Klappe halten

Letzten Wochenende habe ich ein Fußballspiel meines Sohnes als Zuschauer verfolgt. Sie haben mit etwas Dusel gewonnen, aber das macht Bayern München ja auch. Nur schade, dass der Siegtreffer nicht als Wiederholung gezeigt wird…

Ich finde die anderen Eltern manchmal interessanter als das Spiel. Bei der Gastmannschaft war es diesmal so, dass der Trainer unten am Spielfeldrand stand und dezente Anweisungen an seine Schützlinge ausgab, die leider nicht den gewünschten Erfolg hatten. Dafür schrie ein Vater oben von der Tribüne p-a-u-s-e-n-l-o-s seine Kommandos über den Platz. Nicht nur an den eigenen Junior, sondern auch an andere kleine Kicker.

Meine Vermutung ist, dass die Jungs auf dem Platz gar nicht hören, was da einer schreit. Für die übrigen Eltern wäre es daher netter, wenn die Äußerungen dezenter ausfielen – wenigstens von der Lautstärke her. Torjubel und Applaus ausgenommen. Ich vermute weiter, der Trainer hätte auch nichts dagegen. Fast wäre ich hingegangen und hätte es unserem Alleinunterhalter gesagt. Aber dann dachte ich mir: einer muss es schaffen, hier mal die Klappe zu halten. Warum nicht ich?

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Kleine Fehler bestraft Google sofort…

Mit einem Schreibfehler ist mir gelungen, wovon so mancher träumt: Mein Blog hat es bei Google auf die Position Nr. 1 zum Thema “Präkariat” geschafft. Zwar hat ein anderer Blogger die falsche Schreibweise (klar – kommt von prekär) umgehend gerügt und ich brav den Fauxpas behoben, aber zu spät.

Seither erfreut sich ausgerechnet dieser Eintrag großer Popularität. Dabei habe ich viel bessere und originellere Gedanken an anderen Stellen…

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Fragen über Fragen

Das Wochenende mit Jason Clark liegt hinter uns, und vor uns die Suche nach unserer gemeinsamen Antwort auf eine ganze Reihe wichtiger Fragen. Jason hat sie in einer sehr guten, besonnenen, humorvollen und anregenden Art gestellt und dabei einiges angeschnitten, was unsere aktuelle Situation gut trifft und vielleicht auch erhellt.

Heute morgen (Jason war schon wieder daheim) haben wir die Sachen noch einmal zusammengetragen. Die keineswegs vollständige Liste umfasst Themen wie:

  • Wie können wir das Evangelium so erzählen, dass es nicht so verengt und einseitig unter den missverständlichen und für viele Menschen abstoßend wirkenden Vorzeichen von Schuld, Zorn und Strafe erscheint?
  • Wie leben wir eine überzeugenden Gegenentwurf zur materialistischen und hedonistischen Konsumkultur unserer Gesellschaft, die das eigene individuelle Glücksempfinden an die oberste Stelle setzt und eine immense Anspruchshaltung entwickelt?
  • Wie leben wir als Gemeinde Nachfolge Christi so, dass es nicht exklusiv ist und strikt trennt zwischen denen “drinnen” und denen “draußen”, sondern dass Menschen daran teilnehmen können, auch wenn sie noch auf dem Weg zu Glauben sind?
  • Wie helfen wir als gute und respektvolle Zuhörer Menschen, die dem Glauben oder dem organisierten Christentum distanziert gegenüberstehen, Gottes Spuren und das Wirken des Heiligen Geistes in ihrem Leben zu entdecken?
  • Wie können wir anderen Menschen gemeinsam dienen (und das weder als evangelistischen “Köder” verwenden noch dabei verschämt verschweigen, was uns eigentlich dazu bewegt und motiviert)?
  • Wie finden wir ein gesundes Gleichgewicht zwischen diesem Dienst nach außen und dem gemeinsamen Lernen und Wachsen in den Beziehungen zu einander?

Sieht so aus als liegen ereignisreiche Tage vor uns.

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Beschneidung

Wir haben zwei Apfelbäume. Im Winter hat Martina den einen sachte und den anderen ziemlich rabiat zurückgeschnitten. Der erste ist riesig uns sehr ansehnlich gewachsen, hat aber nur zwei Äpfel getragen. Der andere war ganz und gar voller Früchte. Es hat mich daran erinnert, dass ein Baum “denkt”, dass er angegriffen und existenziell bedroht wird und daher alle Kraft in die Frucht (d.h. einen neuen Baum!) steckt.

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Die letzten Monate habe ich mich manchmal wie der zweite Apfelbaum gefühlt (Ich bin gar nicht sicher, ob das überhaupt je völlig vorbei geht). Von manchen Dingen war ich wie abgeschnitten. Manchmal dachte ich, diesen schmerzlichen Verlust oder jene ernüchternde Einsicht über mich selber könnte ich nicht als glücklicher Mensch überleben, weil es scheinbar an die Substanz ging. Langsam fällt der Groschen im Herzen (es ist ja keine Frage der Theorie): Nämlich dass es nicht darum geht, selber groß und ansehnlich zu werden, sondern Früchte zu tragen, die mich vielleicht noch weit überdauern. Wie es aussieht, brauchen die noch eine Weile.

Liebe Freunde erzählen mir das immer wieder mal, wenn ich niedergeschlagen bin. Aber die beiden Bäume haben mir ein Bild dazu gegeben – und einen Geschmack, denn die Äpfel waren viel besser als alles, was der Supermarkt hergibt. Jetzt halte ich mir dieses Bild vor Augen. Nebenbei: Heute habe ich das Periodical des IGW zum Thema “Leiden” überflogen und viele gute Gedankenanstöße drin gefunden. Danke an Mike und die Autoren!

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