Ziemlich verzweckte Sache

Ein Dozent berichtete vor kurzem, er habe in einem Seminar mit BWL-Studenten gefragt, was der Zweck eines Unternehmens sei. 90% antworteten „Geld verdienen“. Er sei versucht gewesen, „setzen, Sechs.“ zu antworten, habe dann aber etwas behutsamer erklärt, dass Gewinne zwar zum Überleben des Unternehmens wichtig seien, aber eben kein Selbstzweck. Dass auch die meisten Bosse das nicht verstanden haben, ist eine der Ursachen für so manches Problem heute.

Beim Gespräch über den „Zweck“ von Kirche bzw. einer Gemeinde passiert hin und wieder jedenfalls etwas Analoges: Sie sei dazu da, zu wachsen, sagen einige. Und machen denselben Fehler: Freilich ist ein gewisses Wachstum nötig, um die Aufgaben erfüllen zu können, die der Kirche gestellt sind. Aber Wachstum als Selbstzweck wäre ein großes Missverständnis. Ist das Ziel Gottes etwa eine Verkirchlichung der Welt?

Eine andere Unterhaltung führte neulich in eine ähnliche Richtung. Da ging es um eine Gemeinde, die sich ausgesprochen jungdynamisch präsentiert und damit auch viele junge Christen aus anderen, „älteren“ Gemeinden anzieht. Meine Gesprächspartnerin meinte, ob die bestehenden Gemeinden nicht mit der neuen kooperieren sollten. Theoretisch wäre das eine gute Idee, es würden sich bestimmt Win-win-Lösungen finden lassen. Mein Eindruck war, dass die Partnerschaft deswegen scheitern würde, weil die eine Seite nichts Größeres kennt als den eigenen Erfolg. Statt selbstlosem Verhalten und echter Kooperation schien es mir dort eher einen dezent mitleidigen Blick auf jene zu geben, die es halt nicht so drauf haben wie man selbst.

Vielleicht ist es ja auch nur eine Art naiv-frommes „Mia san mia“. Aber selbst das passt besser in die Bundesliga als dass es zum Selbstverständnis einer christlichen Gemeinschaft taugt. In dem Moment, wo sich irgendeine Organisation als Selbstzweck definiert, verhält sie sich ihrer Umgebung gegenüber parasitär. Denn selbst der gesündeste Organismus wächst nicht grenzenlos vor sich hin. Und wenn Zellen im Körper nichts anderes mehr im Sinn haben, als möglichst schnell zu wachsen, dann ist das ein Tumor.

Freilich kann man als Vertreter einer solch selbstgenügsamen Gemeinde (die übrigens weder jung noch neu sein muss…) einwenden, man biete doch den Menschen etwas, die in die Gottesdienste kommen. Sie begegnen Gott und erleben vielleicht auch in dieser oder jenen Form Heilung und positive Veränderung und überhaupt zähle das ewige Heil mehr als jeder Nutzen für die Gesellschaft. Vielleicht sieht man sich auch als moralisches Leuchtfeuer in einer korrupten Welt. Vielleicht ja sogar mit einem gewissen Recht. Und doch greifen diese Rechtfertigungen noch zu kurz. Die Ermahnung des Jeremia, der Stadt (wir reden heute von „Gesellschaft“) Bestes zu suchen und Jesu Wort aus der Bergpredigt vom Salz und Licht weisen in eine andere Richtung. Von den eigenen Leuten mal abgesehen: Wer würde unsere Gemeinde eigentlich vermissen, wenn es sie nicht mehr gäbe?

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Das beste theologische Buch?

N.T. Wright wurde kürzlich gefragt, welches das beste theologische Buch ist, das er gelesen hat. Hier ist seine Antwort, und ich kann sie wirklich gut nachvollziehen:

The best theological book I’ve read in the last 20 years is without doubt Exclusion and Embrace by Miroslav Volf. He takes on some of the major issues in our society and culture and wrestles with them from a deeply Christian perspective. It’s a work of great maturity and wisdom.

Exclusion and Embrace erscheint unter dem Titel „Von der Ausgrenzung zur Umarmung“ im Herbst im Francke-Verlag.

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Die Ergründung des Unergründlichen

Am Wochenende habe ich in der SZ den Artikel Höher als Gott. Die Ketzerei des Fundamentalismus von Matthias Drobinski gelesen. Er habt sich in mehrfacher Hinsicht sehr positiv von vielem ab, was zu dem Begriff sonst oft in unseren Medien so gesagt wird. Drobinski gelingt es, das Phänomen Fundamentalismus als ein typisch modernes zu erfassen und so differenziert zu beschreiben, dass er dabei weder verharmlost noch karikiert, dramatisiert oder diffamiert. Einzig zu den Pfingstkirchen fehlt ein Hinweis, dass es auch dort natürlich beides gibt: fundamentalistische und nichtfundamentalistische Denker.

Ich bin offensichtlich nicht der einzige, den das Thema bewegt hat. Auf die Gefahr hin, hier der „Lobhudelei“ verdächtigt zu werden, möchte ich kurz ein paar Punkte antippen, die die weitere öffentliche Debatte befruchten könnten (und hoffentlich auch werden). Fundamentalismus ist für Drobinski ein typisch modernes Phänomen, von dem man sich gar nicht so leicht überheblich distanzieren kann:

Fundamentalismus ist modern. Er ist ohne die Moderne nicht vorstellbar und die Moderne nicht ohne ihn. Er wohnt in uns Individualisten, weil er eine höchst individuelle Angelegenheit ist. Wir tragen ihn in uns, unauslöschlich, als abgründigen Teil der eigenen Freiheitsgeschichte, deren anderer Abgrund die Auflösung aller Grundsätze in endgültiger Vorläufigkeit ist.

Er ist uns eigentümlich vertraut, umso mehr, je mehr wir unsere eigenen Götter erschaffen. Denn das tut der Fundamentalismus auch. Und manchmal ist er dabei intelligenter als die durchschnittlich bornierte Alles-egal-Liberalität.

Das Moderne liegt auch darin, dass man versucht, die Ambivalenzen des geistlichen, gemeindlichen und alltäglichen Lebens aufzulösen, indem man auf eine Klarheit und Eindeutigkeit drängt, die in dieser Radikalität neu war:

Man kann sie sich kaum unterschiedlicher vorstellen, die amerikanischen Erweckungsprediger, jüdischen Heiliglandträumer, Islamisten. Und doch einte sie viel: Sie heiligten die Schrift. Sie teilten die Welt in Gut und Böse ein, sie verachteten das Unentschiedene des Liberalismus. Sie waren antistaatlich und antiinstitutionell, setzten auf die kleine Gruppe, die persönliche Erfahrung, die radikale Entscheidung. Sie gaben vor, das Ursprüngliche wieder zur Geltung bringen zu wollen – und brachen doch radikal mit den Traditionen ihrer Religionen.

Während die Aufklärung diese Ambiguität zum Anlass nahm, eine Abkehr vom Dogma zu fordern, schlugen die Fundamentalisten den entgegengesetzten Weg ein. Ähnlich den eifernden Reformpäpsten vor 1.000 Jahren wollen sie das Leben einem möglichst absoluten Dogma unterwerfen, in dem ein Gott sich restlos entschlüsselt hat, dessen größte Abneigung den Unentschlossenen gilt. Das zwingt sie zum Ausschluss alles Fremden im Namen der Reinheit:

Es gewinnt, wer sich abgrenzt, weltweit. In Afrika, Lateinamerika und den Ländern Asiens ist das so – weil Abgrenzung und Profilschärfe im Kampf der Religionen um Menschen, Einfluss und geistige Ressourcen die größte Durchschlagskraft erzielen. Im reichen Westen ist das so – weil untergeht, wer sich nicht unterscheidet.

Dieser Zwang zur Häresie, wie es bei Peter L. Berger heißt, oder die „Individualismusfalle“, wie Drobinski es nennt, äußert sich immer öfter auch als „Lebensabschnitts-Fundamentalismus“ einseitiger Bewegungen, die gar nicht unbedingt religiös sein müssen, so lange sie nur radikal sind. Was er aber nicht leisten kann und will, ist die Integration einer pluralen Gesellschaft und ihrer Spannungen und Gegensätze. Fundamentalismus polarisiert auf Kosten der Gemeinsamkeit, und in dieser Hinsicht ist er gesellschaftlich gesehen parasitär und destruktiv. Wer nicht mitmacht, gerät in einen doppelten Zwang zur Rechtfertigung.

Grund zur Hoffnung sieht Drobinski nicht in gesellschaftlichen Mechanismen – die scheinen den Fundamentalisten eher in die Hände zu spielen. Er sieht sie aber im Zentrum des christlichen Glaubens begründet, in der Auferstehung:

Der lebendige Gott, überhaupt jedes lebende Sinngebäude, lebt vom Fremden, davon, dass es unergründlich bleibt, weil das Leben unergründlich und nicht steuerbar ist – nur so kann es lebendig sein, traurig und glücklich, leidvoll und lustig. Ein ausgedeuteter, berechenbarer Gott ist tot, ein Untoter bestenfalls, der sein bisschen Lebenskraft aus denen saugt, die ihm zu Diensten sind. Und das ist ja die Osterhoffnung, die die Christen über die eigene Religion hinaus der Welt verkünden: Das Leben siegt.

Für den Bereich des Islam hat übrigens gestern der Islamwissenschaftler Muhammad Sameer Murtaza in der Zeit einen Aufruf zum Widerstand gegen den Säuberungswahn der Wahabiten veröffentlicht. Beten wir dafür, dass er gehört und beherzigt wird!

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Scham – gestern und heute

Ich arbeite heute unter anderem an einer Kreuzwegstation, wo Jesus die Kleider genommen werden. Die Soldaten würfeln um das Obergewand. Der Delinquent ist völlig nackt bei der Hinrichtung (kaum ein Kruzifix bildet das ab…). Zum Schmerz kommt die Demütigung.

Vorgestern schrieb Tanja Stelzet in der Zeit über die neuen Nackten – warum selbst bekannte und erfolgreiche Frauen sich für ein Playboy-Shooting ausziehen, und was das mit Emanzipation und Selbstbewusstsein zu tun haben könnte. Dabei stellt sie sehr treffend fest, was sich in den letzten Jahren geändert hat:

Man muss ein ausgeprägtes Selbstwertgefühl haben, um gegenüber einer solchen Schmeichelei [des Playboy-Chefredakteurs] immun zu sein. Sehr viel im Kopf. Oder ein verdammt antiquiertes Schamgefühl. Denn heute schämt man sich nicht mehr dafür, nackt zu sein. Man schämt sich dafür, kein Geld zu haben. Oder nackt mies auszusehen.

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Warum Ostern nichts für jeden ist

Gegen eine triumphalistische oder anderweitige Versüßlichung des Osterfestes und die Entkoppelung von Osterfreude, Trauer und Hoffnungslosigkeit (die dann einfach verharmlost oder übersprungen werden) hilft dieser „attestamentliche“ Denkanstoß von Bonhoeffer, der in diesen Tagen wieder aktuell ist. Der Tod ist für ihn nicht einfach nur die Drehtür ins nächste Leben, als die er hin und wieder dargestellt wird. Und das Jenseits ist nicht das „Eigentliche“, dem gegenüber diese Welt nichts mehr zählt:

Nur wenn man das Leben und die Erde so liebt, dass mit ihr alles verloren und zu Ende zu sein scheint, darf man an die Auferstehung der Toten und eine neue Welt glauben.

Dietrich Bonhoeffer in Widerstand und Ergebung


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Teurer Sprit

Alle Welt diskutiert in diesen Tagen über hohe Spritpreise und wie denen beizukommen ist. Gestern Abend kam ich auf folgende Idee: Früher musste der Tankwart bei Wind und Wetter unter Lebensgefahr auf eine Leiter steigen und die Preisschilder von Hand umhängen – oder eben nicht. Kein Wunder, dass Benzin damals günstig war!

Heute tippt er im Warmen ein paar Ziffern ein und schwupp wird der Sprit teurer. Das geht sogar dann, wenn der Andrang bei günstigen Preisen mal hoch ist und er nicht da hochturnen kann, um sie zu erhöhen.

Also verbieten wir doch einfach elektronische Anzeigen an Tankstellen. Wenn erst der Pächter klettern muss bevor die Preise klettern können, vielleicht hilft’s ja was?

(Im Ernst: Die Preise sind noch längst nicht hoch genug, um die Fahrgewohnheiten der Deutschen zu ändern und die fatale Liebe zu wuchtigen Spritfressern und unsinnig starken Motoren erkalten zu lassen. Wie wäre Benzinfasten in der Karwoche? Oder während der gesamten Passionszeit?)

Nachtrag: Eben lese ich diese Meldung auf heute.de zum gleichen Thema

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