Spannende Langeweile

Vor ein paar Wochen auf den Konfirmandenfreizeit gab es einen „langweiligen Abend“ – als Programm. Die Aufgabe war, möglichst gelangweilt langweilige Dinge zu tun und dabei auf keinen Fall zu lachen. Wer trotzdem und vorschriftswidrig lachte, musste eine Papiertüte über den Kopf ziehen.

Eine Möglichkeit, sich zu langweilen, bestand darin, dass wir das regionale Telefonbuch (Oberfranken in diesem Fall) herumliegen hatten und jeder konnte darin blättern. Ich griff mir also das Buch und konzentrierte mich auf den Inhalt, um ja nicht lachen zu müssen. Und plötzlich war ich zum Erstaunen aller anderen total versunken in dieses Telefonbuch. Ich las und blätterte und las und blätterte und dachte nach und las weiter.

Was war geschehen? Ich hatte das Dorf gefunden, in dem ich meine Kindheit verbracht hatte. Und dann fand ich einen bekannten Namen, einen zweiten, ich hatte plötzlich Gesichter vor Augen, Geschichten tauchten auf aus der Erinnerung. Wer heute wohl noch dort wohnte und wohin es wohl den Rest verschlagen hatte? Wie würden die alten Freunde heute wohl aussehen? Was ist aus ihnen geworden? Ob sie Kinder haben?

Dieses Telefonbuch wurde ganz überraschend zum Spiegel meiner eigenen Geschichte und zum Sprungbrett für eine innere Reise in die Vergangenheit und zurück. Es dauerte eine Weile, bis ich mich wieder davon losriss.

Ok, manch einer ahnt die Pointe schon: In der Bibel gibt es Stellen, die lesen sich ungefähr so spannend wie ein Telefonbuch. Zum Glück gibt es auch viele sehr spannende Geschichten. Aber selbst die Telefonbuch-Passagen können urplötzlich eine Faszination entwickeln, wenn wir entdecken, was das mit uns und unserer Geschichte zu tun hat. In Bezug auf die große Geschichte, die uns die biblischen Bücher erzählen, ist das natürlich noch leichter.

In dem Moment, wo ich erkenne, dass diese ganze Story meine Story ist, und dass die großen Fragen meines Lebens (wer bin ich, woher komme ich, wohin gehe ich, worum geht es im Leben?) im Licht dieser Geschichte neu gestellt und anders beantwortet werden können, da ist Schluss mit Langeweile und die Aha-Erlebnisse fangen an. Nicht jedes Mal, wenn ich in der Bibel lese. Aber je mehr alte Freunde mir darin begegnen, desto interessanter wird es. Und es wird nicht einmal langweilig sein, diese Geschichten wieder und wieder zu hören. Alte Freunde können es unermüdlich tun und jedes Mal wird nicht nur ein Stück Vergangenheit lebendig, sondern es strahlt auch auf die Gegenwart aus.

Gottes Geschichte mit uns ist noch nicht zu Ende. Aber das Blättern in den früheren Kapiteln schärft den Blick für das Ziel und die alltäglichen kleinen Schritte in diese Richtung.

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Das sollte ein richtig guter Blogpost werden…

… ich hatte auch schon alles ganz klar im Kopf. Statt es sofort aufzuschreiben, bin ich ins Büro geradelt, habe mich dort verleiten lassen, noch schnell eine e-Mail zu beantworten. Dann folgte eine Besprechung, und nun habe ich keine Ahnung mehr, was ich schreiben wollte.

War wohl nicht so wichtig, denkt jetzt der eine oder andere. Andererseits: Schön wär’s, wenn man immer nur unwichtige Dinge vergäße…

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Mission – aber wie?

Die SZ hat (wie so oft) den Streit um den Religionsunterricht in Berlin klug kommentiert. Die Kirchen haben sich mit dieser Kampagne in eigener Sache nicht unbedingt einen Gefallen getan, findet der Kommentator Matthias Drobinski:

„Pro Reli“ war in Berlin populär, solange die Initiative als Nothilfe gegen einen übermächtigen, ungerechten und ignoranten Senat galt. Die Stimmung kippte, als Schüler in Religionsunterricht zum Unterschriftensammeln angehalten wurden, als Plakate die Stadt zupflasterten, und Pfarrer, die für Ethik waren, Ärger mit den Bischöfen bekamen – es ging ja schließlich um die Freiheit, da kann man sich keine Abweichler leisten.

Das wird das Dilemma der Kirchen in den bevorstehenden Auseinandersetzungen um die Frage sein, wie viel öffentliche Religion ein säkularer Staat mit einer sich säkularisierenden Gesellschaft braucht. Sie muss die Regeln der Mediengesellschaft kennen und die Instrumente der öffentlichen Auseinandersetzung handhaben. Doch tut sie das, gerät sie immer in den Verdacht, das Eigene zu verraten, den Kern, die christliche Botschaft; ein Akteur wie die anderen Parteien und Verbände auch…

Plötzlich waren es nicht nur ein paar Evangelikale, die sich den Vorwurf anhören mussten, auf diesem Weg missionieren zu wollen. Und sie wollen es tatsächlich: Werte, Denkweisen, Ansichten und Verhaltensmuster prägen. Und natürlich geht es dabei unausgesprochen auch darum, den eigenen Bestand zu wahren.

Anders jedoch als Freikirchler und Pietisten haben die großen Kirchen lange und nahezu alternativlos auf eben jene institutionell privilegierten Wege der Glaubensvermittlung gesetzt (die ich weder in Frage stellen noch schlecht reden möchte, ich halte lediglich die Fixierung auf diese Schiene für problematisch), die aus der Konkursmasse des Staatskirchentums seit 1918 noch vorhanden waren und die von den Vätern des Grundgesetzes nach der Katastrophe des Dritten Reichs bestätigt wurden. Vom Podest dieser Privilegien herab konnte man auch die (zugegeben: oft kritikwürdigen) Missionsstrategien anderer bequem und öffentlich kritisieren, ohne ernsthaft überlegen zu müssen, wie man selbst es besser machen würde.

In der Diskussion sind auch gute Gründe für einen Religionsunterricht an staatlichen Schulen angeführt worden. Der eigenen Glaubwürdigkeit sind die Kirchen es dennoch schuldig, sich zukünftig mit demselben Einsatz von Zeit und Kraft der Frage zuzuwenden, wie Mission ein Thema für die ganze Gemeinde wird, wie alle ihre Glieder im Glauben sprachfähig und -willig werden, und das Ganze nicht einfach an Pfarrer und Religionslehrer wegdelegiert wird, die das auf sich allein gestellt gar nicht leisten könnten. Denn wenn die Rechnung aufgegangen wäre, hätte diese Abstimmung doch wohl zu einem anderen Resultat geführt.

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Liebes ZDF,

Klinsmann musste gehen. Viel zu früh, sagen die einen. Viel zu spät, sagen die anderen. Der ARD war das im Quotenkampf einen „Brennpunkt“ wert, auch wenn es weder der Terroranschlag noch das Erdbeben oder der unerwartete Regierungswechsel war, für das dieses Format bisher stand (sollen wir den Volkstrauertag nun auf den 27. April legen?)

Ihr hättet es besser machen können als die Kollegen von der Eins. Nur: Wer von Euch kam bloß auf die Idee, man müsse ausgerechnet Lothar Matthäus dazu befragen?

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Rechtfertigung: Wright or wrong? (3)

Ich mache es kurz mit dem Überblick über das Kapitel 4 zum Thema „Rechtfertigung“, die Details würden zu weit führen und die groben Linien hatten sich schon angedeutet in den letzten beiden Posts:

Wright zitiert Alistair McGrath mit der Feststellung, dass sich der Begriff „Rechtfertigung“ in der Theologie von seinem neutestamentlichen Ausgangspunkt gelöst hat, um zu einer Bezeichung für das gesamte Heilsgeschehen zu werden. Wenn man aber diese Vorstellung in die Paulustexte zurück projiziert, führt das zu Schwierigkeiten.

Gerechtigkeit bezeichnet keine moralische Qualität, sondern den rechtlichen Status einer Person, zu deren Gunsten das Gericht entschieden hat. Für Paulus ist das untrennbar verbunden mit der langen Geschichte Israels seit dem Bundesschluss Gottes mit Abraham in Genesis 15, dessen Ziel die Überwindung des Bösen und die Wiederherstellung der Welt ist. In Deuteronomium 28-30 ist dargelegt, welche Konsequenzen die Verletzung des Bundes für das Gottesvolk hat, und auch die Katastrophe des Exils stellt nicht das Ende dieser Verheißung Gottes dar. Paulus bezieht sich in Römer 4 und Galater 3 explizit auf Abraham und verwendet Bundesterminologie.

Die eschatologische Dimension der Rechtfertigung besteht dann darin, dass Paulus wie andere Juden an ein bestimmtes Ziel Gottes mit seinem Volk/der Welt glaubt, dass er anders als sie davon ausgeht, dass Gottes rettendes Handeln in Jesus, dem Messias, kulminiert und (ähnlich wie die Qumran-Sekte) davon ausgeht, dass nun ein neues Zeitalter begonnen hat – und zwar noch mitten im „Alten“.

Das führt zur christologischen Dimension: wenn Paulus von Jesus als dem Christus – d.h. Messias – redet, dann bedeutet das für ihn, dass

  1. sich in Jesus Gottes Ziel mit seinem Volk erfüllt, der entscheidende Sieg gelingt, der neue Tempel geschaffen wird und das messianische Friedensreich anbricht.
  2. das wahre Gottesvolk ist in dem Messias zusammengefasst ist, ähnlich wie das im AT von den Patriarchen bzw. David und Isai auch gesagt wird.
  3. die besondere Leistung des Messias in seiner Treue bzw. seinem Gehorsam besteht (Röm 5,19/Phil 2,8), der den Ungehorsam und die Untreue Israels aufhebt – der eine treue Israelit, durch den sich Gottes Plan schließlich doch erfüllt
  4. der treue Gehorsam des Messias in seinem Tod als Repräsentant seines Volkes  gipfelt, für das er eintritt. Nach Römer 8,3 verurteilt Gott am Kreuz nicht den Messias, aber die Sünde im Fleisch. Wer also in Christus ist, den trifft dieses Urteil nicht mehr.
  5. mit der Auferstehung des Messias (d.h. seiner Rechtfertigung durch Gott) die Neuschöpfung der Welt begonnen hat, die derzeit noch der Vergänglichkeit und dem Verfall unterworfen ist.
  6. der Geist des Messias auf sein Volk ausgegossen wird, damit es wird, was es Gottes Aussage zufolge schon ist – das Vertrauen auf den Messias schließt also das Vertrauen auf den Geist ein und ist von diesem nicht zu trennen. Die Struktur des Rechtfertigungsgeschehens ist trinitarisch
  7. der gekreuzigte Messias auch der kommende Richter der Welt ist, dessen zukünftiges Urteil nach den Werken mit dem jetzigen, vor-läufigen Urteil auf der Grundlage des Glaubens korrespondiert.

Im nächsten Post geht es dann ran an die Texte. Wright beginnt im Galaterbrief.

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Spruch des Tages (9)

Schenke mir eine Gedichtzeile am Tag, mein Gott, und wenn ich sie nicht aufschreiben kann, weil es kein Papier und kein Licht gibt, dann werde ich sie abends leise unter deinem großen Himmel aufsagen. Aber schenke mir ab und zu eine einzige kleine Gedichtzeile.

Etty Hillesum in Das denkende Herz

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Heißes Thema

Mein Sohn brütete am Wochenende über der Deutsch-Hausaufgabe. Thema: Sollten in der Schule auch Nicht-Pädagogen unterrichten? Der Hintergrund ist wohl die Diskussion, ob man Quereinsteiger „aus der Wirtschaft“ an die Schulen holen sollte.

Ich hatte gerade im UniSpiegel diesen Artikel gelesen, der beschreibt, wie mangelhaft die Lehrerausbildung für weiterführende Schulen hinsichtlich der Didaktik etc. ist, und schlug ihm vor, die These aufzustellen, dass der meiste Unterricht an Gymnasien schon die ganze Zeit von „Nichtpädagogen“ gehalten wird. Die haben zwar ihr Fach studiert, aber eben kaum Pädagogik im eigentlichen Sinn. Und selbst im Referendariat müssen sich Nachwuchs-Lehrer, so der Spiegel, das meiste selbst aneignen. Das hätte sicher eine spannende Diskussion gegeben.

Zum Glück gibt es dann trotz aller Systemfehler noch gute Lehrer. Es geht hier also nicht darum, den Beruf(sstand) schlecht zu machen. Aber die eigentliche Frage müsste wohl doch eher lauten, wie wir mehr „echte“ (d.h. in dieser Hinsicht gründlich ausgebildete) Pädagogen an die Schulen bekommen. So gesehen erscheint die Frage nach Lehrkräften aus der Wirtschaft (wer eigentlich: arbeitslose Investmentbanker?) schon wieder in einem ganz anderen Licht.

Meinem Sohn war das Thema dann doch zu heiß, er hat ein anderes gewählt…

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Bilderbuch-Väter

Nächstes Wochenende hat mein Sohn das entscheidende Fußballspiel der Saison und ich hoffe, dass ich dabei sein kann. Es ist allerdings das erste Spiel, zu dem ich in diesem Jahr mitkomme. Und als ich daran dachte, fielen mir wieder etliche gehörte Reden und Predigten ein, in denen irgendwer bekannte, nie einen Sportwettkampf, Vorspiel oder Theaterauftritt des eigenen Nachwuchses verpasst zu haben.

Ich muss hier und heute bekennen: Ich habe das nicht geschafft und wüsste auch gar nicht, wie das gehen soll. Ich schaffe es oft nicht einmal, zu den Elternabenden zu gehen (Sprechstunden schon eher), weil meine Abendtermine schon drei Wochen oder länger vorher feststehen und die meisten Schuldirektoren der Meinung sind, man brauche solche Anlässe nur zehn Tage vorher anzukündigen (drei weitere Tage tragen die Kinder das Rundschreiben dann noch in der Büchertasche spazieren…) und alle Eltern stehen jubelnd auf der Matte, weil sie sich abends eh nur langweilen.

Ab und zu beschleichen mich aber auch Zweifel an der Wahrhaftigkeit dieser Aussagen über „immer“ und „nie“. Haben diese Väter eigentlich mehr als ein Kind? Bei zwei aktiven Fußballern mit je ein bis zwei Spielen pro Woche hat man ohnehin nur die Wahl, welches Spiel man sieht, zumal das auch noch mit einer halben bis ganzen Stunde Anreise verbunden sein kann. Vier bis fünf Stunden sind da schon mal weg. Pro Kind. Pro Wochenende. Wie machen die das?

Wie auch immer – auch wenn ich kein Soccer Dad bin, nächste Woche gehe ich mit und mache, was alle „guten“ Fußballeltern machen: Krach für die eigene Mannschaft, die Eltern der anderen Seite provozieren oder mich über sie aufregen, dem Schiedsrichter für einer möglichen Niederlage verantwortlich machen und für den hoffentlich überlegenen Sieg ein Eis ausgeben.

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Ein reisender Schauspieler

Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun.

… im Gegenteil,
du weißt nicht, was du getan hast.

Die Bühne der Geschichte
wurde errichtet, betreten und erprobt
lange vor deinem kurzen
Ausflug aus der Kulisse

Das Drama der Erlösung
– du wirst das verstehen,
du bist ja religiös –
wird regelmäßig aufgeführt
gehört zum Repertoire
und man findet es in der Regel
erfreulich…
Und zwar ohne einen Erlöser
nur Gott und das System.

Aber du
Emporkömmling von außen
warst entschlossen, das Stück umzuschreiben
die Handlung auf den Kopf zu stellen
das Absolute persönlich zu machen
und, mit dem Publikum improvisierend,
anzudeuten, dass diese Travestie
wahr sei.
Wer bist Du?

Du weißt nicht, was du getan hast.

Aber es ist nicht irreparabel.

Zwei, vielleicht drei Tage
und dein Gesicht wird vergessen sein,
so wie der Schauspieler,
der abends den Clown gespielt hat
und sich ungeschminkt
am Morgen wie ein Narr vorkommt.

Deine Zuhörer werden aufhören, von dir zu reden;
deine Nachfolger werden aufhören, zu folgen
Religion wird wieder die alte sein –
solche Sekten gab es früher schon –
und dein Rundtheater
wird seine unsichtbaren Türen schließen
endgültig
wenn der Held stirbt
und alle gehen ab.

Text by John L. Bell, copyright © WGRG, Iona Community, Glasgow G2 3DH, Scotland.
http://www.wgrg.co.uk/. Reproduced by permission.

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Verräterische Parole

Gestern auf der Autobahn: Vor mir ein schwarzer Ford Kombi aus Leipzig, auf dessen Heckscheibe in fetter Fraktur „Todesstrafe für Kinderschänder“ prangte. Der Fahrer: um die 30, Sonnenbrille, keine erkennbaren Haare auf dem Haupt. Und drinnen (im Haupt) sieht es bei dem Kameraden vermutlich ähnlich öde aus – wirbt er doch für eine Bewegung, die krampfhaft Sündenböcke suchen muss, an denen sie ihre Gewaltphantasien auslassen und sich dabei auch noch irgendwie „gut“ oder moralisch überlegen fühlen kann.

Nicht dass sexueller Missbrauch ein Kavaliersdelikt wäre. Aber das hier erinnert eher daran, dass Kinderschänder im Knast von den anderen Häftlingen drangsaliert werden – nicht zuletzt deshalb, weil die froh sind, endlich jemanden gefunden zu haben, der noch abscheulichere Dinge getan hat, als sie selbst. Also – wie tief das Niveau der Rechten inzwischen ist (oder immer schon war), verrät dieser Aufruf nur zu deutlich: Drei braune Finger zeigen zurück…

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Rechtfertigung: Wright or wrong? (2)

Wright befasst sich im dritten Kapitel von Justification mit der Frage von Bund, Gesetz und Gericht im Judentum des ersten Jahrhunderts. Dabei merkt er an, dass die Fragen der Zeitgenossen von Jesus und Paulus andere waren, als die der Reformatoren im Spätmittelalter an der Grenze zur Neuzeit. Es ging weniger um Probleme wie Heiligung und Synergismus oder die Frage, wer in den Himmel kommt. Vielmehr herrschte eine große Erwartung, dass Gottes endzeitliches Eingreifen in die Geschichte zu Gunsten Israels bevor stand. Und wie etwa Daniel 9 zeigt, war diese Erwartung eng verbunden mit dem Bund zwischen Gott und seinem Volk. Konkret betont Wright dabei zwei Dinge:

  1. Die meisten Juden lebten in einer einzigen großen Geschichte, die noch nicht abgeschlossen war, sondern auf ihren Höhepunkt, die Befreiung Israels, zusteuerte.
  2. Bis dahin lebte Israel, wenn auch nicht mehr im geografischen Sinne, im „Exil“. Das war die Folge des Bundesfluchs (Dtn. 27-29), der Israel wegen seiner Untreue getroffen hatte – gerechter Weise, wie Daniel 9 sagt.

Dann nimmt Wright dem Ansatz von John Piper (vgl. dazu auch diesen älteren Post bei Tony Jones) kritisch in den Blick. Piper, der Rechtfertigung so versteht, dass Gott seine Gerechtigkeit dem Glaubenden zukommen lässt, versteht unter dikaiosyne nicht wie Wright Gottes Bundestreue, sondern sieht in der Wortbedeutung „Gottes Sorge um seine Ehre“ den Ansatz eines tieferen Verständnisses. Das wirft einige Fragen auf:

  1. Piper ignoriert damit den gängigen hebräischen Wortsinn und Sprachgebrauch und unterstellt Paulus eine begriffliche Verschiebung.
  2. Es bleibt unklar, wie Pipers Vorstellung von Rechtfertigung mit seinem Verständnis von „Gerechtigkeit“ funktioniert.
  3. Wenn Piper versucht, Gerechtigkeit anders zu fassen, ignoriert er den größeren Zusammenhang in Römer 3 und 4: Gott hat verheißen, die Welt durch Israel zu segnen und Israel ist eben diesem Auftrag untreu gewesen – darin besteht Israels Unrecht.
  4. Piper spielt den Gerichtshof als Metapher herunter, obwohl es zahlreiche Belege dafür gibt und die Paulusstellen von „gerecht“ und „Rechtfertigung“ sich damit mühelos lesen lassen: Gerecht ist, wer vor Gericht gerecht gesprochen wird bzw. dessen Recht (oder „im Recht Sein“) vom Gericht bestätitgt wird.
  5. Während sich Gott in Pipers Definition von Gerechtigkeit also primär um sich selbst dreht, eröffnet Gerechtigkeit im Sinne von Bundestreue eine ganz andere Perspektive, sie

… ist ein nach außen gewandtes Charakteristikum Gottes, natürlich mit Gottes Bedachtsein auf seine Ehre verknüpft, aber im Kern geht sie in die entgegen gesetzte Richtung, nämlich der schöpferischen, heilenden, wieder herstellenden Liebe Gottes. Gottes Bedachtsein auf seine Ehre wird so vor dem Anschein des göttlichen Narzissmus gerettet, weil Gott, nicht zuletzt als der dreieinige Gott, sich immer verschenkt, immer ausgießt, mit großzügiger Liebe Menschen, die es nicht verdient haben, Israel, das es nicht verdient hatte, und eine Welt, die es nicht verdient hat, überhäuft. (S. 52)

Dagegen steht für Wright fest, dass Luther (und mit ihm, statt hier Calvin zu folgen, viele Protestanten) Paulus irrigerweise durch die Brille der Frontstellung gegen selbstgerechte mittelalterliche Leistungs- und Verdienstfrömmigkeit las, die er im jüdischen Gesetz wieder zu erkennen glaubte. Dagegen betonten schon Sanders und andere, dass jüdische Gesetzesfrömmigkeit gerade die Antwort auf das geschenkte Heil darstellten, nicht etwa dessen Voraussetzung. Das Heil bzw. die Erlösung des einzelnen war dabei fast uninteressant, die Frage war eben, wann Gott seine Verheißungen erfüllen würde. Und die Torah war das Zeichen für die Zugehörigkeit zu Gottes auserwähltem Volk.

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Zitat zum Karfreitag

Wir fürchten uns wohl vor dem Schmerz,
Mehr aber vor der Stille, denn kein grausamer Alpdruck
Könnte furchtbarer sein als diese Öde.
Dies ist die Verdammnis. Dies ist der Zorn Gottes.

(aus: W.H. Auden, Weihnachtsoratorium)

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Erste Eindrücke

Es ist schon verrückt, einen solch strahlenden Tag die meiste Zeit im Dunkeln zu verbringen. Wir haben heute viele Stunden den Kreuzweg für morgen aufgebaut. Hier ein paar Eindrücke aus dem mehrere hundert Meter langen Bierkeller.

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