Wright befasst sich im dritten Kapitel von Justification mit der Frage von Bund, Gesetz und Gericht im Judentum des ersten Jahrhunderts. Dabei merkt er an, dass die Fragen der Zeitgenossen von Jesus und Paulus andere waren, als die der Reformatoren im Spätmittelalter an der Grenze zur Neuzeit. Es ging weniger um Probleme wie Heiligung und Synergismus oder die Frage, wer in den Himmel kommt. Vielmehr herrschte eine große Erwartung, dass Gottes endzeitliches Eingreifen in die Geschichte zu Gunsten Israels bevor stand. Und wie etwa Daniel 9 zeigt, war diese Erwartung eng verbunden mit dem Bund zwischen Gott und seinem Volk. Konkret betont Wright dabei zwei Dinge:
- Die meisten Juden lebten in einer einzigen großen Geschichte, die noch nicht abgeschlossen war, sondern auf ihren Höhepunkt, die Befreiung Israels, zusteuerte.
- Bis dahin lebte Israel, wenn auch nicht mehr im geografischen Sinne, im „Exil“. Das war die Folge des Bundesfluchs (Dtn. 27-29), der Israel wegen seiner Untreue getroffen hatte – gerechter Weise, wie Daniel 9 sagt.
Dann nimmt Wright dem Ansatz von John Piper (vgl. dazu auch diesen älteren Post bei Tony Jones) kritisch in den Blick. Piper, der Rechtfertigung so versteht, dass Gott seine Gerechtigkeit dem Glaubenden zukommen lässt, versteht unter dikaiosyne nicht wie Wright Gottes Bundestreue, sondern sieht in der Wortbedeutung „Gottes Sorge um seine Ehre“ den Ansatz eines tieferen Verständnisses. Das wirft einige Fragen auf:
- Piper ignoriert damit den gängigen hebräischen Wortsinn und Sprachgebrauch und unterstellt Paulus eine begriffliche Verschiebung.
- Es bleibt unklar, wie Pipers Vorstellung von Rechtfertigung mit seinem Verständnis von „Gerechtigkeit“ funktioniert.
- Wenn Piper versucht, Gerechtigkeit anders zu fassen, ignoriert er den größeren Zusammenhang in Römer 3 und 4: Gott hat verheißen, die Welt durch Israel zu segnen und Israel ist eben diesem Auftrag untreu gewesen – darin besteht Israels Unrecht.
- Piper spielt den Gerichtshof als Metapher herunter, obwohl es zahlreiche Belege dafür gibt und die Paulusstellen von „gerecht“ und „Rechtfertigung“ sich damit mühelos lesen lassen: Gerecht ist, wer vor Gericht gerecht gesprochen wird bzw. dessen Recht (oder „im Recht Sein“) vom Gericht bestätitgt wird.
- Während sich Gott in Pipers Definition von Gerechtigkeit also primär um sich selbst dreht, eröffnet Gerechtigkeit im Sinne von Bundestreue eine ganz andere Perspektive, sie
… ist ein nach außen gewandtes Charakteristikum Gottes, natürlich mit Gottes Bedachtsein auf seine Ehre verknüpft, aber im Kern geht sie in die entgegen gesetzte Richtung, nämlich der schöpferischen, heilenden, wieder herstellenden Liebe Gottes. Gottes Bedachtsein auf seine Ehre wird so vor dem Anschein des göttlichen Narzissmus gerettet, weil Gott, nicht zuletzt als der dreieinige Gott, sich immer verschenkt, immer ausgießt, mit großzügiger Liebe Menschen, die es nicht verdient haben, Israel, das es nicht verdient hatte, und eine Welt, die es nicht verdient hat, überhäuft. (S. 52)
Dagegen steht für Wright fest, dass Luther (und mit ihm, statt hier Calvin zu folgen, viele Protestanten) Paulus irrigerweise durch die Brille der Frontstellung gegen selbstgerechte mittelalterliche Leistungs- und Verdienstfrömmigkeit las, die er im jüdischen Gesetz wieder zu erkennen glaubte. Dagegen betonten schon Sanders und andere, dass jüdische Gesetzesfrömmigkeit gerade die Antwort auf das geschenkte Heil darstellten, nicht etwa dessen Voraussetzung. Das Heil bzw. die Erlösung des einzelnen war dabei fast uninteressant, die Frage war eben, wann Gott seine Verheißungen erfüllen würde. Und die Torah war das Zeichen für die Zugehörigkeit zu Gottes auserwähltem Volk.
Ja ich finde auch, dass John Pipers Werk, so sehr man ihm doch eine interessante Vermittlung von charismatischer Freude im Heiligen Geist und reformeirter theologischer Genauigkeit, eiige Probleme hat. Unter anderem ist dies sicher, dass er eine unterentwickelte Trinitätslehre hat und so Gott ganz schnell zu einem in sich ruhenden, majestätischen, selbstsüchtigen Wesen wird.