Pfingstgedanken

Da Kohärenz an Pfingsten nicht zwingend ist und auch den Aposteln erst nach einer gewissen Zeit möglich war, hier ein paar unsortierte Gedanken zum Fest, das immer wieder mal recht unglücklich als Geburtstag der Kirche bezeichnet wird. Denn die gab es 50 Tage nach Ostern natürlich schon längst – sie ist nichts anderes als das Gottesvolk des neuen (d.h. des erneuerten alten!) Bundes. Und das mit dem Geburtstag ist auch insofern irreführend, als man meinen könnte, die Kirche dürfe sich nun selbst feiern und ein bisschen auf die Schulter klopfen. Das sollten wir dann doch lieber Gott überlassen, der wird das zu seiner Zeit tun.

Mit dem Geist haben sich Christen im Westen immer schwer getan. Im Protestantismus erschien er häufig eher im Gegensatz zur „Natur“: Entweder lehnte man eine „natürliche Gotteserkenntnis“ ab – als könne man Gottes Wesen aus der Beobachtung der Welt durch Vernunft, Wissenschaft und moralisches Bewusstsein irgendwie erklären und ableiten -, oder man war darauf bedacht, den Menschen nicht als im Wesentlichen doch gut und Sünde als nebensächlichen Defekt hinzustellen und betonte von daher die tiefe Kluft. Zur epistemologischen und moralischen Kluft dann kam noch der pfingstlich-charismatische Supranaturalismus dazu, der den Geist gern in den spektakulären, extremen und „abgefahrenen“ Erlebnissen am Werk sieht und das Gewöhnliche gering schätzt.

In jedem Fall führte das dazu, dass die Welt irgendwie „entgeistert“ wirkte. Der Gedanke, dass der Geist in der gesamten Schöpfung am Wirken ist, sie erhält und sie auf eine Vollendung hin bewegt, fiel etwas unter den Tisch. Also wurde es schwierig, ihn in „natürlichen“ Begabungen am Werk zu sehen, und wer besonders geistlich sein wollte, kam oft leicht weltfremd daher. Und so richtig der Gedanke einer Gegenkultur oder Kontrastgesellschaft ist, so wenig ist das einfach eine Negation oder allzu simple Umkehr der gegenwärtigen Verhältnisse.

In Wahrheit gehört beides zusammen: Das Wirken des Geistes in der Gemeinde und den einzelnen Christen seit Pfingsten knüpft an an das Wirken des Geistes in der Schöpfung an, ebenso wie in der Geschichte Israels, die in Jesus ihren Höhepunkt erreicht. Selbststeigerung und Selbstvervollkommnung waren nie der Weg, wie Gottes Geschöpfe seine Absichten erfüllen würden, sondern indem sie empfänglich werden und bleiben für weiteres schöpferisches Wirken des Geistes Gottes. Darum befreit uns Gottes Geist, natürlicher zu sein, als wir es aus uns selbst sein könnten. Es wird von uns aber auch immer ein bewusstes Unterscheiden verlangt: Gott ist überall am Wirken, und überall wird dieses Wirken auch von den Mächten dieser Welt behindert oder entstellt. Am Pfingsttag sehen wir genau das in der Predigt des Petrus: Er kann unterscheiden.

Pfingsten heißt so gesehen nicht, dass nun etwas kommt, was noch nie da war. Es heißt aber durchaus, dass Gott das Tempo und die Reichweite seines Wirkens deutlich erhöht hat. Unterscheiden können heißt, so gesehen, nicht nur, dass wir sagen können, wo Gott in unserer Nähe am Wirken ist, sondern eben auch, dass wir von Beobachtern zu Akteuren werden. Und dabei dann immer noch etwas tiefer verstehen, worauf das alles hinaus läuft.

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Der Kopf ist immer schneller

Kürzlich war ich mit dem Auto unterwegs und hörte beim Spurwechsel auf der Autobahn ein metallisch klappendes Geräusch am Auto. Schon schoss mir die erste Sorge durch den Kopf, ob da wohl irgend ein Teil abgefallen war. Alles ging rasend schnell. Nur eine halbe Sekunde später surrte der andere Reifen über die aufgeraute Mittellinie und das Geräusch wiederholte sich. Es war gar kein metallisches Klappern. Entwarnung – alles im grünen Bereich. Was auch immer dazu geführt hatte (meine Urangst vor Autopannen?), mein Kopf hatte die Sinneswahrnehmung „ergänzt“ zu einem bestimmten Klang – und sie dabei verfälscht.

Ähnliches ist mir – auch beim Autofahren – ab und zu nachts passiert, vor allem bei Regen und spiegelnder Straße. Der Kopf setzt die Lichter in verschiedenen Farben, Größen und Bewegungsrichtungen zu einem Bild zusammen und plötzlich merke ich, dass die Interpretation nicht stimmt. Das Muster entwickelt sich ungewohnt. Dem Augenblick der Verwirrung folgt eine Art „Neuberechnung“ und ich merke, die Straße vor mir krümmt sich anders, als ich vermutet hatte.

Jede Sinneswahrnehmung scheint eine solche automatische Mustererkennung zu durchlaufen. Es gibt also gar keine „reine“ Beobachtung, sondern alles wird, noch bevor es das Bewusstsein erreicht, durch einen Filter der vertrautesten (oder vielleicht auch traumatischsten bzw. ersehntesten) Vergleichsbilder gejagt und auf Ähnlichkeit hin abgeklopft. In der Regel funktioniert dieser Prozess so schnell und präzise, dass ich ihn gar nicht bemerke. Hätte ich nun nicht unmittelbar darauf den Vergleich mit dem zweiten Rad gehabt, hätte ich den Fehler nicht bemerkt. Ich wäre vielleicht in eine Werkstatt gefahren, hätte das Geräusch beschrieben und mein Auto untersuchen lassen. So aber ergab der zweite Abgleich ein stimmigeres Muster.

Alles Denken ist also ein Vergleichen und Bewerten, und nur ein Bruchteil davon ist mir bewusst. Die Automatismen darin und mit ihnen die ausgeschlossenen Möglichkeiten einer Interpretation entgehen mir meistens. Meine Erinnerung speichert Ereignis und Deutung nicht getrennt ab, sondern zusammen. Während ich also im Blick auf mein Auto beruhigt weiterfuhr, kam ich im Blick auf mich selbst ins Nachdenken: Wie viele meiner Erinnerungen sind „verfälscht“? Wo ergeben sich aus verfälschter Wahrnehmung und Erinnerung wieder neue Muster, die mich Ereignisse falsch „lesen“ lassen? Mit anderen Worten: kann da eine problematische Rückkopplung entstehen, die weitere Verzerrungen verursacht? Welche Möglichkeiten habe ich, mir selbst auf die Schliche zu kommen? Kann ich präventiv etwas unternehmen?

Fragen über Fragen…

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Spruch des Tages (12)

Jeder sollte sich klar machen, dass seine Karriere nicht nur von seiner Leistung abhängt. Vielmehr werden 60 Prozent von der Bekanntheit im Unternehmen beeinflusst, 30 Prozent vom Auftreten, und nur zehn Prozent von der tatsächlichen Arbeit.

Karriereberaterin Carmen Schön in der SZ online

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Bibel pervers

Spiegel online zeigt ein paar PowerPoint Folien von Donald Rumsfeld, auf denen dieser Kriegsnachrichten aus dem Irak mit Bibelversen garniert hatte. Mit Verlaub, dieser Umgang mit der Bibel ist pervers: Wenn Bilder von US-Kampfbombern, Panzern und Marines mit dem Aufruf Gottes an den militärisch und waffentechnisch hoffnungslos unterlegenen Josua, doch mutig und unerschrocken zu sein, kombiniert werden, dann stellt das die Verhältnisse eben gerade auf den Kopf. So gesehen hätte Gott – wenn man denn schon unbedingt annehmen will, dass er Partei ergreift – doch eher auf der Seite der Irakis gewesen sein.

In Crown of Lights gibt es einen interessanten kleinen Dialog, wo Merrily Watkins‘ Tochter Jane sich fragt, ob es analog zur schwarzen Magie auch eine Art black christianity gibt, wobei „schwarz“ eben weder im politischen noch im ethnischen Sinn gebraucht wird, sondern für die Bereitschaft steht, andere Menschen zu unterdrücken, einzuschüchtern, auszugrenzen und zu zerstören um die eigene Macht zu vergrößern oder zu behaupten.

Also das hier kommt schon nahe hin. Und es zeigt einmal mehr, dass Kontext alles ist. Einfach Bibelstellen zitieren kann ja – laut Bibel – selbst der Teufel…

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Hoffnungslos unterbelichtet?

Ich ging abends über den Kornmarkt in Nürnberg. Vor mir zückte ein Mann seine kleine Kamera und machte ein Foto. Der winzige Blitz war mit den dunklen Gebäuden hoffnungslos überfordert. Selbst eine große Kamera mit einem Profi-Blitz hätte da wenig ausgerichtet.

Mich wundert dabei immer, dass Leute es überhaupt versuchen. Entweder haben sie die Kamera erst ein paar Tage oder sie haben sich nie Gedanken darüber gemacht, was man mit so einem Teil tun kann und was nicht. Ich vermute, es ist öfter letzteres der Fall.

Als ich so da stand und nachdachte, fiel mit ein, dass wir es mit unserem Verstand ähnlich machen. Ein „Geistesblitz“ ist durchaus in der Lage, bestimmte Dinge zu erhellen. Aber manche Gegenstände sind zu groß, um sie ganz aufs Bild zu bekommen, folglich müssen wir für den passenden Blickwinkel zu weit weg, und dann reicht das Blitzlicht eben doch nicht mehr aus.

Ein Fotograf kann in so einem Fall ein Stativ benutzen, wenn sein Bild nicht verwackelt oder grauschwarz ausfallen soll. Man trägt also etwas mehr mit sich herum und so richtige Schnappschüsse wollen damit nicht gelingen, stattdessen ist Geduld gefragt, wenn man seine Umgebung in ihrem eigenen Licht abbilden will. Vielleicht ist es im Leben auch so: Wir müssen uns Zeit lassen, wir brauchen ein „Stativ“ (vielleicht ein ruhiger Ort oder eine bestimmte Disziplin) und wir müssen darauf warten, dass sich das, was wir erkennen möchten, in seinem eigenen Licht zeigt.

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Kriminell spannend

Krimis und Kirche haben, anders als hier, im Vereinigten Königreich eine große Tradition: Agatha Christies Mord im Pfarrhaus, Chestertons Father Brown, P.D. James‚ Romanfigur Adam Dalgliesh hatte Theologie studiert, bevor er zur Polizei ging, Ian Rankins Rebus ist schottischer Calvinist und die große Dorothy Sayers schrieb neben Krimis auch theologische Texte.

Und nun Phil Rickman. Seine Hauptfigur ist Merrily Watkins, alleinerziehende Pfarrerin der Church of England mit einer halbwüchsigen Tochter, einem Hausgeist und einem Spezialauftrag beim Bischof von Hereford. Und der führt sie in den Grenzbereich von Glaube und Aberglaube, Spiritualität und Scharlatanerie und das gesamte Spektrum menschlicher Macken, Eitelkeiten, Ängste und Geheimnisse. Denn Merrily Watkins ist Deliverance Consultant, ein zeitgemäßerer Begriff für das Amt des „Exorzisten“. Und nebenbei klärt sie in ihrer nüchternen, aber sensiblen Art das eine oder andere Verbrechen auf.

In Crown of Lights prallen in einem walisischen Dorf mit verfallener, aufgelassener Kirche ein Wicca-Hexenzirkel und ein charismatischer Pfarrer mit manipulierbarem Anhang aufeinander. Merrily Watkins hat mit ein paar Trauerfällen im Krankenhaus zu tun und muss in einer berüchtigten Talkshow gegen einen smarten Hexenmeister auftreten. Kaum hat sie sich davon erholt, verschwindet eine Frau, die tags zuvor noch beim frühen Tod ihrer Schwester eine gewisse Fremdeinwirkung vermutet hatte.

Rickman erzählt seine geschickt verwobene Handlung spannend und mit lebendigen Dialogen. Er charakterisiert Held(inn)en wie Schurken und alles, was sich dazwischen tummelt, erfreulich nuanciert. Am Ende gelingt ihm ein temporeiches Finale mit so mancher überraschenden Wendung. Übersinnliche Erfahrungen kommen (ganz anders als bei Frank Peretti) eher nebenbei vor und werden unaufgeregt, fast lapidar beschrieben. Und auch mit der Kirche kennt Rickman sich aus. Obwohl (oder gerade weil?) es kein „christliches“ Buch ist, ich fand es spannend zu lesen und sehr anregend. Inzwischen ist übrigens ein Band aus der erfolgreichen Reihe unter dem Titel Frucht der Sünde auch auf Deutsch erschienen.

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Dialogs-Domino: Ein Anstoß gibt den nächsten…?

Natürlich ist das Kreuz ein anstößiges Symbol. Doch nicht jede Auseinandersetzung um diesen Anstoß verläuft glücklich, wie der Eklat um den hessischen Kulturpreis zeigt. Über diesen Artikel der Zeit online bin ich auf den eigentlichen Stein des Anstoßes aufmerksam geworden und fand, der Artikel von Navid Kermani in der NZZ über eine Kreuzesdarstellung von Guido Reni ist ein gutes Beispiel für die Mischung von Gedanken und Gefühlen, Empfindlichkeiten und Missverständnissen, mit denen wir es im Dialog der Religionen zu tun haben.

Neben Kermani werden nicht nur viele Muslime, sondern auch ein paar Millionen Deutsche ganz ähnliche Fragen haben. Und Kermani bietet selbst schon einen Ansatz für das weitere Gespräch, weil das Bild ihn von der abstoßenden Leidensmystik hinaus zum tieferen Sinn des Kreuzes hin führt, den auch viele Christen ähnlich beschreiben könnten, etwa wenn er sagt, dass Jesus hier nicht leidet, „um Gott zu entlasten“ und dass sein Todesschrei die Gottverlassenheit und Todverfallenheit der ganzen Welt einschließt (genau das bedeutet ja „Stellvertretung“, richtig gedacht).

Natürlich verfehlt Kermani das christliche Verständnis an manchen Stellen trotzdem und wendet sich eher gegen einen Karikatur desselben. Aber ich dachte, dazu ist der Dialog da, dass solche Differenzen ausgesprochen und vielleicht eines Tages ausgeräumt werden. Umgekehrt bedeutet es, dass wir als Christen den Muslimen ja auch schwierige Fragen über ihr Gottesbild stellen dürfen, ohne gleich in die Ecke gestellt zu werden.

Bezeichnend dazu auch der Kommentar von Matthias Kamann in der Welt: „Wenn sich schon alle an die Regeln für den Dialog der Religionen halten würden, dann müsste man ihn nicht mehr führen.“

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Facebook-Tests, auf die die Welt gewartet hat

In den letzten Wochen ist mein Freundeskreis auf Facebook wieder etwas gewachsen und mit ihm (oder noch schneller als dieser) die Zahl der Nachrichten über irgendwelche sinnigen Tests. Zum Glück lassen sich die ja abstellen, lästig ist es aber allemal. Ich will gar nicht wissen, welcher Soap-Star ich bin.

Also habe ich zu Zweck der Immunisierung mal überlegt, welche überflüssigen Tests Facebook noch braucht. Hier ein paar Vorschläge von mir – vielleicht hat sie schon längst jemand realisiert – und dann könnt Ihr die Liste über die Kommentarfunktion ergänzen:

  • Welcher italienische Politiker bist du?
  • Welcher Modern-Talking-Song bist du?
  • Welches Fünf-Freunde-Buch bist du?
  • Welcher ausgestorbene Autohersteller bist du?

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Konfirmationssegen

Ich war etwas unzufrieden mit den Vorschlägen, von denen einige irgendwie so defensiv klangen – als würde es nur darum gehen, den derzeitigen Glaubensstand zu halten und dann irgendwann in den Himmel zu kommen. Also habe ich mich hingesetzt, mir unsere Konfis vorgestellt und mich gefragt, welcher Segen für sie passen könnte. Und das kam dabei heraus:

Gottes Herrlichkeit lasse dein Leben erstrahlen

einzigartig und voller Schönheit

Gottes Geist lasse dein Herz überfließen mit Freude und Liebe

an hellen wie an dunklen Tagen

Gottes Sohn gebe dir den Mut und die Kraft,

aufrecht in deiner Berufung zu stehen

Gott der Vater mache dein Leben fruchtbar

zu seiner Ehre und zum Segen für die Welt

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Drei ??? und die Unheilspropheten

In dieser Woche wurde ich gleich mehrmals auf eine nach eigenem Anspruch prophetische Botschaft von David Wilkerson angesprochen, die gerade die Runde macht. Wilkerson kündigt eine gewaltige, nicht näher erläuterte Katastrophe an, die zu weltweitem Chaos führen werde und dann empfiehlt, einen Vorrat an Nahrungsmitteln und Toilettenartikeln für 30 Tage anzulegen.

Schon vor ein paar Monaten geisterte eine Botschaft des Berliner Pastors Joh.W. Matutis durchs Netz, die in eine ähnliche Richtung wies, aber deutlich langatmiger ausfiel. Natürlich haben in Zeiten globaler Krisen solche Stimmen Hochkonjunktur, nicht nur unter Christen. In jüngster Zeit haben aber oft auch die Recht behalten, die vor Monaten noch als Schwarzseher bezeichnet wurden.

Muss man diesen Stimmen also glauben, wenn man nicht selbstsicher ausschließen kann, dass sich irgendwo gewaltiges Unheil zusammenbraut? Andererseits habe ich heute wieder Jesu Wort über die Vögel am Himmel und die Lilien auf dem Feld gelesen und mich gefragt, wie die Anweisung zum Bunkern von Vorräten dazu passt. Mir sind beim Lesen dieser Botschaften drei Fragezeichen gekommen:

Fragezeichen 1: Die Dominanz des Spektakulären

Es ist ja nicht so, dass wir keine globalen Krisen hätten, die eine schnelle, besonnene und entschlossene Reaktion von uns verlangen. Meine Sorge ist, dass das Warten und die Vorbereitungen auf ein nebulöses (aber offenbar unausweichliches) Unglück uns davon abhalten, uns um die längst absehbaren, aber in der mittel- und langfristigen Konsequenz möglicherweise nicht minder heftigen Katastrophen zu kümmern, so lange noch Zeit ist.

Diese anderen Problemfelder werden auch dann bestehen bleiben, wenn eine Katastrophe welcher Art auch immer eintritt, nur würden sie nicht mehr beachtet (wie etwa der Klimaschutz angesichts drohender Arbeitslosigkeit). Das Kaninchen ist am Ende so auf die Bedrohung der Schlange gepolt, dass es für den Fuchs zur leichten Beute wird. Das „Wissen“ um ein Unglück, an dem ich nichts ändern kann, wird mich so noch anfälliger für andere, eigentlich offensichtliche Probleme machen.

Fragezeichen 2: Die politische Agenda

Bei Wilkerson scheint sie nur zwischen den Zeilen durch und bleibt unklar wie der Rest seiner Botschaft:

God is judging the raging sins of America and the nations. He is destroying the secular foundations.

Der Verweis auf die Sünden ist recht allgemein. Ist die Kernsünde der USA der säkulare Staat, die pluralistische Gesellschaft? Liebäugelt Wilkerson mit einer Art Theokratie, und wie müsste man sich die vorstellen? Hätte er das zu Bush-Zeiten auch geschrieben? Matutis schreibt diesen interessanten Absatz:

Wenn man die Entwicklung verfolgt, stellt man fest, dass es seit dem 14. Juli 2007 mit den Börsen und Banken permanent berg-ab geht. Wie der Zufall es will, flattert mir gerade eine ältere Pressemeldung in die Hände, und darin wird berichtet: Am 13.Juli 2007 wurde die neue Sitzungsperiode des US-Senats durch Gebete eines Hindu-Priesters eröffnet und damit ganz Amerika und die Wirtschaftswelt den Hindu Göttern geweiht. Ein Skandal und eine Schande für das so „christliche Amerika“. Der Hindu Priester las aus den Veden und rief die Geister der Erde, des Meeres und des Windes an. Ein Gläubiger im Saal schrie auf: O Gott, vergib uns diese Gräuel“. Sofort fielen Ordner über ihn her und trugen ihn aus dem Auditorium hinaus. Der Hindu-Priester fing seine Zeremonie und das Weihe-Ritual noch einmal ganz von vorne und vollendete sie in aller Ruhe. Und was passierte dann? In meinem Archiv fand ich noch eine Pressemeldung vom 13.Juli 2007: „Riesen-Hornissen /Wespen überfallen das US-Parlament“. Etwa 16 Schwärme von ca.5 cm großen Hornissen ließen sich im Parlaments-Ge-bäude nieder. In 2.Mose 23.27-29 sagt Gott „…ich werde Angst und Schrecken senden…und Hornissen , die sich so vermehren werden, dass ihr darüber nicht Herr werdet…

Wilkerson muss man zu Gute halten, dass er derart grobe Vereinfachungen und Bibelauslegung qua Stichwortassoziation meidet. Für Matutis lag es offenbar nicht etwa an der seit Monaten schwelenden Subprime-Krise, sondern am Auftritt des Hindupriesters, dass die Wirtschaft lahmt. Aus einer zeitlichen Abfolge wird ein kausaler Zusammenhang konstruiert. Und natürlich hat er aus den vielen Ereignissen des 13. Juli 07 dieses eine ausgewählt. Das war kein Zufall – mein zweites Fragezeichen ist also in beiden Fällen, welche politischen Anschauungen die jeweiligen Propheten vertreten und ob sich da konkret nicht eine zumindest latente Aversion gegen eine pluralistische Gesellschaftsordnung andeutet (die sicher nicht perfekt ist, aber derzeit ohne überzeugende Alternative). Wenn ich nämlich solche Botschaften verbreite, muss ich auch deren Tendenzen und Nebenwirkungen im Blick haben.

Fragezeichen 3: Der fehlende Zusammenhang

Wenn Wilkerson am Ende seinen praktischen Ratschlag erteilt, dann ist dieser ja nicht als Krisenprävention, sondern als Maßnahme zum Überleben zu verstehen. Es wird aber auch keine nachträgliche Verarbeitung des Unglücks vorbereitet (von dem uns – im Unterschied zur Ankündigung des Exils durch die Propheten und zu Jesu Ankündigung der Zerstörung Jerusalems ja nicht gesagt wird, was es sein wird). Mir scheint auch den Vergleich mit der Josephsgeschichte von den fetten und mageren Jahren unzureichend. Da ging es ja gerade nicht darum, dass einzelne ihren Vorrat aufstocken, sondern dass eine ganze Gesellschaft überlebt. Und diese Dimension fehlt hier weitgehend.

Um noch einmal Dietrich Dörner zu bemühen: Hier besteht zumindest die Gefahr einer horizontalen wie vertikalen Flucht. Die „vertikale Flucht“ besteht in der Ausrichtung auf ein völlig unbestimmtes, jedoch alles andere an Bedeutung übertreffendes Ereignis. Die „horizontale Flucht“ besteht darin, dass man sich auf einen beherrschbaren Teilbereich (Vorräte) beschränkt und das Ganze (bzw. die damit verbundene Ohnmacht und Unzulänglichkeit) dabei vergisst.

Bei manchen medizinischen Impfungen wird unter Fachleuten heftig diskutiert, ob die Probleme und Nebenwirkungen nicht den Nutzen übersteigen. Irgendwie frage ich mich das bei diesen Warnungen auch.

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Deregulierung

Dietrich Dörner betrachtet die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, bei der die erfahrenen Ingenieure nicht zum ersten Mal die Sicherheitsvorschriften sehr frei interpretierten und sich dabei mächtig verschätzten. Und er zieht daraus Schlüsse, die nicht nur für die Finanzwirtschaft interessant sein können, sondern auch unsere ganz persönlichen Tendenzen, in bestimmten Lebenssituationen den Ausnahmezustand zu erklären und uns zum eigenen Schaden und zum Nachteil anderer über sinnvolle Regeln hinwegzusetzen, von Straßenverkehr angefangen bis zum Umgang mit den zehn Geboten:

Verletzungen der Sicherheitsvorschriften aber werden im lerntheoretischen Sinne gewöhnlich «verstärkt», das heißt: Es lohnt sich; man hat etwas davon. Wenn man Sicherheitsvorschriften verletzt, wird gewöhnlich dadurch das Leben leichter. (…) Sicherheitsvorschriften sind in der Regel so ausgelegt, dass man bei ihrer Verletzung keineswegs unmittelbar in die Luft fliegt, sich verletzt oder sonst irgendwie zu Schaden kommt, sondern so, dass das Leben leichter wird. Die positiven Folgen der Verletzung von Sicherheitsvorschriften führen dazu, dass sich die Tendenz erhöht, sie zu übertreten. Damit aber steigt die Wahrscheinlichkeit, dass tatsächlich etwas passiert. Und wenn dann tatsächlich etwas passiert ist, hat man unter Umständen nie mehr Gelegenheit, daraus Folgerungen für sein zukünftiges Handeln zu ziehen.

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Spruch des Tages (11)

Die Ideen von Ökonomen und politischen Philosophen, seien sie nun richtig oder falsch, sind mächtiger als man gemeinhin annimmt. Tatsächlich regiert kaum etwas anderes die Welt. Praktiker, die sich für weitgehend frei von intellektuellen Einflüssen halten, sind in der Regel Sklaven irgendeines veralteten Ökonomen.

John Maynard Keynes (1883-1946), zitiert bei Dallas Willard in Divine Conspiracy

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