Mission – aber wie?

Die SZ hat (wie so oft) den Streit um den Religionsunterricht in Berlin klug kommentiert. Die Kirchen haben sich mit dieser Kampagne in eigener Sache nicht unbedingt einen Gefallen getan, findet der Kommentator Matthias Drobinski:

„Pro Reli“ war in Berlin populär, solange die Initiative als Nothilfe gegen einen übermächtigen, ungerechten und ignoranten Senat galt. Die Stimmung kippte, als Schüler in Religionsunterricht zum Unterschriftensammeln angehalten wurden, als Plakate die Stadt zupflasterten, und Pfarrer, die für Ethik waren, Ärger mit den Bischöfen bekamen – es ging ja schließlich um die Freiheit, da kann man sich keine Abweichler leisten.

Das wird das Dilemma der Kirchen in den bevorstehenden Auseinandersetzungen um die Frage sein, wie viel öffentliche Religion ein säkularer Staat mit einer sich säkularisierenden Gesellschaft braucht. Sie muss die Regeln der Mediengesellschaft kennen und die Instrumente der öffentlichen Auseinandersetzung handhaben. Doch tut sie das, gerät sie immer in den Verdacht, das Eigene zu verraten, den Kern, die christliche Botschaft; ein Akteur wie die anderen Parteien und Verbände auch…

Plötzlich waren es nicht nur ein paar Evangelikale, die sich den Vorwurf anhören mussten, auf diesem Weg missionieren zu wollen. Und sie wollen es tatsächlich: Werte, Denkweisen, Ansichten und Verhaltensmuster prägen. Und natürlich geht es dabei unausgesprochen auch darum, den eigenen Bestand zu wahren.

Anders jedoch als Freikirchler und Pietisten haben die großen Kirchen lange und nahezu alternativlos auf eben jene institutionell privilegierten Wege der Glaubensvermittlung gesetzt (die ich weder in Frage stellen noch schlecht reden möchte, ich halte lediglich die Fixierung auf diese Schiene für problematisch), die aus der Konkursmasse des Staatskirchentums seit 1918 noch vorhanden waren und die von den Vätern des Grundgesetzes nach der Katastrophe des Dritten Reichs bestätigt wurden. Vom Podest dieser Privilegien herab konnte man auch die (zugegeben: oft kritikwürdigen) Missionsstrategien anderer bequem und öffentlich kritisieren, ohne ernsthaft überlegen zu müssen, wie man selbst es besser machen würde.

In der Diskussion sind auch gute Gründe für einen Religionsunterricht an staatlichen Schulen angeführt worden. Der eigenen Glaubwürdigkeit sind die Kirchen es dennoch schuldig, sich zukünftig mit demselben Einsatz von Zeit und Kraft der Frage zuzuwenden, wie Mission ein Thema für die ganze Gemeinde wird, wie alle ihre Glieder im Glauben sprachfähig und -willig werden, und das Ganze nicht einfach an Pfarrer und Religionslehrer wegdelegiert wird, die das auf sich allein gestellt gar nicht leisten könnten. Denn wenn die Rechnung aufgegangen wäre, hätte diese Abstimmung doch wohl zu einem anderen Resultat geführt.

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4 Antworten auf „Mission – aber wie?“

  1. Die Diskussion in dem SZ-Forum unter dem von dir genannten Artikel ist einigermaßen schockierend und zeigt, dass Religionsunterricht als „Missionsstrategie“ nicht aufgeht. Was er aus meiner Sicht leisten kann, ist eine ethische und kulturelle Orientierung über Lebens- und Wertfragen aus der Perspektive des Glaubens bzw. des Evangeliums (Orientierung im Sinne von Kennenlernen). Statt des Missions- sollte hier doch eher ein Bildungsauftrag wahrgenommen werden. Das schließt ja eine Auseinandersetzung mit den Kernpunkten der Botschaft durchaus ein. Evangelisation ist allerdings fehl am Platze. Positiv formuliert: RU öffnet einen evangelischen Zugang zu den Fragen von Ethik, Philosophie und Kultur. Und um das Recht dieses spezifischen Zugangs zu allgemein relevanten Fragestellungen darf und muss gestritten werden.

  2. Ich lese die Diskussionen nur ganz selten, weil sie meistens in so einem üblen Ton abrutschen.

    Ich glaube, das Recht auf diese Orientierung bestreitet ja gar niemand. Die Frage ist lediglich die, ob und inwiefern der Staat das fördern soll. Man kann auch streiten, aber da ist schon einiges an Augenmaß und Fingerspitzengefühl gefragt.

  3. Dieses Augenmaß bietet der Bildungsbegriff, meine ich. Hast du verfolgen können, inwiefern sich profilierte Religionspädagogen in der Berliner Diskussion beteiligt haben (Schweizer, Schwab, Nipkow …)?

    Das Missionsanliegen gehört – sehe ich auch so – zentral in die Gemeinde. Die Verhältnisbestimmung zwischen Bildung und Mission ist sicher eine der Tiefenprobleme in der Diskussion um den RU. Trotz schwerpunktmäßiger Unterscheidung sollten beide zwar klar unterschieden, aber nicht als einander ausschließende Konzepte gesehen werden.

    P.S. Das oben gebrauchte Bild des Zugangs noch mal fortgesetzt: Es gibt zu den allgemein relevanten Lebensfragen der Ethik nicht den einen neutralen „Haupteingang“, sondern nur spezielle „Nebeneingänge“. Das wird allerdings vehement bestritten. Die Berliner Alternative „neutrale (Staats-) Ethik und doktrinäre (Konfessions-) Religion“ ist schlichter Populismus und populistische Schlichtheit. Könnte mit Grundeinsichten der Frankfurter Schule (instrumentelle Vernunft, interessegeleitete Erkenntnis) widerlegt werden. Aber leider scheint es darum ja gar nicht zu gehen.

  4. @ Werner: Mit dem PS hast Du natürlich Recht, es gibt keine „neutrale“ Ethik, man kann immer nur den eigenen Standpunkt offenlegen und zur Diskussion stellen.

    Ohne als Bayer die Details der Diskussion verfolgt zu haben, klar hatten Mission und Bildung gerade in Europa schon immer viel miteinander zu tun, ohne je identisch zu sein. Ich bin ja (bei einem entsprechend ganzheitlichen und freiheitlichen Verständnis, also nicht doktrinär) auch gar nicht gegen Mission. Und nicht gegen den RU. Mir ging es nur darum, diese unglückliche Fixierung auf den einen Punkt anzusprechen.

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