Nochmal: Selbstliebe?

Die Formulierung im Doppelgebot liegt für eher auf der Linie der goldenen Regel: Meinen Nächsten zu lieben, heißt ihn so zu behandeln, wie ich mir das selbst umgekehrt auch wünschen würde…. Die allgegenwärtige (und damit, wenn Sennett recht hat, verbundene) Psychologisierung der Weltsicht liefert uns also nicht nur eine Begrifflichkeit für bestimmte Störungen, sondern sie produziert sie sogar…. Viele unserer Begriffe gab es damals nicht, die Schreiber waren an “Psychologie” nicht interessiert und ihre Texte erlauben uns keine Rekonstruktion des Innenlebens der Protagonisten, keine Ferndiagnosen, keine Retrojektion…. Sondern eher das “Sterben” des alten Menschen und die Existenz des neuen Menschen “in Christus”, der von der Last befreit ist, sich zu sich selbst zu verhalten, im positiven Sinn also selbstvergessen Gott und anderen dienen kann.

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Traurige Nachrichten

Die Türkei bleibt ein schwieriges Pflaster für Christen: Nach dem Mord an einem Priester als Reaktion auf den Karikaturenstreit und einem gescheiterten Bombenanschlag gegen den Kirchenratsvorsitzenden von Midyat im März sind nun drei Mitarbeiter eines Bibelverlags grausam ermordet und ein vierter schwer verletzt worden…. Und obendrein berichtete idea gestern von einem weiteren brutalen Mord an einem Christen in Kaschmir, der vermutlich auf das Konto von Islamisten geht.Im aktuellen Fall gab es wohl Drohungen von Rechtsnationalisten, die Missionaren vorwerfen, die nationale Einheit der Türkei zu gefährden. Angesichts der geringen Zahl von Christen dort ein absurder Vorwurf, aber wie immer kann man Einheit auch dadurch beschwören, dass man gegen einen vermeintlichen Feind Front macht.Was ist jetzt die angemessene Reaktion von Christen hier bei uns: Beten für die Mitchristen in der Türkei?… Zu oft gab es die unseligsten Legitimierungen von Repression oder gar “gerechtem” Krieg gegen Andersdenkende, als dass wir hier allzu oberlehrerhaft daher kommen könnten.

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Bei allem Respekt…

Dass aber der lange Arm der Putin-Administration bis in die Redaktion von Sabine Christiansen reichen soll und dort zur Ausladung von Kritikern führte, ist – wenn es sich bewahrheitet – ein echter Skandal.Auf eine anderen Ebene liegt der Auftritt von Yusuf Islam alias Cat Stevens bei “Wetten Dass”. Peinlich aber war für mich auch dort, wie der Gastgeber (Aushängeschild seines Senders, ähnlich wie Christiansen bei der ARD) auf Harmonie machte und nicht einmal “Islam” sagen konnte, sondern nur Umschreibungen oder Vermeidungen von sich gab…. Aber dann darf man – Samtstimmen-Nostalgie hin oder her – auch solche Gäste schlicht nicht einladen, sonst wird es grotesk.Was mich in beiden Fällen beunruhigt ist die Frage, ob wir nicht gerade eine Nation von Feiglingen werden, die schon vorauseilend den Kopf einziehen und um keinen Preis anecken wollen…. Und übersehen dabei, dass unser verängstigtes Schweigen (ähnlich wie im Kernland der Mafia) die Kräfte, vor denen wir uns fürchten, noch stärkt und den Widerstand lähmt.

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Großer Bruder

George Orwells Heimat ist 22 Jahre nach 1984 auf dem Weg in die totale Überwachungsgesellschaft. Angesichts IRA (früher) und Islamismus heute vielleicht keine Überraschung, aber für unsere Standards von Datenschutz, die hoffentlich auch nicht aufgeweicht werden, eine gruselige Vorstellung, was der Heise-Newsticker :In Großbritannien gibt es etwa vier Millionen Überwachungskameras. Die Wachstumsrate steigt explosiv an, innerhalb der letzten drei Jahre haben sich die Kameras um 300 Prozent vermehrt. Der durchschnittliche Brite wird täglich 300-mal von einer Überwachungskamera aufgenommen.

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Newbigin (15) Das Evangelium und die Kulturen

Religiöser und kultureller Pluralismus sind verschiedene Dinge, auch wenn sie gelegentlich verwechselt werden…. Im Unterschied zum Islam, der darauf besteht, dass der Koran offiziell auf Arabisch zu lesen ist, steht an der Wiege des Christentums das Sprachwunder von Pfingsten – mit weit reichenden theologischen Implikationen.Doch das Bekenntnis zur kulturellen Pluralität führt sofort zu der Frage, ob alle Elemente einer Kultur damit gut geheißen werden, etwa das Kastensystem in Indien oder Polygamie in Afrika. Oft war die Kritik der Missionare an diesen Strukturen mehr in der europäisch-individualistischen Kultur begründet als im Evangelium. Das bedeutet andererseits nicht, dass keine Veränderung nötig wäre.

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Newbigin (6): Offenbarung in der Geschichte

Christentum, Judentum und Islam aber beziehen sich (in unterschiedlicher Weise) auf bestimmte geschichtliche Ereignisse, an denen sie die Wahrheit oder Gültigkeit des Glaubens festmacht, während Buddhas Lehren zeitlos gültig und an keinerlei historische Ereignisse geknüpft sind. Vielen bereitet das Unbehagen, weil man sich damit dem Widerstreit der Geschichtsdeutung aussetzt. Pietisten wie Hindus betonen daher die innere Realität (etwa der Beziehung zu Gott) unabhängig von der Frage, was äußerlich bzw…. Doch dieser Rückzug bedeutet, dass ich aufhöre, mein Leben als Teil einer noch andauernden Geschichte und eines größeren Zusammenhangs von Beziehungen (und Verantwortung!)

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Transzendente Pandemie?

Im Kulturteil der Süddeutschen Zeitung beschwert sich Sonja Zekri darüber, dass man als “Gottloser” in der Minderheit sei und angesichts der neu in Mode geratenen Religiosität unter Anpassungsdruck gerate…. Spätestens seit der Massenverzückung beim letzten Papstwechsel fühlt man sich deshalb als Atheist wie auf einer Eisscholle im Golfstrom.Allerdings verfällt sie, bei aller berechtigten Kritik an neokonservativer Instrumentalisierung von Religion und esoterischem Rückzug aus einer komplexen Welt, mit ihrem Aufschrei in dieselbe quasi-apokalyptische Rhetorik wie die “Gegner” (so muss man es wohl doch nennen):Der Kampf der Kulturen wogt längst nicht mehr zwischen Islam und Christenheit, sondern zwischen Frommen und Ungläubigen…. Ernüchternd ist dennoch das Panoptikum an religiösen Borniertheiten, das sie ja nicht erfunden hat. Vermutlich wird man doch genauer hinsehen müssen, gerade wenn man Glaubensrichtungen am eigenen Anspruch messen will. Für Christen, die Jesus und seine Sendung ernst nehmen, muss es eine dauernde Anfechtung bleiben, wie viel Unrecht existiert und wie wenig wir dagegen unternehmen oder ausrichten.

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Außenseiter

Heute hatte ich ein nettes Gespräch am Telefon mit einem evangelischen Pfarrer, der ein Jahr als “Pioniermissionar” (seine Worte) auf Kreta tätig war und dort als Ausländer und Lutheraner mindestens so exotisch wie hier ein amerikanischer Pfingstler (auch der Vergleich stammt von ihm)…. Westeuropäer wurde er misstrauisch und kritisch beäugt und fand seinerseits eine etwas fremde, orientalische Art des Christseins, die in manchem schon an den Islam erinnerte (Ritualismus, Rolle der Frau etc.). Die Minderheitensituation, theologisch würden wir sagen: das Exil, hat einiges an neuen Gedanken angestoßen und alte vielleicht vertieft. Kein Wunder: Diese Erfahrung war ja auch schon zu Jeremias und Hesekiels Zeiten theologisch höchst fruchtbar.Hinterher dachte ich mir: Vielleicht sollte so etwas Teil der Ausbildung des Pfarrernachwuchses sein, sie mal ein Jahr in eine solche Situation zu schicken?

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Düstere Visionen

Die SZ gehört ja normalerweise nicht zu den schwarz-weiß-Malern im Land. Um so interessanter, dass man die alarmierende Analyse des Holcaust-Forschers Daniel Goldhagen zum Thema “Politischer Islam” dort veröffentlicht. Er hält das Selbstmordattentat für den “Grundtypus des Völkermords”. Mit seinem Todeskult findet der politische Islam seine nächste Parallele im Nationalsozialismus.

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Rituale – tragende Gewohnheiten

Liederverse und Bibelstellen, die man jahrelang “aufgesagt” hat, tragen einen Menschen plötzlich durch.Brian McLaren hat es so definiert: Ein Ritual ist etwas, das ich tue, ob ich mich danach fühle oder nicht, weil es mich an das bindet, wofür es steht…. Es gibt auch bizarre Rituale der Konsumgesellschaft, man muss nur mal auf den Begriff “Kult” achten: Das Studieren des neuen Ikea-Katalogs oder der Flyer bestimmter Discounter inklusive dem Anstehen montags und donnerstags zur Öffnung – ein wahrhaft demokratischer Akt der Gleichheit quer durch alle Einkommensschichten…. Danach bricht der (ebenfalls rituelle) Wettbewerb aus, wer als erstes den Wagen voll und die Kasse hinter sich hat. Auch das gehört zur Konsumgesellschaft: jeder kann ein Gewinner sein, wenn er sich nur durchsetzt.Nationen mit weniger Geschichte pflegen ihre Rituale oft mit um so mehr Inbrunst – man muss nur mal Amerikaner und Deutsche vergleichen…. Nicht, dass das irgendwer hier jemand täte, aber wir kennen alle Menschen, die…).Gehört Rauchen (die “Zigarette danach”) und Schokolade futtern gegen Frust auch zu den Ritualen, oder sind das einfach nur mehr oder weniger problematische Gewohnheiten?

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Karikaturen und Freiheit

Zumindest schien mir das Diktum des Paulus in den letzten Tagen der Tenor mancher Kommentare zu sein: Es ist alles erlaubt, aber es nützt nicht alles.Niemand kann und will dem Druck von Zorn, Hass und Gewalt nachgeben und hier Freiheiten staatlich einschränken…. Und das, was dort geduldet oder gar angeheizt wird, nützt auch längst nicht allen, sondern nur den Eliten.Der Titanic-Gründer Robert Gernhardt sagt im ARD-Interview, er habe den “Stasi-Gott” seiner Kinderzeit, “der alles sieht und nichts verzeiht” immer wieder verarbeitet…. Vielleicht sollten wir uns weniger über die Karikaturen auf dem Papier und noch mehr um die Karikaturen in den Köpfen Gedanken machen und ihnen durch die Art, wie wir leben, mit anderen Menschen und Meinungen umgehen und wie wir von Gott reden und schreiben, langsam aber sicher das Wasser abgraben. Ob das nun der unerbittliche Stasi-Gott deutschen Pflichtgefühls ist oder die Verzerrungen und Missverständnisse in der islamischen Welt – so lange das in den Köpfen und Herzen herum spukt, wird es irgendwann gedruckt.

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Karikaturen-Knatsch

Bei dem Konflikt wird hier zu Lande immer auf das Thema Freiheit abgehoben. Das ist auch richtig so, und es hat sogar christliche Wurzeln, dass wir heute Freiheit hoch halten im Westen, manchmal auch dann noch, wenn sie missbraucht wird. Obwohl wir – bei Islamisten etwa – da auch schon Einschränkungen diskutieren.Übersehen wird dabei gelegentlich, dass es auch um Achtung und Respekt geht und dass Freiheit davon nicht zu trennen ist…. Wenn das passiert, wird keine Zensur nötig sein, machbar ist sie ohnehin nicht.Letzten Ende liefern wir mit dem unweisen Gebrauch von Freiheit immer den falschen Leuten den Vorwand, andere gegen einander aufzuhetzen und am Ende die Freiheit selbst zu beschädigen.

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Volkskirchen-Fundis?

Kritik an der Kirche ist die einzige Todsünde, die noch überlebt hat. Das sagt man nicht direkt, aber die dünnhäutigen Reaktionen und giftigen Worte sprechen ihre eigene Sprache.Volkskirchen-Fundamentalisten glauben etwa an das Heil nicht sola fide, sondern solo baptismo. Die objektive Realität des Heils (ex opere operato – allein durch den äußeren Vollzug des ritus – auch bei “Evangelen”, wird nie explizit gesagt, aber immer stiilschweigend vorausgesetzt) wird durch persönlichen Glauben oder aktive Nachfolge nur verstellt.So wie Bibel-Fundis immer genau wissen, was “die Bibel” sagt (in Wirklichkeit haben sie es in schlauen Büchern von Josh McDowell oder wem auch immer gelesen) so wissen diese Freunde, wer das Volk ist und was es will…. das Volk will nicht mit der Vorstellung beunruhigt werden, dass mehr in ihm stecken könnte, als es dachte und dass unsere Welt anders aussehen könnte, wenn wir Gott leidenschaftlich vertrauen und andere leidenschaftlich lieben würden…. Das ist zwar nicht das, was Paulus schreibt, aber er hat es ganz bestimmt so und nicht anders gemeint.Volkskirchen-Fundis unterstellem jedem, der etwas anders macht und aus der Reihe tanzt, dass er sich für etwas Besseres hält – und das ist pfui.

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