Newbigin (6): Offenbarung in der Geschichte

Zwar sind alle Religionen “historisch”. Christentum, Judentum und Islam aber beziehen sich (in unterschiedlicher Weise) auf bestimmte geschichtliche Ereignisse, an denen sie die Wahrheit oder Gültigkeit des Glaubens festmacht, während Buddhas Lehren zeitlos gültig und an keinerlei historische Ereignisse geknüpft sind. Vielen bereitet das Unbehagen, weil man sich damit dem Widerstreit der Geschichtsdeutung aussetzt. Pietisten wie Hindus betonen daher die innere Realität (etwa der Beziehung zu Gott) unabhängig von der Frage, was äußerlich bzw. geschichtlich nun eigentlich war. Doch dieser Rückzug bedeutet, dass ich aufhöre, mein Leben als Teil einer noch andauernden Geschichte und eines größeren Zusammenhangs von Beziehungen (und Verantwortung!) zu sehen.

Natürlich ist es keine einfache Sache, von Gottes geschichtlichem Handeln zu reden. Und weil nicht nur die Historiker, sondern auch viele Theologen an dieser Stelle skeptisch sind, fragt Newbigin zurück:

Wenn Gott nicht in der Geschichte handelt, welchen Sinn hat es dann, davon zu reden, dass er überhaupt handelt? Und wenn es keine Kategorien gibt, in denen wir dieses Handeln Gottes aussagen können, welche Bedeutung können wir dann noch mit dem Wort “Gott” verbinden?

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Erstens müssen die Kausalzusammenhänge, in denen die Wissenschaft denkt, mit der personalen Willensfreiheit in Beziehung gesetzt werden. Man kann etwa Innen- und Außenansicht unterscheiden (von innen sieht es so aus, dass ich etwas wollte, von außen spielen dabei biologische, psychologische und soziologische Zusammenhänge eine Rolle. Von innen betrachtet steht mir das Ziel einer Handlung vor Augen (eine Absicht ist nämlich etwas Spirituelles), ich sehe also in die Zukunft; von außen kann ich nur rückwarts, in die Vergangenheit blicken. Ein Außenstehenden kann meine Handlungen nun als Ereignis in der Welt der Dinge betrachten, oder aufgrund einer Beziehung zu mir als Person lernen, meine Ziele und Pläne zu verstehen. Er wird mein Handeln dann anders einschätzen.

Das stellt uns zweitens vor das Problem, dass unsere Taten in der Regel Ausdruck unserer Gedanken und Vorsätze sind, aber für Christen nicht alles, was in der Welt passiert, sich automatisch auf den Willen und das Wesen Gottes zurückführen lässt. Wie aber lässt sich nun unterscheiden, welche Ereignisse in Gottes Sinn waren und welche nicht? Anders als Monisten und Pan(en)theisten glauben Christen, dass Gott sich selbst beschränkt und seiner Schöpfung eine gewisse Freiheit gegeben hat. Um Geschichte zu schreiben und zu interpretieren braucht man zur Organisation der einzelnen Details immer (!) eine Vermutung über ihren Sinn. Die Ansätze unterscheiden sich je nach unterstelltem Sinn. Die christliche Vorstellung, dass sich Gott manchen Menschen durch ganz bestimmte Ereignisse in der Geschichte offenbart hat, ist dabei schlicht skandalös in ihrer Partikularität.

Philosophisch bedeutet das, dass Ereignisse in der Geschichte ebenso wie Worte und Taten einer Person nicht immer die gleiche Aussagekraft haben. Manche lassen nur sehr allgemeine und oberflächliche Rückschlüsse auf ihren Urheber zu. Zweitens wird Gottes allgemeines Handeln in der Geschichte immer auch durch die relative Autonomie natürlicher Ereignisse und menschlicher Willensentscheidungen verdeckt oder verzerrt. Um es richtig einzuordnen, müssen wir über Gottes Vorhaben also Bescheid wissen. Und auch in dieser Frage bleibt keine andere Möglichkeit, als wieder bei einer bestimmten menschlichen Gemeinschaft und ihrer Denktradition anzusetzen.

Setzt man (und das ist legitim) bei der christlichen Sicht der Geschichte dieser Welt an, dann lässt sich das nicht durch Bezugnahme auf Kriterien außerhalb dieser Geschichte rechtfertigen. Gerechtfertigt wird diese Geschichte erst durch ihren Ausgang. Bis dahin warten wir im Glauben auf dieses “Ende”. Bei allen Parallelen zu und Einflüssen von anderen Religionen und Kulturen erzählt diese Geschichte doch etwas radikal Neues, von dem aus auch die fremden Traditionen verstanden und neu interpretiert werden können. Christen können hinter dieses Vorverständnis ihrer Tradition nicht zurück zu einer “objektiven” Analyse der historischen “Fakten”, sie können aber die Ereignisse, die dort erzählt werden, in der Sprache und Systematik moderner Geschichtswissenschaft übertragen. Die Entscheidung, die Welt und Gottes Handeln in ihr aus dieser Sicht zu sehen, ist unsere persönliche Verantwortung. Sie begründet sich aber auf Gottes Entscheidung, mich in diese Gemeinschaft zu berufen, deren Teil ich nun bin. Ein Blick in die Abschiedsreden des Johannesevangeliums zeigt das deutlich:

  1. Gott hat sich im irdischen Wirken Jesu umfassend offenbart (Joh 14,9)
  2. Dennoch haben auch die Empfänger dieser Offenbarung viel zu lernen (14,16)
  3. Die Offenbarung ist ihnen anvertraut (und Gottes Geist ist ihnen gegeben), um anderen Menschen bezeugt zu werden (15,27)
  4. Dieses Zeugnis stellt die Grundanschauungen dieser Welt auf den Kopf (16,8-11)
  5. Durch den Geist wird die Kirche die weitere Weltgeschichte interpretieren können (16,13)
  6. Darin erweist sich der gekreuzigte Jesus als der tatsächliche Herr der Geschichte (16,14)
  7. Das Wirken des Geistes hat universale Weite (16,15)
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